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20.09.2004

Bush gegen Kerry: E-Mail-Newsletter im Vergleich

Beide Präsidentschaftskandidaten der Vereinigten Staaten bieten E-Mail-Newsletter mit vielen guten Inhalten an, um ihre Anhänger zu motivieren. Gleichzeitig bestechen die Newsletter aber auch durch miserable Abonnierdialoge und etliche andere Usability-Probleme.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 20.09.2004

 

George W. Bush und John Kerry sparen beide an einer ihrer besten Möglichkeiten, Stimmen zu ergattern und die Wahl zu gewinnen. Ihre Kampagnen haben jeweils Millionen von Abonnenten auf ihren E-Mail-Newslettern und behandeln sie dennoch nicht als wirksame strategische Ressource.

Wie viele Leute ändern ihre Wahlentscheidung aufgrund eines Werbespots im Fernsehen? - Vermutlich hören bei ihrer Entscheidung weit mehr auf überzeugende Argumente eines vertrauten Freundes (beziehungsweise, entschliessen sich deswegen, zur Wahl zu gehen). E-Mail-Newsletter bieten einen direkten Draht zu solchen politischen Bezugspersonen im Alltag.

Die Website einer politischen Kampagne hat drei Hauptziele:

  • die treuen Parteianhänger zu bestärken; sie für den Kandidaten zu begeistern und ihnen Gesprächsstoff an die Hand zu geben, mit dem sie ihre Freunde und Familie beeinflussen können;
  • Spenden zu sammeln;
  • Fragen unentschiedener Wähler zu beantworten und sie hoffentlich davon zu überzeugen, den Kandidaten zu unterstützen.

Das dritte Ziel ist vor allem bei Vorwahlen und weniger bedeutenden Wahlen wichtig. Bei Präsidentschaftswahlen dagegen gibt es weniger Leute, die unentschieden und zugleich ausreichend an Politik interessiert sind, um aktiv nach Websites mit Informationen über die Positionen der Kandidaten zu suchen.

Anhänger warm zu halten und mit Argumenten zu versorgen, ist die ideale Aufgabe für E-Mail-Newsletter. Aus zwei Gründen: Sie können ein emotionales Band zu den Abonnenten herstellen, und sie können sofort auf Neuigkeiten reagieren. Es überrascht daher nicht, dass sowohl George W. Bush als auch John Kerry über ihre Websites E-Mail-Newsletter anbieten. Überraschend ist hingegen, wie viele Fehler sich beide Kandidaten in ihrem Newsletter-Design leisten.

Beide Kampagnen gründen auf dem Medienverständnis des vorigen Jahrhunderts - und das zeigt sich bei der Gewichtung ihrer Kampagnenbudgets: den E-Mail-Newslettern mangelt es eindeutig an genügend Ressourcen für Design, Implementierung, Redaktion und Nutzertests.

Die Einhaltung von Usability-Richtlinien im Vergleich

Um die Usability der beiden Newsletter zu bewerten, habe ich sie anhand jeder meiner 127 Richtlinien für E-Mail-Newsletter-Design sowie anhand ihrer Abonnier- und Abbestell-Oberfläche überprüft. Letztere habe ich am 13. September 2004 evaluiert, die Newsletter selbst während einer siebenwöchigen Periode vom 2. August bis zum 19. September 2004.

Die Werte der beiden Kampagnen liegen erstaunlich eng beieinander, allerdings ist Bush eine Nasenlänge voraus; gemessen über den ganzen Satz an Usability-Richtlinien liegt er um 1 Prozentpunkt höher als Kerry. Die nachfolgende Tabelle zeigt, in welchem Mass sich die Newsletter an die vier Kategorien der Richtlinien halten:

BushKerry
Abonnierdialog47%44%
Newsletter-Inhalte und -Präsentation71%67%
Abonnementpflege und Abbestellen43%54%
Abgrenzung der Newsletter von Spam33%33%
Alle Richtlinien58%57%


Das sind ziemlich niedrige Werte, bedenkt man die generelle Wichtigkeit von Newslettern für politische Kampagnen und die riesigen Geldsummen, die für Präsidentschaftswahlkampagnen zur Verfügung stehen. Beide Kampagnen haben jeweils über $300 Mio. zur Verfügung, die sie in wenigen Monaten ausgeben können. Es gibt wirklich keine vernünftige Entschuldigung dafür, nicht mehr fürs Newsletter-Design zu tun.

Die Gesamtwerte liegen zwar nahe beieinander, aber im Detail gibt es interessante Unterschiede: Jede Kampagne schneidet in einigen Bereichen gut ab, in denen die andere Probleme hat.

Der Abonnier-Dialog

Bei der Schnittstelle für neue Abonnenten des Newsletter erzielt Bush sehr niedrige Werte. Bei Bush ist der Registrierungsvorgang kompliziert und verlangt vom Nutzer, sich durch vielfältige Bildschirmseiten zu arbeiten. Zudem erfordert der Prozess, dass die Nutzer im substanziellen Umfang persönliche Informationen preisgeben, ohne dass an prominenter Stelle auf die Datenschutzgrundsätze der Site hingewiesen wird.

Zudem fragt Bush die Nutzer nach ihren persönlichen Interessen - was positiv sein könnte, wenn dabei individuell zugeschnittene Newsletter-Inhalte herauskämen. Allerdings verletzt die Site die Richtlinie, klar zu erläutern, wozu diese Informationen genutzt werden sollen. Und in der Tat scheint es so, dass die von den Nutzern ausgewählten Angaben so gut wie gar nicht genutzt werden. Ich habe mich als Eigner eines kleinen Unternehmens mit Interesse an High Tech eingetragen, aber bis Woche sieben habe ich keinerlei Informationen bekommen, die speziell mit diesen beiden Punkten zu tun hatten. (Etliche Nachrichten waren allerdings anhand meiner Abonnentenadresse lokal zugeschnitten.)

Dennoch gewinnt Bush den Gesamtvergleich der Abonnier-Dialoge, weil Kerry mehrere elementare Fehler macht. Der grösste Hammer dabei ist: Kerry versendet keine Begrüssungsbotschaft, nachdem sich der Nutzer eingetragen hat. Ausserdem hat Kerry eine nervige Vorschaltseite, die die Nutzer bittet, ihre E-Mail-Adresse zu hinterlassen, ehe ihnen auch nur ein winziger Blick auf die Inhalte geboten wird, die sie da erwarten können. Wenn wir irgendetwas aus unserer Nutzerforschung über E-Mail-Usability gelernt haben, dann dies: die Leute sind sehr zurückhaltend bei der Angabe ihrer E-Mail-Adresse; und die Sites müssen klar deklarieren, was sie als Gegenleistung zu bieten haben. Vorabfragen nach persönlichen Daten wirken extrem aufdringlich.

Die Newsletter-Frequenz

In unseren Studien bezogen sich die lautesten Klagen der Leute darauf, dass Newsletter zu häufig verschickt würden. Beide Kampagnen riskieren diesbezüglich Nutzerfrust, indem sie die Abonnenten mit Newslettern bombardieren. Die folgende Grafik zeigt die Anzahl der empfangenen Mails in jeder Woche meiner Studie:

Empfangene Mails während Studie

Der Parteitag der Republikaner fand in Woche 5 des Tests statt. In dieser Zeit war es angemessen für die Bush-Kampagne, zusätzliche Newsletters zu verschicken, um die Abonnenten über die Ereignisse auf dem Laufenden zu halten. Es war zu der Zeit ebenso angebracht für die Kampagne Kerrys, durch zusätzliche Newsletter auf Angriffe während des Parteitags zu reagieren, Vorwürfe zurückzuweisen und eigene Themen in die Debatte einzubringen.

Aber auch wenn man Woche 5 beiseitelässt, versenden beide Kampagnen für den Durchschnittsabonnenten zu viele Mails. Politisch stark interessierte Leute haben sicher nichts gegen die fast täglich einlaufenden E-Mails, aber vielen dürfte das zu viel werden. Keiner der Newsletter hält sich an die Richtlinie, seinen Abonnenten zwei verschiedene Aussende-Häufigkeiten anzubieten - mit einem weniger entmutigenden Turnus für jene, die zwar Fans sind, aber keine Fanatiker.

Um diesen Punkt noch abzuschliessen: Ich habe Kerrys Newsletter am 2. August abonniert, aber bis zum 16. August kein einziges Mail bekommen. Es gab auch keinerlei Erklärung dafür. Vielleicht hatte die Organisation ja eine technische Panne. Oder sie hat einfach zwei volle Wochen lang keinen Newsletter veröffentlicht. In beiden Fällen war das schlecht.

Die Inhaltsanalyse

Die beiden Newsletter unterscheiden sich dramatisch in den Inhalten, die sie betonen. Hier eine Analyse der Texte, die während der Testperiode an die Abonnenten verschickt wurden, untergliedert in vier inhaltliche Hauptkategorien:

BushKerry
positive Agitation50%18%
negative Agitation14%49%
Bekanntmachungen und Instruktionen15%1%
Freiwilligen-Einsätze und Spenden21%33%


In meiner Analyse steht positive Agitation für Werbung für den eigenen Kandidaten der Partei und seine Vorschläge, während negative Agitation den Gegenkandidaten angreift oder im Gegenangriff die Anschuldigungen des anderen Kandidaten zurückweist. Grundlegendes Kriterium ist also, ob man entweder erklärt, was man im Fall der Wahl tun wird, oder aber, ob man sich in politische Machtkämpfe verzettelt.

Ich war dabei sehr grosszügig bei der Zuordnung von Inhalten als positive Agitation. Zum Beispiel habe ich allgemeine Wohlfühl-Kundgebungen wie die, als Arnold Schwarzenegger seinen Stolz zeigte, US-Bürger geworden zu sein, oder als John Kerry seine Begeisterung über die grossen Scharen von Anhängern zu Protokoll gab, die er während seiner Bustour getroffen hatte, zu dieser Kategorie gezählt.

Es gab auch einige Grenzfälle wie beispielsweise Bushs Aussage: "Ich habe zu viele gute Ärzte getroffen, besonders Gynäkologen, die wegen der hohen Prozesskosten ihre Praxen verloren haben. Um das Gesundheitswesen erschwinglicher und zugänglicher zu machen, müssen wir jetzt eine Reform der medizinischen Haftpflicht durchsetzen." Ich zählte das als positive Agitation, da es einen politischen Vorschlag von Bush betont - obwohl man einwenden könnte, dass die Worte "besonders Gynäkologen" einen versteckten Seitenhieb auf John Edwards' früheren Beruf enthielten. Alles in allem empfand ich diese Worte als zu verhüllt, als dass man damit wirklich negative Agitation treiben könnte. Auch hatte ich bei der Inhaltsanalyse eine höhere Ebene im Blick und konzentrierte mich mehr auf den Hauptstoss des jeweiligen Absatzes oder der Satzgruppe als auf einzelne Wörter.

Obwohl die Betonung von positiver und negativer Agitation in den beiden Newslettern entgegengesetzt ist, haben beide Parteien wohl für ihre jeweiligen Abonnenten den richtigen Schwerpunkt gewählt. Republikaner sind wahrscheinlich mehr von der Aussicht auf vier weitere Jahre Bush-Politik begeistert als davon, Kerry zu vertreiben. Und Demokraten sind wahrscheinlich mehr von dem Versuch elektrisiert, Bush aus dem Amt zu jagen, als von Kerrys politischen Vorschlägen.

Bekanntmachungen und Instruktionen enthalten Informationen darüber, wie man die Website der Kampagne nutzt und besonders auch Hinweise auf neue Funktionen und aufkommende Chats. Die Bush-Kampagne ist besonders aktiv beim Arrangieren von Chats mit den verschiedenen Kampagnenleitern, was ein guter Weg sein kann, einen Gemeinschaftssinn im Umfeld der Website zu erzeugen. (Ich habe weder den tatsächlichen Inhalt der Chats noch die Chat-Oberfläche evaluiert, zwei Dinge, die in anderen Websites oft schlecht gemacht sind.)

Schliesslich verwenden beide Newsletter einen signifikanten Textanteil darauf, die Leser zu freiwilligen Diensten und zu Geldspenden zu ermuntern. Das ist verständlich, denn das ist die Pointe der Kampagnen. Aber wiederholte Aufforderungen können lästig werden. Besonders Kerry riskiert sowohl das Ermüden der Spender als auch Abbestellungen, indem er gleich zwei Spendensammel-E-Mails am gleichen Tag verschickt (dem 31. August).

Aufmerksamkeit im Posteingang erregen

Beide Newsletter schneiden im Kampf um die Aufmerksamkeit im Posteingang sehr schlecht ab. Ihre stark schwankende Erscheinungsfrequenz bildet an sich schon ein Problem, da sich bei den Nutzern so keine Erwartung herausbilden kann, wann ein Newsletter erscheint.

Die Absender- und Betreffzeilen der Newsletter haben oft in übelster Weise gegen die Usability-Richtlinien verstossen. Sicher, wenn man eine E-Mail von berühmten Leuten wie John Kerry oder Arnold Schwarzenegger bekommt, neigt man dazu, sie zu öffnen. Aber wie verhält es sich mit Absendern wie Blaise Hazelwood, Ed Gillespie, Ken Mehlman, Todd Cranney oder Terry Nelson? Das sind bloss wenige der "Von"-Namen des Bush-Newsletters. Es tut mir ja leid, das sagen zu müssen - aber obwohl Ed Gillespie dem Republikanischen Parteitag vorsitzt, wusste ich nicht, wer das ist. Und in jedem Fall reduziert die Tatsache, dass der Bush-Newsletter so viele verschiedene Absendernamen nutzt, die Fähigkeit der Leser, sie sich zu merken. Bei Kerry läuft es besser: da wurden die meisten Newsletter von Mary Beth Cahill abgeschickt, obwohl das auch nicht gerade ein Name ist, der aus einem überfüllten Posteingang heraussticht. Die Richtlinie dazu bleibt: Verwenden Sie eine institutionelle "Von"-Zeile, es sei denn, der Newsletter wurde von einer berühmten Persönlichkeit geschrieben.

Die Betreffzeilen waren durch die Bank wirkungslos. Wobei Kerry die nutzer-abschreckendsten Betreffs verwendete wie: "Heute Abend", "Jetzt nicht nachlassen" oder "Die Frist läuft ab". Warum sollte irgendwer denken, dass solche E-Mails etwas anderes sind als Spam? Bush hatte etwas bessere Betreffzeilen wie "Kerrys Sandalen-Olympiade" oder "Machen Sie mit in W ROCKS in Alameda County", aber auch er hatte inhaltsleere Betreffs wie "Reisst euch zusammen".

Beide können es besser machen

Wie gesagt, die Bush-Kampagne hat über eine Million Abonnenten, die von Kerry über zwei Millionen. Offensichtlich machen die Kampagnen etwas richtig. Trotz meiner Kritik bekommen beide Kampagnen gute Werte für den Inhalt, was für die Nutzer das Wichtigste ist: Wenn eine Sache interessant ist, kann man ihr viele Usability-Sünden verzeihen.

Dennoch könnten beide Sites die Wirkung ihrer Newsletters substanziell erhöhen, wenn sie ihre Abonnierdialoge überarbeiten und ihrer Wahrnehmung im Posteingang mehr Aufmerksamkeit widmen würden. Millionen von weniger enthusiastischen Anhängern werden von dem jetzigen Design nicht bedient. Wo immer Ihre Übereinstimmung mit Usability-Richtlinien unter 50% liegt, haben Sie ein Problem.

1996 hatte ich für die New York Times einen Vergleich der Kampagnen-Websites von Bill Clinton und Bob Dole geschrieben. Ich kam zu dem Schluss, dass beide Sites bei der Usability etwa gleich auf lagen, und habe für jede davon verschiedene Verbesserungsvorschläge gemacht. Zwei Wochen nach Erscheinen des Artikels wurde Clintons Site überarbeitet, und alle meine Empfehlungen wurden eingebaut. Doles Site dagegen blieb über die ganze Kampagne unverändert. Wir wissen alle, wer 1996 die Wahl gewonnen hat, und so möge dieses Beispiel die Kampagnen motivieren, diesmal der Usability mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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