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01.07.2010

Die Lesegeschwindigkeit bei iPad und Kindle

Eine Studie mit Leuten, die längere Texte auf Tablets lesen, hat höhere Lesegeschwindigkeiten als in der Vergangenheit ermittelt, aber es geht immer noch langsamer als beim Lesen gedruckter Texte.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 02.07.2010

 

Viele Unternehmen wetten einiges darauf, dass elektronische Buchlesegeräte (E-Book-Reader) in Zukunft eine der wichtigsten Methoden sein werden, um längere Texte zu lesen. Allerdings werden solche Produkte nur dann erfolgreich sein, wenn ihr Lese-Erlebnis viel besser ist als das elende Lesen am PC-Bildschirm.

Verschiedene Typen von Tablets sollten es besser machen als Schreibtisch-Computer, weil sie Bildschirme mit höherer Auflösung und eine komfortablere Lesehaltung anzubieten haben. Sind Tablets aber wirklich so gut wie gedruckte Bücher?

Um das herauszufinden, haben wir eine Lesbarkeitsstudie gemacht mit Leuten, die auf den beiden bekanntesten Tablets Belletristik gelesen haben: dem iPad von Apple (erste Generation) und dem Kindle 2 von Amazon.

Anders als bei unserer ersten Studie zur Usability von iPad-Applikationen haben wir diesmal kein Spektrum von Nutzeroberflächen studiert. Stattdessen haben wir nur die voreingestellte iBook-App getestet. Der Test mit einem einzelnen iPad-Reader ist leichter mit dem Kindle zu vergleichen, bei dem es nur eine einzige Nutzeroberfläche gibt.

Anders als bei unserer früheren Analyse der Inhalts-Usability beim Kindle haben wir diesmal nichtlineare Inhalte wie Webseiten oder Zeitungen beiseitegelassen. Stattdessen haben wir uns speziell auf das Testen linearer, erzählender Inhalte konzentriert, weil das der primäre Einsatzfall für E-Book-Reader ist.

Ausserdem haben wir nicht die vielen Themen getestet, die mit Auswahl und Installation von Lesesoftware zu tun haben, und auch die Lernbarkeit von Lese-Nutzeroberflächen haben wir nicht getestet. Wir haben den Teilnehmern beigebracht, wie man die Reader nutzt, bevor wir angefangen haben, ihre Lesegeschwindigkeiten zu messen.

Zur Methode

Wir haben eine intrapersonale Studie [within-subjects study] durchgeführt und jeden Nutzer gebeten, unter allen vier Bedingungen zu lesen - gedrucktes Buch, PC, iPad und Kindle -, wobei wir die Reihenfolge, in der die Nutzer mit den Geräten konfrontiert wurden, abgewechselt haben.

In der Usability-Forschung sind interpersonale Studien [between-subjects studies] meistens besser, bei denen jede Person unter anderen Bedingungen getestet wird, um zu vermeiden, dass die Teilnehmer Erlerntes von einem System auf das andere übertragen. Aber bei dieser Studie zum Leseverhalten haben wir nicht die Lernbarkeit getestet, und die Nutzer hatten definitiv substantielle Erfahrungen in der wichtigsten Fähigkeit, die wir getestet haben: der des Lesens. Ein Hauptnutzen von intrapersonalen Tests liegt darin, dass sie die Auswirkungen der individuellen Variabilität zwischen den Testteilnehmern minimieren.

Wir haben jeden Nutzer gebeten, auf jedem Gerät eine Kurzgeschichte von Ernest Hemingway zu lesen. Unsere Wahl fiel auf Hemingway, weil seine Werke gefallen und zum Lesen einladen, und weil sie nicht so kompliziert sind, dass sie über den Horizont der Nutzer hinausgehen könnten.

Im Durchschnitt dauerte es 17 Minuten und 20 Sekunden, bis eine der Kurzgeschichten gelesen war. Das ist natürlich weniger Zeit, als die Leute brauchen, um einen Roman oder ein Vorlesungsmanuskript zu lesen, aber es ist viel länger als das sporadische Lesen, das für das Surfen im Internet typisch ist. Wenn die Leute 17 Minuten oder länger lesen müssen, ist das lange genug, damit sie von der Geschichte gepackt werden. Ausserdem ist es repräsentativ für viele andere Interessenformate wie zum Beispiel Weissbücher oder Berichte.

Nachdem die Nutzer eine Kurzgeschichte gelesen hatten, haben wir ihnen einen kurzen zusammenfassenden Fragebogen gegeben, um zu testen, wie viel sie von der Geschichte verstanden hatten. Unsere Testteilnehmer haben fast alle Fragen richtig beantwortet, unabhängig vom Gerät, so dass wir diese Daten hier nicht weiter zu analysieren brauchen. Der Hauptzweck dieser Prüfung bestand darin sicherzustellen, dass die Leute die Aufgabe des Lesens ernst nahmen, weil sie wussten, dass sie nachher geprüft werden.

Wir haben die Teilnehmer nicht gebeten, laut nachzudenken, und konnten deshalb mehrere gleichzeitig testen (MUST = multiple-user simultaneous testing). Die Teilnehmer haben einfach ruhig dagesessen und gelesen, so wie die meisten von ihnen es zu Hause tun würden. Dafür boten wir Ihnen Sessel an, um das typische Leseerlebnis mit dem Tablet zu erzeugen. (Wir haben die Nutzer auch gebeten, an einer Teststation, die wie ein normales Büro gestaltet war mit dem Computer auf dem Schreibtisch und einen Bürostuhl davor, am PC-Bildschirm zu lesen.)

Zu den Nutzern

Wir haben insgesamt 32 Nutzer getestet: 5 bei ein paar Runden mit Pilottests und 27 bei der Hauptstudie. Leider mussten wir die Messdaten von drei Nutzern wegen Messfehlern ausklammern, so dass unsere Statistik zur Lesegeschwindigkeit auf den 24 verbliebenen Nutzern fusst.

Wir haben Teilnehmer rekrutiert, die gerne lesen und häufig Bücher lesen. Dies ist natürlich im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eine verzerrte Stichprobe, aber wir hatten das Gefühl, dass es bei einer Studie mit E-Book-Readern sinnvoll war, das Zielpublikum enger zu fassen.

Zu Beginn jeder Sitzung haben wir die Lesefähigkeiten der Studienteilnehmer kurz mit einem REALM-Test zur Lesefähigkeit festgestellt. (Bei diesem Test bittet man die Leute, Wörter unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade vorzulesen, und stuft sie auf Basis der Anzahl der falsch ausgesprochenen Wörter ein. In unserer Studie haben die meisten Nutzer alle Wörter richtig ausgesprochen; zwei Leute machten bei einem Wort einen Fehler, was eine Lesefähigkeit von mindestens High-School-Niveau anzeigt.)

Wir haben ausdrücklich keine Nutzer mit Leseschwächen in diese Studie eingeschlossen. Auch das hatte den Grund, dass wir uns auf Leute konzentrieren wollten, die tatsächlich mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit lange Texte auf Tablets lesen.

Das Ergebnis: Bücher sind schneller als Tablets

Beim iPad haben wir eine um 6,2% niedrigere Lesegeschwindigkeit gemessen als beim gedruckten Buch, während das Kindle um gemessene 10,7% langsamer war als Gedrucktes. Allerdings war der Unterschied zwischen den beiden Geräten wegen der recht hohen Variabilität der Daten statistisch nicht signifikant.

Deshalb können wir fairerweise nur schlussfolgern, dass wir nicht mit Sicherheit sagen können, welches Gerät die schnellste Lesegeschwindigkeit anbietet. In jedem Fall wäre der Unterschied so gering, dass er kein Grund sein könnte, das eine oder das andere zu kaufen.

Aber wir können sagen, dass Tablets immer noch nicht das gedruckte Buch geschlagen haben: Der Unterschied zwischen Kindle und dem Buch war mit p<0,01 signifikant, der Unterschied zwischen iPad und Buch war mit p=0,06 annähernd signifikant.

Zufriedenheit der Nutzer: iPad beliebt, PC unbeliebt

Nach der Nutzung jedes Gerätes haben wir die Nutzer gebeten, ihre Zufriedenheit auf einer Skala von 1-7 zu bewerten mit 7 als höchstem Wert.

IPad, Kindle und das gedruckte Buch schnitten alle mit 5,8, 5,7 und 5,6 relativ gut ab. Der PC allerdings kam nur auf abgrundtiefe 3,6.

Die meisten der frei formulierten Kommentare der Nutzer waren vorhersagbar. Am iPad zum Beispiel störte sie, dass er so schwer ist, am Kindle störten sie die verwaschenen grauen Buchstaben auf grauem Hintergrund. Ausserdem missfiel den Leuten das Fehlen wirklicher Seitenzahlen und sie mochten die Art, wie das iPad (in Wirklichkeit die iBook-App) die noch zu lesende Textmenge eines Kapitels anzeigt.

Weniger vorhersagbar war, dass die Nutzer das Lesen gedruckter Bücher entspannender fanden als das Lesen auf elektronischen Geräten. Ausserdem fühlten sie sich am PC unwohl, weil er sie an Büroarbeiten erinnerte.

Diese Studie ist für die Zukunft von E-Book-Readern und Tablet-Computern vielversprechend. In Zukunft sind Bildschirme von höherer Qualität zu erwarten, wie sich schon in der jüngsten Auslieferung des iPhone 4 mit seiner 326-dpi-Anzeige abzeichnet. Aber auch die neueste Generation ist bei den formalen Leistungswerten erst fast so gut wie das Gedruckte - und schneidet bei der Zufriedenheit der Nutzer etwas höher ab.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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