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22.02.2015

Emotionales Design-Scheitern: Ich lass mich von meinem Nest-Thermostat scheiden

Don Normans 3 Ebenen des emotionalen Designs (instinktiv, verhaltensbezogen und reflektierend) halfen mir dabei, zu verstehen, wie sich meine Liebe für das Nest-Thermostat in Abscheu verwandeln konnte.

© Nielsen Norman Group

 

by Kara Pernice (deutsche Übersetzung) - 22.02.2015

 

Ich war ein stolzer Early Adopter dieses einzigartigen, coolen und formschönen Geräts. Es half mir beim Energiesparen und kommunizierte mit mir. Aber die Situation ändert sich, als mich das Gerät emotional im Stich gelassen hatte.

Vor einigen Jahren, als Don Norman (engl.) davon geschwärmt hatte, kaufte ich mir einen Nest, einen cloudbasierten, programmierbaren und semi-intelligentenThermostat. Und Don lag (wie auch schon bei anderen Dingen, wie dem iRobot Staubsauger oder dem Starck Juicy Salif) wieder einmal goldrichtig. Es war ein aufregendes Kennenlernen: vom Entfernen der Verpackung bis hin zum ersten Mal als ich die Wärme in meinem Haus einstellte, als ich mich in einem anderen Land befunden habe - ich liebte dieses Gerät.

Nest Thermostat

Doch dann ging alles schief. In den letzten Monaten verwandelte sich meine Liebe in Beunruhigung. Und diese Unruhe verwandelte sich in Abneigung und schliesslich in Antipathie. Wie konnte sich dieses Gerät von unglaublich toll zu abscheulich verändern? Im Rahmen einer Selbst-Psychoanalyse zerlegte und ermittelte ich, dass sich die meisten Gründe auf missachtete UX-Prinzipien (engl.) und ignorierten UX-Heuristiken (engl.) zurückführen liessen. Noch wichtiger aber ist, dass es sich hierbei um ein Beispiel für ein schiefgegangenes emotionales Design (engl.) handelt.

In seinem Buch "Emotional Design: Why We Love (Or Hate) Everyday Things" (engl.) beschreibt Don Norman die 3 Bausteine des emotionalen Designs:

  • Die instinktive Ebene: "ist, was die Natur tut", es "dominiert physikalische Eigenschaften und hat auf der ganzen Welt dieselben Regeln."
  • Die reflektierende Ebene: "konzentriert sich auf die Nachricht, die Kultur, die Bedeutung des Produkts oder seiner Verwendung; ruft persönliche Erinnerungen hervor; Selbstbild."
  • Die verhaltensbezogene Ebene: "konzentriert sich auf die Verwendung... Funktion kommt zuerst."

Ich kann jede meiner Vorlieben oder Abneigungen gegenüber dem Nest diesen 3 Niveaus (engl.) zuordnen.

Es nahm mir die Kontrolle (verhaltensbezogen)

Als ich mein Nest kaufte, hatte ich das Gefühl, Superkräfte zu haben, da es sich per WLAN mit dem Internet verbinden liess und mir ermöglichte, die Temperatur meines Zuhauses über die Nest-Website oder die Tablet App (engl.) einzustellen. Das war zu diesem Zeitpunkt mit keinem anderen Thermostat möglich. Doch diese positive Funktion wurde von negativen Elementen, die die Kontrolle übernahmen, in den Schatten gestellt. (Und Sie möchten definitiv die Kontrolle behalten, während Sie ein Gerät verwenden.)

Lernfähigkeit eines Geräts bedeutet, dass es nicht nur registriert, was Sie normalerweise tun, sondern auch folgendes kann: 1) es ermöglicht Ihnen, sich zu verändern und wird 2) diese Änderungen übernehmen. Mein Nest lernte relativ schnell, hörte dann aber auf zu lernen. Es erinnerte sich, suchte aber nicht nach Variationen oder Anpassungen. Es war das Äquivalent eines gedruckten Lehrbuches: Fakten, korrekt oder nicht, werden zum Gesetz, wenn sie darin stehen, und werden daher auf diese Weise unterrichtet, bis sich die Schule für ein anderes Lehrbuch entscheidet.

Als ich den Regler verstellte, um die Temperatur auf 19°C bzw. 66°F zu erhöhen, war die Reaktion weder die erwartete Erwärmung des Hauses noch eine Information, dass daran gearbeitet wird. Stattdessen meldete das Gerät: "in 1 Stunde und 20 Minuten 66°F bis 22:00." Am nächsten Tag fiel die Temperatur der Wohnung ohne ersichtlichen Grund auf ungemütliche 10°C bzw. 50°F. Hier kommt übrigens eine weitere Usability-Heuristik, die ignoriert wurde zum Tragen, zum Tragen: die Anzeige des Systemstatus.

Egal, was ich versuchte, das Gerät hörte einfach nicht auf mich. Ich zog daher einen weiteren Pullover (à la Jimmy Carter), Handschuhe und eine Mütze an. In meinem Haus. Nein, das ist leider kein Scherz. Und dann wartete ich, bis sich mein Thermostat dafür entschied, mir etwas Wärme zu gönnen.

Es ist nicht transparent (reflektierend)

Warum lässt mich Nest die Temperatur nicht erhöhen, wenn ich den Regler bediene? Könnte diese sture Nutzeroberfläche eine Strategie von Nest sein, um Nutzer dazu zu zwingen, Energie zu sparen? Ist das Teil eines Masterplans, damit Nest in der Werbung angeben kann, Millionen von Watt gespart zu haben? Wahrscheinlich nicht, aber ich bin ein Nutzer wie jeder andere und male mir manchmal Verschwörungstheorien aus, wenn ich verwirrt bin (und mir zu kalt ist). Menschen bilden mentale Modelle von Geräten und wenn keines dieser Modelle passt, scheint eine Erklärung, wie die oben stehende, plötzlich plausibel zu werden.

Es lässt mich schlecht aussehen (reflektierend)

Als mein Nest neu war, fragten mich meine Gäste danach, berührten es und waren daran interessiert. Automatisch wurde auch ich dadurch interessanter. Doch jetzt, da ich die Temperatur in meinem eigenen Haus nicht regeln kann, lässt es mich schlecht aussehen - als ob ich so sparsam wäre, dass ich die Heizung ausschalte. Es ist peinlich. Ich hatte frierende Menschen zu Gast, die ihre Mäntel anbehielten und dafür eine höfliche Ausrede, wie "mir war im Büro so kalt, ich werde das einfach nicht mehr los" lieferten.

Es gibt mir das Gefühl, dumm zu sein (reflektierend & intuitiv)

Zuerst sorgte Nest dafür, dass ich mich toll fühlte. Es half mir dabei, Energie zu sparen. Es machte mir das sogar ganz besonders einfach, indem es berechnete, wie viel Energie ich gespart hatte, und mich daran in regelmässigen Status-Emails erinnerte. Ich konnte die Informationen auch selbst über seine Apps abrufen. Ich war stolz darauf, ein Early Adopter eines so einzigartigen, coolen und teuren Geräts zu sein. Ja, es stimmt, dass ich gleichzeitig oberflächlich und nerdig war.

Doch jetzt, da ich das Gerät nicht dazu bringen kann, zu tun, was ich möchte, fühle ich mich inkompetent. Ich frage mich, ob es mein Fehler ist, und was ich vielleicht falsch mache.

Doch dann betrachte ich das grosse Ganze und denke an die Hauptaufgabe, die Menschen diesem Gerät geben: das Haus wärmer oder kühler zu machen. Auch der grösste Technologiemuffel der Welt sollte es schaffen, einen Regler auf eine bestimmte Zahl einzustellen.

Die Schönheit geht nicht über das Chrom hinaus (intuitiv)

Der Nest-Thermostat sieht an meiner Wand gut aus - vor allem im Gegensatz zu seinem alten, zweckmässig wirkenden Vorgänger. Das physische Erscheinungsbild gewinnt vielleicht jeden Schönheitswettbewerb (engl.), falls ich mit dem Gerät aber nicht das tun kann, was ich will, dann handelt es sich um Kunst, nicht um Design.

Es ist schwierig, es zurückzusetzen (verhaltensbezogen)

Das Thermostat neu zu programmieren, bedeutet, mehrere winzige Kreise zu verstellen, die die Temperatur zu verschiedenen Uhrzeiten repräsentieren. Egal, ob dafür die App auf einem Tablet (engl.) oder das Nest selbst verwendet wird, der Vorgang ist unglaublich mühsam und es dauert sehr lange, diese Änderungen vorzunehmen. Ja, es ist programmierbar, es fühlt sich aber wie Linux an.

Nest Tablet-App

In der App, welche ich auf meinem Tablet verwende, ist es nicht einfach, die Kreise des Zeitplans per Berühren, Tippen und Ziehen (engl.) anzupassen.

Ausserdem scheint es überhaupt nicht möglich zu sein, die Temperatur über die iPhone App zu ändern. Es ist irritierend, dass diese Hauptaufgabe unmöglich gemacht wird - obwohl es ganz einfach ist, ein weiteres Nest zu kaufen und es der App hinzuzufügen oder einen neuen Service - Nest Protect - zu erwerben.

Nest iPhone-App

Es ist nicht einfach, in der Handy-App eine Möglichkeit zu finden, um die Temperatur anzupassen.

Es geht nicht mit der Zeit (reflektierend)

Als ich das Nest kaufte, schienen $250 für ein so einzigartiges, hilfreiches und angenehmes Gerät angemessen. Heutzutage gibt es aber mehrere programmierbare Thermostate mit guten Bewertungen, die rund 1/3 dieses Preises kosten (obwohl sie sich vielleicht nicht alle per WLAN verbinden oder versuchen, meine Gewohnheiten kennenzulernen). Die Mängel, die die langfristige Nutzung zu Tage bringt, haben eventuell seinen Wettbewerbsvorteil reduziert (engl.).

Es berücksichtigt meine Gemütsverfassung oder Situation nicht: aufgewühlt und frierend (intuitiv)

Ich lebe im Grossraum Boston. Winter 2015. Wir hatten rekordverdächtige Schneefälle und viele von uns fürchteten, dass sie nie mehr aufhören würden. Das Murmeltier sah soeben seinen Schatten. Überall lag Schnee und weitere Schneefälle wurden bereits angekündigt. In einer solchen Situation kann man auch an Tagen, an denen es laut Thermometer eigentlich gar nicht so kalt ist, die Kälte sehen und fühlen. Mein mentaler Zustand war genauso empfindlich, wie meine schneeschaufelgeplagten Hände. Ständig zu frieren ist nicht nur ein kleines Ärgernis, es geht hier um eines der grundlegenden, physiologischen Bedürfnisse (engl.) in der Maslowschen Bedürfnishierarchie. Sofern diese nicht erfüllt werden, können Menschen nicht funktionieren.

Es ist inkonsistent: Es sorgte dafür, dass ich es liebte, liess mich dann im Stich und wurde den Erwartungen nicht gerecht (reflektierend)

Nicht jedes Produkt kann diese Art von Abneigung hervorrufen. Die Tatsache, dass ich es am Anfang liebte, ist in diesem Fall das echte Problem. Es ähnelt einem schlechten Beziehungsende: falls Sie vor dem Ende der Beziehung verrückt nach der Person waren, kann das Ende so viel bitterer oder feindseliger sein, als in einer Situation, in der Ihnen die Person gleichgültig war und die Dinge einfach im Sand verliefen. Als mich mein Nest im Stich liess, liess es mich nicht einfach sitzen - es schickte mich buchstäblich in die Wüste.

Zusammenfassung der emotionalen Designelemente (intuitiv, verhaltensbezogen und reflektierend)

Um fair zu bleiben: Nest hat vieles genau richtig gemacht. Die Website verfügt über tolle Elemente, die App ermöglicht es, die Temperatur von jedem beliebigen Ort aus anzupassen, das Unternehmen ging Partnerschaften mit Energieanbietern an, um es zu vermarkten und Rabatte zu gewähren, das Design war bahnbrechend und die Anzeige selbst ist wunderschön. Von einer emotionalen Designperspektive aus, waren die intuitiven, reflektierenden und verhaltensbezogenen Elemente am Anfang sehr stark. Im Laufe der Jahre schwächelte das verhaltensbezogene Element: das Gerät wurde schwerer zu verwenden und erfüllte meine Bedürfnisse nicht mehr. Interessanterweise hatten die verhaltensbezogenen Nachteile grosse Auswirkungen auf das reflektierende Niveau. Sobald das Gerät unvorhersehbar wurde, schlugen die Emotionen gegenüber Nest ins Negative um. Das intuitive Niveau blieb am längsten stark - dank klassischen, gutaussehenden Elementen und einem wohltuenden Design der Apps und des E-Mail Newsletters. Doch jetzt haben sogar diese Aspekte an Faszination eingebüsst und das Gerät verhöhnt mich an meiner Wand. Ich stehe nicht mehr davor und bewundere es, wie ich das früher getan habe. (Ja, ich bin ein Nerd.)

Auf in die Zukunft

Ironischerweise entschied ich direkt nach dem Valentinstag, mich von meinem Nest scheiden zu lassen. Ich werde es ohne grosse Zeremonie und ohne Fanfaren von meiner Wand entfernen. Stattdessen wird mein Verlobter ein weniger hübsches, programmierbares Thermostat um 35 Dollar montieren, das wir irgendwo kaufen werden - wahrscheinlich mit einem Rabattgutschein. Ich bezweifle, dass ich mein neues Thermostat aufgeregt kennenlernen werde oder es meinen Freunden und Familienmitgliedern präsentieren werde, wie ich es mit dem Nest getan habe. Ich hoffe aber, dass wir eine langfristige, bequeme Beziehung aufbauen können - genau das, was ich mir im Moment von einem Thermostat erwarte.

 

© Deutsche Version. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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