Stellen Sie Effizienz nicht über Erwartungen
Funktionen, die die Nutzereffizienz erhöhen, indem Schritte reduziert werden, können Nutzern schaden, falls sie nicht mit bestehenden mentalen Modellen und Erwartungen übereinstimmen, welche auf früheren Erfahrungen basieren.
by Aurora Bedford (deutsche Übersetzung) - 10.05.2015
Das wahrscheinlich wichtigste Ziel der Usability ist die Minimierung der Interaktionskosten (engl.), weshalb viele Websites und Anwendungen versuchen, die Anzahl der Schritte - häufig Klicks - zu reduzieren, die ein Nutzer absolvieren muss, um eine Aufgabe zu lösen. Die Interaktionskosten bestehen allerdings aus mehr als nur der Anzahl von Klicks (oder anderer physischer Handlungen) - sie beinhalten auch die mentale Anstrengung. Es gibt Situationen, in denen eine ausschliessliche Konzentration auf die Anzahl der Schritte schiefgehen kann: Fälle, in denen Nutzer so an den "ineffizienten" Ablauf gewohnt sind, dass seine Rationalisierung für Verwirrung sorgt und den Aufgabenfluss unterbricht. In diesen Fällen steigen die Interaktionskosten paradoxerweise aufgrund des zusätzlichen kognitiven Aufwands, der notwendig ist, um durch den rationalisierten Ablauf zu navigieren.
In einer vereinfachten Gleichung ausgedrückt: IK = P + M (Interaktionskosten = physischer + mentaler Aufwand). Es lohnt sich nicht, P geringfügig zu reduzieren, falls dadurch M wesentlich grösser wird.
Erwartungen basieren auf vergangenen Erfahrungen
Menschen nehmen häufig den Weg des geringsten Widerstandes - nicht, weil sie faul sind, sondern weil sie versuchen, effizient zu arbeiten und ihre zahlreichen Ziele schnell und einfach zu erreichen. Während sie nachdenken oder Probleme lösen, vergleichen Menschen die aktuelle Situation unbewusst mit früheren Erlebnissen, um Entscheidungen zu treffen und Handlungen durchzuführen. Falls in einer ähnlichen Situation eine bestimmte Handlung erfolgreich war, wird diese Handlung erneut angewandt - egal wie viele andere Alternativen es gibt. (Diese anderen Alternativen sind häufig zu schwach, um den Kampf gegen die am häufigsten verwendete Methode zu gewinnen.) Ausserdem wird angenommen, dass das Resultat dieser Handlung genau dasselbe Resultat sein wird, das in der Vergangenheit erreicht wurde - die früheren Erlebnisse werden zu aktuellen Erwartungen.
Dieser unbewusste Vorgang wird durch das implizite Gedächtnis ermöglicht. Das implizite Gedächtnis ist eine Art Langzeitgedächtnis, welches Aktionen unbewusst aufgrund früherer Erfahrungen auslöst. Im Internet verlassen sich Nutzer auf jeder Website, die sie besuchen, auf ihr implizites Gedächtnis, um herauszufinden, wie sie mit der vorliegenden Website oder App interagieren sollen. Während Handlungen durchgeführt werden, um bestimmte Aufgaben zu erledigen, verlassen sich Nutzer auch auf das prozedurale Gedächtnis: eine Untergruppe des impliziten Gedächtnisses, das mit der Prozessabwicklung in Verbindung steht. Wenn eine Aufgabe häufig geübt wurde, wird sie im prozeduralen Gedächtnis abgespeichert: es ist fast so, als ob wir einen eigenen "Muskel" hätten, der die Aufgabe erledigt. (Es ist wenig überraschend, dass eine Art von prozeduralem Gedächtnis, das sich der Bewegung widmet, "Muskelgedächtnis" genannt wird.) Unser prozedurales Gedächtnis ermöglicht es uns, unsere Schuhe problemlos zuzubinden, Fahrrad zu fahren und einen PIN-Code in eine Website oder einen Geldautomaten einzugeben - wir führen diese Aufgaben im Autopilot-Modus durch.
Übung macht den Meister
Was es uns ermöglicht, ohne bewusste Anstrengung komplizierte Abläufe durchzuführen, ist das Ausmass in dem wir den Prozess geübt haben. Indem wir eine Handlung wiederholen - idealerweise immer auf dieselbe Weise - lernen und speichern wir diese Handlung in unserem prozeduralen Gedächtnis ab. Wenn eine Situation mehrere Male auftritt und immer dieselbe Handlung (oder Abfolge von Handlungen) durchgeführt wird, welche immer dasselbe Resultat zur Folge hat, wird das das Muster verstärkt und festigt sich in unserem Gedächtnis.
Übung bedeutet auch, dass wir Informationen erlernen und sie in unserem explizitem Gedächtnis speichern, auf das wir ständig zugreifen. Wie häufig eine bestimmte Information in der Vergangenheit verwendet wurde, bestimmte ihre Aktivierung in der Zukunft.
In der digitalen Welt ist das Üben bestimmter Muster durch den Nutzer der Grund, weshalb wir Designern empfehlen, bei der Erstellung einer Nutzeroberfläche etablierte Standards zu befolgen. Das Jakob's Law des Nutzererlebnisses im Internet besagt, dass Nutzer den Grossteil ihrer Zeit auf anderen Websites verbringen - während sie auf diesen Websites surfen, üben sie das Auffinden und Anwenden von Suchfeldern, das Klicken auf Kontrollkästchen, um Listen zu filtern, die Eingabe und Übermittlung von Informationen in Formularen und so weiter. Sobald sie Ihre Site erreichen, erwarten sie, dass sie auf dieselbe Weise funktioniert, wie diese anderen Websites. Jede leichte Abweichung von der Norm deaktiviert den Autopilot und zwingt die Nutzer, nachzudenken und eine Handlung zu finden, die mit der neuen Situation übereinstimmt. Das ist schlecht! Wir möchten, dass Nutzer im Autopilot-Modus bleiben und keine zusätzliche Anstrengung aufbringen müssen, um darüber nachzudenken, wie eine Nutzeroberfläche verwendet wird.
Stellen Sie sich die Aktivität des Aktualisierens der Profileinstellungen eines Systems vor: die normale Vorgehensweise zur Durchführung dieser Aufgabe ist es, zu einem Formular zu navigieren, sich jede Position durchzulesen, die gewünschten Einstellungen auszuwählen und danach die neuen Einstellungen zu speichern oder anzuwenden. Diese Handlungsabfolge wurde mit grosser Wahrscheinlichkeit bereits mehrere Male geübt - in jedem System, in dem ein Profil angelegt werden muss. Sehen wir uns jetzt unter Berücksichtigung dieses Ablaufs das folgende Formular für E-Mail Einstellungen von Nextdoor.com an:
Die Seite der E-Mail Einstellungen von Nextdoor.com ermöglicht es Nutzern nicht, die klassische Vorgehensweise zur Aktualisierung der Einstellungen mit Hilfe eines Formulars anzuwenden. Diese Abweichung vom klassischen Formulardesign zwingt die Nutzer, zusätzliche Zeit und Anstrengung aufzuwenden, um darüber nachzudenken, wie die Aufgabe erledigt werden muss.
Was fehlt in diesem Formular, das ansonsten relativ normal aussieht? Es gibt keinen Speichern-Button! Wie wenden wir die Änderungen an, damit diese im System gespeichert werden? Mit Computern vertraute Leser werden verstehen, dass das Formular die Änderungen wahrscheinlich speichert, sobald diese vorgenommen wurden, was die Effizienz erhöht, da nicht zusätzlich auf Speichern geklickt werden muss. Die meisten Nutzer sind allerdings nicht so versiert - und sogar die Sachkundigsten unter uns sind es eher gewohnt, am Ende eines Formulars den Button Speichern oder Absenden zu finden. Das ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie sogar die kleinste Abweichung vom Standard Verwirrung hervorrufen und die kognitive Belastung (engl.) erhöhen kann. Da der Button Speichern entfernt wurde, reissen die Designer die Nutzer aus dem Autopilot-Modus, da die Aufgabe nicht laut Plan absolviert werden kann. Anstatt auf Speichern zu klicken und weiterzumachen, müssen Nutzer, die das Formular ausgefüllt haben, jetzt auf der Seite nach dem nicht vorhandenen Speichern-Button suchen und die neue Situation mit ähnlichen früheren Erfahrungen vergleichen, um herauszufinden, welcher Schritt jetzt zu tätigen ist. Die Reduktion der Anzahl der Schritte schlägt sich in diesem Fall nicht in einer Reduktion der Interaktionskosten nieder, da Nutzer kognitive Leistung aufwenden müssen, um einen neuen Ablauf zum Umgang mit diesem weniger gängigen Muster zu finden.
Respektieren Sie mentale Modelle
Die fehlende Änderungen speichern Funktion des Formulars stimmt nicht mit dem Interaktionsmuster der meisten Formulare überein und steht auch im Gegensatz zum typischen mentalen Modell der Art, auf die digitale Systeme Informationen speichern. Durch jahrelange Erfahrung mit der Technik, haben die meisten Nutzer gelernt, einem System explizit mitzuteilen, dass ihre Arbeit gespeichert werden soll - ansonsten könnten sie alle Änderungen seit der letzten Speicherung verlieren. Es ist aber auch wahr, das Menschen häufig vergessen, Dokumente zu speichern (und Autosave ist eine tolle Funktion, die uns stundenlange Frustration und doppelte Arbeit erspart). Die Autosave-Funktion muss allerdings nicht das manuelle Speichern ersetzen: die beiden Funktionen können nebeneinander existieren. Was Formulare betrifft, nehmen die meisten Nutzer an, dass sich nichts verändert, bevor sie auf Speichern oder Anwenden geklickt haben, und dass das Verlassen des Formulars alle Änderungen zurücksetzt - genau wie es ein Klick auf Abbrechen tun würde.
Nutzer sehnen sich nach Kontrolle
Ähnlich wie Passagiere am Rücksitz möchten Nutzer das Gefühl haben, die Situation unter Kontrolle zu haben. Dieses Gefühl der Kontrolle ist allerdings nur möglich, wenn - gemäss Don Norman - das System sowohl den Graben der Auswertung als auch den Graben der Ausführung (engl.) überbrückt. Das bedeutet, dass den Nutzern der Status des Systems klar kommuniziert werden muss und sie zusätzlich wissen müssen, wie sie die Nutzeroberfläche beeinflussen können, um diesen Status zu ändern. Nutzer müssen den aktuellen Status des Systems ständig kennen (eine der 10 Usability-Heuristiken(engl.)). Für Nutzer gilt: "erst sehen, dann glauben", was bedeutet, dass für jede Handlung, die ein System durchführt, visuelles Feedback angezeigt werden muss. Jede Handlung, vom Anzeigen von verborgenen Inhalten bis hin zur Kommunikation des Fortschritts während einer Wartezeit, muss klar angezeigt werden, damit der Nutzer versteht, dass gerade etwas passiert.
Die Entfernung des Speichern-Buttons reduziert die Kontrolle des Nutzers über die Nutzeroberfläche. Plötzlich ist die Website eine autonome Einheit, die selbst entscheidet, wie und wann Dinge erledigt werden. Um dem Nutzer die Kontrolle zurückzugeben, muss das System kommunizieren, dass es nicht aus eigenem Antrieb agiert, sondern nur auf Aktionen reagiert, die der Nutzer initiiert hat. Im NextDoor Beispiel sollten Änderungen nicht nur im Hintergrund automatisch gespeichert werden - es sollte auch visuelles Feedback angezeigt werden, welches dem Nutzer mitteilt, dass die neuen Einstellungen direkt bei ihrer Auswahl gespeichert wurden.
Das vorgeschlagene Update der Formulare auf Nextdoor.com: Um dem Nutzer die Kontrolle zurückzugeben und ihn über den Systemstatus zu informieren, muss der Nutzeroberfläche visuelles Feedback hinzugefügt werden, welches mitteilt, dass die neuen Einstellungen gespeichert wurden. Eine Lösung ist es, das Wort Gespeichert neben jedem Feld anzuzeigen, nachdem es geändert wurde, um den Nutzer darüber zu informieren, dass keine weitere Handlung notwendig ist. Eine noch einfachere Lösung wäre es, einen normalen Speichern-Button am Ende des Formulars hinzufügen (und die Autosave-Funktion zu entfernen oder es Nutzern auf andere Weise zu ermöglichen, ihre Änderungen einfach rückgängig zu machen).
Helfen Sie Nutzern, zu Meistern zu werden
Obwohl es während des Designens wichtig ist, bekannte Interaktionsmuster beizubehalten und bestehende mentale Modelle zu berücksichtigten, meine ich damit nicht, dass es keine Innovation geben sollte. Design-Standards sollen die Kreativität nicht blockieren (engl.), sondern Nutzern helfen, indem Zeit und Aufwand, die in eine Aufgabe investiert werden müssen, reduziert werden. Warum sollte die geistige Energie von Menschen für irrelevante Elemente der Nutzeroberfläche verschwendet werden? Falls es eine neue, effiziente Möglichkeit gibt, eine Aufgabe zu erledigen, dann sollten Sie sie definitiv ausprobieren! Lassen Sie Ihre Nutzer allerdings nicht im Dunkeln tappen - helfen Sie ihnen dabei, das neue Muster zu erlernen, indem Sie ihre Erwartungen verstehen und Informationen, die ihnen wichtig sind, klar kommunizieren. Erst wenn Menschen die Nutzeroberfläche verstehen und wissen, was sie tun müssen, um fortzufahren und die Aufgabe abzuschliessen, werden sie das Gefühl haben, die Nutzeroberfläche tatsächlich zu beherrschen. Unser Ziel müssen entspannte, selbstbewusste Nutzer sein, die die Kontrolle behalten, während sie mit unseren Websites und Apps interagieren. Das erreichen wir, indem wir verstehen und respektieren wie das Gehirn der Nutzer die angezeigten Informationen verarbeitet und mit Interaktionsmustern umgeht.
Weitere Informationen über die kognitiven Beschränkungen von Nutzern und entsprechende Designs erhalten Sie in unserem ganztägigen Trainingskurs über den menschlichen Verstand und die Usability (engl.).
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