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12.06.2006

E-Mail-Newsletter: Den Stau im Posteingang überleben

Die Newsletter-Usability hat sich seit unserer letzten Untersuchung verbessert, aber auch der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Nutzer ist im stets anwachsenden Informationswust härter geworden.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 12.06.2006

 

Seit unserer letzten Untersuchung der E-Mail-Newsletter-Usability sind erst zwei Jahre vergangen. Bei fast allen anderen Themen wäre eine neue Studie nach so kurzer Zeit eine Zeitverschwendung. Usability-Richtlinien verändern sich extrem langsam, weil sie von der menschlichen Natur abhängen, und die tendiert dazu, sich fast im Takt der Eiszeiten zu verändern. Newsletter sind eine der wenigen Ausnahmen zu dieser Regel, da ihre Umgebung, der Posteingang, jedes Jahr noch mehr überfüllt ist als im letzten Jahr.

Um den gegenwärtigen Usability-Stand von E-Mail-Newslettern zu erheben, haben wir eine neue Reihe von Nutzertests durchgeführt (wie unten beschrieben). Es hat sich herausgestellt, dass unsere Erkenntnisse aus früheren Studien ihre Gültigkeit beibehalten haben. Die 127 Design-Richtlinien aus unserem früheren Newsletter-Bericht sind deshalb nach wie vor gültig, allerdings haben wir einige davon nun aufgrund der neuen Studienergebnisse verfeinert. Die wichtigste Änderung besteht in der Anzahl der Richtlinien: Wir haben auf Grundlage zusätzlicher Einsichten, die wir aus Eyetracking-Studien gewonnen haben zusätzliche Richtlinien hinzugefügt. Neu haben wir nun 165 Richtlinien zur E-Mail-Newsletter-Usability.

Unsere wichtigste Schlussfolgerung bleibt die gleiche: E-Mail-Newsletter sind der beste Weg, um Kundenbeziehungen via Internet aufrecht zu erhalten.

Nutzerforschung

Bei der Durchführung unserer neuen Eyetracking-Studie haben wir mit 42 Teilnehmern einen Nutzertest durchgeführt. Mit Hilfe der Eyetracker-Technik haben wir aufgezeichnet, wo die Nutzer auf den Websites hingeschaut haben, als sie E-Mail-Newsletter abonniert oder abbestellt haben. Wir haben auch aufgezeichnet, wie die Nutzer ihre Posteingänge durchgesehen und wie sie einzelne Newsletter gelesen haben.

Wir haben 117 E-Mail-Newsletter wie folgt getestet:

  • 12 Newsletter haben wir systematisch getestet (mit einer kontrollierten Methode, die gewährleistet, dass alle Newsletter gleichmässig genutzt wurden).
  • 40 Newsletter haben wir auf weniger stark kontrollierte Weise getestet (d. h. die Nutzer haben aus einem Posteingang die Newsletter herausgepickt, die sie am meisten interessierten, und einige davon wurden viel häufiger gelesen als andere).
  • Wir haben die Augenbewegungen der Nutzer aufgezeichnet, als sie eine Gesamtzahl von 65 Newslettern in ihren persönlichen Posteingängen gelesen haben. Per Definition wurde jeder dieser Newsletter nur von einem einzigen Nutzer gelesen.

In Ergänzung zur Newsletter-Studie haben wir untersucht, wie Teilnehmer eine Anzahl von RSS-Readern benutzt haben, um News-Feeds zu lesen. Durch diese Untersuchungskomponente konnten wir das neuere Medium News-Feeds mit dem inzwischen etablierten Medium E-Mail-Newsletter vergleichen.

Schliesslich haben wir auch eine Feldstudienkomponente mitberücksichtigt, bei der wie die Nutzer in ihren Büros während eines typischen Arbeitstages beobachtet haben. Mit Hilfe dieses ethnologischen Ansatzes konnten wir studieren, wie die Teilnehmer Newsletter und News-Feeds in einer Umgebung mit vielen konkurrierenden Informationsquellen und Anforderungen an ihre Arbeitszeit nutzen.

Verbesserungen in der gemessenen Usability

Im Vergleich zu unserer ersten Studie vor vier Jahren haben wir grosse Fortschritte beim Abonnieren und Abbestellen von Newslettern festgestellt:

  • Abonnieren: Die Durchschnittszeit, die die Nutzer brauchten, um Newsletter zu abonnieren, sank von 5:04 Minuten vor vier Jahren auf 4:03 Minuten in der neuen Untersuchung, was einen Produktivitätsgewinn von 25% ausmacht.
  • Abbestellen: Die Durchschnittszeit, die die Nutzer brauchten, um Newsletter abzubestellen, sank von 3:05 Minuten vor vier Jahren auf 1:38 Minuten in der neuen Untersuchung, was einen immensen Produktivitätsgewinn von 89% ausmacht.

Vier Jahre sind eine sehr kurze Zeit; es ist also ermutigend zu sehen, dass die Unternehmen so viel in die Qualität des Nutzererlebnisses investiert haben, dass Verbesserungen in der Grössenordnung von 25-89% erzielt wurden. Solche Investitionen sind ein Beleg dafür, wie wichtig E-Mail-Newsletter unter dem Strich sind.

Trotz der Verbesserungen bleibt allerdings noch manches zu tun. Zum Beispiel sollten die Nutzer in der Lage sein, einen Newsletter in weniger als einer Minute zu abonnieren.

Zudem lag bei unserer jüngsten Studie die Erfolgsrate beim Abonnieren von Newslettern bei 81%. Das ist zwar höher als die 66%, die wir beim Testen eines breiten Spektrums von Websites ermittelt haben, aber auch eine Erfolgsrate von 81% bedeutet, dass ein Newsletter mit 50.000 Abonnenten weitere 11.700 Abonnenten hinzugewinnen könnte, wenn die Usability des Abonnier-Dialoges verbessert würde.

Texte überfliegen, Einleitungen überspringen

Einer der Hauptnutzen von Eyetracking liegt in der detaillierten Untersuchung des Leseverhaltens. Wir haben gesehen, dass die Nutzer sowohl beim Abarbeiten ihres Posteingangs als auch beim Lesen von Newslettern extrem schnell sind: Die Durchschnittszeit, die sie nach dem Öffnen für einen Newsletter aufgewendet haben, lag bei 51 Sekunden. "Lesen" ist dabei nicht das richtige Wort, da die Teilnehmer nur 19% der Newsletter komplett gelesen haben. Das vorherrschende Nutzerverhalten war das Überfliegen (Scannen). Oft haben die Nutzer noch nicht einmal den ganzen Newsletter überflogen: In 35% der Fälle haben die Nutzer nur einen kleinen Ausschnitt des Newsletters fixiert oder nur einen einzigen Blick auf den Inhalt geworfen.

Die Leute tendierten stark dazu, das einleitende Bla-bla der Newsletter zu überspringen. Obwohl dieser Text im Schnitt nur drei Zeilen lang war, haben unsere Eyetracking-Aufzeichnungen ergeben, dass 67% der Nutzer keine Fixierungen innerhalb der Einleitungstexte hatten.

Heatmap von Nutzern beim Lesen eines Newsletters
Eyetracking-Wärmekarte von Nutzern beim Lesen eines Newsletters. Man beachte die Konzentration auf das Lesen der ersten beiden Wörter der Schlagzeilen. Bereiche, die die Nutzer am meisten angeschaut haben, sind rot gefärbt; die gelben Bereiche zeigen weniger Blicke an, gefolgt von den am wenigsten beachteten blauen Bereichen.

Verhaltensänderungen

Verglichen mit früheren Newsletter-Studien ist die grösste Änderung, die wir bei der neuen Forschung festgestellt haben diejenige, dass die Nutzer noch mehr mit Informationen überschüttet werden als in der Vergangenheit. In der Folge sind die Leute extrem wählerisch bei der Frage, welche Newsletter sie in ihre überfüllten Posteingänge hereinlassen. Natürlich zeigt das den Herausgeber ein weiteres Mal, wie notwendig es ist, auf die Usability ihrer Newsletter zu achten und darauf, ob sie auf Überfliegbarkeit und schnellen Zugang hin gestaltet sind.

Oft spielen die Nutzer ausdrücklich den einen Newsletter gegen einen anderen aus, um ihr E-Mail-Volumen zu reduzieren. Ein guter Newsletter kann herausfliegen, wenn ein besserer auftaucht. Die Leute achten sehr darauf, Zeit zu sparen, und sie versuchen, die besten Newsletter für ihre vielfältigen Informationsbedürfnisse zu finden.

Viele Nutzer sind sehr geübt darin, E-Mails zu verwalten, da das sowohl für den beruflichen als auch für den persönlichen Gebrauch so ein wichtiges Werkzeug ist. (E-Mail ist die wirklich schlagende Anwendung im Internet - Websites sind, was die meisten Nutzer angeht, weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz.) Durchschnittlich haben die Nutzer jeweils 3,1 unterschiedliche E-Mail-Konten.

Mit der Zeit sammeln sich bei den Nutzern "alte" E-Mail-Konten an, die nur noch selten benutzt werden. Wenn Ihr Newsletter an ein solches Konto gesandt wird, kann es sein, dass der Nutzer ihn erst nach einiger Zeit abruft. Daran können Sie nicht viel ändern, ausser dass Sie gewährleisten sollten, dass die Links und Sonderangebote in Ihren Newslettern nicht zu schnell auslaufen.

Etliche Teilnehmer haben besondere Accounts benutzt, um Dinge zu abonnieren, die sie für Spam-verdächtig halten oder allgemein für weniger nützlich. Es ist unabdingbar, die Nutzer davon zu überzeugen, dass Ihr Newsletter in einen Anschluss mit höherer Priorität gehört. Das können Sie erreichen, indem Sie die Richtlinien darüber befolgen, wie man auf der Abonnier-Oberfläche einen glaubwürdigen Eindruck vom Wert und von der Erscheinungshäufigkeit des Newsletters erzeugt.

Jetzt, wo die meisten E-Mail-Dienste Speicherkapazitäten im Gigabyte-Format bereitstellen, archivieren die Nutzer mehr Newsletter als früher. Einerseits trägt das mit zu ihrer Informations-Überlastung mit bei. Andererseits steigt dadurch der langfristige Wert von Newslettern im Vergleich zu anderen Internet-Medien. Der Grund: Gespeicherte Newsletter werden Teil des persönlichen Informationsraumes der Nutzer und werden gefunden, wenn die Nutzer ihre lokale Umgebung durchsuchen. Zwar brauchen Ihre Newsletter deshalb keine ausgewachsene Suchmaschinen-Optimierung, aber Sie sollten doch darüber nachdenken, wie Nutzer Monate oder Jahre später alte Themen nachrecherchieren könnten.

Alte Usability-Probleme bleiben bestehen

Bei unserer neuen Forschung sind wir auf viele altbekannte Usability-Probleme gestossen. Auf einer Website haben Nutzer beispielsweise das falsche Newsletterformat abonniert, weil die Auswahl in Form von so genannten Radiobuttons mit den Optionen "HTML" und "Text" dargestellt wurden.

Erstens verletzen die Bezeichnungen eindeutig die Richtlinie, die wir bei unserem ersten Bericht über E-Mail-Newsletter 2002 aufgestellt haben. Und zweitens fordert, wie wir 2004 berichtet haben, die horizontale Anordnung der Radiobuttons die Nutzer dazu heraus, den falschen Button anzuklicken (siehe im Detail Richtlinie Nr. 6 für Checkboxen und Radiobuttons). Und genau das passierte auch bei unserer Studie: Ein Nutzer, der technisch versiert genug war, um den Unterschied zwischen "HTML" und "Text" zu verstehen, dachte, die Bezeichnung "HTML" gehöre zum Kreis rechts daneben, und wählte das Format entsprechend aus.

In Wirklichkeit ist "dachte" das falsche Wort: Das Anklicken geht so schnell, dass die Leute nicht wirklich etwas denken. Wenn die Nutzer diese Radiobuttons gründlich analysieren würden, würden sie sie wahrscheinlich korrekt verwenden. Aber es gibt niemanden, für den das Verstehen von Radiobuttons eines der wichtigsten Lebensziele ist. Die Leute wollen ihre Zeit lieber mit ihren Kindern verbringen, deshalb klicken sie sich so schnell wie möglich durch die Website-Funktionen; und das bedeutet, dass die Designer Nutzerfehler verhindern müssen, indem sie fehleranfällige Anordnungen wie die oben gesehene vermeiden.

RSS und News-Feeds

Die erste und wichtigste Richtlinie für News-Feeds lautet: Nennen Sie sie nicht mehr RSS. In unserer Studie hatten 82% der Nutzer keine Ahnung, was dieser Begriff bedeutet. Eine an der technischen Implementierung orientierte Begrifflichkeit ist fast immer schlecht, weil die meisten Nutzer die zugrunde liegende Technik nicht verstehen (oder als nicht wichtig einstufen). Es ist besser, man benutzt Begriffe, die anzeigen, was das jeweilige Konzept für den Nutzer tut. In diesem Fall ist das "News-Feeds" (zu Deutsch etwa "Nachrichtenlieferung") viel besser bekannt als "RSS".

Einige Nutzer waren mit dem allgemeinen Konzept der News-Feeds durchaus vertraut, obwohl sie den Terminus "RSS" nicht kannten. Das lag normalerweise daran, dass sie auf ihren My-Yahoo!-Seiten oder anderen personalisierten Portalen solche News-Feeds erhielten.

Die Nutzer hatten gegenüber News-Feeds sehr gemischte Gefühle. Einige Leute mochten es lieber, sich Informationen aus zahlreichen Websites an einem einzigen, zentralen Ort anzusehen als zu jeder einzelnen Website hinzugehen. Manche Nutzer überflogen auch gerne eine Liste von Überschriften, die keine Inhalte enthielt, die sie nicht bestellt hatten. Schliesslich fanden es einige Nutzer gut, dass sie selber entscheiden konnten, wann sie die Nachrichtenthemen anschauen möchten. Das ist bei Newslettern anders, weil sie zu Zeitpunkten eintreffen, die die Nutzer nicht bestimmen können.

Andererseits hatten viele Nutzer negative Gefühle gegenüber News-Feeds. Personen, welche bereits an einer Informationsüberlastung leiden, hassen es, wenn sie eigens zu noch einer Informationsquelle hingehen müssen. Dies ist bei Newslettern anders, denn die erscheinen in einem Werkzeug, welches die Nutzer ohnehin verwenden, ohne sich damit zu belasten, dass sie noch eine weitere Sache erledigen müssen. E-Mails sind ausserdem besser für späteren Gebrauch zu archivieren, während News-Feeds eine flüchtige Natur haben.

Etliche unserer Teilnehmer hatten News-Feeds auf ihrer My-Yahoo!-Seite, die sie nicht mehr nutzten. Viele frühere Studien haben ergeben, dass die Nutzer ungern Zeit mit der persönlichen Einstellung von Portalen verbringen, also war es keine Überraschung, dass einige Nutzer einfach aufgehört haben, den Teil der Seite anzuschauen, statt ihre persönlichen Einstellungen zu verändern.

Schliesslich hatten einige Nutzer etwas dagegen, dass die News-Feeds vom Kontext der Website des jeweiligen Herausgebers getrennt sind. Sie bevorzugten die Entdeckerfreude, die beim Besuch einer ausgewachsenen Website aufkommt, wenn man hinter den Schlagzeilen des Tages zusätzliche Informationen findet.

News-Feeds sind definitiv nicht jedermanns Sache, und sie sind kein Ersatz für E-Mail-Newsletter. Bei bestimmten Websites können News-Feeds die Newsletter ergänzen, wenn sie Nutzer beliefern, die einen zentralen Überblick über die Schlagzeilen bevorzugen. Das werden primär Zeitungs-Websites sein oder andere Sites, die sich stark auf Nachrichten und aktuelle Geschichten konzentrieren, oder auch Websites, die auf Internet-Enthusiasten abzielen. Bei Websites, die auf die Masse der geschäftlichen Nutzer oder auf ein breites Konsumentenpublikum abzielen, sind News-Feeds wohl weniger wichtig. Solche Sites dürften besser daran tun, Wert auf hochwertige Newsletter zu legen und auf eine Auswahl von Erscheinungsfrequenzen.

Unsere Eyetracking-Ergebnisse haben gezeigt, dass die Leute beim Lesen von News-Feeds die Schlagzeilen und Anreissertexte sogar noch unbarmherziger überfliegen als beim Lesen von Newslettern. Wenn Sie in jemandes Newsreader auftauchen, ist Ihre Site dort mit einem winzigen Ausschnitt vertreten, der sich zwischen die Schlagzeilen aus vielen anderen Websites quetscht. Unter solchen Bedingungen lesen die Nutzer oft nur die ersten beiden Wörter der Schlagzeile, deshalb ist es entscheidend, dass Sie kurze Schlagzeilen haben, die mit den Wörtern beginnen, die die meiste Information enthalten.

News-Feeds sind ein kaltes Medium verglichen mit E-Mail-Newslettern. News-Feeds bringen nicht das gleiche Verhältnis zwischen Firma und Kunden hervor, das ein guter Newsletter aufbauen kann. Wir haben keine Daten, um den relativen wirtschaftlichen Nutzen eines Newsletter-Abonnenten im Vergleich zu einem News-Feeds-Abonnenten berechnen zu können, aber ich wäre nicht überrascht, wenn dabei herauskäme, dass Unternehmen mit einem Newsletter-Abonnenten zehnmal so viel Geld verdienen. Da Newsletter ein viel kraftvolleres und wärmeres Medium sind, ist es wahrscheinlich besser für Unternehmen, die Leute zu Newsletter-Abonnements zu ermuntern und diese über Website-Feeds zu bewerben.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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