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13.04.2002

Kids' Corner: Webseiten-Usability für Kinder

Unsere auf Kinder bezogene Usability-Studie ergab, dass unübersichtliche Webseiten Kinder genauso verwirren wie Erwachsene. Kinder jedoch betrachten Werbung eher als Inhalt und klicken dementsprechend auch auf Werbelinks. Sie mögen gerne bunte Designs, fordern aber einfache Texte und eine leichte Navigation.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 14.04.2002

 

Millionen Kinder nutzen bereits heute das Internet, und jedes Jahr kommen mehrere Millionen hinzu. Viele Webseiten zielen ihren Inhalt aus dem Bereich Erziehung und Entertainment speziell auf Kinder ab, und sogar etablierte Webseiten richten "Kids' corners", also Bereiche für Kinder, als allgemeinen Service oder für einen frühzeitigen Aufbau einer Markenloyalität ein.

Trotz dieser Zunahme an Nutzern ist noch sehr wenig darüber bekannt, wie Kinder Webseiten nutzen und wie kinderfreundliche Seiten aufgebaut sein müssen. Das Design der meisten Kinder-Webseiten basiert auf den allgemein verbreiteten Ideen über das Verhalten von Kindern oder bestenfalls auf den Einsichten, die Webseiten-Designer durch die Beobachtung ihrer eigenen Kinder erhalten. Dies kann jedoch kaum als repräsentativ für die typischen Internet-Fähigkeiten oder allgemeinen Web-Kenntnisse von Durchschnittskindern gelten.

Test: Wie Kinder das Web nutzen

Um herauszufinden, wie Kinder das Web wirklich nutzen, führten wir Usability-Studien mit 55 Kindern im Alter zwischen 6 und 12 Jahren (erste bis einschliesslich fünfte Grundschulklasse) durch. Wir testeten 39 Kinder in den Vereinigten Staaten und 16 in Israel, um die internationale Anwendbarkeit unserer Empfehlungen zu erweitern.

Wir haben beobachtet, wie die Kinder mit 24 Webseiten für Kinder und drei etablierten Webseiten für Erwachsene (Amazon, Yahoo! und Weather.com) umgegangen sind. Für die Zielseiten haben wir einige speziell für Kinder eingerichtete Webseiten wie Alfy, MaMaMedia und Sesame Strasse sowie mehrere von grossen Unternehmen produzierte, auf Kinder ausgerichtete "Subsites" wie "ABC News for Kids" und "Belmont Bank's Kids' Corner" getestet.

Obwohl die Teilnehmer an unserer Studie sehr jung waren, hatten sie im Umgang mit den für Erwachsene gestalteten Webseiten oft den grössten Erfolg. Seiten wie Amazon und Yahoo! bemühen sich um äusserste Einfachheit und um die Einhaltung von Webdesign-Regeln. Sie sind so einfach geworden, dass sie kleinen Kindern sehr gut gerecht werden. Viele der Seiten für Kinder hingegen beinhalten komplexe und komplizierte Interaktionen, die unsere Test-Nutzer überfordert haben. Hierzu ein Erstklässler: "Das Internet ist sehr oft LANGWEILIG, da man nichts finden kann, wenn man drin ist."

Usability-Probleme frustrieren Kinder

Der Gedanke, dass Kinder mit Technologie spielend umgehen und Computerprobleme jeder Art bewältigen, ist ein Mythos. Unsere Studie belegte, dass Kinder zur Lösung vieler Usability-Probleme nicht in der Lage sind. Treffen schlechte Usability und die mangelnde Geduld von Kindern angesichts komplexer Problemstellungen aufeinander, verlassen viele Kinder die Webseite einfach. Ein Viertklässler meinte: "Wenn ich nicht weiss, was ich auf einer Webseite machen soll, dann such’ ich einfach nach etwas anderem".

Zudem mögen Kinder langsame Downloads noch weniger als Erwachsene. Eine Erstklässlerin hierzu: "Es soll schneller gehen! Vielleicht geht es ja schneller, wenn ich drauf klicke...".

Kleine Kinder haben oft Computer aus zweiter Hand, sowohl zu Hause (wo sie die älteren Geräte "erben", wenn ihre Eltern sich ein Neues kaufen) als auch in der Schule (wo die Geräte aus Budgetgründen oft viele Jahre in Betrieb bleiben). Kinder haben üblicherweise auch langsame Verbindungen und veraltete Software.

Angesichts dieser Einschränkungen dürfen auf den Webseiten beim Zugriff über Low-End-Geräte keine technischen Probleme oder Abstürze auftreten. Als sich die Kinder unserer Studie mit einer Fehlermeldung konfrontiert sahen, sagten sie uns, dass sie solche Meldungen oft sähen und dass es das Beste sei, diese einfach zu übergehen oder das Fenster zu schliessen, um sich mit etwas anderem zu beschäftigen.

Hier einige der bezeichnendsten Web-Usability-Probleme, die den Kindern unserer Studie Schwierigkeiten bereiteten:

  • Eine ungenaue Bestätigung der Nutzerposition beim Navigieren verwirrte die Nutzer sowohl auf den Seiten selbst als auch beim Verlassen derselben.
  • Nicht durchgängige Navigationsoptionen, die in unterschiedlicher Weise auf denselben Zielpunkt verwiesen, führten dazu, dass die Nutzer dasselbe Feature immer wieder besuchten, da sie nicht wussten, dass sie bereits dort gewesen waren.
  • Vom Standard abweichende Interaktionstechniken führten zu vorhersehbaren Problemen; so gelang es den Nutzern z.B. nicht, ihr Lieblingsspiel nicht mit Hilfe einer "Spiele-Maschine" auszuwählen.
  • Schlecht erkennbare Anklickmöglichkeiten, beispielsweise übereinander liegende flache Grafiken, führten dazu, dass Nutzer Features verpassten, weil sie die Links übersahen.
  • Fantasiebezeichnungen in Schnittstellen verwirrten Nutzer und machten es ihnen unmöglich, die zur Verfügung stehende Auswahl zu erkennen.

Altersgerechter Inhalt

Zu viel Text war für kleine Kinder, die gerade das Lesen lernen, problematisch. Wir beobachteten beträchtliche Usability-Probleme, wenn sich Kinder versehentlich in Bereichen wiederfanden, deren Sprachniveau über ihrem jeweiligen Leseniveau lag.

Zudem ist Kindern ihr Alter sehr bewusst und sie differenzieren genau zwischen dem für sie geeigneten Material und dem Material für ältere oder jüngere Kinder, auch wenn sich deren Alter nicht sehr von ihrem eigenen unterscheidet. Bei einer Webseite sagte ein sechsjähriges Kind: "Diese Webseite ist für Babys von vielleicht vier oder fünf Jahren. Das sieht man an den Cartoons und Zügen."

Unterschiede zwischen Kindern und erwachsenen Nutzern

Unsere Ergebnisse zur Usability für Kinder wichen häufig von unseren für Erwachsenentests typischen Ergebnissen ab. Folgende Unterschiede fielen besonders ins Auge:

  • Animationen und Geräuscheffekte waren positive Gestaltungselemente für Kinder. Sie sorgten oft für einen guten ersten Eindruck, der die Nutzer dazu ermutigte, auf der Webseite zu bleiben.
  • Kinder tendierten eher zum "Mine-Sweeping", das heisst, sie fuhren mit ihrer Maus über den Bildschirm, um anklickbare Bereiche zu finden oder um die Geräuscheffekte, die sich bei verschiedenen Bildschirmelementen einstellten, einfach zu geniessen.
  • Geografische Navigationsmetaphern funktionierten. Kindern gefielen Bilder von Räumen, Dörfern, 3D-Landkarten oder simulierten Landschaften, die als Überblick und Ausgangspunkt für verschiedene Webseiten- oder "Subsite-Features" dienten.
  • Die Kinder haben selten Seiten gescrollt, sondern hauptsächlich mit den Informationen gearbeitet, die auf dem ersten Bildschirmabschnitt zu sehen waren. (1994 haben wir dieses Verhalten auch bei erwachsenen Web-Nutzern beobachtet. Unsere neueren Studien zeigen jedoch, dass Erwachsene jetzt eher zum Scrollen tendieren.)
  • Die Hälfte unserer jungen Nutzer war zum Lesen der Anweisungen bereit. Oftmals lasen sie sogar lieber erst einmal eine kurze Anweisung durch, bevor sie mit einem neuen Spiel begannen. Im Gegensatz dazu haben die meisten erwachsenen Nutzer gar nicht viel für Anweisungen übrig und versuchen Webseiten zu nutzen, bei denen man ohne das Durchlesen von Anweisungen auskommt.

Ein Grossteil dieser Schwierigkeiten hängt mit den Online-Aktivitäten von Kindern und Erwachsenen zusammen. Es gibt verschiedene Designelemente und Multimediaeffekte, auf die Kinder eher ansprechen. Im Gegensatz zu Erwachsenen, die das Web normalerweise zu Arbeitszwecken und für zielorientierte Aufgaben verwenden, steht für Kinder eher der Unterhaltungsfaktor bei der Nutzung des Webs im Vordergrund, wenngleich ältere Kinder das Web auch für ihre Hausaufgaben und für Kontakte nutzen.

Werbung funktioniert

Die erstaunlichste Erkenntnis unserer Studie war, dass Kinder auf Werbungen klicken. Leider geschieht dies oft aus Versehen und im Glauben, die Werbung wäre ein weiteres Element der Webseite. In den neun Jahren unserer Tests mit Erwachsenen konnten wir die Gesamtzahl der Male, die sie auf Webseiten-Werbungen geklickt haben, an den Fingern zweier Hände abzählen.

Kinder klicken die Banner jedoch an. Sie können noch nicht zwischen Inhalt und Werbung unterscheiden. Für Kinder sind Werbungen vielmehr eine weitere Inhaltsquelle. Enthält das Banner ein bekanntes Zeichen oder etwas, das aussieht wie ein "cooles" Spiel, dann klicken sie drauf. Pokémon, wir kommen. (Kinder klickten sogar öfter auf Pokémon-Figuren, die für Werbebanner anderer Produkte verwendet wurden als auf Links zu einer Pokémon-Site.)

Wie können Eltern, Erziehern und anderen Aufsichtspersonen also nur empfehlen, sich die Zeit zu nehmen, um die Kinder mit den Gegebenheiten der Internetwerbung vertraut zu machen und ihnen beizubringen, woran sie Werbung erkennen. Es gibt bereits viele Menschen, die ihren Kindern dabei helfen, Fernsehwerbung zu verstehen und mit ihr umzugehen.

Bei ihren erzieherischen Bemühungen scheinen sie jedoch die Werbung im Web zu übersehen - vermutlich weil die meisten Erwachsenen selbst nie auf die Idee kämen, diese anzuklicken. Für Erwachsene hat Werbung im Web keine besondere Bedeutung, da sie sich selbst darauf geeicht haben, die Werbung unbewusst durch "Bannerblindheit" zu übersehen, und das setzt sich auch dann fort, wenn Erwachsene Webseiten für Kinder besuchen.

Viele Webseiten in unserer Studie versuchten, Werbungen vom redaktionellen Teil der Webseite abzuheben, indem sie die Banner mit Hinweisen wie "WERBUNG" oder "BEZAHLT" versahen. Diese Taktik funktionierte nicht. Die Kinder unserer Studie haben diesen subtilen Hinweisen keine Beachtung geschenkt, sondern fühlten sich von den farbigen Zeichen und Spielen in der Werbung angezogen.

Geschlechtsunterschiede

Diese Studie ergab grössere Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen, als wir aus den Tests erwachsener Männer und Frauen gewohnt sind. Jungen empfanden wortreiche Seiten als wesentlich störender als Mädchen (40% der Jungen beschwerten sich, dagegen nur 8% der Mädchen). Dies kann daran liegen, dass in dem von uns getesteten Alter die Lesefertigkeiten der Jungen unter derjenigen der Mädchen liegen.

Mädchen hingegen beschwerten sich weit häufiger über fehlende Erklärungen auf Seiten als Jungen (76% der Mädchen im Vergleich zu 33% der Jungen). Zudem verbringen Jungen mehr Zeit allein vor dem Computer als Mädchen, während Mädchen häufiger mit einem Elternteil vor dem Computer sitzen.

Trotz der Unterschiede lassen sich die meisten unserer Schlussfolgerungen für kindgerechtes Webdesign gleichermassen auf Jungen und Mädchen anwenden. Ein Technologieeinsatz, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht, sowie altersgerechtes Design stehen in punkto Usability im Vordergrund, und nicht die Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Nichtsdestoweniger können wir nur jedem, der daran denkt, Usability-Studien mit Kindern durchzuführen, mit Nachdruck empfehlen, möglichst dieselbe Anzahl Jungen wie Mädchen einzubeziehen. Bei Studien mit erwachsenen Nutzern sind wir stets um eine ausgewogene Vertretung beider Geschlechter bemüht, obgleich die Anzahl nicht immer gleich sein muss.

Auch wenn sich Männer und Frauen hinsichtlich des von ihnen bevorzugten Inhalts manchmal unterscheiden, geht es beim Web-Design in erster Linie darum, eine Brücke zwischen Mensch und Computer zu schlagen und nicht darum, wie man den vergleichsweise geringen Unterschieden zwischen den Geschlechtern begegnen kann. Bei Kindern hingegen sind die Unterschiede grösser, weshalb eine ausgewogene Zusammenstellung der Testteilnehmer wichtiger ist.

"Cooler" Inhalt, einfache Interaktion

Kinder erwarten einen unterhaltsamen, lustigen und bunten Inhalt, der Multimediaeffekte einbezieht. Was das Homepage-Design sowie das Navigationssystem angeht, so sollte die Nutzeroberfläche jedoch nicht zu anspruchsvoll sein und die Kinder so unkompliziert wie möglich zum Inhalt führen. Kinder lieben zwar Entdeckungen und Spiele, aber die Bedienung der Webseite selbst sollte keine Herausforderung darstellen. Der Inhalt sollte "cool" sein, das Design sollte jedoch eine hohe Nutzerfreundlichkeit aufweisen, da die Kinder sonst nach etwas anderem suchen.

Mehr darüber

Unser 128 Seiten langer Bericht mit 70 Usability-Richtlinien für das Design von Webseiten für Kinder steht zum Download bereit.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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