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12.02.2012

Mobile Websites oder Apps: Der Strategiewechsel steht bevor

Mobile Apps weisen zurzeit eine bessere Usability auf als mobile Websites, aber das könnte sich ändern und eine Strategie mit mobilen Websites könnte in Zukunft überlegen sein.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 13.02.2012

 

Die wichtigste Frage, die sich ein Unternehmen in Bezug auf seine mobile Strategie stellen muss, ist die, ob es überhaupt etwas Besonderes für mobile Anwendungen bereitstellen soll. Einige Firmen werden ohnehin niemals viele mobile Zugriffe verzeichnen und sollten sich daher eher darauf beschränken, ihre Desktop-Websites auch für die Betrachtung auf einem kleinen Bildschirm anzupassen.

Aber wenn Ihre Website auch mobile Nutzer anzieht, müssen Sie sich eine zweite Frage stellen: Sollen wir eine mobile Website erstellen oder eine spezielle mobile App entwickeln? Die Antwort auf diese Frage zum heutigen Zeitpunkt ist eine ganz andere als die, die die Zukunft wahrscheinlich geben wird.

Die aktuelle mobile Strategie: Apps sind am besten

Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Konkurrenzsituation: Liefern Sie mobile Apps, wenn Sie es sich leisten können. Unsere Usability-Studien zu mobilen Geräten zeigen eindeutig, dass die Nutzer mit Apps besser umgehen können als mit mobilen Websites. (Mobile Websites haben zwar im Vergleich mit Desktop-Websites eine messbar höhere Usability, aber Apps schneiden noch besser ab.)

Die empirischen Daten sind eigentlich alles, was Sie dazu wissen müssen. Es ist eine Tatsache, dass die Apps die mobilen Websites im Test weit hinter sich lassen. Um eine mobile Strategie zu planen, brauchen Sie nicht zu wissen, warum der Gewinner am besten war, aber ich versuche trotzdem, es zu erläutern.

Die mobilen Anwendungen sind besser verwendbar als Websites, die für die mobile Verwendung optimiert wurden, weil die Optimierungsmöglichkeiten im Webdesign beschränkt sind. Eine App kann viel gezielter auf die Einschränkungen und Fähigkeiten jedes Geräts eingestellt werden als eine Website, die in einem Browser angezeigt wird.

Die natürliche Vorherrschaft der Apps gilt für jede Plattform, selbst für Desktop-PCs. Allerdings sind Desktop-PCs so leistungsfähig, dass internetbasierte Anwendungen für die meisten Aufgaben ausreichend sind.

Mobile Geräte verfügen dagegen nur über ein eingeschränktes Nutzererlebnis: winzige Bildschirme, langsame Verbindungen, höherer Bedienungsaufwand (besonders beim Tippen, aber auch, weil den Nutzern weder der Doppelklick noch der Mouse-over-Effekt zur Verfügung steht) und geringere Zeige-Präzision aufgrund des "Wurstfingerproblems". Je schwächer das Gerät ist, desto wichtiger ist es, entsprechend der Charakteristika zu optimieren.

Durch Apps kann auch für die Anbieter von Inhalten ein echter betriebswirtschaftlicher Nutzen entstehen, da die diversen App-Stores eine Mini-Zahlungsmethode anbieten, die es Ihnen erlaubt, Geld von den Nutzern zu verlangen, was im öffentlichen Internet deutlich schwieriger hinzukriegen ist.

Zu guter Letzt betrachten wir den Unterschied zwischen Nielsens Gesetz der Internetbandbreite und Moores Gesetz der Computerleistung. In den nächsten zehn Jahren wird die Internetbandbreite 57-mal so gross sein wie heute, und Computer werden etwa 100-mal leistungsfähiger sein. (Die Computer der Zukunft werden wahre Monster sein im Vergleich zu den mickrigen Geräten, die wir heute nutzen.)

Mit anderen Worten: Der relative Vorteil beim Verwenden vorprogrammierter Codes gegenüber dem Herunterladen von Inhalten aus dem Internet wird in zehn Jahren fast doppelt so gross sein. Ein weiterer Pluspunkt für mobile Apps.

Die mobile Strategie der Zukunft: Websites sind am besten

Zukünftig wird sich die Kosten-Nutzen-Rechnung von Apps im Vergleich zu mobilen Websites jedoch verändern.

Ich sagte zwar gerade, dass sich die Leistungsfähigkeit der Computer um den Faktor 100 erhöhen wird, aber das heisst nicht unbedingt, dass das iPhone 14 auch 100-mal so schnell sein wird wie das iPhone 4S. Es ist wahrscheinlich eher so, dass sich die Fortschritte in der Hardware-Entwicklung zwischen Schnelligkeit und anderen mobilen Prioritäten wie z. B. der Akkulaufzeit aufteilen werden. Also kann es sein, dass das iPhone der Zukunft nur zehn Mal so schnell sein wird (aber dafür schmaler und leichter und weniger oft geladen werden muss). Die Download-Zeiten werden aber, wie schon erwähnt, 57-mal so schnell wie heute sein.

Die Kosten für mobile Apps werden steigen, da es immer mehr Plattformen geben wird, für die eigens entwickelt werden muss. Sie müssten zumindest aber Android, iOS und Windows Phone unterstützen. Darüber hinaus werden sich viele dieser Plattformen in weitere Untersysteme aufspalten, die wiederum andere Apps benötigen, um ein akzeptables Nutzererlebnis zur Verfügung zu stellen.

Aus Gründen des Nutzererlebnisses hat sich iOS bereits in iPad und iPhone geteilt. Sie haben zwar offiziell die gleiche OS-Software, aber brauchen trotzdem sehr unterschiedliche Designs der Nutzeroberfläche (UI). (Beachten Sie auch unseren Bericht zur iPad-Usability für Überlegungen zur Usability bei Tablet-PCs.)

Kürzlich hat die Einführung des Kindle Fire von Amazon.com letztlich zur Aufspaltung des Nutzererlebnisses bei Android geführt, da er eine andere Plattform ist. Und man benötigt, wie unser Bericht zur Kindle-Fire-Usability gezeigt hat, eine eigene App mit einer eigenen UI, um auf diesem Gerät, das nicht dem Standard entspricht und sich verkauft wie warme Semmeln, eine akzeptable Usability zu erreichen.

Daher ist es nur realistisch, zukünftig von weiteren Aufspaltungen der UI auszugehen. Das wird die Bereitstellung mobiler Apps sehr kostenintensiv machen.

Mobile Websites dagegen werden eine gewisse plattformen-übergreifende Kapazität aufweisen, so dass man nicht zu viele verschiedene Designs benötigt. Die High-End-Websites werden drei mobile Designs haben, um für Mobiltelefone, mittelgrosse Tablet-PCs (wie den Kindle Fire) oder grosse Tablet-PCs attraktiv zu sein. Konzepte wie das adaptive Design erlauben es Ihnen, jede dieser Versionen Ihrer Website an eine Vielzahl an Bildschirmgrössen und Fähigkeiten anzupassen. Das gleiche einfache Design der UI funktioniert sowohl auf einem 6,8-Zoll-Tablet als auch auf einem 7,5-Zoll-Tablet; Sie müssen die Ansicht nur etwas strecken oder schrumpfen. (Ein Handy mit 5-Zoll-Bildschirm benötigt dagegen ein grundsätzlich anderes Design - nicht nur ein modifiziertes Layout - mit weniger Funktionen und abgekürzten Inhalten.)

Zu beachten ist auch, dass neue Internet-Technologien wie HTML 5 die plattform-übergreifenden Fähigkeiten mobiler Websites deutlich verbessern werden. Wir sehen bereits jetzt mobile Websites von Herausgebern der Financial Times und dem Playboy mit einem UI-Design, das dem von Apps, die von vergleichbaren Zeitungen und Zeitschriften herausgegeben werden, sehr ähnelt.

FT und Playboy geben derzeit ihre mobilen Websites nicht aus Gründen der UI, sondern aus geschäftlichen Gründen heraus. Die Herausgeber haben es satt, dass grosse Anteile ihrer Einkünfte aus Abonnements von den App-Stores einkassiert werden und der Playboy möchte auch solche Inhalte herausgeben, die den prüden Zensoren von Apple zu heikel sind.

Der Schutz vor Zensur und die Freiheit, das eigene Geld behalten zu können, sind gute Gründe dafür, im freien Internet zu bleiben und die eingezäunten Gärten der proprietären App-Stores zu meiden. Zukünftig werden auch die bessere UI und adaptive Anwendungen zusätzliche Gründe dafür liefern, sich auf mobile Websites zu konzentrieren.

Ein letzter Vorteil der Mobile-Websites-Strategie liegt in der besseren Integration mit dem ganzen Internet. Es ist so viel einfacher für andere, eine Website zu verlinken als die Anwendung einer dritten Partei mit einzubeziehen. Auf lange Sicht wird das Internet kleine, abgeschlossene Bereiche verdrängen.

(Die Apps mögen vielleicht besser bleiben für Aufgaben, die reich an Funktionen sind, wie z. B. das Bearbeiten von Bildern - wogegen mobile Websites sich besser für Dinge wie E-Commerce/M-Commerce, Firmenauftritte, Nachrichten, medizinische Informationen, soziale Netzwerken etc. eignen, die zwar reich an Inhalten sind, aber keine intensive Bearbeitung von Daten erfordern.)

Wann wird der Wechsel kommen?

Nun zur 64.000-Euro-Frage - oder, passender für viele Unternehmen, die 1-Million-Euro-Frage: Wann wird der empfohlene Wechsel denn kommen? Mit anderen Worten: Wann wird die Nachfrage nach mobilen Websites so stark sein, dass es sich lohnt, die Apps aufzugeben?

Leider weiss ich das auch nicht. Die Erkenntnisse der Usability können uns sagen, was unter verschiedenen Umständen am besten für die Nutzer ist, aber sie können nicht vorhersagen, wann sich diese Umstände in der Echtwelt durchsetzen. Meine Erfahrung sagt mir, dass sich die Dinge langsamer ändern als man gemeinhin glaubt.

Zum Beispiel habe ich im September 2000 gesagt, dass die mobile Usability ein Gerät braucht, das einem Stapel Spielkarten ähnelt (engl.) und "die Tasten abschafft, um jeden verfügbaren Quadratmillimeter für Pixel zu nutzen." Ein paar Monate später sagte ich voraus, dass die Verliebtheit der europäischen Hersteller in Handys ohne Internetfunktion (engl.) dazu führen wird, dass der Kontinent die Vorherrschaft in der mobilen Technologie verlieren wird.

Beide Vorhersagen trafen zwar ein, aber erst sieben Jahre später, als das iPhone endlich eingeführt wurde - und zwar (a) als ein Gerät, das fast die gesamte Oberfläche für Daten verwendet, und (b) als Produkt eines Computerherstellers und nicht eines Telefonherstellers.

2001 war es noch schlimmer, als ich dachte: "Mobile Geräte werden bald nützlich sein." (engl.) Gut, wenn Sie unter "bald" sechs Jahre verstehen :-(

Gutes mobiles Design war so nah, dass ich es auf der Zunge schmecken konnte. Ich wusste, was man eigentlich brauchte und hätte nicht gedacht, dass es so schwierig sein würde, es auch zu tun. Aber es gilt die Bergsteigerweisheit: Man sollte eine klare Sicht nicht mit Nähe verwechseln. Ich habe ja in meiner Retrospektive über die ersten zehn Jahre der Alertbox zugegeben: Wenn ich beim Timing daneben lag, dann meist, "weil ich zu enthusiastisch war, wenn es um das Potential einer neuen Technologie ging. Aber wenn ich richtig lag, lag es meist daran, dass ich konservativ war."

Um zum Schluss zu kommen: Ich glaube, dass auf lange Sicht die mobilen Websites den mobilen Apps den Rang ablaufen werden. Aber wann das geschehen wird, ist weniger sicher. Heute rate ich Ihnen, eine App zu entwickeln, wenn Sie wirklich das bestmögliche mobile Nutzererlebnis erreichen wollen.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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