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22.07.2002

Der Weg zum Usability-Profi

Eine erfolgreiche Usability-Karriere erfordert gewisses theoretisches Wissen, vor allem aber Intelligenz und jahrelange Erfahrung aus Nutzertests und -studien. Die einzige Möglichkeit, sich diese Erfahrung anzueignen, ist jetzt damit anfangen.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 22.07.2002

 

Um das Ziel, Technologie wirklich nutzerfreundlich zu gestalten, zu erreichen, brauchen wir in den nächsten 20 Jahren rund eine halbe Million neuer Usability-Profis. Je früher deren Ausbildung beginnt, desto besser für uns alle.

Ich werde oft gefragt, was die Voraussetzungen sind, um ein Usability-Profi zu werden und einen Job in diesem Bereich zu erhalten. Nun, es gibt drei Kriterien, welche alle guten Usability-Profis gemeinsam haben:

  • Kenntnisse der Interaktionstheorie und der Methodenlehren im Bereich der Nutzerforschung, vor allem der Grundregeln der Nutzertests
  • Hohe Intelligenz
  • Zehn Jahre Erfahrung mit der Durchführung von Nutzertests und anderen Usability-Aktivitäten, z.B. Feldstudien

Bedauerlicherweise kann nur das erste Kriterium gelehrt werden. Usability-Fachwissen ist nicht in erster Linie eine Frage der Theorie, sondern des Talents und der Erfahrung. Ein Grossteil der Arbeit im Bereich Usability erfordert das Abgleichen von Mustern - mitunter ein Grund dafür, warum Intelligenz und Erfahrung eine so wichtige Rolle spielen: Sobald man im Verhalten der Nutzer auch nur die kleinsten Hinweise auf ein Usability-Thema entdeckt, muss man daraus die entsprechenden Schlüsse für das Design ziehen.

Ein schlechter Usability-Spezialist wird Folgendes festhalten: "Nutzer 1 mochte dies, Nutzer 2 aber nicht." Keine wirkliche Hilfe für das Designteam. Ein guter Usability-Spezialist verbindet die Beobachtungen mehrerer Nutzer, kristallisiert die Muster heraus und gelangt zu einer konzeptuellen Erkenntnis, die dem Design Nutzen bringen kann.

Das soll nicht heissen, dass Theorie irrelevant ist. Schliesslich habe ich selbst mehrere Bücher über Usability geschrieben und glaube an Wissenstransfer: Es gibt keinen Grund, warum jemand dieselben Fehler machen sollte, die ich vor zwanzig Jahren begangen habe. Wenn man in den Usability-Bereich einsteigen möchte, empfiehlt es sich auf jeden Fall, zuerst ein paar grundlegende Usability-Lehrbücher zu lesen.

Nebst der grundlegenden Theorie gibt es auch viele praktische Tipps und Tricks für Nutzertests, die sich im Laufe der Jahre herausgebildet haben. Wenn man eine Studie auf der Grundlage schlechter Methoden durchführt, wird man nicht viel dazulernen. Jede methodologische Erkenntnis macht die eigene Studie ein klein wenig besser, und sich auf die Erfahrungen anderer zu stützen ermöglicht einen höheren ROI.

Learning by Doing

Es mag ein wenig zirkular klingen, aber wenn man wirklich etwas über Usability lernen will, muss man Usability-Studien durchführen. Wer den Usability-Olymp erreichen will, muss jahrelang Erfahrung sammeln und unterschiedliche Nutzer in den verschiedensten Kontexten beobachten:

  • Studieren Sie viele verschiedene Personen: Junge und Alte, blutige Anfänger, Experten, Unix-Freaks, Verkaufspersonal, Ärzte, Mechaniker, Sekretärinnen, Führungskräfte, Nutzer verschiedener Nationalitäten.
  • Beobachten Sie diese Personen bei der Durchführung vieler verschiedener Aufgaben: Einkaufen, Suchen, Planen von Ferien, Recherchieren für Schulprojekte, Managen einer sprudelnden Ölquelle.
  • Beobachten Sie diese Personen bei der Verwendung vieler verschiedener Interface Designs und Stile. Im Idealfall sollten die Schnittstellen ein und dasselbe Designproblem auf verschiedene Arten lösen, damit man vergleichen kann, wie verschiedene Designdetails die Usability beeinflussen.
  • Experimentieren Sie mit vielen verschiedenen Interaktionsplattformen - vom "virtuellen Fenster" in Wandgrösse bis hin zum PDA in Taschenformat. Es kann auch hilfreich sein, die Nutzer bei der Anwendung von Text-only-Designs, zum Beispiel Grossrechnern oder klassischem Unix, zu beobachten. Oder bei der Verwendung futuristischer Technologien wie VR, welche derzeit vielleicht noch nutzlos sind, aber als Ideenquelle dienen können.

Man achte bei der oben aufgeführten Liste auf den häufigen Gebrauch des Ausdrucks "viele verschiedene". Eine breite Erfahrung ist die Voraussetzung für fundierte Aussagen wie "Nutzer haben normalerweise Probleme, wenn sie vor einer derartigen Situation stehen, aber hier sind einige Alternativdesigns, die oft funktionieren". Im Usability-Bereich gibt es sie nicht, "die einzig richtige Antwort". Je mehr man gesehen hat, desto besser ist man für neue Situationen gerüstet.

Wie man anfängt

Bei der Durchführung einer Usability-Studie gibt es nur zwei Hürden:

  • die Angst, es nicht zu schaffen, und
  • das Streben nach Perfektion

Die Erste ist Unsinn. Natürlich schafft man es. Zu Beginn sollte man versuchen, den klassischen Fehler vieler unerfahrener Usability-Engineers zu vermeiden: sich selbst einzumischen und so zu beeinflussen, wie die Anwender die Schnittstelle nutzen. Man selbst sollte schweigen und den Nutzern das Reden überlassen.

Die zweite Hürde hingegen ist eher real. Die erste Studie wird nicht perfekt sein. Wenn man jedoch wartet, bis man perfekt ist, wird man nie etwas hinkriegen, denn die einzige Möglichkeit, ein Usability-Profi zu werden, ist praktische Erfahrungen zu sammeln.

Ich empfehle, mit einem kleinen Projekt zu beginnen, das leicht zu managen ist. Ideal wäre es, die Projektdesigner und -entwickler gut zu kennen oder vielleicht sogar selbst der Designer oder Entwickler zu sein. Usability-Tests sind eine derart wirkungsvolle Methode, dass selbst bei einem vermasselten Projekt noch hilfreiche Ergebnisse zu Stande kommen, welche das Design erheblich verbessern. Trotzdem ist es natürlich besser, ein kleines Projekt zu vermasseln als ein grosses.

Nach ein paar iterativen Testdurchführungen und Designverbesserungen werden in diesem Projekt zwei Dinge passieren:

  • Sie werden im Bereich Usability besser
  • Das Management wird bei den getesteten Designs grosse Qualitätsverbesserungen feststellen.

Jetzt ist die Zeit gekommen, sich an ein grösseres Projekt heranzuwagen. Wenn man an einem Intranet arbeitet, sollte man sich etwas aussuchen, das alle Mitarbeiter häufig nutzen. Die Vereinfachung eines viel verwendeten Tools erhöht nicht nur die Produktivität (und verhilft dem Unternehmen so zu viel Geld), sondern macht alle Design- und Entwicklungsleute, welche die verbesserten Tools schliesslich selbst verwenden werden, mit dem Begriff Usability vertraut.

Es ist keine Hexerei, sich mit den Grundlagen von Usability-Tests vertraut zu machen. Wir vermitteln diese Grundlagen innerhalb von drei Tagen. Die Schwierigkeit ist, alle Feinheiten ins Gefühl zu bekommen und ein tiefgehendes konzeptuelles Verständnis zu entwickeln. Es dauert ungefähr zehn Jahre, bis die geistige Datenbank der gemachten Beobachtungen gross genug ist, um ein echter Usability-Profi zu sein. Personen mit ein paar Jahren Erfahrung arbeiten zwar ziemlich gut, im ersten Jahr etwa werden aber ihnen mit Sicherheit gewisse Einblicke verwehrt bleiben. Trotzdem muss man durch dieses erste Jahr durch - und je früher man mit der Durchführung eigener Tests beginnt, desto eher wird man zum Profi.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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