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06.07.2002

User Empowerment und der Fun-Faktor

Diejenigen Designs, welche die Nutzer einbinden und ihnen ein eigenständiges Handeln ermöglichen, erhöhen den Genuss und ermutigen die Anwender, Webseiten eingehend zu erforschen. Wenn das Ziel der Nutzerfreundlichkeit einmal erreicht ist, brauchen wir zusätzliche Usability-Methoden, um die Freude am Gebrauch weiter zu steigern.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 07.07.2002

 

Die Usability Bewegung wird manchmal dafür kritisiert, schwerfällig zu sein und langweilige starre Designs zu fördern. Der Vorwurf beruht hauptsächlich darauf, dass manche Leute Designkonventionen mit kreativen Einschränkungen gleichsetzen. Diese Gleichung geht jedoch aus folgenden zwei Gründen nicht auf:

Standards versus Designvorschriften

Es ist zwar richtig, dass Usability durch Konsistenz und Einhaltung von Designrichtlinien im Allgemeinen verbessert wird. Das heisst aber nicht, dass das Design immer gleich sein muss. Designkonventionen zielen vielmehr darauf ab, einen Fundus an Bausteinen zu schaffen, die von den Designern auf vielfältige und oft auch erfreuliche Weise kombiniert werden können.

Betrachen Sie die Sprache. Jedes Wort hat eine festgelegte Bedeutung, und wir kombinieren Wörter normalerweise anhand einer bestimmten Grammatik. Literatur, die den feststehenden Konventionen folgt, ist im Allgemeinen leichter zu lesen und erreicht so ein grösseres Publikum als experimentelle Avantgardeliteratur. Trotzdem sind nicht alle "konventionellen" Romane identisch: Obwohl sie eine standardisierte Sprache anwenden, können sie auf der Skala der Gemütsregungen jeden gewünschten Extremwert erreichen.

Usability = Einbindung

Der zweite Grund, warum Usability nicht das "Gegenteil von Spass" bedeutet, besteht darin, dass die Computernutzer am meisten Freude haben, wenn sie eigenständig handeln können und eingebunden werden. Es ist zum Beispiel sehr genussvoll, eine Webseite zu besuchen, die funktioniert und auf der jeder Klick praktisch wie von selbst geht. Im Gegensatz dazu wirkt eine Nutzerschnittstelle, die nicht das tut, was der Nutzer möchte, schwerfällig, unangenehm, vielleicht sogar ein wenig feindselig. Auch wenn der Designer zweifellos versucht hat, positive Gefühle zu erwecken. Die persönliche Erfahrung des Nutzers überwiegt alles, was der Designer in einem solchen Fall zu vermitteln versucht. Wenn es um das "Look-and-Feel" eines Designs geht, überwiegt immer das "Feel".

Ein Beispiel: Amazon.com verwendet assoziative Links, um den Besuch der Webseite als erfreuliche und lohnenswerte Erfahrung zu gestalten. Auf jeder Buchseite werden assoziative Links zu weiteren fünf Büchern aufgeführt, welche von Leuten gekauft wurden, die das Buch, für das man sich selbst interessiert, auch gekauft haben. Das Folgen dieser Links kann ein starkes Gefühl des Entdeckens hervorrufen. Dies mit dem Resultat, dass für den Einkauf bei Amazon oft viel mehr Zeit investiert wird als die Nutzungseffizienz-Matrix für den Kauf des Buches vorsehen würde.

Diese Art von Einbindung erfordert Usability. Wenn die Nutzer mit der Schnittstelle nicht zurechtkommen, fühlen sie sich eher unterdrückt als befähigt. Es ist unwahrscheinlich, dass sie in einem solchen Fall die Webseite weiter erforschen oder mehr Funktionen verwenden als unbedingt nötig. Im Web bedeutet dieses "Minimum" oft, dass sich der Nutzer nur eine oder zwei Seiten ansieht und sich dann abwendet - auf Nimmerwiedersehen.

Für eine unterhaltsame Aktivität ist zweifellos mehr vonnöten als die reine Fähigkeit, sie ausführen zu können. Auf der anderen Seite sind Computer heutzutage immer noch schwierig zu bedienen, und ein Grossteil des Webs wirkt wie riesiges Ödland. In Anbetracht dieser Tatsache kann ein gut gestaltetes Nutzererlebnis, das eigenständiges Handeln gestattet und den Nutzer einbindet, dem Anwender ein beträchtliches Vergnügen bereiten - und tut dies auch.

Methoden zum Testen der Zufriedenheit

Traditionelle Nutzertests sind eine ausgezeichnete Methode, um das Design von Nutzerschnittstellen auszutesten und jene Elemente ausfindig zu machen, die die Anwendung des Systems erschweren. Viel weniger entwickelt sind diese Testmethoden allerdings, wenn es darum geht, die unterhaltsamen Aspekte eines Designs zu erkunden. In der Vergangenheit war das nicht wirklich ein Problem, weil die Nutzerschnittstellen so schwierig zu bedienen waren, dass wir lediglich hoffen konnten, sie würden sich so weit verbessern, dass ihre Verwendung nicht mehr direkt unangenehm wäre. Webseitendesigns wichen so stark von den Bedürfnissen der Nutzer ab, dass die einfache Eliminierung aufgeblasener und nutzloser Designs die grosse Errungenschaft der Usability-Bewegung der letzten zehn Jahre war.

Nun, da wir vom negativ-geprägten Bestreben, schlechtes Design abzuschaffen, zum positiven Bestreben übergehen, gutes Design zu erlangen, müssen wir die Methoden so modifizieren, dass sie stärker auf befriedigende, einbeziehende und unterhaltsame Designelemente achten.

Die meisten aktuellen Studien beruhen auf klassischen und nicht vollständig zufriedenstellenden Methoden zur Feststellung des Genuss-Faktors:

  1. Ein subjektiver Zufriedenheitsfragebogen am Ende einer Studie, der eine einfache, gesamthafte Beurteilung des Systems liefert.
  2. Beobachtung der Körpersprache des Nutzers zur Feststellung von Zufriedenheit oder Missfallen (Lächeln oder Stirnrunzeln), aber auch Lachen, Brummen oder Bemerkungen wie "cool" oder "langweilig".

Ein geübter Beobachter kann anhand der zweiten Methode viel in Erfahrung bringen. Für weniger geübte Usability-Profis, also für die grosse Mehrheit derjenigen Personen, die weltweit Studien durchführen, ist sie eine schwache und möglicherweise irreführende Datenquelle.

Was die erste Methode anbelangt, so leiden subjektive Zufriedenheitsfragebogen allgemein unter dem Problem, dass sie ausserhalb des Kontexts angewendet werden: Sie stützen sich meist auf die Erinnerung des Nutzers an eine unterhaltsame Erfahrung und nicht auf das tatsächlich Erlebte in dem Augenblick. Dieses kann vermindert (wenn auch nicht ganz vermieden) werden, indem mehrere kleine Fragebögen bereits während des Tests ausgefüllt werden und nicht alle Fragen für einen grösseren Fragebogen am Ende des Test aufgespart werden.

Jenseits der Nutzerfreundlichkeit

Wie immer ist kein Verlass auf einfache, wortwörtliche Interpretationen der Nutzerstatements. So sagen Nutzer, die Firmenwebseiten testen, zum Beispiel fast immer, sie wären nicht auf Spass oder unterhaltsamen Inhalt aus: Ich suche möglichst direkte und schnelle Antworten auf meine Fragen. Und bei Untersuchungen des tatsächlichen Nutzerverhaltens beobachten wir mit Sicherheit auch negative Reaktionen auf anstössigen Content wie zum Beispiel grosse Fotos glamouröser Models oder sinnlose Animationen, die auf dem Bildschirm herumschwirren.

Gleichzeitig beobachten wir aber auch, dass die Nutzer lächeln oder andere positive körpersprachliche Signale senden, wenn sie auf gut geschriebene Inhalte oder leicht komische Beschreibungen stossen. Immer vorausgesetzt, dass diese mit den Erwartungen der Nutzer bezüglich "Professionellem Schreibstil auf dieser Art von Webseiten" überein stimmen. Demzufolge scheinen Anwender sich an einem etwas anderen Stil des Inhalts mehr zu erfreuen als sie tatsächlich zugeben.

Wir brauchen viel bessere Testmethoden für das Testen der genussreichen Aspekte der Nutzerschnittstellen. Solche Methoden sollten sowohl robust als auch einfach sein, da der überwältigende Grossteil der Nutzertests von Personen mit relativ geringer Erfahrung durchgeführt wird.

Vor diesem Hintergrund muss die Nutzerfreundlichkeit unsere wichtigste Priorität bleiben. Die Technologie ist einfach zu schwierig für uns, als dass wir von diesem Ziel abrücken könnten. Aber hoffentlich wird bald einmal die Zeit kommen, in der es auch um die Freude am Gebrauch gehen wird.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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