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20.12.2009

Jeder kann Usability

Usability ist wie Kochen: was dabei herauskommt, braucht jeder; jeder kann es einigermassen, wenn er es ein wenig übt; und dennoch ist ein Meister vonnöten, um ein Ergebnis für Gourmets zu erzeugen.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 21.12.2009

 

Einer der Lehrsätze der Discount-Usability-Bewegung lautet: Wir benötigen eine drastische Ausweitung der insgesamt geleisteten Usability-Arbeit in der Welt, und damit das passieren kann, brauchen wir mehr Leute mit dem Aufgabengebiet Usability.

Dieses Ziel ist aus verschiedenen Gründen durchaus erreichbar:

  • Designer und Entwickler sind in der Lage, grundlegende Usability-Aktivitäten wie Nutzertests durchzuführen. Kleine Projekte kommen auch ohne den Segen ausgewiesener Usability-Experten zurecht.
  • Einfache Usability (z. B. Tests mit fünf Nutzern) können billig sein und leicht in hoch bewegliche Projekte wie agile Entwicklungen integriert werden.
  • Die wichtigsten Usability-Methoden sind leicht zu erlernen. Zum Beispiel bringen wir Design-Teams in einem 3-Tages-Workshop mit Learning by doing bei, wie man Nutzertests macht; dabei leiten wie sie durch einen schnellen Test ihrer eigenen Designs mit ein paar ihrer eigenen Kunden.

Ehrlich gesagt braucht man nur drei Tage, um ein kleines Usability-Projekt abzuschliessen:

  • 1. Tag: die Studie planen und die Test-Aufgaben schreiben;
  • 2. Tag: fünf Nutzer jeweils eine Stunde lang testen (und zwischen den Sitzungen aufräumen);
  • 3. Tag: die Ergebnisse analysieren und die wichtigsten Verbesserungsvorschläge für das Design aufschreiben.

Selbst das kurzfristigste Projekt sollte es möglich machen, drei Tage für die Verbesserung des Nutzererlebnisses einzuplanen. Es gibt keine Entschuldigung dafür, Ihr Design ohne wenigstens eine Runde Nutzertests auf die nichts ahnende Öffentlichkeit loszulassen.

Die Rendite der Usability ist gewaltig: Wenn Sie vorher noch nie Tests gemacht haben, können Sie normalerweise Ihre Konversionsrate oder eine andere Schlüssel-Kennziffer Ihres Geschäfts verdoppeln.

Wann Usability-Experten helfen können

Ich betreibe ein Unternehmen, das ein Drittel seines Geldes mit Usability-Beratungen verdient (die anderen zwei Drittel kommen aus der Veröffentlichung unabhängiger Nutzerforschungs-Berichte und aus regelmässig stattfindenden Usability-Konferenzen). Wie kann ich behaupten, dass jeder Usability kann? Kostet mich diese Behauptung nicht Kopf und Kragen (geschäftlich betrachtet)? Nein, keineswegs.

Usability ist wie das Kochen eines Menüs:

  • Was dabei herauskommt, braucht jeder: Genau wie Sie essen müssen, muss Ihr Unternehmen seine geschäftlichen Ziele erreichen und das kann es viel besser, wenn das Design durch Usability verbessert wurde.
  • Die meisten grundlegenden Aktivitäten kann jeder verrichten: Fast jeder kann ein Hühnchen braten, Kartoffeln kochen, einen Schnelltest mit fünf Kunden durchführen oder ein Design daraufhin überprüfen, ob es mit einer Checkliste von Usability-Richtlinien übereinstimmt.
  • Jeder kann diese grundlegenden Dinge recht schnell erlernen: Sie sind alles andere als schwierig.
  • Jenseits der grundlegenden Dinge gibt es ein Exzellenzniveau: Wenn Sie in ein hervorragendes Restaurant gehen und dort ein Menü essen, das ein Meisterkoch zubereitet hat, ist das etwas ganz anderes als ein Abendessen zu essen, das Sie selbst in 20 Minuten zusammengehauen haben. Auf ähnliche Weise gibt Ihnen ein Usability-Experte viel tiefere Einsichten in die Bedürfnisse Ihrer Nutzer und in mögliche Richtungen Ihres Designs, als es jemand tun kann, dessen Kernkompetenzen auf anderen Feldern liegen.
  • Die Niveaus der Fertigkeiten bilden ein Kontinuum vom Anfänger bis zum Experten; das ist keine Dichotomie. Jedes Mal, wenn Sie etwas hinzulernen, verbessert sich Ihre Leistung. Usability und die Kochkunst sind beide besonders gut für kontinuierliches Lernen geeignet, weil alles, was Sie hinzulernen, auf viele Jahre hinweg nützlich bleiben wird. Deshalb lege ich so grossen Wert auf Usability-Training: Jedes Stückchen, das Sie hinzulernen, bringt Ihnen bessere Resultate ein.

Die Analogie zum Kochen geht noch weiter:

  • Gourmet-Restaurants mit vielen Sternen sind zwar wunderbar, aber einfachere Restaurants in der Nachbarschaft haben auch ihren Platz in der Welt. In ähnlicher Weise sollten Sie manchmal eine Usability-Firma aus der zweiten Reihe oder sogar einen drittklassigen Berater vor Ort engagieren, anstatt gleich zu einer Usability-Firma der Weltklasse zu gehen. Die meisten Design-Projekte enthalten viele standardmässige, alltägliche Usability-Aktivitäten, die die Leute auf den hinteren Plätzen genauso gut erledigen können.
  • Auch wenn Sie es sich leisten können, sollten Sie nicht jeden Tag auswärts essen gehen. Es ist gut für Ihre Linie, wenn Sie unter der Woche zu Hause mit weniger üppigen Mahlzeiten vorlieb nehmen. In ähnlicher Weise ist es gut für Ihr Projekt, wenn möglichst viele alltägliche Usability-Aktivitäten von den Designern und Entwicklern selbst erledigt werden. Je mehr Usability-Richtlinien diese Leute kennen, desto weniger Design-Fehler werden sie machen, und desto weniger müssen Sie nacharbeiten, wenn Sie entdecken, wie die Leute wirklich mit Ihrem Projekt umgehen.
  • Abwechslung würzt das Leben. Mexikanisch, Indisch, Chinesisch, Japanisch, Italienisch, Französisch - alle haben grossartige Küchen. Warum also sollten Sie sich nur an eine davon halten? In ähnlicher Weise bietet die Kombination von vielen Usability-Methoden - wie zum Beispiel Nutzertests, heuristische Evaluation, Experten-Analyse, Web-Analyse oder A/B-Tests und Feldstudien - die besten Einsichten in ein optimales Design. Erfahrene Usability-Profis haben einen reichhaltig bestückten Werkzeugkasten, der weit über die einfachen Methoden von Leuten hinausgeht, die nur ein Training von ein paar Tagen hinter sich haben.
  • Manchmal ist es gut, wenn andere die Arbeit machen. So sehr ich indisches Essen liebe, koche ich es doch niemals selbst. Zu viel Arbeit, die Gewürze zu mischen und zu rösten. Ausserdem habe ich keinen Tandoor-Ofen. Leute, die sich auf solche Dinge spezialisiert haben, können es schneller und haben die richtigen Werkzeuge für die Arbeit dabei.
  • Es ist wertvoll, ein Outsider zu sein, der mit der Firmenpolitik und damit, "wie wir das immer schon gemacht haben", nichts zu tun hat. Beim Kochen möchten Sie manchmal, dass das Huhn etwas anders zubereitet wird als vom heiligen Rezept Ihrer Grossmutter gefordert. Bei der Usability kann eine Person, die die Dinge mit frischem Auge sieht, manches Neue entdecken und Sachen sagen, für die Insider gefeuert würden, wenn sie sie bloss denken. (Möglicherweise sollte die grosse Lieblings-Animation des Vizepräsidenten nicht wirklich gleich auf der Startseite prangen. Geben Sie die Schuld einfach mir, wenn Sie die endlich loswerden wollen.)

Das Ganze ist eine Frage des Gleichgewichts. Ja, Experten schaffen Mehrwert bei der Usability wie in anderen Bereichen des Lebens auch. Ja, ein Experte kann über die Arbeitsweise der meisten Leute hinausgehen. Aber das bedeutet nicht, dass Usability allein in der Verantwortung von Experten liegen sollte. Jeder im Team sollte die Verantwortung für die Verbesserung des Nutzererlebnisses mitübernehmen. Und jeder kann Usability; die grundlegenden Methoden sind einfach.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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