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14.08.2011

Auch einmal selber Testnutzer sein

In Vorlaufstudien ist es mitunter möglich, anstelle von echten Nutzern, Mitglieder des eigenen Teams als Testkandidaten einzusetzen. Und die profitieren davon.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 15.08.2011

 

Wenn Ihre Arbeit in irgendeiner Form mit dem Nutzererlebnis zu tun hat - oder wenn Sie sogar eine Firma leiten, die über eine Nutzeroberfläche verfügt wie z. B. eine Website oder ein Intranet - sollten Sie unbedingt das eine oder andere Mal als Testkandidat an einer Usability-Studie teilnehmen.

Dafür gibt es vier Gründe:

  • Sie wissen die Durchschnittskunden mehr zu schätzen, wenn Sie sich selbst einmal mit einer neuen und ungewohnten Nutzeroberfläche auseinandergesetzt haben.
  • Sie empfinden mehr Empathie mit den Testnutzern Ihrer regulären Usability-Studien. Wenn Sie feststellen, wie blöd Sie sich fühlen und wie peinlich es ist, wenn Sie eine Aufgabe nicht lösen können, hilft Ihnen das zu verstehen, wie wichtig es ist, dass sich die Nutzer während einer Studie wohl fühlen.
  • Sie schärfen Ihre Sinne als Studienleiter, da Sie die Untersuchungen aus einer anderen Perspektive betrachten.
  • Zu guter Letzt stellen Sie Ihrer Vorlaufstudie einen echten Menschen zur Verfügung, können so die eigentlichen Nutzer für die reguläre Studie aufsparen und somit Ihr Budget für Testkandidaten klein halten.

Vorlaufstudien = lockere Kriterien für die Rekrutierung

Ich habe in früheren Kolumnen schon zig Mal die Platte aufgelegt, dass es notwendig ist, nur solche Personen als Testkandidaten für Nutzerstudien anzuwerben, die auch der Zielgruppe entsprechen. Diese Anforderung bleibt auch weiterhin essenziell für gültige Testresultate. Wer die falschen Kandidaten testet, bekommt falsche Ergebnisse.

Ich habe auch immer wieder gesagt, dass weder Entwickler noch Vize-Präsidenten Nutzer sind, und dass im Grunde jeder Mitarbeiter Ihrer Organisation schon zu viel weiss und daher nicht als Testkandidat in Frage kommt, selbst wenn er oder sie ansonsten dem Profil der Zielgruppe entspräche. (Ausnahme: Für Studien, die das Intranet betreffen, sollten Sie Ihre Angestellten als Testpersonen einbinden. Halten Sie sich aber fern vom Intranet-Team oder der IT-Abteilung.)

Wenn man das im Kopf hat, kann man sich schon fragen, warum ich Sie als Testkandidaten empfehle.

Insider als Testnutzer einzusetzen, funktioniert wirklich nur in Vorlaufstudien.

Der Unterschied zwischen einer Vorlaufstudie und einer regulären Studie liegt darin, dass es bei der Vorlaufstudie darum geht, die Methodik der regulären Studie zu verfeinern. Wir sind hier nicht darauf aus, tatsächliche Usability-Ergebnisse zu erlangen, die die Nutzeroberfläche verbessern sollen. Wir wollen nur den Test selbst optimieren, sodass wir den echten Nutzern dann in kurzer Zeit so viele Erkenntnisse wie möglich entlocken können.

Trotzdem ist es besser, auch für Vorlaufstudien repräsentative Nutzer als Testteilnehmer einzusetzen, da sich so der Testablauf realistischer planen und einschätzen lässt. Zum Beispiel müssen Sie wissen, ob Sie die richtige Anzahl von Testaufgaben für die verfügbare Zeit eingeplant haben, und eingeweihte Nutzer erledigen solche Aufgaben in der Regel schneller als Nutzer von aussen.

Wenn es für Sie kein Problem ist, viele Kandidaten zu rekrutieren, die der Zielgruppe entsprechen, sollten Sie ruhig einige davon für die Vorlaufstudie "verheizen". Auf diesem Wege können Sie manche der qualitativen Ergebnisse der Vorlaufstudie bereits als echte Usability-Resultate verbuchen. Allerdings dürfen Sie quantitative Daten der Vorlauf- und regulären Studien nicht miteinander vermischen, da Sie das Testskript zwischen den beiden Tests noch verfeinern sollten. Was natürlich der Sinn der Sache ist.

Nehmen wir einmal an, Sie verändern den Testplan nach der Vorlaufstudie. Tatsächlich sollten Sie, wenn Sie ein unerfahrener Usability-Spezialist sind oder eine Studie durchführen, die hochriskant ist oder bei der es um viel Geld geht, mehrere Durchläufe der Vorlaufstudie abhalten und den Testplan nach jeder Runde verbessern. Nur weil anstelle eines Usability-Designs der Aufbau einer Studie untersucht wird, ändert das nicht die Grundlagen iterativen Designs zur Steigerung der Qualität.

Ethische Aspekte der Nutzer-Tests

Meines Wissens ist unser Kurs zu Nutzer-Tests einer der wenigen, in dem auch die ethischen Aspekte bei der Arbeit mit menschlichen Testobjekten behandelt werden.

Eine der wichtigsten ethischen Voraussetzungen ist der Schutz der Teilnehmer vor psychischen Qualen. Wir wollen natürlich nicht, dass die Teilnehmer nach unserer Studie deprimiert sind oder sich als Versager fühlen, weil sie an einem eigentlich "eindeutigen" Computer-System mehrfach versagt haben. Die Nutzer neigen dazu, sich selbst für die vielen Fehler und Missverständnisse verantwortlich zu machen, die ihnen im Laufe einer typischen Usability-Studie begegnen.

Natürlich sagen wir am Anfang immer: "Wir testen nicht Sie, sondern das Design", aber die Menschen vergessen das schnell wieder, sobald sie mit einer schwierigen Nutzeroberfläche zu kämpfen haben.

Deshalb ist es wichtig, dass die Testleiter sich aktiv darum bemühen, es den Testteilnehmern so angenehm wie möglich zu machen. Wir wollen, dass sie glücklich aus dem Test gehen und sich gut fühlen, weil sie geholfen haben, ein wichtiges Design zu verbessern, das sie vielleicht eines Tages selbst verwenden werden. Das ist nicht nur ein ethischer Aspekt, es hilft auch ganz pragmatisch dabei, Empfehlungen für Freunde und Kollegen der Nutzer zu bekommen, die für zukünftige Studien als geeignete Testkandidaten in Frage kommen könnten.

Es ist einfach, den emotionalen Aspekt der Nutzertests in unseren Seminaren immer wieder zu betonen, aber nichts vermittelt besser die Notwendigkeit, mit den Nutzern sanft umzugehen, besser als die Blamage, die man am eigenen Leib erfahren hat.

Offensichtlich hat es Vorteile, ab und an die Rollen zu wechseln und selbst zum Nutzer zu werden. Alle zwei Jahre ist ein guter Rhythmus für ein solches Erlebnis. Den Rest der Zeit nutzt man am besten, in dem man mit echten Nutzern arbeitet, auch wenn es sich nur um Vorlaufstudien handelt.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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