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06.12.2009

Kurzzeitgedächtnis und Web-Usability

Das menschliche Gehirn ist nicht optimiert für abstraktes Denken und das Memorieren von Daten, wie Websites es oft erfordern. Viele Usability-Richtlinien werden von kognitiven Begrenzungen diktiert.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 07.12.2009

 

Die Leute können nicht viele Informationen in ihrem Kurzzeitgedächtnis behalten. Das gilt ganz besonders, wenn sie in rascher Abfolge mit vielerlei abstrakten oder unüblichen Datenbausteinen bombardiert werden. Damit die Designer nicht vergessen, wie leicht die Nutzer etwas vergessen, wollen wir uns näher anschauen, warum unsere Gehirne anscheinend so schwach sind.

Menschen sind bemerkenswert gut darin, dass wollige Mammut zu jagen. Wenn man bedenkt, dass Menschen weder Reisszähne noch Krallen haben, dann haben unsere Vorfahren beim Ausrotten des grössten Teils der Megafauna zwischen Australien und Nordamerika - ausschliesslich mithilfe von Feuersteinwaffen - eine ziemlich gute Arbeit geleistet. (In der heutigen Zeit mit ihrem Umweltgewissen mögen wir dieses Hinschlachten bedauern, aber die früheren Menschen waren mehr daran interessiert, ihr Abendessen zu fangen.)

Viele Fertigkeiten, die man am Computer braucht, sind beim Erschlagen von Mammuts wenig nützlich. Dazu gehört zum Beispiel das Behalten obskurer Zahlencodes von einem Bildschirm bis zum nächsten oder das Interpretieren kryptischer Abkürzungen in Formularfeldern. Es ist keine Überraschung, dass die Leute bei diesen Fertigkeiten nicht so gut abschneiden, da sie für das Überleben in der Umwelt unserer Vorfahren unwichtig waren.

Das heutige menschliche Gehirn ist das gleiche, das die Menschen vor 10.000 Jahren hatten. Deshalb hatte ich erwogen, unserem neuen Kurs zu der Frage, wie die Psychologie Usability-Richtlinien erklärt und effektives Webdesign diktiert, den Namen zu geben: "Websites für Höhlenmenschen gestalten". Das hätte allerdings die Richtlinie verletzt, allzu pfiffige Headlines zu vermeiden, die nicht wirklich erklären, worum es auf einer Seite (oder in diesem Fall in einem Seminar) geht.

Deshalb haben wir am Ende folgenden Titel gewählt: "Usability und der menschliche Geist: Wie Ihre Kunden denken".

Mit dem ersten Namen hätte ich Ihr Langzeitgedächtnis darauf gepolt, Begriffe zu aktivieren, die etwas mit Höhlenmenschen zu tun haben - darunter wahrscheinlich auch Bilder von menschenfressenden Dinosauriern, die dort haften geblieben sind, weil Sie zu viele schlechte Filme gesehen haben. Er hätte definitiv keine Konzepte aktiviert, die mit der wirtschaftlichen Verbesserung Ihrer Website zu tun haben. Der Name dagegen, den wir am Ende gewählt haben, enthält das Wort "Kunden", das das Gedächtnis auf passendere Weise polt, mehr Klicks anzieht und die Nutzer in eine geschäftlich orientierte Gedankenwelt versetzt.

Gestaltung innerhalb der Kapazitätsgrenzen des Gehirns

Wenn es um abstraktes Denken geht, haben die Menschen extrem begrenzte Gehirnkapazitäten. Zum Beispiel behält das Kurzzeitgedächtnis nur jene berühmten sieben Informationsbrocken und auch diese verschwinden nach 20 Sekunden aus dem Gehirn.

Nach einem weit verbreiteten Missverständnis impliziert das begrenzte Kurzzeitgedächtnis, dass Menüs ebenfalls nur maximal sieben Punkte enthalten sollten. Es ist gut, mehr Menüpunkte zu haben als sieben (falls nötig), weil die Besucher nicht die ganze Liste von Menüpunkten behalten müssen. Das eigentliche Prinzip des Menüs liegt im Wiedererkennen und nicht im Aufsagen (eine der 10 grundlegenden Heuristiken des Designs von Nutzeroberflächen). Es gibt eine Menge weitere Usability-Themen beim Design von Menüs, und kürzere Menüs sind auf jeden Fall leichter zu überfliegen. Aber wenn Sie ein Menü zu kurz machen, werden die Auswahlmöglichkeiten zu abstrakt und zu unverständlich.

Die Grenzen des Kurzzeitgedächtnisses diktieren ein ganzes Bündel von weiteren Webdesign-Richtlinien:

  • Die Reaktionszeiten müssen kurz genug sein, damit die Nutzer nicht vergessen, was sie eigentlich tun wollten, während sie auf das Laden der nächsten Seite warten.
  • Ändern Sie die Farbe von besuchten Links, damit die Nutzer sich nicht daran erinnern müssen, was sie bereits angeklickt haben.
  • Erleichtern Sie das Vergleichen von Produkten, indem Sie die entscheidenden Differenzen sowohl auf der ersten Kategorieseite als auch in speziellen Vergleichsansichten hervorheben. Wenn die Nutzer zwischen speziellen Produktseiten vor- und zurückspringen müssen, um die Unterschiede herauszufiltern, werden sie verwirrt - besonders dann, wenn die Seiten die Informationen in einem inkonsistenten Format präsentieren.
  • Statt Gutschein-Codes anzubieten, kodieren Sie die Angebote in spezielle Links hinein, die in Ihre E-Mail-Newsletters eingebunden sind, und übertragen den Gutschein automatisch in den Einkaufswagen des Nutzers. Das hat zwei Vorteile:

    • der Computer übernimmt die Arbeit, sich an den unverständlichen Code zu erinnern und ihn im richtigen Moment einzusetzen.
    • Dadurch wird das Feld "Gutschein-Code eingeben" überflüssig, das auf Käufer, die keinen Gutschein haben, abschreckend wirkt (weil sie sich weigern, den vollen Preis zu bezahlen, wenn der Bestellablauf herausposaunt, dass andere Nutzer ein besseres Geschäft machen).

  • Bieten Sie Hilfe- und Nutzerassistenz-Funktionen in dem Kontext an, indem die Nutzer sie brauchen, damit sie nicht in einen getrennten Hilfe-Bereich navigieren und dort Arbeitsschritte auswendig lernen müssen, bevor sie sich wieder ihrem Problem zuwenden können.

Individuelle Unterschiede

Auch wenn das durchschnittliche menschliche Gehirn besser für die Mammutjagd ausgestattet ist als für den Gebrauch von Websites, sind wir nicht alle durchschnittlich. In der Tat gibt es grosse individuelle Unterschiede bei der Nutzerleistung: die oberen 25% der Nutzer sind 2,4 mal so gut wie die unteren 25%.

Am oberen Ende finden wir etwa 4% der Population, die über so viel Intelligenz verfügen, dass sie komplexe kognitive Aufgaben lösen können, etwa auf der Basis von speziellem Hintergrundwissen Rückschlüsse auf hohem Niveau ziehen können. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gehören Sie zu dieser Elite. Und schlimmer noch, auch viele andere Mitglieder Ihres Internet-Teams gehören dazu. (Und die übrigen befinden sich definitiv unter den oberen 25%, die ebenfalls viel besser sind als durchschnittliche Nutzer.)

Wenn Ihr eigenes Kurzzeitgedächtnis zwei Punkte mehr behalten kann als das der meisten Nutzer, mag das auf den ersten Blick nicht viel erscheinen. Aber wenn Ihre Website Plätze im Kurzzeitgedächtnis blockiert, indem sie den Nutzern das Behalten irrelevanter Informationen abverlangt, kann eine kleine Extrakapazität im Kurzzeitgedächtnis den ganzen Usability-Unterschied ausmachen. Sie haben dann immer noch genügend Ersatzplätze frei, um über die Produktreihe nachzudenken, aber wenn Ihre Kunden ihre Gehirnkapazität komplett ausschöpfen müssen, werden sie Ihre Website ziemlich frustrierend finden.

Es mag zwar ein schlechter Kursname sein, aber es ist eine gute Eselsbrücke, Designs für Höhlenmenschen und die begrenzte Kapazität ihrer Gehirne zu machen. Schliesslich stehen Ihre zahlenden Kunden auch nur einen Schritt ausserhalb der Höhle.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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