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03.01.2016

Die Generation Y als Digital Natives: Mythen und Fakten

Die Generation Y hat hohe Anforderungen an Nutzeroberflächen und ist sich ihrer Kompetenzen bewusst – gleichzeitig ist sie fehleranfällig und ihre Tendenz zum Multitasking reduziert ihre Aufgabeneffizienz.

Copyright: GPointstudio

 

by Kate Meyer (deutsche Übersetzung) - 3. Januar 2016

 

„Generation Y“ ist derzeit eines der beliebtesten Schlagwörter in den Medien. Im Jahr 2015 wurden die Millennials die zahlenmässig stärkste Gruppe der amerikanischen Belegschaft (35%, laut dem Bureau of Labor Statistics).

Es gibt viele Eigenschaften, die die Generation Y zu interessanten Studienobjekten machen – ihre ethnische Vielfalt, ihr Status als am besten ausgebildete Generation bisher und ihre niedrigen Eheschliessungs- und Geburtsraten, um nur einige zu nennen. Doch der relevanteste Aspekt für UX-Fachleute ist wahrscheinlich die Kindheitserfahrung dieser Generation mit Technologie und wie diese ihr heutiges Verhalten beeinflusst.

Was ist ein Millennial?

Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wen Sie fragen. Ein Millennial wird allgemein als jemand definiert, der um das Jahr 2000 das Erwachsenenalter erreichte.

GenerationGeburtsjahrAlter im Jahre 2016
Generation Z2000s bis heute0-16
Generation Y / Millennials1980 -200016-36
Generation X1960 -198036-56
Baby Boomers1946 -196452-70
Stille Generation1928 - 194571-88
G.I. GenerationVor 192887+

 

Die am weitesten akzeptierte Spanne der Geburtsjahre der Millennial-Generation ist von 1980 bis 2000. Wenn Forscher von dieser Definition abweichen, verwenden sie normalerweise ein Untersegment dieses Zeitraums (zum Beispiel 1982 bis 1997).

Im Rahmen unserer Nutzerforschung für den Kurs Gestaltung für junge Erwachsene konzentrierten wir uns auf Personen, die zwischen 1986 und1997 geboren wurden. Wir wählten diese Spanne, da wir uns besonders für Menschen interessieren, die zwischen Mitte und Ende der 1990er Jahre Kinder waren – während des rapiden Anstiegs der persönlichen Internetnutzung. Diese Personen waren die Ersten, die mit Kommunikationstechnologie aufwuchsen – die Ersten, die als „Digital Natives“ bezeichnet werden können.

Millennials als „Digital Natives“: Mythen und Fakten

Ein Digital Native ist jemand, der in einer digitalen, von Medien gesättigten Welt aufwuchs. Der Begriff wird häufig synonym mit „Millennial“ verwendet, obwohl nicht alle Digital Natives auch Millennials sind – die Mitglieder der aktuellsten Generation, Gen Z, sind zum Beispiel ebenfalls Digital Natives. Ausserdem sind nicht alle Millennials Digital Natives – es gibt viele, die in ihrer Kindheit nur eingeschränkten Zugang zu Kommunikationstechnologien hatten (zum Beispiel jene, die in Armut aufwuchsen).

Der Begriff „Digital Native“ wurde von Marc Prensky, einem Bildungsberater, im Jahr 2001 geprägt. Er argumentierte, dass Kinder, die Digital Natives sind, stark unterschiedliche Lernvoraussetzungen haben, als sogenannten „Digital Immigrants“, und dass Digital Natives „grundlegend anders denken und Informationen verarbeiten“.

Prenskys Forderungen waren verständlicherweise kontrovers und lösten eine lange Debatte darüber aus, ob das Aufwachsen mit digitalen Nutzeroberflächen Menschen anders funktionieren und Informationen verarbeiten lässt. Andere Forscher und Kommentatoren (wie Dr. Gary Small) schlugen vor, dass die Gehirne von Digital Natives aufgrund des Kontakts mit neuen Stimuli, die von digitalen Nutzeroberflächen stammen, anders „verdrahtet“ sind. Diese Behauptungen werden manchmal kritisiert, da sie moralische Panik und Ängste schüren, dass die neuen Generationen irreparabel beschädigt oder grundlegend anders sein könnten.

Es ist unklar und unbewiesen, ob Digital Natives tatsächlich andere kognitive Fähigkeiten haben, als Digital Immigrants. Klar ist allerdings, dass diese Idee drei weitverbreitete Missverständnisse betreffend Millennials fördert:

  • MYTHOS 1: „Digital Natives haben schlechtere soziale Fähigkeiten und vermeiden mit grösserer Wahrscheinlichkeit persönliche Interaktion zu Gunsten digitaler Interaktion.“
  • MYTHOS 2: „Digital Natives sind wesentlich besser im Multitasking als Digitale Immigrants.“
  • MYTHOS 3: „Digital Natives verfügen über natürliche Instinkte zur Verwendung oder Reparatur von Computern oder anderen digitalen Produkten.“

Unsere Erkenntnisse (und andere Studien) deuten allerdings darauf hin, dass alle diese Behauptungen falsch sind.


MYTHOS 1: „Digital Natives haben schlechtere soziale Fähigkeiten und vermeiden mit grösserer Wahrscheinlichkeit persönliche Interaktion zu Gunsten digitaler Interaktion“

Eine wichtige Basis der moralischen Panik, die Digital Natives umgibt, ist die Angst, dass Jugendliche sozial verkümmern, falls sie mit Gleichaltrigen vor allem über elektronische Formate, wie SMS, Sofortnachrichten und soziale Medien interagieren.

Da die jüngeren Millennials – jene, die bereits in der Grundschule Zugang zu SMS und sozialen Medien hatten – langsam erwachsen werden, sehen wir erste Anzeichen dafür, dass unsere Bedenken unbegründet sein könnten. In einer kürzlich durchgeführten Studie zur Smartphone-Nutzung fand das Pew Research Center heraus, dass junge amerikanische Erwachsene zwar mehr SMS versenden als ältere Erwachsene – die Anzahl der Telefonate war aber ungefähr dieselbe, wie jene älterer Erwachsener. Diese Erkenntnis deutet darauf hin, dass junge Erwachsene, zumindest für diese Art der Interaktion, stimmliche Interaktionen durch Textinteraktionen ergänzen – anstatt sie aufgrund einer instinktiven Angst vor Interaktionen mit Menschen zu ersetzen.

Bei unseren kürzlich durchgeführten Usability-Tests und Interviews erwähnten viele der jungen Erwachsenen, mit Menschen zu sprechen und diese um Hilfe bitten zu wollen (telefonisch oder persönlich) – besonders, wenn sie etwas nicht problemlos selbst herausfinden konnten. Als ein Millennial-Benutzer auf der Webseite eines Krankenhauses keine Besucherinformationen finden konnte, sagte er: „Jetzt würde ich einfach anrufen. Ich rufe lieber an, als zu suchen, da ich bessere Antworten erhalte.“ Für viele Millennials ist der persönliche Kontakt immer noch eine verlässliche und effektive Lösung für ihre Probleme – nicht etwas, vor dem sie Angst haben oder das sie vermeiden.

MYTHOS 2: „Digital Natives sind wesentlich besser im Multitasking als "Digital Immigrants“

Viele Menschen glauben, dass Digital Natives besser darin sind, effektiv zwei oder mehr Aktivitäten auf einmal durchzuführen, da sie in einer Umgebung mit Informationsüberfluss aufgewachsen sind. Die Multitasking-Fähigkeit einer ganzen Generation zu messen, ist eine Herausforderung: die Fähigkeit, mehrere Informationsflüsse auf einmal zu verarbeiten, hängt von vielen Variablen ab, zu denen auch die Komplexität der Informationen und des Kontexts gehört.

Wir müssen zwischen folgendem unterscheiden:

  • Entscheidung für das Multitasking – absichtlich mehrere Aktivitäten zum anscheinend gleichen Zeitpunkt durchzuführen, und
  • Multitasking beherrschen – die Fähigkeit, effizient mehrere Informationsquellen gleichzeitig verarbeiten zu können.

Zwei Studien zur Mensch-Computer Interaktion der University of California, Irvine und der California State University fanden Hinweise darauf, dass Millennials tatsächlich mit grösserer Wahrscheinlich multitasken als ältere Generationen – sie wechseln zum Beispiel häufig zwischen Aufgaben und tendieren dazu, verschiedene Medien gleichzeitig zu verwenden.

Wie jeder andere, bezahlen aber auch Millennials einen Preis für das Multitasking. Das häufige Wechseln zwischen Aufgaben erhöht die kognitive Belastung und zwingt uns, uns immer wieder neu auf jede Aufgabe einzustellen. Psychologieforscher wie Cliff Nass demonstrierten die negative Auswirkung des chronischen Multitaskings auf die Effizienz und die kognitive Leistung. Nass und seine Kollegen fanden heraus, dass Menschen, die häufig multitasken, grössere Schwierigkeiten hatten, irrelevante Stimuli herauszufiltern und 0,5 Sekunden länger brauchten, um sich wieder auf die vorliegende Aufgabe zu konzentrieren, nachdem sie zwischen zwei verschiedenen Aufgaben gewechselt hatten, als Menschen, die wenig multitasken (das deutet darauf hin, dass Menschen, die häufig multitasken, aufgrund der negativen kognitiven Auswirkungen in Wirklichkeit schlechter im Multitasking sind, als Menschen, die nur gelegentlich multitasken).

Ausserdem steht der häufige Kontextwechsel laut einer Studie von Gloria Mark und ihren Kollegen an Studenten der Millennial-Generation mit höherem Stress in Verbindung (obwohl der Grund für diese Beziehung unklar ist – es ist möglich, dass Menschen mit grösserer Wahrscheinlichkeit Multitasking betreiben, wenn sie unter Stress stehen).

Um die Analyse dieses zweiten Mythos abzuschliessen, entscheiden sich Digital Natives zwar mit grösserer Wahrscheinlichkeit für das Multitasking, sind aber nicht effizientere Multitasker.

 Die Grafik zeigt die Resultate einer Self-Recording Feldstudie.

Dieses Diagramm zeigt die Art von Multitasking, die wir im Rahmen unserer Self-Recording Feldstudie bei der Computeraktivität von Millennials beobachteten. In diesem 10-minütigen Ausschnitt einer Sitzung mit Screenrecording verbrachte die Nutzerin 5 Minuten damit, schnell zwischen unzusammenhängenden Aktivitäten hin und her zu wechseln (Nachrichten lesen, E-Mails kontrollieren, Netflix durchsuchen, ein Video auf Vimeo ansehen und Facebook überprüfen). Dann begann sie, an einer wissenschaftlichen Arbeit für das Studium zu arbeiten… während sie sich gleichzeitig Sons of Anarchy auf Netflix ansah.

 

MYTHOS 3: „Digital Natives verfügen über natürliche Instinkte zur Verwendung oder Reparatur von Computern oder anderen digitalen Produkten“

Ein verbreitetes Missverständnis über Digital Natives ist, dass sie über angeborenes Wissen oder Lernfähigkeit in Verbindung mit digitalen Produkten verfügen. Das kann zwar für bestimmte Untergruppen von Millennials (zum Beispiel Millennials, die auch Softwareingenieure sind) gelten, trifft aber für die ganze Generation nicht zu. Als ein Millennial-Benutzer von den technischen Daten einer Computerwebseite eingeschüchtert war, sagte er: „Ich möchte ins Geschäft gehen oder online chatten. Ich möchte, dass mir das jemand besser erklärt.“

In einer grossen Umfrage, die das Wissen der Befragten über verschiedene Aspekte des Internets untersuchte, fand das Pew Research Center heraus, dass junge Erwachsene bei Fragen zu gängigen Sitten der Internetnutzung besser abschnitten, als ältere Erwachsene (zum Beispiel kennen sie Dinge, wie Wikis, die erweiterte Suche und Hashtags). Die Ergebnisse deuteten aber auch darauf hin, dass junge Erwachsene kein grösseres Wissen über die zugrundeliegende Struktur des Internets, bekannte technische Führungspersonen (wie Bill Gates) und sogar wichtige Konzepte, wie Netzneutralität, haben, als ältere Erwachsene.

Wir sehen häufig, dass Millennial-Benutzer in Usability-Tests ratlos sind, wenn sie schwierigen Benutzeroberflächen begegnen. Ihre Interkationen sind tendenziell schnelllebig. Da sie weniger Zeit auf einzelnen Seiten verbringen, machen Millennials mit grösserer Wahrscheinlichkeit Fehler und lesen sogar weniger als der durchschnittliche Benutzer (welcher bereits sehr wenig liest).

 

Screenshot der Urban Outfitters Website. 

Eine Millennial-Nutzerin suchte den Ausverkaufsbereich der Urban Outfitters Website. Sie sah SHOP WOMEN’S und klickte sofort darauf, ohne die riesige, fettgedruckte, bunte Überschrift zu lesen: BACK TO SCHOOL ESSENTIALS. Daher landete sie in dieser Spezialkollektion des Ausverkaufsbereichs und bemerkte gar nicht, dass nicht die gesamte Ausverkaufsware angezeigt wurde. Sie war enttäuscht, dass der Bereich über weniger Filter verfügte, als sie es sich gewünscht hätte, und kritisierte die Webdesigner dafür. (Der echte Ausverkaufsbereich verfügte über die Filter, nach denen sie gesucht hatte.)

Wie die Zugehörigkeit zur Gruppe der Digital Natives das Verhalten beeinflusst

Obwohl wir nicht beobachten konnten, dass Millennials eine halbentwickelte, technologieaffine Supergeneration (oder eine Gruppe von Cyborg-ähnlichen, antisozialen Bildschirmsüchtigen) sind, zeigten unsere Ergebnisse, dass die frühen Kontakte mit digitalen Nutzeroberflächen das Verhalten der Millennials beeinflussen – zumindest in einem gewissen Ausmass.

Die Millennials in unserer Studie hatten ausgeprägte Standpunkte betreffend Kommunikationstechnologie, ihre Präferenzen und ihre Strategien bei der Informationssuche (sie verwendeten zum Beispiel Browsertabs zum Page Parking und verfügten über eine leicht überdurchschnittliche Fähigkeit, die Anklickbarkeit auf Flat-Benutzeroberflächen zu bestimmen.)

Im Durchschnitt scheinen die Millennials sehr selbstbewusst, was ihren Zugang zu digitalen Nutzeroberflächen betrifft – auch wenn ihnen komplett neue Designmuster begegnen. Das trägt dazu bei, dass sie tendenziell fehleranfälliger sind.

Viele Millennials besuchten die Grundschule oder eine höhere Schule, als Google an Beliebtheit gewann, was entscheidend dazu beitrug, die Einfachheit und Direktheit zu definieren, die sich Millennials von Benutzeroberflächen erwarten. Es ist ihnen egal, ob (zum Beispiel) die App Ihres Unternehmens wesentlich mehr komplexe Funktionen aufweist, die berücksichtigt werden sollten. Wenn Benutzeroberflächen ihre unrealistischen Einfachheitsstandards nicht erreichen, geben sich Millennials nur selten selbst die Schuld dafür – im Gegensatz zu älteren Benutzern. Millennials kritisieren schnell die Benutzeroberfläche, das Unternehmen oder die Designer.

 

Schlussfolgerung

In diesem Artikel konnten wir nur einige wenige Aspekte des faszinierenden Verhaltens und der Einstellung der Millennials behandeln. Für jeden interessierten UX-Fachmann ist diese Gruppe schon alleine aufgrund ihrer Einzigartigkeit ein interessantes Studienobjekt – doch das ist nicht der Grund dafür, weshalb sie in der Popkultur so häufig diskutiert wird.

Millennials werden jetzt erwachsen. Sie werden von einem Spekulationsobjekt und moralischer Panik zur Realität. Sie machen derzeit über ein Viertel der amerikanischen Bevölkerung und rund ein Viertel der Bevölkerung der Europäischen Union aus. Sie verwenden sehr häufig das Internet und haben laut Forschung von Youbrand eine geschätzte weltweite Kaufkraft von $2,45 Milliarden. Viele von ihnen gründen Familien und starten ihre Karriere. Sie sind die Menschen, die Kaufentscheidungen treffen, Markentreue bilden und Gleichaltrige beeinflussen.

Millennials sind eine grosse, mächtige Generation, die unabhängig wird und über ihre eigenen hohen Standards und einzigartigen Charakteristika verfügt. Sie sind Ihre Aufmerksamkeit definitiv wert. 

Referenzen

Carrier, L., Cheever, N., Rosen, L., Benitez, S., & Chang, J. Multitasking across generations: Multitasking choices and difficulty ratings in three generations of Americans. Computers in Human Behavior 25, 483–489 (2009).

Mark, G., Wang, Y., & Niiya, M. Stress and multitasking in everyday college life. Proceedings of the 32nd Annual ACM Conference on Human Factors in Computing Systems - CHI '14 (2014).

Ophir, E., Nass, C., & Wagner, A. Cognitive control in media multitaskers. Proceedings of the National Academy of Sciences, 15583–15587 (2009).

Pew Internet, 2014. What Internet Users Know about Technology and the Web. (2014). http://www.pewinternet.org/2014/11/25/web-iq/

Pew Internet. U.S. Smartphone Use in 2015 (2015). http://www.pewinternet.org/2015/04/01/us-smartphone-use-in-2015/

Prensky, Marc. Digital Natives, Digital Immigrants (2001). http://www.marcprensky.com/writing/Prensky%20-%20Digital%20Natives,%20Digital%20Immigrants%20-%20Part1.pdf

 

© Deutsche Version. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalt

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