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05.02.2006

Die Nutzer verschachteln Sites und Kanäle

Wenn sie Geschäftsprobleme bearbeiten, springen die Nutzer im Zickzack zwischen den Sites hin und her und besuchen abwechselnd verschiedene Servicekanäle. Das Nutzererlebnis wird nicht durch eine einzelne Website geprägt.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 06.02.2006

 

Um ein Bild vom grossen Ganzen zu bekommen, muss man oft in die Details eintauchen. In diversen Studien der letzten Zeit habe ich einen wichtigen Wandel im Nutzerverhalten beobachtet; doch wenn ich die Schlussfolgerungen hier einfach vorab formulieren würde, würde das die wirklichen Auswirkungen aufs Geschäft eher verdunkeln. Um wirklich zu begreifen, was dieser Wandel für einzelne Sites bedeutet, müssen wir uns genauer ansehen, wie Nutzer mit spezifischen geschäftlichen Aufgaben interagieren.

Lassen Sie uns als Fallstudie im Detail das Verhalten einer Nutzerin aus unserer jüngsten B-to-B-Usability-Studie betrachten! Die Nutzerin hat für den Einkauf eines tragbaren Beamers recherchiert, den ihr Chef in Präsentationen einsetzen will. Im B-to-B-Bereich ist das eher ein Produkt am unteren Ende mit etwa 1500 $ Umfang. Doch die eher geringen Kosten und die relative Einfachheit des Beispiels lassen diese Nutzersitzung auch für allerlei Nutzerverhalten am höheren Ende des B-to-C-Bereichs repräsentativ werden. (In den meisten B-to-B-Sitzungen haben wir beobachtet, wie hoch spezialisierte Fachleute umfangreiche Produkte und Dienstleistungen für zehn- oder hunderttausende von Dollars recherchiert haben. Deshalb sind sie weniger instruktiv für Leser ausserhalb des B-to-B-Bereichs.)

Die Anlage hierzu zeigt ein Schritt-für-Schritt-Transskript des Weges, den die Nutzerin während ihrer Beamer-Recherche durch die verschiedenen Sites zurückgelegt hat. Diese Detail-Informationen sind lesenswert; sie geben ein lebhaftes Bild davon, durch wie viel Ballast sich die Nutzerin hindurchquälen musste, um eine kleine Summe handlungsrelevanter Informationen herauszubekommen.

Die verbrachte Zeit und die besuchten Sites

In der verstrichenen Gesamtzeit von 44 Minuten und 25 Sekunden hatte die Nutzerin 93 Seitenabrufe auf 15 verschiedenen Sites. Im Durchschnitt brauchte sie 29 Sekunden pro Seitenabruf. Das liegt nahe am Mittelwert in unserer Studie zum Nutzerverhalten auf 25 bekannten Sites.

Am Ende der Sitzung konnte die Nutzerin ihrem Chef eine Liste von drei Beamern vorlegen mit der Empfehlung, den Mitsubishi XD480U zu kaufen. Er war zwar teurer als die beiden anderen, aber ihrer Meinung nach die höhere Lebensdauer der Mitsubishi-Lampe angesichts der hohen Kosten für Ersatzlampen diesen Preis wert.

Insgesamt nahm die Nutzerin dreizehn Suchen vor - zehn auf Suchmaschinen und drei über die Suchfunktion spezieller Websites. Sechs der fünfzehn besuchten Sites erreichte die Nutzerin, indem sie deren Web-Adressen erriet (zwei davon riet sie zunächst falsch und fand sie später durch Suchmaschinen; die anderen vier erreichte sie direkt, indem sie die Webadressen eintippte). Eine Site besuchte sie über einen Link auf einer anderen Site; die verbleibenden acht, indem sie Links in den Suchmaschinenergebnissen anklickte (sechs reguläre Links und zwei Sponsorenlinks).

Der starke Gebrauch von Suchen ist typisch für das, was wir in vielen Studien beobachten. In diesem Fall hatte die Testnutzerin sehr gute Vorkenntnisse, was bei B-to-B verbreitet ist. Sie hatte schon oft Beamer gekauft, allerdings stationäre Modelle. Wegen ihrer Erfahrung konnte sie mehr Webadressen direkt eintippen, als es in den meisten unserer Studien üblich ist.

Die Klicks der Nutzerin auf Sponsorenlinks waren aus Sicht der Anzeigenbetreiber enttäuschend: Sie hat dort nichts zu kaufen gesucht, sondern nur nach Informationen, die dort angeboten wurden. Zum Beispiel wollte sie, nachdem sie mehrere mögliche Beamer beisammen hatte, die Gesamtkosten des Besitzes einschätzen, indem sie die Kosten für Ersatzlampen hinzufügte. Keine der Anbieter-Sites lieferte solche Informationen, deshalb suchte sie nach Lampenpreisen und klickte auf die Anzeige einer E-Commerce-Site, die auf Lampen spezialisiert ist. Die Site half ihr auf einfache Weise, ihre Gesamtkostenschätzung zu vervollständigen, aber es war unwahrscheinlich, dass sie dort eine Lampe kaufen würde, denn zunächst sollte der Projektor ja einige Jahre laufen. Höchst unwahrscheinlich, dass sie sich Jahre später noch an die Lampen-Site erinnern würde, also führte der bezahlte Klick zu keinerlei Geschäft.

Quer durch die Kanäle

Das folgende Kuchendiagramm zeigt, wie sich die von der Nutzerin verbrachte Zeit auf die fünfzehn besuchten Sites aufteilte:

Zeit auf verschiedenen Websites
Jeder Sektor zeigt die Zeit an, die die Nutzerin auf einer Site verbrachte; die Farben fassen die verschiedenen Site-Typen (Kanäle) zusammen.

Selbst diese einzelne Sitzung lieferte eine Menge spezifischer Usability-Ergebnisse über die einzelnen Sites, die die Nutzerin besucht hat. Wir sind dabei, diese Einblicke mit unseren Beobachtungen bei anderen Nutzern zu kombinieren, um daraus schlüssige Design-Richtlinien für B-to-B-Anbieter, E-Commerce-Sites für B-to-B und inhaltliche Sites für B-to-B abzuleiten. Wir analysieren noch die Daten von vielen Nutzern und werden auf unserer Konferenz später im Jahr die Richtlinien präsentieren.

Hier möchte ich mich auf zwei breitere Punkte konzentrieren. Diese Punkte sind sowohl für B-to-C als auch für B-to-C entscheidend und sie werden von vielen anderen Studien bestätigt:

  • Die Nutzer springen im Zickzack zwischen den Sites hin und her. Sie sammeln Informationsschnipsel von zahlreichen konkurrierenden Sites, um sich ein gründliches Verständnis des spezifischen Problems zu erarbeiten.
  • Die Nutzer verschachteln Besuche bei verschiedenen Kanälen. Sie wechseln zwischen Anbietern, Händlern und Testberichten, wobei sie Suchmaschinen als Knotenpunkt nutzen.

In unserem Fallbeispiel hat die Nutzerin ausserdem lokale Informationsquellen herangezogen. Zum Beispiel hat keine der Sites ihr geholfen herauszufinden, wie viele Lumen man braucht, um einem Publikum der gewünschten Zielgrösse Präsentationen zu zeigen. Zum Glück war sie eine erfahrene Beamer-Käuferin und besass ein Handbuch mit diesen Informationen. Zudem griff sie stark auf geschriebene Notizen zurück, um Informationen aufzuzeichnen und von einer Site zur nächsten im Gedächtnis zu behalten.

Die Annahme, man könne das gesamte Nutzererlebnis bewusst gestalten, ist verlorene Liebesmüh', wenn Sie auf Nutzer abzielen, die mit nicht alltäglichen Aufgaben zu tun haben. So gut wie alle B-to-B- und auch viele B-to-C-Nutzererlebnisse beziehen vielerlei Sites ein. Zwei Schlussfolgerungen für Site-Betreiber:

  • Das Jakobsche Gesetz - "Die Nutzer verbringen ihre meiste Zeit auf anderen Sites" - hat hier eine logische Steigerung: Selbst während einer einzelnen Aufgabe verbringen die Nutzer oft ihre meiste Zeit auf anderen Sites. In unserem Beispiel kamen die drei Sites, auf denen die Nutzerin den grössten Anteil ihrer Zeit verbracht hat (CNet, Google und Dell) jeweils nur auf weniger als 17% der Sitzung. Einmal mehr betont dies, wie wichtig es ist, sich im Einklang mit Usability-Richtlinien und Design-Konventionen zu befinden. Wenn Sie das tun, gestatten Sie ihren Nutzern, sich bei den kurzen Besuchen auf Ihrer Site auf die Entdeckung Ihrer Produkte und Dienstleistungen zu konzentrieren, statt sich mit Ihrer Navigation herumzuschlagen oder die Bedienung neuartiger Website-Funktionen zu erlernen.
  • Stellen Sie alle Informationen zur Verfügung, die die Nutzer brauchen. Wenn Sie das versäumen, laden Sie die Nutzer dazu ein, Ihre Site zu verlassen, was sie ohnehin kurze Zeit später tun würden. Insbesondere sollte Ihre Site Preise nennen. (Der Verstoss gegen diese Richtlinie war der Webdesign-Fehler Nr. 1 des Jahres 2002). Wenn die Nutzer suchen müssen, um andere Websites zu finden, die ihre Fragen beantworten, werden sie dort wahrscheinlich auch andere Lösungen für ihr Problem finden, statt die Optionen Ihrer Site zu erforschen. Je umständlicher und weniger informativ eine Site ihnen vorkommt, desto schneller werden die Nutzer sie verlassen.

Wenn man die Leute beobachtet, wie sie das Internet als Ganzes nutzen (im Gegensatz zu Tests an einer einzelnen Site), springt ins Auge, durch wie viel Mist sie hindurchwaten müssen. Unsere Nutzerin mokierte sich offen über Sites, die ihr interne Werbung oder Banner in den Weg stellten, die irgendwelche Produkte als "neu & revolutionär" herausposaunten. Um das geschäftliche Nutzererlebnis zu verbessern, sollten Sie die folgenden drei einfachen Designrichtlinien beachten:

  • Fokussieren Sie auf Produkte. Bauen Sie sie in die Startseite ein und schicken Sie die Leute schnell zu spezifischen Produkten. Je mehr Zeit die Nutzer brauchen, um die erste Antwort zu finden, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf Ihrer Site nach weiteren Antworten suchen werden. Viele andere Sites winken.
  • Verwenden Sie eine horizontale Navigation, um von einzelnen Produkten aus zu anderen, ähnlichen Produkten zu verlinken, die sich in einer bestimmten Zieleigenschaft unterscheiden. Verlinken Sie zum Beispiel von einem Beamer zu einem anderen, der die gleiche Lichtstärke hat, aber ein geringeres Gewicht. Das ermutigt die Nutzer dazu, Ihre Produktlinie zu erforschen.
  • Verlinken Sie auf andere Sites, die Sie in einem positiven Licht erscheinen lassen. Die Leute gehen ohnehin woanders hin und so können Sie sie genauso gut auf einen Ort hinlenken, der Ihnen Gutes tut. Andernfalls sind Sie der Gnade dessen ausgeliefert, was die nächste Suche hoch holen wird.

Webweite Verbesserungen nötig

Das Internet hat bei unserer Nutzerin in zweierlei Hinsicht versagt:

  • Es gibt keine Unterstützung für Multi-Site-Aktionen ausser der minimalen Integration, die von Suchmaschinen erzeugt wird und einigen wenigen Fällen, in denen Sites mit Testberichten oder Anbieter direkt auf die Produktseiten von E-Commerce-Sites verlinken. Unsere Nutzerin musste ihr Verständnis von einem bestimmten Beamer in der Regel aus vier Quellen zusammenfügen: der Site des Anbieters, einer Testberichte-Site, einer E-Commerce-Site, die den Beamer verkauft, und einer E-Commerce-Site, die die Lampen verkauft. Um das Gesamt-Nutzererlebnis im Internet zu verbessern, brauchen wir Werkzeuge, die über Einzelsites hinausgehen.
  • Die Nutzerin hat für einige Produkte, die sie erwogen hat, nirgendwo gute, unabhängige Testberichte gefunden. Dafür gibt es zwei Hauptgründe. Erstens ist das gegenwärtige Geschäftsmodell im Web fehlerhaft: Der Ansporn, unabhängige Inhalte zu entwickeln, ist gering, wenn die Suchmaschinen daraus bei weitem mehr Gewinn schöpfen als die wirklichen Anbieter der Inhalte. Übrigens verlieren die Hersteller signifikant an Geschäftsgelegenheiten, wenn sie nicht auf informative Testberichte auf unabhängigen Sites verlinken. (Das zu tun entspricht einer seit Langem erprobten E-Commerce-Usability-Richtlinie, aber es passt genau so gut auf B-to-B-Anbieter, auch wenn sie von ihren Sites aus nicht verkaufen.) Zweitens gelingt es den Suchwerkzeugen nicht, relevante Testberichte hervorzuholen, weil sie es nicht schaffen, bestimmte Arten von Nutzerbedürfnissen mit ihren assoziierten Inhalten zusammenzubringen. Das gegenwärtige Modell, Inhalte bloss in Form von Schlüsselwörtern und generischen Qualitätsbewertungen zu "verstehen", genügt nicht, um die Bedürfnisse der Nutzer zu befriedigen.

Es ist eine Tatsache, dass die meisten Nutzer das Internet wie eine einheitliche Ressource verwenden und für viele Aufgaben Sites miteinander kombinieren. Weder die Browser noch die Sites haben mit diesem neuen Nutzerverhalten Schritt gehalten. Beide werden sich in den kommenden Jahren ändern müssen.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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