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25.04.2011

Arbeitsablauf wie erwartet: Jeden Schritt zum richtigen Zeitpunkt präsentieren

Aktionen an bestimmten Stellen einer Anwendung beeinflussen die nachfolgenden Schritte. Verstehen die Nutzer diesen Zusammenhang nicht, leidet die Usability.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 26.04.2011

 

Als wir unser zweitägiges Seminar zum Anwendungsdesign entworfen haben, haben wir das Thema in zwei Abschnitte unterteilt: Arbeitsablauf und Bildschirmkomponenten.

Das zweite Thema ist leicht verständlich: Es reicht von individuellen Steuerungen (wie zum Beispiel Radio-Buttons und Checkboxen) über komplexere Widgets (wie das Design von Formularen) bis hin zum Layout dieser Bedienungselemente. Alles sehr greifbar.

Der Arbeitsablauf (Workflow) ist ein abstrakteres Konzept, welches aber tatsächlich viel wichtiger für den eigentlichen Erfolg einer Anwendung ist. Hier geht es nicht mehr um sichtbare Dinge auf dem Bildschirm, sondern darum, wie die Nutzer mit verschiedenen Funktionen umgehen. Die Theorie des Arbeitsablaufes reicht von einfachen Konzepten, wie dem gestaffelten Anzeigen, bis hin zu heikleren Ansätzen, wie der Frage: induktive oder deduktive Schnittstellen.

Um darzulegen, wie wichtig das Design des Arbeitsablaufes ist, kann ich hier einige konkrete Beispiele kürzlich durchgeführter Nutzertests in unterschiedlichen Bereichen nennen. Beispielsweise basiert ein effektiver Arbeitsablauf auf einem einfachen Prinzip: Lassen Sie die Dinge dann passieren, wenn die Nutzer es erwarten - entweder aufgrund ihrer bestehenden Erwartungen oder weil Sie deutlich kommuniziert haben, was sie zu erwarten haben. (Ersteres ist eindeutig besser; Anweisungen verschlechtern automatisch das Nutzererlebnis, weil sie die Aufmerksamkeit der Nutzer von der eigentlichen Aufgabe ablenken.)

Verfrühte Anfragen: Die Nutzer werden gefragt, bevor sie bereit sind

In letzter Zeit habe ich mehrere Tests zur Usability von iPad-Anwendungen durchgeführt. Nachdem eine neue Anwendung installiert wurde, sehen die Nutzer üblicherweise als erstes eine Nachricht in einer Dialogbox: [Diese Anwendung] möchte Ihnen Instant-Nachrichten schicken. Diese Nachricht wird ergänzt durch: Ablehnen und OK.

Die Nutzer entscheiden sich fast einstimmig für Ablehnen.

Die Menschen bekommen schon genug Spam. Nach jahrelanger Internet-Nutzung ist man ausserordentlich wachsam geworden, wenn Firmen mit "ausgewählten Angeboten" drohen.

Instant-Nachrichten erinnern den Kunden daran, die entsprechende iPad-Anwendung zu nutzen und verstärken damit entscheidend die Loyalität der Kunden zum Produkt; sie bieten aber auch oft hilfreiche Informationen an, die der Kunde vielleicht zu schätzen wüsste. Warum also lehnt er etwas wirklich Gutes ab, das den Nutzen des Tablet-PCs steigern würde?

Einfach deshalb, weil die Anmeldung zur Benachrichtigung an der falschen Stelle des Arbeitsablaufes erscheint: nämlich deutlich zu früh.

Die Abfrage erscheint, wenn die Nutzer die frisch installierte Anwendung zum ersten Mal öffnen - also bevor sie eigentlich Erfahrungen mit der Anwendung und ihrem Nutzen gemacht haben. In diesem frühen Stadium haben die Nutzer noch eine sehr geringe Bindung zur Anwendung. Als Anbieter können Sie noch nicht viel von den Nutzern verlangen, weil sie noch nicht viel von Ihnen halten.

Unsere Nutzerforschung zu mobilen Anwendungen hat gezeigt, dass diese oft nur zeitweise verwendet werden. Die Leute laden viel mehr Anwendungen herunter, als sie tatsächlich regelmässig verwenden. Die Benutzer wissen das und lassen daher nicht zu, dass eine Anwendung, die sie nach erster Einschätzung nur wenig verwenden werden, ihnen auf ewig zur Last wird.

(Ja, natürlich ist es möglich, die Instant-Nachrichten auch später noch zu deaktivieren, aber die meisten Nutzer wissen nicht, wie sie Systemeinstellungen verändern können oder möchten sich um so etwas nicht kümmern.)

Also ist ein besserer Ansatz, zuerst ein gewisses Mass an Vertrauen in den Nutzern aufzubauen, indem man ihnen einen nützlichen Dienst anbietet. Sobald die Nutzer erkannt haben, dass ihnen an der Anwendung etwas liegt, kann man sie fragen, ob sie an Instant-Nachrichten interessiert sind.

Ein weiteres Beispiel geht in dieselbe Richtung: Seit vielen Jahren gilt es als Grundregel für den Online-Handel, einen Kunden auch als Gast einen Einkauf tätigen zu lassen, anstatt von ihm zu verlangen, dass er sich registriert. Beim ersten Einkauf fühlen sich die Menschen einem Unternehmen noch nicht verpflichtet genug, um den Umstand der Registrierung auf sich zu nehmen. (Später, nach mehreren Käufen, werden sie sich wahrscheinlich registrieren, wenn man es ihnen anbietet.)

Ein letztes Beispiel: Während unserer Tests von B-to-B-Internetseiten empörten sich Geschäftsleute darüber, wenn eine Internetseite zu früh versuchte, wichtige Kunden-Informationen zu sammeln, nämlich noch bevor der potentielle Kunde sich entschieden hatte, den Anbieter auf seine Auswahlliste zu setzen. Diese verfrühte Anfrage führte dazu, dass überhaupt keine Leads entstanden, da die Kunden sich abwandten und attraktivere Internetseiten besuchten.

Fragen, die erst später sinnvoll sind

Als wir die Funktionen in sozialen Netzwerken untersucht haben, trafen wir wiederholt auf Websites, die neue Nutzer nach persönlichen Informationen fragten, ohne zu erläutern, wofür diese Informationen verwendet werden. Zum Beispiel wird man bei der Registrierung nach einem Benutzernamen gefragt. Manchen Nutzern war nicht klar, dass dieser Name neben allen ihren zukünftigen Beiträgen auftauchen würde. Schlimmer noch: Manche Websites machen es unmöglich, den Benutzernamen zu einem späteren Zeitpunkt zu ändern, wenn sich die Einstellung eines Nutzers zu der Site geändert hat.

Zu wissen, dass der gewählte Name nachher für alle zu erkennen ist und nicht nur als Login-Name fungiert, würde viele Nutzer davor bewahren, auf Internetseiten, die sie geschäftlich nutzen, mit Benutzernamen wie "Superhengst" aufzutreten.

Es gibt eine einfache Lösung für das Problem: Man erklärt den Nutzern, wie die Informationen verwendet werden. Man zeigt ihnen zum Beispiel, wie ihr Profil und ihre Beiträge mit den gewählten Einstellungen aussehen würden, und gibt ihnen vor der endgültigen Registrierung die Möglichkeit, ihre Eingaben zu bearbeiten. (Natürlich sollte ein erläuternder Text so kompakt wie möglich sein und gründlich getestet werden, da wir ja wissen, dass die Nutzer Anweisungen nur wenig Aufmerksamkeit schenken.)

Viele Internet-basierte Anwendungen sind kurzlebiger Natur, das heisst, dass die Nutzer sie nur als flüchtige Begegnungen ansehen, denen sie wenig verpflichtet sind: ein kurze Stippvisite in eine Anwendung, die sie noch nie zuvor verwendet haben und vielleicht auch nie wieder brauchen werden.
In diesem Bereich beobachten wir häufig Usability-Probleme beim Arbeitsablauf der Anwendung, die durch die schlechten psychologischen Modelle verursacht werden. Die Nutzer wissen nicht, was später noch kommt und verstehen oft den Sinn und Zweck der Anwendung nicht. Daher ist es oft schwer für sie, in einem frühen Stadium gestellte Fragen richtig zu beantworten und sie haben oft auch nicht die Motivation, sich durch die Funktionen und Einstellungen hindurch zu arbeiten.

Eine ins Auge springende Lösung des Problems ist natürlich, die Last der Einstellungen zu minimieren und die Usability der anfänglichen Nutzung zu verbessern. Man könnte an eine sanft ansteigende Rampe denken, anstatt den Nutzern eine Mauer in den Weg zu stellen, die sie erst erklimmen müssen.

Selbst das beste Design kann keine perfekte Usability sichern und erreichen, so dass jeder alles sofort und ohne Mühe versteht. Das Ziel sollte sein, dass die Nutzer den Arbeitsablauf nachvollziehen können und nicht ausgebremst werden. Natürlich ist dies eine der härtesten Herausforderungen in der Online-Kommunikation.

Besserer Arbeitsablauf = mehr Verwendung

Wie die Beispiele zeigen, wird das Nutzererlebnis nicht nur dadurch beeinflusst, was der Nutzer auf dem Bildschirm sieht, sondern auch dadurch, wie sich das Gezeigte auf spätere Anzeigen bezieht. Auch spielt der Bezug des aktuellen zum früheren Bildschirminhalt eine Rolle; hier ist besonders wichtig, dass die Nutzer nicht gezwungen sind, sich auf ihr mitunter schlechtes Erinnerungsvermögen zu verlassen.

Damit sich nicht nur die Usability der Bildschirminhalte sondern das gesamte Nutzererlebnis verbessert, ist es daher notwendig, sich um die Arbeitsabläufe zu kümmern.

Es gibt aber auch noch einen geschäftlichen Grund, die Usability des Arbeitsablaufs zu verbessern: Die Nutzer können oft besser mit einzelnen Usability-Problemen umgehen als mit unterbrochenen Arbeitsabläufen. Zu den typischen Konsequenzen eines schlechten Arbeitsablauf-Designs gehören

  • unerkannte Fehler, die auftauchen, wenn die Nutzer das, was sie in der Bildschirmansicht A sehen, nicht in Bezug bringen können mit dem, was sie (später) in der Ansicht B zu sehen bekommen;
  • Abbrüche, bei denen die Nutzer ein Vorhaben aufgeben, da sie etwas nicht verstehen; und
  • Frustration, die entsteht, wenn ein ungeschickter Ablauf länger braucht, als er brauchen sollte. (Einzelne Designelemente können die Nutzer auch aufhalten, aber ein schlechter Arbeitsablauf frisst deutlich mehr Zeit, bis man damit fertig wird.)

Das Fazit dieser drei Punkte: Man hört auf, die Anwendung zu benutzen. Umgekehrt kehrt man sehr wahrscheinlich zu einer Anwendung zurück, wenn sie wie geschmiert funktioniert und der Nutzer das Gefühl hat, bei allen Schritten die Kontrolle zu behalten.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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