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09.04.2012

Mobile oder vollwertige Websites

Ein gutes mobiles Nutzererlebnis braucht ein anderes Designs als das für Nutzer eines Desktop-PCs. Zwei Designs, zwei Websites und Querverweise, damit alles funktioniert.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 10.04.2012

 

Basierend auf Usability-Tests mit hunderten von Websites sind die wichtigsten Richtlinien für Websites, die für den mobilen Gebrauch optimiert sind, klar:

  • Erstellen Sie eine separate Website, die für mobile Geräte optimiert ist (auch Mobile Site genannt), wenn Sie es sich leisten können. Greifen die Menschen über mobile Geräte auf Websites zu, ist die messbare Usability bei mobilen Websites höher als bei den vollwertigen Websites.

  • Kommen mobile Nutzer bei der URL Ihrer vollwertigen Website an, sollten Sie sie automatisch zur mobilen Website umleiten. Leider platzieren viele Suchmaschinen die mobilen Websites für die mobilen Nutzer immer noch nicht hoch genug, sodass viele Menschen oft zu den vollwertigen Websites (fehl-) geleitet werden und nicht bei den mobilen Versionen landen, die ihnen ein ungleich besseres Nutzererlebnis bieten würden.
  • Bieten Sie für die Nutzer, die trotz der Umleitung auf Ihrer vollwertigen Website gelandet sind, einen gut sichtbaren Link an, der zur mobilen Variante führt.
  • Platzieren Sie für die (wenigen) Nutzer, die besondere Funktionen brauchen, die sie nur auf der vollwertigen Website finden, auch einen Link, der dorthin führt.

Wir haben Hunderte von mobilen und vollwertigen Websites auf allen momentan beliebten Plattformen getestet (das iPhone, Android, Windows Phone und Blackberry eingeschlossen). Die Ergebnisse zur Frage "mobile oder vollwertigen Website" waren für alle Mobiltelefone die gleichen, sodass ich hier nicht auf einzelne Geräte eingehen werde.

Die Richtlinien für grosse Tablets (im 10-Zoll-Format, wie beim Apple iPad, Lenovo IdeaPad, Samsung Galaxy etc.) unterscheiden sich allerdings, da hier die vollwertigen Websites verhältnismässig gut funktionieren. Bei kleineren Tablets (im 7-Zoll-Format wie beim Amazon Kindle Fire) wäre es das Beste, ein drittes Design zu erstellen, das diesen mittelgrossen Geräten gerecht wird. Viele Firmen bieten den Nutzern des Kindle Fire allerdings einfach ihre mobilen Websites an.

Für den mobilen Zugang optimierte Websites

Die kompletten Designrichtlinien für mobile Websites umfassen 300 Seiten, deshalb kann ich hier nicht auf alles eingehen. Die grundlegenden Vorschläge sind:

  • Reduzieren Sie die Zahl der Funktionen, um auf die Dinge zu verzichten, die für den mobilen Gebrauch nicht unbedingt erforderlich sind;
  • Reduzieren Sie die Inhalte und damit die Textmenge und verlagern Sie sekundäre Inhalte auf sekundäre Seiten;
  • Vergrössern Sie die Elemente der Nutzeroberfläche, um das "Wurstfinger"-Problem zu lösen.

Die Herausforderung liegt darin, Funktionen und Texte zu eliminieren, ohne dabei die Auswahl der Produkte einzuschränken. Eine mobile Website kann weniger Informationen zu jedem Produkt haben und weniger Dinge, die der Nutzer damit machen kann, aber die Angebotspalette sollte mit jener der vollwertigen Website übereinstimmen. Können die Nutzer ein Produkt auf einer mobilen Website nicht finden, gehen sie davon aus, dass das Unternehmen es nicht führt und suchen es woanders.

Deshalb sollte zum Beispiel die mobile Website eines Immobilienmaklers alle Objekte zeigen, die zum Verkauf stehen, und nicht nur die, für die sich die meisten Menschen interessieren. (Allerdings kann man eine Auswahl der beliebtesten Häuser als Vorschau anbieten, aus der die Nutzer mit einer einzigen Berührung auswählen können.) Die Website sollte aber auf nebensächliche Funktionen verzichten, zum Beispiel auf die Eigentümerhistorie eines Objekts, und Nutzern, die diese Funktionen nutzen wollen, einen Link zu diesen Informationen auf der vollwertigen Website anbieten.

Warum vollwertige Websites für mobile Nutzer nicht geeignet sind

Man hört heutzutage ständig folgende Argumentation: Mobile Nutzer haben immer höhere Erwartungen an das, was sie mit ihren Handys abwickeln können und daher würde das Weglassen von Funktionen und Inhalten die Nutzer enttäuschen. Daher sei es besser (so das wenig stichhaltige Argument), die vollwertige Website allen Nutzern, auch den mobilen, anzubieten.

Diese Analyse ist fehlerhaft, da sie von der Annahme ausgeht, es gebe nur die Wahl zwischen einer vollwertigen Desktop-Website mit allen Funktionen und einer mobilen Variante mit weniger Funktionen. Allerdings verfügt jede mobile Website, die den Usability-Richtlinien entspricht, über Links zur vollwertigen Website, wann immer Funktionen oder Inhalte fehlen, sodass die Nutzer zu allem Zugang haben, sobald sie es brauchen.

Die Herausforderung an das Design liegt darin, den Schnitt zwischen mobilen und vollwertigen Funktionen so zu machen, dass die mobile Website fast alle Bedürfnisse des mobilen Nutzers befriedigt. Ist dieses Ziel erst erreicht, fällt der zusätzliche Interaktionsaufwand, einem Link zur vollwertigen Website zu folgen, kaum noch ins Gewicht.

Natürlich haben wir auch Beispiele von leistungsschwachen und schlecht ausgestatteten mobilen Websites gesehen, welche die Bedürfnisse von kaum einem mobilen Nutzer befriedigen würden. Aber schlechtes Design, das eine Richtlinie fehlinterpretiert, ist noch lange kein Grund, gleich das ganze Projekt abzublasen und die gut dokumentierte Richtlinie an sich zu ignorieren. (Tatsächlich hätten wir kein Internet, wenn schlechte Nutzeroberflächen ein Grund wären, eine ganze Designkategorie zu verwerfen; es gibt viele praktisch unbenutzbare Websites. Aber das heisst ja nicht, dass wir nicht gute Websites erstellen können, indem wir die Richtlinien befolgen, die die schlechten Websites missachten.)

Die aktuell gültige Analyse lautet wie folgt:

  • Für die meisten Aufgaben haben die mobilen Nutzer mit einer mobilen Website ein viel besseres Nutzererlebnis als mit der vollwertigen Variante.
  • Für einige wenige Aufgaben wird der zusätzliche Klick auf den Link zur vollwertigen Website die Nutzer ein bisschen aufhalten.

Ein grosser Zugewinn, der oft genossen wird, wiegt eine kurze Strafzeit, die noch dazu selten vorkommt, locker auf.

Ein zweites Argument gegen die Option einer mobilen Website ist, dass man doch gleich die ganze Website für den mobilen Gebrauch optimieren könnte. Dann würde es den mobilen Nutzern nichts mehr ausmachen, dass man ihnen die "vollwertige" Website anbietet. Das stimmt natürlich, ignoriert aber die Strafe, die man so den Nutzern von Desktop-PCs auferlegt, indem man ihnen ein Design zumutet, das für grössere Bildschirme und bessere Eingabegeräte suboptimal ist (siehe in der Seitenleiste Mouse vs. Fingers (engl.)). Wären die Desktop-Nutzer in der Minderheit, wäre dies akzeptabel, aber fast alle Websites erhalten mehr Zugriffe (und Umsätze) von Desktop-Nutzern als von mobilen Nutzern. Nur weil wir es den mobilen Nutzern recht machen wollen, können wir die Desktop-Nutzer nicht einfach ignorieren - sie zahlen immerhin den grössten Teil unseres Gehalts.

Was daraus im Grunde folgt? Die Plattform der Nutzeroberflächen von Desktop-PCs unterscheidet sich deutlich von jener der mobilen Geräte: etwa die Interaktionsweise, die Art, wie die Menschen lesen, der Verwendungskontext oder einfach die Anzahl der Dinge, die man auf einen Blick erfassen kann. Diese Ungleichheit ist symmetrisch: Mobile Nutzer brauchen ein anderes Design als Desktop-Nutzer. Aber ebenso benötigen Desktop-Nutzer ein anderes Design als mobile Nutzer.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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