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05.04.2009

Die 2 Worte am Anfang: ein Signal an das Auge des Überfliegers

Ist Ihre Website für Nutzer geschrieben, die Themenlisten meist überfliegen und nicht lesen? Testen Sie, wie gut die Leute die ersten 11 Buchstaben eines Links verstehen.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 06.04.2009

 

Unsere neueste Usability-Studie, mit der wir unseren neuen Kurs "Schreiben fürs Web 2.0" vorbereiten, sagt uns, wie gut die Nutzer die ersten 11 Buchstaben der Weblinks oder Überschriften einer Website verstehen. Diese Seite hier würde zum Beispiel vertreten durch die Buchstabenfolge "First 2 Wor" [von "First 2 Words"; die deutsche Seite würde vertreten durch "Die 2 Worte"]. (Beachten Sie, dass die Richtlinie, Zahlen in Ziffern zu schreiben, mir erlaubt, hier mehr Bedeutung in den winzigen Textstumpf hinein zu quetschen.)

Wofür soll es gut sein, so stark gestutzten Text zu testen? Weil das Online-Lesen oft vom F-Muster geprägt ist. Das bedeutet, die Leute lesen die ersten Punkte in der Liste ein wenig gründlicher - also die beiden Querstriche des F -, aber wenn sie in der Liste weiter nach unten kommen, lesen sie immer weniger, und manchmal gleiten ihre Augen in beinahe gerader Linie an der linken Kante hinunter. Wenn das passiert, sehen die Nutzer nur die allerersten Zeichen eines Punktes in der Liste.

Auf Web- und Intranet-Seiten erscheinen Listen der verschiedensten Art, darunter:

  • Suchmaschinen-Ergebnisseiten (Search engine result pages, SERP)
  • Listen mit aktuellen oder archivierten Artikeln, Headlines, Pressemeldungen und anderen Arten von Nachrichten
  • Produktelisten auf Kategorieseiten
  • Inhaltsverzeichnisse
  • aufgelistete Fragen als Inhaltsverzeichnis am Anfang einer FAQ-Seite (frequently asked questions, häufig gestellte Fragen)
  • Pünktchenlisten, nummerierte Listen, Checklisten, Aufgabenschritte auf einer Hilfeseite oder Gebrauchsanleitung etc.

Die Nutzer sehen normalerweise etwa 2 Wörter von jedem Listenpunkt; etwas mehr, wenn die ersten Wörter kurz sind, oder auch nur das erste Wort, wenn es lang ist. Natürlich sehen die Nutzer nicht in jedem Fall genau 11 Buchstaben, aber wir haben diese Zahl genommen, um für gleiche Bedingungen auf allen von uns getesteten Websites zu sorgen.

Der komplette Text solcher kurzer Absätze ist ein Mikro-Inhalt; diese Studie befasste sich also mit Nano-Inhalten. Dabei gelten für Links und Überschriften in etwa die gleichen Prinzipien, aber wir haben uns - wiederum aus Gründen der Vergleichbarkeit - auf einen Test von Linklisten beschränkt.

Ergebnisse der Nutzerforschung

In unserer Studie haben wir 80 Personen getestet, breit gestreut durch Altersgruppen, Geschlecht und Bildungsstand.

Jüngere Leute (unter 30) und solche mit College-Ausbildung waren bei unseren Testteilnehmern überrepräsentiert. Allerdings sollte diese kleine Abweichung die Ergebnisse nicht ungültig machen, da bei diesen Gruppen überdurchschnittliche Lesefähigkeiten erwartet werden können und im Fall der Letzteren, dass sie online mehr Geld ausgeben als Nutzer mit geringerem Bildungsgrad. Das heisst: Schwierigkeiten, auf die solche Testteilnehmer stossen, müssten bei einem breiteren Publikum sogar noch ernster sein.

Wir haben 20 verschiedene Links getestet, je einen von den folgenden 20 Websites: Accenture, Amazon.com, Ann Taylor, AT&T, Barclays Bank (UK), Bell Canada, Chase Bank, Dell, Direct.gov.uk, Fidelity Investments, Free Application for Federal Student Aid (USA), Freestyle Media (Australien), Fujitsu, Intel, Norwich Union (UK), Northwestern Memorial Hospital, RMC Labs (Australien), Streamline Solutions (Australien), Topshop (UK) und Xerox.

Wie die Liste zeigt, haben wir Websites aus drei Kontinenten getestet, die ein breites Spektrum von Sektoren abdecken, einschliesslich B-to-B, E-Commerce, Finanzdienstleistern, Behörden, Gesundheitswesen und Technologie.

Wir haben beim Test zwei Aufgaben gestellt:

  • Die Nutzer bekamen abgeschnittene Links zu sehen, immer nur einen, und wurden gebeten vorherzusagen, was sie finden würden, wenn sie ihn anklicken. Zusätzlich zu den 11 Buchstaben zeigten wir den Nutzern jeweils den Namen der Website und eine kurze Website-Beschreibung als Kontext.
  • Die Nutzer bekamen eine Liste von 10 abgeschnittenen Links zu sehen; 9 davon waren Ablenker, die wir aus 60 anderen Websites genommen hatten, die auf keine andere Weise in der Studie vorkamen. Wir gaben den Nutzern ein Szenario vor und baten sie, den Link auszuwählen, der sie zu der benötigten Information hinführen würde. Zum Beispiel: "Finden Sie Informationen darüber, wie Sie Ihre Voicemail-Nachrichten auf Ihrem iPhone abspielen können."

Die besten Links

Die E-Commerce-Website Ann Taylor’s hat mit dem besten 11-Buchstaben-Aufmacher diese Studie gewonnen. Der komplette Textlink lautete: "Gift Cards & E-Gift Certificates" (Geschenkgutscheine & Online-Geschenk-Zertifikate); die ersten 11 Buchstaben waren "Gift Cards" (einschliesslich des Wortzwischenraums nach dem zweiten Wort).

85% der Nutzer waren in der Lage vorherzusagen, wohin dieser Link führte, nachdem sie nur die ersten 11 Buchstaben gesehen hatten, und 100% der Nutzer wählten diesen Link aus (und keinen der 9 Ablenker), wenn sie gebeten wurden: "Kaufen Sie ein Ann-Taylor-Geschenkzertifikat für eine Freundin."

Die Barclays Bank schnitt ebenfalls gut ab mit "New custome" (kompletter Textlink: "New customers apply online now" - "Neue Kunden jetzt online anlegen"), zumindest bei der Aufgabe, unter 10 Links den richtigen auszuwählen, was 95% der Nutzer schafften. Und 75% der Nutzer hatten eine recht gute Vorstellung davon, wohin der Link führen könnte, wenn sie nur die ersten 11 Buchstaben sehen konnten.

Was charakterisiert diese beiden Sieger-Links? Hier geht es um Geld; die Designer hatten also ein klares Mandat, die Sache klar und einfach zu gestalten, damit die Website Geld einbringt. Geschenkzertifikate sind eine grosse Umsatzquelle für E-Commerce-Websites, und neue Konten sind das A und O beim Online-Banking. Wenn die Nutzer den richtigen Link identifizieren und anklicken, können beide Firmen Gewinn machen.

Die beiden Siegerlinks sind zudem gute Beispiele für die Prinzipien effektiver Webtexte: Beide Links

  • sprechen eine klare Sprache,
  • verwenden spezifische Begriffe,
  • befolgen die Konventionen für das Benennen geläufiger Funktionen,
  • stellen nutzer- und handlungsorientierte Begriffe nach vorne.

Die schlechtesten Links

Es gab eine ganze Menge schlechte Links. Bei 35% der Links hatten die Nutzer, wenn sie nur die ersten 11 Buchstaben sehen konnten, nicht die geringste Ahnung, wohin die Links führen könnten.

Der allerschlechteste Link war der der Chase Bank: Bei dem getesteten Link hatten die ersten 11 Buchstaben, "Introducing" ("Einführung"), keinerlei Bedeutung. Der komplette Link, "Introducing Chase Exclusives Special Benefits for Checking Customers" ("Einführung von exklusiven Sondervorteilen für angemeldete Chase-Kunden"), ist auch nicht viel besser; wir haben immer noch keine Ahnung, worin diese "exklusiven Sondervorteile" bestehen könnten.

Es wundert nicht, dass keiner der Nutzer eine vernünftige Voraussage - oder auch nur eine Andeutung - treffen konnte, wohin der Link "Introducing" führen könnte. Und als wir die Nutzer baten, zu der Aufgabe "Finden Sie zusätzliche Vorteile, auf die Sie als angemeldeter Chase-Kunde vielleicht Anspruch haben" einen Link auszuwählen, haben nur 15% den Link "Introducing" aus einer Liste von 10 Links ausgewählt.

Die Links von Directgov ("Working while you study: paying tax" - "Arbeiten während des Studiums: Steuerfragen") und Xerox ("Profit Accelerator Overview" - "Gewinnbeschleuniger-Übersicht") haben die zweitschlechtesten Plätze gezogen. Ein Nutzer konnte vernünftig voraussagen, wohin "Profit Acce" führen könnte, so dass Xerox den ersten Teil der Studie nicht ganz so vergeigt hat wie Directgov. Andererseits haben im zweiten Teil der Studie 25% der Nutzer den Directgov-Link korrekt aus den neun Ablenkern herausgefischt, während das bei Xerox nur 5% geschafft haben.

Diese Links sind von den drei Übeln infiziert, die schlechte Text-Usability verursachen:

  • schwammige, allgemeine Worte
  • künstliche Worte oder Begriffe
  • Bla-bla am Anfang, die Informationsträger am Ende

Wie man die Nutzer zu den richtigen Links hinführt

Es ist zugegeben sehr herb, das Design einer Website bloss anhand der ersten 11 Buchstaben ihrer Links zu beurteilen. Wenn Sie also diesen Test auf Ihre eigenen Links anwenden, sollten Sie nicht weinen, wenn Sie schlechter abschneiden als Ann Taylor.

Die Nutzer müssen das Ziel eines Links nicht mit 100prozentiger Genauigkeit auf Basis der ersten 11 Buchstaben voraussagen können. Im wirklichen Leben sind die Links auf der Seite nicht abgeschnitten. Auch wenn die Nutzer beim ersten Überfliegen vielleicht nur die ersten zwei Wörter sehen, können sie sofort mehr lesen, wenn ihre Augen auf dem Link stehen bleiben.

Mithin muss nur der komplette Textlink die komplette Informationsfährte liefern, nämlich

  • den Nutzern eine zuversichtliche Voraussage ermöglichen, wohin sie kommen werden, wenn sie ihn anklicken
  • sich klar von den anderen Links abheben
  • nicht missverständlich sein oder zu viel versprechen.

Der Nano-Inhalt (das erste Stückchen von einem Link) muss lediglich dafür gut sein, dass die Nutzer den vielversprechendsten Link in ganzer Länge erschnuppern.

Schlechte Ergebnisse bei einer Studie dieser Art zeigen jedoch an, dass Sie Ihre Webtexte nicht so geschrieben haben, wie die Nutzer sie beim Online-Lesen brauchen - was wir durch Eyetracking- und viele andere Usability-Studien wissen. Wenn Sie wirklich schlecht abschneiden, müssen Sie dringend Ihre Texte überarbeiten lassen.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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