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04.08.2013

Tablet-Usability

Vor allem die flache Darstellung und schlecht skaliertes Design sind die beiden Stolperfallen bei der Tablet-Usability, gefolgt von schlechter Gestensteuerung und schlechten Arbeitsabläufen.

Frau mit Tablet

© Francesco83 - Fotolia.com

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 05.08.2013

 

Wir haben mittlerweile sechs Runden von Usability-Studien mit Tablet-Nutzern hinter uns. Die gute Nachricht: Die Tablet-Usability steht ziemlich solide da und hat sich seit den ersten, völlig durchgeknallten iPad-Apps, die die Nutzer oft genug in den Wahnsinn getrieben haben, deutlich verbessert.

Wir haben verschiedene Generationen von grossen und kleinen iPads getestet, viele Android-Tablet-Modelle (einschliesslich des Kindle Fire) und einige Windows-Tablets (einschliesslich Microsoft Surface). Wir haben festgestellt, dass die meisten Websites auf einem Tablet-PC gut zu verwenden sind und nur einige wenige Anpassungen notwendig sind, um dieser Umgebung gerecht zu werden. (Wohingegen die Verwendung von Websites auf Mobiltelefonen viel mehr Designmodifikationen erfordert, um mit den kleineren Bildschirmen zurechtzukommen.)

Auf die Frage, wie sie ihr Tablet verwenden, haben die meisten Menschen geantwortet, dass sie es hauptsächlich fürs Surfen im Internet nutzen. Das hat uns nicht überrascht.

Anwendungen, die auf die Nutzung mit dem Tablet ausgerichtet sind, haben zwar noch immer viele Usability-Mängel, aber die Probleme sind eigentlich die gleichen, die auch bei traditionellem Applikationsdesign vorkommen: schwierige Funktionen, mangelnde Übereinstimmung mit den Arbeitsabläufen der Nutzer und schlechte Anleitungen, welche die Menschen ohnehin nicht lesen.

Anwendungen mit sehr guter Usability zu entwerfen und zu entwickeln macht viel Arbeit und die Tablet-Apps werfen noch weitere Probleme auf, zum Beispiel die Anforderung, dass die Nutzeroberfläche auf verschiedenen Tablet-Modellen laufen muss. Deshalb, und angesichts der Beliebtheit und Leichtigkeit, mit der Websites auf Tablets verwendet werden, steht die Frage, warum die Unternehmen überhaupt eine Tablet-App anbieten wollen. Tatsächlich raten wir den meisten Firmen, sich an ihre Website zu halten und die Ressourcen lieber in die Verbesserung der Internet-Usability zu stecken, die bei vielen Unternehmen noch immer schwächelt.

Sie sollten nur dann eine Tablet-App entwickeln, wenn diese gegenüber Ihrer Website eine Funktionalität mit Mehrwert aufweist, indem sie zum Beispiel nur eine einzige wichtige Aufgabe erfüllt.

Sie sollten in jedem Fall vermeiden, Ihre Tablet-App aus einer aufgeblasenen Smartphone-App heraus zu entwickeln. Wir haben schon hunderte von Apps gesehen (meistens bei Android), die die Bildschirmgrösse schlecht nutzen, indem sie Tablet-Nutzern das gleiche einfache Design bieten wie Smartphone-Nutzern.

Die Rache der Frames

Schon 1996 habe ich die Verwendung von Frames (engl.) im Webdesign verurteilt. Natürlich sieht man die schrecklichen Frames von damals nur noch selten; verbesserte Designtechniken wie Inline-Frames und Parallaxen-Scrollen erreichen das gleiche mit besserer Usability.

Aber ähnlich wie Zombies erstehen manche schlechten Design von den Toten auf und suchen die Nutzer wieder heim: Frameartige Konzepte verursachen bei vielen modernen Tablet-Designs Usability-Probleme. Zwei weitverbreitete Probleme sind Designs mit geteilten Bildschirmen und temporäre Frames für Suchergebnisse und ähnliches.

Im Vergleich zum Mobiltelefon wirkt ein Tablet riesig, aber man sollte nicht vergessen, dass es immer noch ein kleiner Bildschirm ist, der eben nicht in kleinere Bereiche oder Spaltenansichten aufgeteilt werden sollte, es sei denn, die Nutzer müssen wirklich auf zwei verschiedene Informationstypen gleichzeitig zugreifen. Jedes Mal, wenn Sie einen Teil des Bildschirms abteilen, bleibt weniger Platz übrig, um die Inhalte zu zeigen.

Die Internet-Usability sickert durch

Bedenkt man die heutige Dominanz des Internets bei der Computernutzung, ist es nicht verwunderlich, dass Konzepte des Nutzererlebnisses aus dem Internet durch die Plattformgrenze durchsickern und die Nutzung von Tablet-Apps beeinflussen. Die beiden wichtigsten Beispiele sind hier die Dominanz der Suchfunktion und der Rückgriff auf die Zurück-Schaltfläche.

Die Nutzer wollen häufig auf einem Tablet suchen; sie wollen ausserdem zu ihren Suchergebnissen zurückkehren. Leider bieten viele Apps keine richtigen Suchergebnisseiten als primäres Navigationsobjekt an, zu dem die Nutzer einfach zurückkehren können. Stattdessen werden die Suchergebnisse in einem dieser Zombie-Frames gezeigt und sind schnell wieder vom Bildschirm verschwunden.

Der Zurück-Button war lange die Rettungsleine (engl.) der Nutzer im Internet; und wenn er irgendwo hingehört, dann in Tablets, wo es auf dem berührungsgesteuerten Bildschirm häufig zur versehentlichen Aktivierung von Funktionen kommt. Leider deckten unsere Tests auch bei Apps, die über einen Zurück-Button verfügen, immer wieder Usability-Probleme auf: Manchmal war die Funktion einfach schwer zu finden, manchmal wurde auch, anders als erwartet, die letzte Aktion des Nutzers nicht rückgängig gemacht.

Probleme mit den Gesten

Gestengesteuerte Nutzeroberflächen (engl.) weisen einige inhärente Probleme auf, welche die Tablet-Apps minimieren müssen:

  • Versehentliche Aktivierung: Die Nutzer berühren oft Dinge aus Versehen und müssen das Ergebnis rückgängig machen können.
  • Mehrdeutiges Wischen: Wenn der Bildschirm in Bereiche aufgeteilt ist (wie die Frames, vor denen ich gewarnt habe), kann die gleiche Geste verschiedene Auswirkungen haben, je nachdem, wo sie landet. Dieses Problem wird durch den Trend zum flachen Design verstärkt, da hier die Bereiche nicht klar voneinander abgegrenzt sind.
  • Unsichtbarkeit: Die Nutzer sehen die Geste nicht, die sie gerade gemacht haben und manchmal sehen sie nicht einmal, wo sie etwas berühren sollen. Auch hier verschlimmert die flache Darstellung das Problem.
  • Schlechte Erlernbarkeit: All diese Probleme zusammengenommen machen es schwierig, die Gesten zu erlernen. Fortgeschrittene Gesten sind oft auch gar nicht bekannt, da nur wenige Nutzer über einfaches Tippen, Drücken, Wischen, Ziehen und Auseinanderziehen hinausgehen.

Trotz dieser inhärenten Probleme haben die meisten Tablet-Apps, die wir getestet haben, die Gesten ziemlich gut umgesetzt. Der übertriebene Skeuomorphismus der Anfangszeit wurde ebenfalls überwunden.

Lauernde Gefahren

Die zwei wichtigsten Gefahren für Tablet-Usability sind:

  • Das flache Design. Warum will man den Nutzern nicht mehr erlauben, einfach zu sehen, was sie tun? Wir brauchen einen goldenen Mittelweg zwischen Skeuomorphismus und dem völligen Fehlen deutlicher Hinweise auf Bedienelemente.
  • Neu skaliertes Design. Die meisten Android-Designs passen nicht auf die eigentliche Bildschirmgrösse des Tablets, ob sie nun von einem grösseren Bildschirm aus eingeschrumpft oder von der Grösse eines Smartphone-Bildschirms her aufgeblasen wurden. (Schlecht skalierte Designs kommen bei iPads oder Windows-Tablets weniger häufig vor, wahrscheinlich wegen der geringeren Auswahl an Modellen.)

Die Gefahr des flachen Designs ist eine vorübergehende Modeerscheinung, die hoffentlich wieder vorbei ist, bevor sie den Nutzern (und Unternehmen) zu sehr schadet. Die zweite Gefahr wird noch länger im Gespräch bleiben, da sie in Ressourcenknappheit und der naiven Idee begründet liegt, dass ein einziges Design ausreicht, wenn es sich nur an die verfügbare Bildschirmgrösse anpasst.

 

Vollständiger Forschungsbericht: Tablet Website and Application UX (engl.)

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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