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02.03.2003

Persuasives Design: Ein neues Buch zum Thema "Captology"

Diese Alertbox enthält eine kritische Würdigung des neuen Buches "Persuasive Technology" von B.J. Fogg, welches zweckmässige Richtlinien für die Gestaltung persuasiver Designs aufstellt. Es werden im Buch aber nur wenige Design-Richtlinien detailliert dargestellt. Die Ausnahme ist der Abschnitt über die Steigerung der Glaubwürdigkeit von Webseiten.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 03.03.2003

 

Es ist eines der seltenen Bücher, die eine neue Disziplin definieren respektive die Art und Weise, wie wir über Technologie und unsere Jobs denken, fundamental verändern. Dr. B.J. Fogg's neues Buch "Persuasive Technology: Unser Denken und Tun durch die Nutzung von Computern ändern" ist aus folgenden zwei Gründen sehr empfehlenswert:

  • Die Designempfehlungen werden sich erfolgsversprechend auf ihr Unternehmen auswirken.
  • Sie müssen Ihren Kindern die Thematik der persuasiven Technologie beibringen, damit sie diese neue Art der Manipulation erkennen können.

Human Factors verändern sich langsam

Human Factors ist ein angesehener Beruf mit einem gut dokumentierten Fundament, welches sich über Jahre hinweg kaum verändert. Wenn man die grundlegenden Prinzipien und Theorien einmal erlernt hat, kann man sie auf jede neue Technologie applizieren. Bei Human Factors geht es unter anderem auch um das menschliche Verhalten, und für den Homo Sapiens gibt es kein Gesetz, ähnlich wie "Moore's Law", seine Fähigkeiten alle 18 Monate zu verändern.

Weil die Grundregeln der Human Factors sehr stabil sind, sind die besten Bücher auch bereits Ende der 80iger und Anfang der 90iger Jahre geschrieben worden. Eine Zeit also, in der die Usability-Forscher die früher eher akademische Disziplin festigten und sie für Praktiker zugänglich machten. Zwei grosse Geschichten dieser Zeit:

  • 1975-1983: Während dieser Zeit verschob sich der Fokus von militärischen Design-Problemen auf die Mensch-Maschine Interaktion.
  • 1989-1994: Man stellte fest, dass günstige Usability-Engineering Schritte erfolgreicher sind als die früheren Methodenlehren, und die so genannte Usability-Inspection wurde fester Bestandteil des Usability-Toolkits.

Das Wachstum der Web-Usability von 1994 bis 2000 hatte sehr grosse praktische Auswirkungen, brachte aber keine neuen theoretischen Erkenntnisse. Wir setzten die Methoden ein, die wir bereits kannten und prüften Websites, um die Dummheiten zu dokumentieren, welche die frühen Tage des "Killer Designs" beherrschten.

Persuasive Interaktion

Nach zehnjährigem Ankämpfen gegen das nutzerfeindliche Design, das uns übrigens in der HCI nicht sehr viel weiter gebracht hat, hat Dr. Fogg nun mit seinem Werk "Captology - Computer als persuasive Technologie" eine neue Grenze auf diesem Gebiet durchbrochen.

Überredungskünste an sich sind nicht neu. Von Ciceros Beredsamkeit bis zu den modernen TV-Werbungen haben die Macher versucht, das Publikum zu überreden. Anders ist nun, dass Websites und andere computerbasierte Designs über die Einweg-Rhetorik hinausgehen und interaktiv werden. Für die meisten Menschen ist nämlich die eigene aktive Handlung verpflichtender und überzeugender als das passive Erhalten von Nachrichten.

Dr. Fogg forscht seit vielen Jahren im Bereich der "Captology" und bietet uns so viele interessante Beispiele des persuasiven Designs an, sowohl von Websites als auch von anderen Informationsgeräten. Das Buch enthält auch viele Richtlinien, die einem aufzeigen, wie man auf eine systematische Art und Weise das eigene Design persuasiver gestalten kann. Allerdings sind diese Regeln nicht ausführlich genug, um als genormte Design-Richtlinien zu gelten. Es ist auch nicht so, dass alle Richtlinien auf alle Designprobleme zutreffen würden. Und klar ist auch, dass die Ratschläge des Buches noch etwas vage formuliert sind, da das Feld der "Captology" noch am Anfang der Entwicklung steht.

Ein Beispiel dazu: Eine Grundregel des Buches sagt aus, dass Informationen anwendergerecht zugeschnitten werden sollten, damit sie auf die spezifischen Belange des Anwenders zutreffen. Eine Website, die z.B. Steuervergünstigungen vorschlägt, könnte die Einsparungen berechnen, die der Nutzer aufgrund eines neuen Steuergesetzes gewinnen würde. Dies wäre überzeugender als nur ganz allgemein über eventuelle Kürzungen von Steuern Auskunft zu geben. Vor allem deshalb, weil die spezifische Information für den Anwender wertvoller ist als generelle und der Anwender zudem noch aktiv in die Interaktion mit einbezogen wird.

Ähnlich könnte auch eine Finanz-Website die Grundregeln der Simulation bezüglich Ursache und Wirkung nutzen, um den Nutzer dazu anzuregen, mehr Geld für den Ruhestand zu sparen. Die Simulationen könnten in diesem Fall sowohl symbolisch als auch realistisch sein. Beispielsweise könnte für verschieden hohe monatliche Investitionen eine Kurve mit einem ansteigendem Wachstum der Rente und einem Foto von den jeweiligen Hotels auf Hawaii abgebildet werden, die sich der Anwender leisten könnte, wenn er in Rente geht.

Die Glaubwürdigkeit des Webs: Der nützlichste Teil des Buches

Der brauchbarste und auch sofort nutzbare Teil des Buches ist ein Abschnitt über die Glaubwürdigkeit. Er enthält eine Auflistung, die aufzeigt, wie 51 verschiedene Designelemente die Glaubwürdigkeit der Website stützen oder aber negativ beeinflussen können. Die vier schädlichsten Elemente sind:

  • Links, die nicht funktionieren (-1.3 auf einer 7-Punkte Glaubwürdigkeitsskala)
  • Seiten, die selten aktualisiert werden (-1.7)
  • Links zu Seiten, deren Glaubwürdigkeit leiden (-1.8)
  • Werbung, die sich nicht vom Inhalt unterscheiden lässt (-2.1)

Beachten Sie, dass das Thema Links zwei der schädlichsten vier Punkte betrifft. Wahrscheinlich haben die meisten Firmen keine Strategie für das Verlinken von Seiten. Links sind aber die Grundlage des Internets und sind es deshalb wert, überdacht zu werden. Gute Links erhöhen die Glaubwürdigkeit genauso, wie sie schlechte Links verringern.

Viele von Dr. Foggs Entdeckungen wurden durch andere Untersuchungen bestätigt und sie erweisen sich deshalb als sehr glaubwürdig. Die Wichtigkeit des Verlinkens wurde zum Beispiel auch in unseren Studien wie Anwender das Web lesen hervorgehoben.

Eine ebenfalls wichtige Grundregel der Glaubwürdigkeit ist diejenige des Gefühls der Echtheit. Die Glaubwürdigkeit einer Website steigt, wenn die Menschen und die Organisation, die hinter der Webseite stehen "real" abgebildet werden. Diese Grundregel bewahrheitete sich auch während unseren Usabillity-Tests von E-Commerce Webseiten. Anwender haben beispielsweise eher Kaffee gekauft, wenn ein Foto des Kaffeerösters des Unternehmens auf der Website aufgeführt wurde. Die Ausstattung des Unternehmens zu sehen erhöhte das Vertrauen darauf, dass das Unternehmen auch wirklich Kaffee verkauft und den Kunden ein Päckchen zu kommen lassen würde, falls eine Bestellung aufgegeben würde.

Web Persuasion liegt im Trend und das persuasive Design wird noch einen grösseren Einfluss haben, wenn es enger in unsere Umgebung einbezogen wird, vor allem dann, wenn wir den PC als Mittelpunkt der Interaktion und als Hauptschauplatz des Internets verlassen.

Fogg hebt das Potenzial der "Captology" für mobiles Design hervor, welches dazu in der Lage wäre, analog der Kairo-Grundregeln, zum richtigen Zeitpunkt bestimmte Vorschläge zu offerieren. Anderes, situationsabhängiges Design könnte davon auch profitieren. Beispielsweise könnte die interaktive Speisekarte die kleinen Herzchen, die gesundes Essen symbolisieren, durch personifizierte Bildchen ersetzen, die diejenigen Speisen hervorheben, die mit der Diät oder den Essgewohnheiten der Person übereinstimmt. Sei dies nun Atkins, vegetarisch oder die Notwendigkeit, bestimmte Nüsse zu vermeiden. Unabhängig davon, wie komplex die Vorlieben einer Person sind, Computer sind in der Lage, das Problem zu bewältigen und so die Essenden zu mehr abenteuerlichen Bestellungen zu überreden, anstatt immer bei altbekannten Menüs zu bleiben.

Ist die persuasive Technologie ethisch vertretbar?

Eigentlich ist diese Frage irrelevant. Da nun das Buch veröffentlich worden ist, besteht kein Zweifel, dass Unternehmen die Grundregeln aufnehmen und sie auf ihren Webseiten oder anderen interaktiven Technologien einbinden werden. Persuasive Technologie werden kommen - das ist der Grund, warum ich glaube, dass einer der Hauptnutzen von Foggs Buch derjenige ist, dass betroffene Eltern ihren Kindern helfen können, interaktive Persuasionen zu erkennen und damit umzugehen.

Die Überzeugungsfähigkeiten von nicht interaktiven Propagandafilmen und Fernsehwerbungen kennen wir seit Langem. Und, genauso wie mit anderen Medien, wird es nicht entscheidend sein, ob Eltern persuasive Interaktionen mögen oder nicht: Es wird sie geben, und sie werden damit umgehen müssen.

Eine Art der persuasiven Technologie, die ganz klar ethisch vertretbar ist, ist wenn Nutzer darum bitten, überredet zu werden. In vielen Fällen wissen Sie, was gut für Sie ist, haben aber vielleicht nicht die Willensstärke, die eigenen Ziele zu erreichen. Interaktive Systeme könnten ihren Fortschritt mitverfolgen und sie gegebenenfalls dazu motivieren, es besser zu machen.

Ein aktuelles Beispiel ist die Website der Firma FitLinxx, die mit den Übungsgeräten zahlreicher Sportstudios verbunden ist und so ermitteln kann, wie viel Gewicht sie heben und wie viele Kalorien sie bei jedem Workout verbrennen. Nebst dem guten Beispiel für die Verknüpfung der physischen und der "online" Welt illustriert die Website FitLinxx auch beispielhaft die persuasive Technologie. Das einfache Nachverfolgen ihres Fortschritts und das Abgleichen von Statistiken mit ihren individuellen Zielen kann sie nämlich dazu bringen, mehr zu trainieren.

Ähnlich könnte ein wie Harry-Potter sprechender Kühlschrank mit Know-how ausgestattet und mit dem Fitnesscenter verbunden werden. Er würde zum Beispiel sagen: "Das ist der dritte Snack heute; Sie haben gestern nicht genug trainiert, um soviel essen zu können". Diese ermahnende Stimme (genau zum richtigen Zeitpunkt) könnte ihnen helfen, bei ihrer Diät zu bleiben.

Die ethische Grauzone

Andere Anwendungen persuasiver Technologie, bei denen Leute mit guten Absichten Entscheidungen für andere treffen, liegen eher in der Grauzone, sind aber in vielen Fällen wahrscheinlich noch ethisch vertretbar. Beispielsweise könnten Eltern und Ärzte zuckerkranken Kindern Vorgaben machen, die die Kinder dazu veranlassen könnten, ihre Nahrungsaufnahme zu kontrollieren. Zusätzlich könnten die Kinder dazu motiviert werden nur das zu essen, was ihnen nicht schadet.

Kranken Kindern dabei zu helfen, ihre Gesundheit zu verbessern ist mit Sicherheit ethisch, aber was ist mit denjenigen Eltern, die mit genau gleich guter Absicht ihren Kindern sprechende Plüschdinosaurier schenken, welche ihnen die Idealvorstellungen der Eltern eintrichtern: "Räum dein Zimmer auf" oder "es macht Spass, gemeinsam zu spielen" mag ja noch akzeptabel sein, aber was ist mit den mit Vorurteilen behafteten Wertehaltungen?

Jemanden zu überreden ist ganz klar unethisch, wenn es auf einer Täuschung aufbaut. Ein aktuelles Web-Beispiel sind Bannerwerbungen, die versuchen, Anwender zu überzeugen bestimmte Websites zu besuchen, indem sie sich als Dialogboxen ausgeben. Diese Werbungen fördern ein bestimmtes Verhalten, nicht indem sie versuchen, den Anwender zu überzeugen, dass es ein gutes Verhalten ist, sondern indem sie die Anwender im Glauben lassen, etwas zu tun, was sie in Wirklichkeit gar nicht machen.

Dies wäre ethisch vertretbar, wenn man als Anwender aktiv darum gebeten hat; unethisch, wenn es trügerisch ist. Damit bleibt eine beträchtliche Mehrheit des persuasiven Designs in der Grauzone. Es ist sehr schwierig, die Ethik der Persuasion auf Grund der im Design eingebetteten Werte zu beurteilen. Denn wenn Sie die Werte teilen, werden Sie es genehmigen. Wenn Sie damit nicht übereinstimmen, werden Sie es missbilligen. Dr. Fogg's Kapitel über ethische Werte bietet eine tiefere Analyse als meine paar herausgegriffenen Stichpunkte, aber ich denke, er lässt die Frage der Ethik ungelöst.

Für gewöhnlich löst die Usability nicht viele ethische Dilemmas aus. Bei traditionellen Usability-Projekten, die zum Ziel haben, eine Website einfacher zu machen, damit sowohl der Kunde als auch die Firma profitiert, braucht man sich nicht all zu viele Sorgen zu machen. Das persuasive Design ist klar komplexer und wir brauchen wahrscheinlich noch einige Bücher und viele Fallstudien, bevor wir uns über die Frage der Ethik klar werden. Für den Moment bleibt es ganz klar ein Problem, das wir beachten müssen.

Das Buch

B.J. Fogg, Pesuasive Technology: Using Computers to Change What We Think and Do, Morgan Kaufmann Publischers, 2003; ISBN 1-55860-643-2.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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