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06.04.2003

Alternative Nutzerschnittstellen für Accessibility

Der Hauptunterschied zwischen Nutzerschnittstellen für sehende und blinde Anwender ist nicht der Unterschied zwischen Grafik und Text; es ist der Unterschied zwischen 2D und 1D. Eine optimale Usability für Anwender mit Beeinträchtigungen verlangt neue Ansätze und neue Nutzerschnittstellen.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 07.04.2003

 

Der typische Rat, Websites zugänglich zu machen ist, ein einziges Design für alle Anwender zu entwerfen und anschliessend sicherzustellen, dass das Design mit sämtlichen zusätzlichen Richtlinien für Anwender mit Beeinträchtigungen übereinstimmt. Diesen Weg schlagen wir auch bei unseren Grundregeln für Accessibility ein. Sie zielen auf eine verbesserte Usability für Anwender mit Beeinträchtigungen ab, indem sie traditionelle Webseiten und Intranets dazu bringen, spezielle Bedürfnisse zu berücksichtigen.

Der Hauptgrund für diesen "Single-Design-for-Multiple-Audiences"-Ansatz ist die Annahme, dass die meisten Unternehmen nicht in der Lage sind, zwei verschiedene Designs auf dem neusten Stand zu halten. Wenn sie also ein separates Design für Anwender mit Beeinträchtigungen optimieren, laufen sie Gefahr, dass dieses sehr schnell nicht mehr synchron mit der "Haupt-Website" ist.

Für die meisten Websites trifft diese Annahme wahrscheinlich zu. Ein durchschnittliches Unternehmen gibt wenig Ressourcen frei, um Anwendern mit Beeinträchtigungen entgegenzukommen, also sollten sie darauf fokussieren, das Hauptdesign der Site zu verbessern, anstatt eine separate Site zu entwerfen, zu implementieren und zu betreiben.

Eine perfekte Usability für Anwender mit Beeinträchtigungen erfordert jedoch ein separates und optimiertes Design für alle verschiedenen Zugangsmodalitäten. Eine Nutzerschnittstelle für blinde Anwender sollte zum Beispiel speziell auf eine auditive Präsentation ausgerichtet sein. Ein solches Design ist unvermeidlich besser, als wenn bei einer visuellen Bildschirmpräsentation einfach etwas laut vorgelesen wird, auch wenn diese Präsentation zusätzlich für blinde Anwender angepasst wurde. Selbstverständlich würden in einer idealen Welt auch für sehbehinderte Anwender und Anwender mit motorischen Beeinträchtigungen separate und zielgerichtete Designs zur Verfügung stehen.

Optimieren Sie für einen linearen Zugang

Das grösste Potenzial liegt darin, ein spezielles Design zu entwerfen, welches auf eine auditive Präsentation ausgerichtet ist. Ein gutes eindimensionales Audio-Design würde nicht nur Blinden und Anwendern mit einer Sehschwäche entgegenkommen, sondern auch Anwender in Autos oder anderen Umgebungen unterstützen, da der auditive Zugang zu Internet-Inhalten zunimmt.

Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen visuellen und auditiven Präsentationen in bezug auf ihre Dimensionalität: Bildschirme sind zweidimensional und hängen von einem Präsentationslayout ab. Ein Audio-Design ist eindimensional und hängt von einer sequenziellen Präsentation ab. Ein 2-D Layout zu linearisieren ist schlichtweg nicht so brauchbar, wie wenn man einen Designer hat, der ein zielgerichtetes 1-D Layout entwirft.

In einem zweidimensionalen Layout ordnet ein guter Grafikdesigner die Informationsblöcke so an, dass eine visuelle Struktur der Webseite entsteht und die wichtigsten Informationen in relativen Grössen zueinander und an den richtigen Positionen dargestellt werden. Zum Beispiel platzieren Designer typischerweise die wichtigsten Webelemente in der Mitte der oberen Bildschirmhälfte, seit dem man weiss, dass sehende Anwender dort zuerst hinschauen.

Obwohl eine zielgerichtete 1-D Audio-Präsentation ebenfalls mit den wichtigsten Informationen anfangen sollte, fangen die meisten auditiven Übersetzungen einfach damit an, die 2-D Webseite laut vorzulesen. Oft beginnen sie im oberen linken Bereich, der sowieso meistens Informationen enthält, die die Sehenden einfach überspringen. Das simple Vorlesen lässt zudem Grössenunterschiede, die im zweidimensionalen Design zu den Schlüsselelementen gehören, unberücksichtigt.

Der grundlegende Unterschied zwischen Nutzerschnittstellen für Sehende und Blinde ist deshalb nicht der zwischen Grafik und Text, sondern zwischen 2-D und 1-D. Leider wissen wir nicht viel über ein gutes 1-D Layout für ein Interaktionsdesign (wir wissen, wie gute Radiosendungen produziert werden können, aber bei diesen handelt es sich nicht um interaktive Formen auditiven Inhalts). Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass eine optimal linearisierte Präsentation vermehrt Hypertext nutzen würde, mehr als wir in den 2-D Layouts finden, die von der visuellen "Scannability" profitieren. So könnte ein Design für den auditiven Gebrauch schlussendlich anstatt eindimensional eher N-dimensional enden.

Blinde Anwender könnten zudem eher von einer 3-D Nutzerschnittstelle profitieren als sehende Anwender. Ich stelle mir dabei eine Nutzerschnittstelle, die auf Gestiken aufbaut vor, bei denen Anwender von verschiedenen Informationen an verschiedenen Plätzen umgeben sind. Sie würden sich diese Informationen zugänglich machen, indem sie an die verschiedenen Punkte im Raum stossen würden. Folglich könnten Designer Suchergebnisse und andere Schlüsselinformationen an bestimmten Plätzen "parken", wo sie dann vom Anwender mit einer Gestik wieder abgerufen werden könnten.

Für sehende Anwender wäre eine solche Schnittstelle nutzlos: Es würden keine Wörter im Raum herumschwirren - vorausgesetzt sie benutzen einen sperrigen VR-Helm. Für blinde Anwender könnten aber Gestiken und ungesehene (aber leicht zu merkende) 3-D Plätze linearen Sprechausgaben schlagen.

Erweiterte Möglichkeiten

Genauso wie ein 1-D Design sehende Anwender, die freihändigen Zugang zu Informationen benötigen, fördern können, können auch Designs für Anwender mit Beeinträchtigungen die Optionen für andere Anwender erweitern. Anwender mit einer Sehschwäche zum Beispiel, können nur einen kleinen Teil der gesamten Informationen auf der Bildschirmanzeige sehen. Wenn man das Design für diese Anwender optimiert, profitieren gleichzeitig auch Nutzer von mobilen oder anderen Geräten mit kleinen Displays, die die essenziell gleichen Restriktionen haben.

Unabhängig der Zielanwendergruppe müssen alle Designs die selben Funktionen anbieten und den Zugang zum selben Inhalt zur Verfügung stellen. Ein gutes Content Management System wird notwendig sein, um sicherzustellen, dass alle Versionen identisch sind und über den gleichen akutellen Inhalt verfügen.

Natürlich ist der Versuch, den ich hier befürworte überwiegend utopisch. Zur Zeit bezweifele ich, dass Unternehmen genug Geld ausgeben würden, um für Anwender mit Beeinträchtigungen gute und zufrieden stellend alternative Designs zu entwerfen - besonders, wenn solche Designs eine Menge neuer Usability Grundregeln erfordern würden. Jedoch ist die Zukunft vielversprechend: Sobald ein auditiver Zugang zum Internet zum Alltag gehört, gehe ich davon aus, dass Ressourcen für eine optimale Erstellung von einem Audio-Design vorhanden sein werden.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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