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28.09.2003

Alertbox Nr. 200

Seit 1995 habe ich auf dem Web 200 Alertboxen publiziert. Zusätzlich zu den Siegen, die gegenüber "Multi-Millionen-Dollar"-Interessen und Usability-Feinden erzielt wurden, bekräftigt die Leserschaftsstatistik das Vorgehen, Inhalt zu archivieren.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 29.09.2003

 

Das ist die 200ste Alertbox seit ich im Juni 1995 damit angefangen habe, diese Kolumne im Web zu publizieren. Über die Jahre hat die Alertbox sich gegenüber Usability-Feinden durchgesetzt und mit mehr als 30 Millionen Seitenansichten die Nutzung von archiviertem Inhalt für gültig erklärt.

Diese Statistik beinhaltet nur die englische Version. Die Alertbox wird in Lizenz auch auf Deutsch und Japanisch übersetzt. Früher gab es sie sogar auf Koreanisch, Portugiesisch und Spanisch (leider mussten diese Websites ihre Ausgaben für lizenzierten Inhalt verringern). Auch nicht enthalten in den 30 Millionen sind die millionenfachen Seitenansichten, die durch Push-Technologie und Roboter erzielt worden sind.

Interesse und Einfluss

Obwohl die durchschnittliche Anzahl Leser pro Kolumne ca. 300'000 Personen beträgt, gibt es einige Alertboxen, die Millionen von Lesern angezogen und so den Durchschnitt erhöht haben. Die meisten Alertboxen haben ungefähr 200'000 Leser. Von diesen sehen etwa 40'000 die Alertbox, wenn sie neu auf der Website useit.com zur Verfügung gestellt wird. In anderen Worten, die meisten Artikel erhalten 80% ihrer gesamten Leserschaft erst nachdem sie archiviert worden sind. Ganz klar ein überzeugendes Argument für den Unterhalt von Content-Archiven.

Meine 1995 erschienene Alertbox zum Thema "Richtlinien für Web Multimedia" erhält immer noch ungefähr 2000 Leser pro Monat. Diese Richtlinie ist immer noch gültig und es lohnt sich, sie trotz ihres Alters zu lesen, obwohl sie von Usability-Tests abgeleitet worden ist, die auf Technologien basieren, die schon lange nicht mehr existieren.

Ich versuche normalerweise Artikel zu schreiben, die ihre Bedeutung über viele Jahre beibehalten. Usability-Befunde werden von menschlichen Eigenschaften abgeleitet und sind deshalb von ihnen viel abhängiger als von einer speziellen Technologie, einem Produkt oder einer Firma. Die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns ändert sich nicht von einem Jahr zum anderen. Also haben die Einblicke in das menschliche Verhalten eine sehr lange Lagerbeständigkeit.

(an diesem Punkt werden sorgfältige Leser ihre Mathematikaufgaben gemacht und festgestellt haben, dass 30 Millionen Seitenansichten geteilt durch 200 Kolumnen nicht 300'000 ergibt, sondern 150'000. Der Grund für diese Diskrepanz besteht darin, dass neue Alertboxen nicht lange genug archiviert worden sind, um ihre erwartete Leserschaft anzusammeln).

Der Kampf gegen die "Multi-Millionen"-Interessen

Über die Jahre hat sich die Alertbox mehrere Male gegen Interessen durchgesetzt, denen durch Hunderte von Millionen Dollar der Rücken gestärkt worden ist. Das Resultat war üblicherweise ein Sieg, obwohl es im Falle meines Kampfs für die Verminderung der PDF-Fehler zu früh ist, um einen Sieg zu erklären.

Der Grund, warum ich häufig gewonnen habe - trotz der Tatsache, dass die Feinde der Usability oftmals besser finanziert sind - ist, dass ich die Wahrheit sage, wie ich sie in der Nutzerforschung sehe. Ich bin nicht durch irgendwelche speziellen Interessen gebunden. Wenn ich also beobachte, dass Menschen sich auf eine gewisse Art und Weise verhalten, dann bin ich frei, dies zu äussern und die Auswirkungen auf die Industrie zu erklären. Es ist sehr schwierig, die menschliche Natur zu verändern; Firmen, die versuchen, ihr Technologien aufzuerlegen, die gegen sie sind, verlieren häufig.

Vielleicht der auffallendste Sieg bestand darin, dass die Alertbox den Weg zur Abnahme glamouröser Design-Agenturen geebnet hat. Sicher, es gibt noch einige wenige glamouröse Agenturen und eine Firma, die Geld mit einer nicht nutzbaren Website vergeuden möchte, findet Designer, die nur zu gerne bereit sind, das Geld gegen eine wunderschöne, wenn auch unbrauchbare Site einzutauschen.

Die meisten grösseren Agenturen haben Usability-Fachleute eingestellt, und es ist üblich, dass Kunden Websites verlangen, die funktionieren und nicht nur solche, die schön aussehen. Weil sich Design-Agenturen über die Zeit stufenweise verändert haben, haben es viele Leute noch gar nicht bemerkt: Das ist etwa so, wie einen Frosch mit langsam erhitzendem Wasser zu kochen. Obwohl das Endergebnis ist, dass sich heutige Designgeschäfte im Allgemeinen sehr von den Fröschen, die im 1999 glamouröse Sites herausgebracht haben unterscheiden.

Auf die ähnliche Art und Weise war die Alertbox auch bei der Veränderung der Flash-Strategie beteiligt, weg vom Stören der Anwender hin zum Erstellen von brauchbaren Internet-basierten Applikationen.

Andere Schlüssel-Siege

In einem anderen Sieg rügte ich - ein Jahr bevor die erste Blase platzte - die gefälschten Nutzer Metriken, die gebraucht wurden, um die dot.com IPOs zu rechtfertigen. Ich sagte ganz spezifisch, dass MarketWatch.com ihre ursprüngliche Milliarden-Dollar Bewertung nicht wert sei. Die Aktie wird momentan zu 9% ihres Wertes gehandelt, den sie im Jahre 1999 beim Erscheinen des Artikels hatte.

Die Alertbox hat sich auch im Falle der WAP-Usability überwältigend gerechtfertigt. Im Jahre 2000 habe ich die Resultate einer Studie herausgegeben, welche die Unbrauchbarkeit von WAP-Telefonen und -Dienstleistungen dokumentierte, die als Lösung für den mobilen Informationszugriff gefördert wurden. Trotz unserer klaren Usability-Befunde hat die WAP-Industrievereinigung eine Pressmitteilung herausgegeben, die behauptete, der Bericht sei nicht glaubwürdig, weil er sich nur auf 20 Nutzer abstützte und die Nutzer ihr WAP-Telefon nur für eine Woche nutzen konnten.

Tatsache ist, dass die Studie sehr vollständig war. Zum einen ist es mehr als genug, 20 Nutzer zu studieren, um wirklich grosse Probleme mit einem Interface-Design zu erkennen, besonders wenn die Usability-Probleme so deutlich und konstant sind, wie bei WAP. Zum anderen - obwohl die Anwender wahrscheinlich mit grösserer Erfahrung besser abgeschnitten hätten - ist es einfach unrealistisch etwas als ein breit abgestütztes Konsumentenprodukt zu fördern, wenn es Leute nicht innerhalb einer Woche lernen können. Wenn ihre erste Erfahrung mit dem Produkt zudem unangenehm ist, werden die Anwender auch nicht über einen längeren Zeitraum beliebig Gebrauch davon machen.

Wie auch immer, folgende Ereignisse bekräftigen sicher unsere Forschungsbefunde vom Jahre 2000: Niemand nutzte die frühen WAP-Dienstleistungen und die gesamte Technologie wurde zu einem grossen Flop. Denken Sie nur an die Milliarden Dollar, welche die Telefonindustrie hätte einsparen können, wenn sie der Usability-Forschung zugehört hätte, anstatt zu versuchen, gegen mich zu kämpfen.

Was wird noch kommen

In zukünftigen Kolumnen werde ich fortfahren für das einzustehen, was recht ist und Menschen vor der übermässig komplizierten Technologie verteidigen. Ich werde mit der Ausbildung von Firmen fortfahren und ihnen zeigen, wie sie mit ihren Kunden online kommunizieren und ihre Angestellten mit verwendbareren Intranets besser befähigen können. Natürlich werde ich in den nächsten hundert Kolumnen auch neue Themen abdecken, aber ich sehe keine Veranlassung dafür, meine Grundwerte zu ändern, wenn diese übermässig berechtigt sind.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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