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24.09.2006

Sechs Wege, eine irritierende Informationsarchitektur richtig zu stellen

Wenn die Nutzer Ihrer Website permanent in falsche Bereiche gehen, haben Sie viele Möglichkeiten, sie wieder auf den richtigen Weg zurückzubringen, von besseren Bezeichnungen bis zu einer klareren Struktur.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 25.09.2006

 

Neulich haben wir Nutzertests mit einer Website gemacht, die für ein spezielles Produkt entwickelt worden ist. Solche "Ein-Produkt"-Websites haben oft wegen ihres klaren Fokus eine gute Usability, aber auch da kann es Probleme geben, wie unsere Studie gezeigt hat.

Eines der grösseren Probleme, das unser Test aufgezeigt hat, bestand darin, dass die Nutzer bezüglich zweier Bereiche in der Informationsarchitektur (IA) der Website irritiert waren: "Produkt X allgemein" und "Produkt X nutzen". ("Produkt X“ ist natürlich nicht der wirkliche Name des Produktes; da es ein Kundenprojekt war, muss ich die Details vertraulich behandeln.)

Während den Tests haben 8 Nutzer die Website mit verschiedensten Aufgaben getestet. Bei sieben dieser Aufgaben war es erforderlich, dass die Nutzer entweder zu Produkt X Basics oder zu Produkt X nutzen gehen mussten.

Die folgende Tabelle zeigt, welche Bereiche die Nutzer zuerst besucht haben. Die Zellen, die eine korrekte Wahl im Sinne der Aufgabe anzeigen, sind je nach dem ersten Klick des Nutzers farblich gekennzeichnet:

  • Grün zeigt an, dass wenigstens zwei Drittel der Teilnehmer sofort den korrekten Link benutzt haben
  • Gelb zeigt an, dass zwischen einem und zwei Drittel der Nutzer sofort den korrekten Link benutzt haben und
  • Rot zeigt an, dass weniger als ein Drittel der Nutzer beim ersten Versuch korrekt geklickt haben.
AufgabeProdukt X
Basics
Produkt X
nutzen
Andere Rubriken
der Website
A44 (korrekt)0
B6 (korrekt)20
C2 (korrekt)60
D3 (korrekt)14
E08 (korrekt)0
F0 (korrekt)26
G22 (korrekt)4


Bei insgesamt 56 Versuchen sind die Nutzer nur in 25 Fällen sofort in den korrekten Bereich gegangen - also in nur 45% der Fälle. (Die Erfolgsrate war schlussendlich höher, weil die Nutzer in manchen Fällen ihren Fehler erkannt und dann den korrekten Bereich gefunden haben.)

In diesem Fall haben wir durch Nutzertests ein IA-Problem entdeckt, das zu vielen Navigations-Fehlern führte. Wenn Sie schon im Voraus wissen, dass Sie ein IA-Problem haben, und sich beim Testen auf dieses Problem konzentrieren wollen, können Sie eine Card-Sorting-Studie durchführen. Bei den meisten Projekten bevorzuge ich allerdings einen offenen Ansatz und greife zu Standard-Nutzertests, die alle Design-Aspekte abdecken. In diesem Fall zum Beispiel haben wir Probleme jenseits der IA gefunden, etwa beim Webtext, beim visuellen Design, bei Formularen, bei Fehlermeldungen und bei einem Dienst, der schwer zu verstehen war.

Das Problem diagnostizieren

Wenn die Nutzer in den meisten Fällen den falschen Bereich auswählen, hat Ihre Website offensichtlich ein IA-Problem. Unsere Beispiel-Website hatte zwar auch andere IA-Probleme, aber das grösste Problem hatte mit den beiden Website-Bereichen zu tun, die in der Tabelle gezeigt werden:

  • "Produkt X Basics": enthielt Hintergrund-Informationen über das Produkt X, etwa was gut ist am Produkt X und was man mit den Produkt X-Funktionen machen kann; und
  • "Produkt X nutzen": enthielt Informationen, um Leuten, die das Produkt bereits besassen, zu helfen, das Produkt X besser an ihre Bedürfnisse anzupassen.

Die Unterscheidung dieser beiden Kategorien macht Sinn, aber nur, wenn man ein starkes konzeptionelles Modell hat - was Kunden selten haben. Die meisten Nutzer haben einfach losgeklickt, statt erst lange darüber nachzudenken, wie die Designer der Website wohl die Welt sehen.

Sechs Korrekturen

Die Designer unserer Beispiel-Website haben verschiedene Möglichkeiten, die Missverständnisse der Nutzer in Sachen IA auszuräumen. Sie können

1. die beiden Bereiche zu einem Bereich vereinigen, damit die Nutzer nicht mehr zwei ähnliche Optionen zur Verfügung haben und dann versehentlich die falsche erwischen. Nutzer, die vorher zu "Produkt X Basics" oder "Produkt X nutzen" gegangen sind, würden nicht notwendigerweise direkt in den neuen, vereinigten Bereich gehen, um Informationen zu finden. Allerdings können wir annehmen, dass grob gesagt die gleiche Anzahl Leute, die zuerst die getrennten Bereiche besucht hat, den vereinigten Bereich auswählen würde, wodurch wir eine Erfolgsrate von 75% erhielten. Dieser Prozentsatz könnte sich noch als grösser herausstellen, da der vereinigte Bereich Besucher anziehen könnte, die bei den Aufgaben D, F und G in andere Bereiche gegangen sind. Freilich könnte er auch zu attraktiv werden und Klicks von Nutzern bekommen, die eigentlich anderswohin gehen müssten. Das können nur zusätzliche Tests aufzeigen.

Die (ausgesprochene) Kehrseite wäre, dass die Vereinigung der beiden Bereiche einen grösseren, komplexeren Bereich erzeugen würde. Dieser neue Bereich hätte doppelt so viele Inhalte wie die beiden alten Einzelbereiche. Im Ergebnis würden die Nutzer mit grösserer Wahrscheinlichkeit in dem neuen Bereich verloren gehen und mehr Zeit brauchen, um die Übersichtsseite des Bereichs nach dem gewünschten Unterthema zu durchsuchen.

2. die existierenden Bereiche umbenennen. Andere Bezeichnungen könnten den Unterschied zwischen den beiden Produkt X-Bereichen klarer machen und es wahrscheinlicher machen, dass die Nutzer den richtigen anklicken. In diesem Fall ist es unwahrscheinlich, dass die Lösung funktio­nieren würde, weil die beiden Bereiche in sich einander zu ähnlich sind, als dass ein einzelner Begriff den Unterschied klar bezeichnen könnte. Bei anderen Websites allerdings kann eine einfache Umbenennung der Bereiche mit Worten, die eine viel stärkere Informationsfährte besitzen, den Erfolg der Nutzer stark steigern. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Originalbezeichnungen künstliche Begriffe waren und durch vertraute Worte ersetzt werden, die die Leute verstehen.

3. die beiden Alternativen erläutern. Anstelle von (oder zusätzlich zu) neuen Bezeichnungen können Sie den Nutzern helfen, indem Sie ihnen in der Nähe der Navigationspunkte Zusatzinformationen anzeigen. Manchmal helfen Bilder, vor allem wenn Sie Kategorien für zwei ausgesprochen verschiedene Produkte haben. In anderen Fällen könnten eine oder zwei Zeilen Text über jede Option erklären, was gemeint ist. Das kann eine reine Darstellung sein, aber oft ist es besser, ein paar typische Beispiele für die Informationen aufzuzählen, die in der jeweiligen Kategorie stecken.

Sicher, wir wissen, dass die Nutzer nicht viel online lesen wollen, Kürze ist also geboten. Ausserdem ist normalerweise die Startseite der einzige Ort, an dem man solche Erläuterungen unterbringen kann; die Navigationsmenüs müssen für sich alleine stehen. Für Nutzer, die über einen Querlink auf die Website kommen oder sich entschieden haben, nach Erledigung ihrer ersten Aufgabe auf der Website zu bleiben, sind klare Navigationsbezeichnungen ein Muss.

4. die Website umstrukturieren. In unserem Fallbeispiel könnten die Designer die Inhalte der beiden problematischen Bereiche in anderer Weise aufteilen, so dass sie besser mit den Nutzern harmonisieren. Alternativ könnten Sie die ganze Website umstrukturieren, damit auch Fälle wie die Aufgabe F geklärt werden, bei der die meisten Nutzer in den falschen Bereich gegangen sind. Das Umstrukturieren der Website macht natürlich viel mehr Arbeit, weshalb man selten zu diesem Mittel greift.

5. die Inhalte verschieben. In Fällen wie bei Aufgabe C, wo die meisten Nutzer geradewegs in den falschen Bereich gegangen sind, können Sie die gesuchten Inhalte einfach an die Stelle verschieben, wo die Leute sie suchen. Der potenzielle Nachteil dabei wäre, dass das die Integrität der Strukturprinzipien der Website untergraben könnte, was es auf längere Sicht für die Nutzer schwieriger machen könnte, die Struktur zu handhaben. Aber oft ist es genau so angemessen, die Informationen einfach auf den anderen Fleck zu stellen. Wenn das der Fall ist, dann tun Sie’s.

6. Querverweise hinzufügen. Am Ende sehen Sie vielleicht ein, dass Sie niemals die perfekte IA haben werden, bei der jeder Besucher immer sofort das Richtige anklickt. Auch wenn es ein Gemurkse ist, Sie können jeweils Elemente einbauen, die verbreitete Fehler überbrücken, bevor sie sich zu regelrechten Usability-Katastrophen hochschaukeln. Das Web beruht auf Hypertext, also gibt es keinen Grund, sich den Zwang aufzuerlegen, dass die Nutzer immer nur auf einem Weg an wichtige Informationen herankommen. Wenn Sie wissen, dass viele Nutzer in den falschen Website-Bereich gehen, bauen Sie dort einen Querverweis ein. Sicher, jeder Extra-Link ist eine zusätzliche Funktion, die die Nutzer abbremst, die nicht in den anderen Bereich wollen; setzen Sie Querverweise also mit Augenmass ein.

Welche der sechs möglichen Korrekturen sollen Sie nun nehmen? Leider gibt es darauf keine einzige Antwort. Die beste Lösung ist normalerweise eine Kombination mehrerer Änderungen, etwa die Bereiche umbenennen, manche Inhalte verschieben und ein paar Querverweise hinzufügen, um die verbleibenden Probleme zu lösen. Manchmal können Sie auch mit einem brillanten Rahmenplan zur Umstrukturierung der gesamten Website landen und allen in einem Aufwasch weiterhelfen.

Gerade bei solchen Design-Dilemmata ist Usability oft die letzte Rettung: Anstatt in teuren Team-Sitzungen endlos viel Zeit mit Argumenten für die eine und für die andere Lösung zu verschwenden, basteln Sie einfach zwei oder drei Papierprototypen mit den erfolgversprechendsten Lösungen zusammen und testen sie mit einem neuen Satz von Nutzern. Das ist ein schneller und einfacher Weg, um herauszufinden, welche Lösung bei Ihren speziellen Umständen am besten funktioniert.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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