• Facebook
  • Google+
  • Twitter
  • XING
20.08.2007

Banner-Blindheit: Alte und neue Erkenntnisse

Die Nutzer blicken nur selten auf Werbung, die auf Websites erscheint. Von den vier Design-Elementen, die doch ein paar Blicke auf die Werbung ziehen, ist eines unanständig und verringert den Wert von Werbenetzwerken.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 20.08.2007

 

Ich habe gezögert, ob ich ein Ergebnis unserer Eyetracking-Forschung diskutieren soll, weil es die Schlussfolgerung nahe legt, dass sich unanständiges Design auszahlt.

1997 habe ich mich entschieden, ein ähnliches Ergebnis zu verschweigen: Die Nutzer neigen dazu, auf Werbebanner zu klicken, die wie komplette Dialogboxen mit OK- und Abbrechen-Button aussehen. Natürlich ist so ein Banner wie "Ihre Internet-Verbindung ist nicht optimiert" in Wirklichkeit keine Systemmeldung, sondern nur ein Bild von einer Dialogbox, und wenn man in die Ecke klickt, um sie zu schliessen, verschwinden sie nicht, sondern entführt den Nutzer auf die Website des Werbetreibenden. Das ist irreführend, unanständig und die Nummer 3 unter den meistgehassten Werbetechniken. Nach wie vor erzielen gefälschte Dialogboxen viel mehr Klicks als normale Banner, die von den Nutzern schon seit 1997 immer stärker ignoriert werden.

Usability-Ergebnisse kann man nicht verbergen

Nach langer Gewissenserforschung habe ich mich zu einem anderen Ansatz entschlossen und publiziere nun die neuen Erkenntnisse trotz ihrer ethischen Implikationen. Letzten Endes ist es nicht möglich, Forschungsergebnisse zu unterdrücken, weil jeder, der sich die Mühe macht, eine solche Studie durchzuführen, zu den gleichen Ergebnissen kommen wird. Weder in der Astronomie noch in der Usability gibt es auf lange Sicht Geheimnisse. Wenn man sein Teleskop auf den Saturn richtet, sieht man, dass er Ringe hat. Und wenn man eine Serie von Usability-Studien durchführt, entdeckt man das gleiche, das wir entdeckt haben - vorausgesetzt, man hat korrekte Methoden eingesetzt.

Viele Leute, die nicht mit den Prinzipien der Nutzerverhaltensforschung vertraut sind, verwenden verfälschende Methoden und gelangen so zu irreführenden Ergebnissen. Schlechte Methoden sind bei Eyetracking-Studien besonders weit verbreitet, weshalb die meisten Studien, die in diesem Bereich veröffentlicht werden, falsch sind.

Zum Beispiel bitten schlecht ausgebildete Forscher die Nutzer oft, einfach auf eine Seite zu schauen, anstatt dafür zu sorgen, dass ihnen die Seite im Zusammenhang mit einem Arbeitsprozess begegnet. Die Nutzer schauen die Sachen je nach Kontext mit anderen Augen an. Wenn Sie zum Beispiel wissen wollen, wie die Nutzer die Elemente eines Formulars wahrnehmen, können Sie ihnen nicht einfach das Formular auf einer einzelnen Webseite präsentieren und ihnen sagen, dass sie es ausfüllen sollen. Vielmehr müssen Sie das Formular im Kontext einer sinnvollen Aufgabe präsentieren, wie sie in der Echtwelt vorkommt. Das heisst, das Formular sollte als Antwort auf eine spezifische Aktion erscheinen, zum Beispiel dann, wenn der Nutzer sich entschliesst, einen Einkauf im E-Commerce abzuschliessen.

Auch wenn die meisten Eyetracking-Studien irreführend sind, produzieren einige Studien eben doch gültige Ergebnisse. Der Versuch, irgendwelche Ergebnisse geheim zu halten, ist also zum Scheitern verurteilt.

Die meisten unserer Eyetracking-Ergebnisse über Online-Werbung führen nicht in ein moralisches Dilemma. Zum Beispiel kennen wir drei Design-Elemente, die besonders effektiv Augäpfel anziehen:

  • reiner Text
  • Gesichter
  • Dekolletés und andere »intime« Körperteile

Ich habe keine Probleme, Details dieser Ergebnisse im Seminar über Fundamentale Richtlinien der Web-Usability zu präsentieren. Es ist wichtig, dass alle Web-Designer wissen, wo auf der Seite die Nutzer hinschauen.

Banner-Blindheit

Das wichtigste Ergebnis der neuen Eyetracking-Studie ist nicht wirklich neu. Wir haben nur zum x-ten Mal bestätigt, dass die Banner-Blindheit existiert. Die Nutzer schauen fast niemals auf irgendetwas, das wie Werbung aussieht, egal ob es wirklich Werbung ist oder nicht.

Auf zahllosen Seiten haben die Nutzer niemals die Werbung fixiert. Die folgenden Hitzekarten zeigen drei Beispiele, die, bezogen auf den Inhalt, verschiedene Stufen des Nutzer-Engagements widerspiegeln: schnelles Überfliegen, partielles Lesen und gründliches Lesen. Überfliegen ist weiter verbreitet als Lesen, aber manchmal vertiefen sich die Nutzer in einen Artikel, wenn ihnen die Sache wirklich wichtig ist.


Heatmaps aus Eyetracking-Studien
Hitzekarten aus Eyetracking-Studien: Die Bereiche, die die Nutzer am häufigsten angeschaut haben, sind rot gefärbt; gelbe Bereiche stehen für weniger Blicke, gefolgt von den blauen Bereichen mit den wenigsten Blicken. Die grauen Bereiche haben überhaupt keine Blicke angezogen. Die grünen Kästen haben wir erst nach der Studie darübergelegt, um die Werbung hervorzuheben.

Auf allen Stufen des Nutzer-Engagements sind die Ergebnisse, was die Banner betrifft, gleich (in der Illustration oben sind Banner mit grünen Kästen markiert): fast überhaupt keine Fixierungen innerhalb der Werbung. Wenn die Nutzer nach einem schnellen Faktum suchen, wollen sie rasch vorwärts kommen und lassen sich von den Bannern nicht ablenken; wenn sie sich in einen Artikel vertiefen, denken sie nicht daran, vom Inhalt wegzuschauen.

Die Hitzekarten zeigen zudem, dass die Nutzer ebenfalls keine Design-Elemente fixieren, die ähnlich wie Werbung aussehen, auch wenn es in Wirklichkeit keine Werbung ist (und folglich oben nicht in den grünen Kästen erscheinen).

Auch wenn wir einmal einen Blick innerhalb eines Banners verzeichnet haben, haben sich die Nutzer normalerweise nicht mit dem Inhalt der Werbung abgegeben. Oft haben die Nutzer noch nicht einmal das Logo oder den Namen des Werbetreibenden gesehen, auch wenn sie einen Blick auf ein oder zwei Design-Elemente irgendwo anders in der Werbung geworfen haben.

Der folgende Videoclip zeigt die Blickaufzeichnung der Augenbewegungen einer Nutzerin, die nach Investitionstipps für ihre Pension sucht. (Der sich bewegende blaue Punkt zeigt an, wo die Nutzerin hinschaut.) Die Seite enthält eine Werbung für Pensionsrücklagen bei Fidelity Investments, eine Website, die gute Hinweise für das angestrebte Ziel anbietet und für die Nutzerin hilfreich sein könnte, wenn sie sie anklickt.

Wie die Aufzeichnung zeigt, hat die Nutzerin einmal einen Punkt innerhalb der Werbung fixiert, aber in diesem Moment wurde die Werbung von einem Pull-down-Menü verdeckt. In Wirklichkeit konnte die Nutzerin die Botschaft nicht sehen; die Fixierung war eindeutig ein Fehler, der auftrat, als sie versuchte, wieder an das Menü heranzukommen, nachdem sie kurz vom Bildschirm weggeschaut hatte. Das Ganze geht so schnell, dass Sie wahrscheinlich die Zeitlupe brauchen, um die Aktion verfolgen zu können. (Das ist typisch für Eyetracking: Das Auge bewegt sich so schnell, dass unsere besten Einsichten aus Zeitlupenaufnahmen resultieren.)

Die vierte, unanständige Methode, um Blicke auf die Werbung zu ziehen

Zusätzlich zu den drei wichtigsten Design-Elementen, die gelegentlich Blicke auf Online-Werbung ziehen, haben wir noch einen vierten Ansatz entdeckt, der gegen eines der ethischen Hauptprinzipien der Publizistik verstösst, nämlich Anzeigen, die wie redaktionelle Inhalte aussehen:

  • Je mehr eine Werbung wie eine ursprüngliche Website-Komponente aussieht, desto mehr Nutzer schauen sie an.
  • Die Werbung sollte nicht nur aussehen wie andere Design-Elemente der Website, sondern wie ein Teil des spezifischen Seitenbereichs, in dem sie erscheint.

Das verstösst offen gegen das publizistische Grundprinzip von der Trennung von "Staat und Kirche" - will sagen, es sollte immer klar sein, wo der redaktionelle Inhalt aufhört und die bezahlte Werbung anfängt. Renommierte Zeitungen erlauben den Werbetreibenden nicht, ihre Markenschriftarten und andere markentypischen Layout-Elemente nachzuahmen. Um aber die Zahl der Fixierungen zu vergrössern, müssen Sie im Web genau das tun.

Eine einzelne Werbung mag ethisch einwandfrei sein oder nicht, je nachdem wie stark sie sich als Inhalt maskiert. Ich warne davor, zu weit zu gehen, weil das nach hinten losgehen und die Nutzer in die Irre führen kann. Unanständige Werbung verschafft Ihnen zwar mehr Fixierungen, aber auf lange Sicht gewinnen Sie mit ethisch einwandfreien Geschäftspraktiken mehr loyale Kunden.

Jetzt ist die Wahrheit heraus. Was mich betrifft, ist es meine stärkste ethische Anforderung, die Wahrheit auszusprechen und es ist besser, die Fakten werden allen bekannt, als wenn sie ein Geheimnis bleiben, das von einigen wenigen missbraucht wird.

Abschliessend sei gesagt: Die Tatsache, dass Werbung besser gesehen wird, wenn sie zum umgebenden Inhalt passt, ist ein Schlag gegen den Trend zum Aufbau von Werbenetzwerken. Wenn Werbeplätze einfach versteigert werden, können Sie keine optimierte Werbung für jede Platzierung gestalten.

Wenn Sie über ein Werbenetzwerk werben, bekommen Ihre Banner weniger Fixierungen, als wenn Sie direkt mit dem Herausgeber ins Geschäft kommen und für eine spezifische Platzierung eine Kreation gestalten, die genau zu der Stelle passt. Im Ergebnis heisst das, Sie sollten für Netzwerk-Banner weniger bieten als für individualisierte Banner, die Sie selbst platzieren.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

Kommentare auf diesen Beitrag

    Keine Kommentare

Kommentar hinzufügen

Die mit * gekenzeichneten Felder sind zwingend auszufüllen