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16.03.2003

Erzeugen Produktivitätssteigerungen wirtschaftliche Vorteile?

Usability-Verbesserungen können zu Zeiteinsparungen führen. Kritiker sind jedoch der Meinung, dass diese Einsparungen nicht mit Geldeinsparungen gleichzusetzen sind. Andere wiederum sorgen sich, dass Produktivitäts-Steigerungen eine Zunahme der Arbeitslosigkeit verursacht. Beides ist nicht richtig, denn ein brauchbares Design verringert die Ausgaben und erhält Arbeitsplätze.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 17.03.2003

 

Usability-Verbesserungen führen zu einer Produktivitätssteigerung. Dies ist ein Hauptargument für den Einsatz eines nutzerzentrierten Prozesses in Design-Projekten. Dies gilt sowohl für Intranet-Designs, Unternehmenssoftware, Call-Centers, Verarbeitungs-Systeme, Fabrikausstattungen als auch für jedes andere Design, wo Mitarbeiter bezahlt werden, um Aufgaben mit einer Nutzerschnittstelle auszuführen.

(Für andere Designs ist die Produktivität weniger ausschlaggebend. In diesen Fällen gelten dann andere Argumente für die Usability, zum Beispiel eine Zunahme der Verkaufszahlen, eine höhere Kundenzufriedenheit oder weniger Anrufe beim Kundensupport. Mein Bericht bezüglich des "Return on Investment" der Usability behandelt diese Fragestellung und gibt eine Einschätzung über die erwarteten Verbesserungen; diese Kolumne hier fokussiert auf das produktivitätsgesteuerte Design.)

Vorteile abschätzen

Es gibt keinen Zweifel darüber, dass eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber der Usability eine schnellere Anwendbarkeit und eine leichtere Nutzung bewirken. Trotzdem zweifeln einige Leute, ob diese Verbesserungen mit Gewinnen gleichzusetzen sind.

In einigen Fällen ist die Verbindung klar. Einige Systeme sind so komplex, dass die Anwender umfangreiche Einführungskurse brauchen, bevor sie qualifiziert genug sind, um mit diesen Systemen zu arbeiten. Prozessüberwachungen in der Industrie sind ein klassisches Beispiel, aber es gibt auch im administrativen Bereich viele Systeme, die eine Schulung erfordern. Gewöhnlich können Designprozesse, welche auf eine mühelose Erlernbarkeit achten, Einführungskurse um Tage, wenn nicht sogar um Wochen verkürzen. Ich bezweifle, ob jemand darüber diskutieren würde, ob Einsparungen bei Schulungen auch wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen.

Produktivitätssteigerungen sind schwieriger einzuschätzen. Man denke beispielsweise an die Mitarbeiterverzeichnisse im Intranet. In unseren Tests über Angestellte, die auf verschiedenen Intranets Aufgaben ausführten, haben wir festgestellt, dass die Zeit, die benötigt wurde, um Mitarbeiterkontaktinformationen zu finden, sich drastisch unterschieden hat:

  • durchschnittlich 58 Sekunden für Intranets mit guter Usability
  • durchschnittlich 2 Minuten und 38 Sekunden für Intranets mit schlechter Usability

Mit anderen Worten, eine Verbesserung der Usability im Angestelltenverzeichnis hatte zur Folge, dass jedes Mal, wenn eine Telefonnummer oder eine Kontaktinformation gesucht worden ist, durchschnittlich 1 Minute und 40 Sekunden eingespart worden sind.

Argumente gegen die Produktivität

Sogar die Leute, die wissen, dass ein Redesign eine zeitliche Einsparung von 1 Minute und 40 Sekunden bringen kann sind der Meinung, dass dieser Gewinn die erforderliche Investition nicht wert ist.

Ihr Hauptargument lautet wie folgt: Ja, die Mitarbeiter sparen vielleicht eine oder zwei Minuten, aber dafür stehen sie dann länger beim Wasserautomaten. Nur weil sie eine Telefonnummer schneller heraussuchen können, heisst dies noch lange nicht, dass die Leute auch mehr Arbeiten erledigen können.

Ein zweites Gegenargument ist: Auch wenn die Angestellten die durch die verbesserte Usability eingesparte Zeit sinnvoll nutzen, kann man den Wert dieser zusätzlichen Arbeit nicht kalkulieren, indem man die eingesparte Zeit mit dem Angestelltensalär multipliziert. Stattdessen müsste man jede einzelne durchgeführte Tätigkeit individuell betrachten und bewerten.

Zeiteinsparungen sind verdientes Geld

Wenn wir es nur in einem einzigen Fall schaffen würden, dass eine Person 2 Minuten einspart, wäre es in der Tat schwierig zu argumentieren, dass in diesen 2 Minuten ein Mehr an zusätzlicher Arbeit erledigt werden könnte. Aber das ist ja nicht der Fall. Tatsächlich sparen wir hier eine Minute. Ein, zwei Minuten dort, eine andere Minute hier und das machen wir immer und immer wieder.

Ein Beispiel: Sie gehen um 9.00 Uhr ins Büro und beginnen mit Ihrer ersten Tätigkeit. Sagen wir, sie nimmt eine Stunde Zeit in Anspruch. Danach beginnen Sie mit Ihrer zweiten Tätigkeit um 10.00 Uhr, welche ebenfalls eine Stunde dauert. Um 11.00 Uhr beginnen Sie mit Ihrer dritten Tätigkeit, die wiederum eine Stunde dauert. Sie hören am Mittag auf und machen dann Mittagspause.

Nehmen wir nun an, Sie bekommen ein neues Intranet mit Usability- Verbesserungen, die dazu beitragen, dass Sie für jede Tätigkeit zwei Minuten weniger benötigen. Sie beenden folglich die erste Aufgabe um 09:58 Uhr, die Zweite um 10:56 Uhr und die Dritte um 11:54 Uhr. Sie haben nun noch 6 Minuten bis zur geplanten Mittagspause. Sie könnten sich natürlich dazu entscheiden, früher in den Mittag zu gehen und Ihre Mittagspause zu verlängern. Aber würden Sie dies wirklich jeden Tag tun? Eines Tages würden Sie vielleicht auf die Uhr schauen und feststellen, dass es 11.54 Uhr ist und Sie gerade noch genug Zeit haben, einen wichtigen Kunden anzurufen oder um eine offen gebliebene Frage zu klären. Oder Sie vervollständigen einen aufwendigen Bericht, damit er Ihnen nicht über den Kopf wächst, wenn Sie von der Mittagspause zurückkommen. Vielleicht entscheiden Sie sich ja sogar mit Ihrer vierten Tätigkeit anzufangen und erst später essen zu gehen.

Hochgerechnet auf eine breite Menge Leute und Tage, führen die ein bis 2 Minuten, die pro Aufgabe eingespart werden zu einer erheblichen Anzahl zusätzlicher Tätigkeiten. Unternehmen können den erwirtschafteten Wert dieser Zeiteinsparungen auf zwei mögliche Weisen betrachten:

  • Man behält die gleiche Anzahl Mitarbeiter und lässt sie mehr Tätigkeiten ausführen, die dann zu einem erhöhten Output des Unternehmens führen.
  • Man verringert die Anzahl Angestellter und könnte so die gleiche Anzahl Arbeiten mit weniger Lohnkosten ausführen lassen. In einem grossen Unternehmen würde die Reduzierung des Personals die Schliessung von Gebäuden bzw. kleinere Büros zur Folge haben, welches dann wiederum weniger Verwaltungskosten verursachen würde.

Begrenzter versus durchschnittlicher Gewinnzuwachs

Was das zweite Argument gegen den Wert der Produktivität anbelangt: Ja, es ist zutreffend, dass eine exakte Schätzung des geschaffenen Wertes verlangt, dass wir den Geldwert des neuen Arbeitsproduktes mitberücksichtigen. Denn eine gut organisierte Firma widmet bereits all Ihre Anstrengungen den wertvollsten Projekten. Wenn nun weitere Zeit zur Verfügung steht, um ein anderes Projekt zu machen, wird das Projekt per Definition eine geringere Priorität und folglich einen geringeren Wert haben als die laufenden Projekte.

In der Praxis sehen nur wenige Unternehmen den starken Wertunterschied, den eine Verlagerung von den Tätigkeiten mit einem hohen inneren Wert zu denjenigen mit einem geringen Wert mit sich zieht. In der Realität steigt natürlich die Wertabnahme langsam, aber stetig.

Damit das Unternehmen im Geschäft bleiben kann, muss der Durchschnittswert der Arbeit des Angestellten höher sein, als die Kosten, die der Angestellte verursacht. Die Angestellten müssen sozusagen über den Wert ihres Gehaltes (welches auch die Verwaltungs-, Lohnneben- und Zusatzkosten mit einschliesst) hinaus produzieren, damit das Unternehmen weiterhin existieren kann. Auch bei einer Verlagerung zu einer Tätigkeit mit geringerem Wert wird sich der Wert für gewöhnlich im Bereich des Gehaltes bewegen.

Um die Dinge zu vereinfachen, können wir den Wert einigermassen einschätzen, der basierend auf den Gesamtkosten der Angestellten eingespart wird. Es mag wohl um ein paar Prozentpunkte variieren, aber da es sich um eine Schätzung handelt, reicht es für praktische Zwecke aus.

Verursachen Produktivitätssteigerungen Arbeitslosigkeit?

Einer der Fälle, in denen eine verbesserte Usability zu wirtschaftlichem Zuwachs führt, ist bei Produktivitätssteigerungen, welche den Unternehmen die Möglichkeit geben, Personal abzubauen und trotzdem die gleiche Menge Arbeit zu erledigen. Das tönt in einem grösseren Kontext nicht erfreulich und einige Leute sind deshalb auch besorgt, dass ein Mehr an Produktivität die Arbeitslosigkeit fördert.

In den achtziger Jahren wurden Usability-Experten oft mit Protesten von Gewerkschaften und anderen Arbeitsrechtlern konfrontiert, welche keinen Gefallen an der Teilnahme an Nutzertests finden konnten, die als Ergebnis verbesserte Designs hervorbrachten. In den letzten Jahren ist das nicht mehr ein so grosses Problem gewesen, anfangs wegen der Hochkonjunktur, und heute gibt es zu viele andere Faktoren der Arbeitslosigkeit, die besorgniserregender sind als die Aspekte der Usability. Viele Leute sind aber trotzdem noch besorgt.

Im Einzelfall wäre es in der Tat so, dass aufgrund einer Verbesserung der Usability eine so hohe Produktivität entstehen würde, dass einige Angestellte ihren Arbeitsplatz verlieren würden, da weniger Angestellte nötig wären. Das ist leider so, sicher aber nicht der Regelfall.

Die grundlegenden Theorien der Volkswirtschaft sagen aus, dass wenn der Preis eines Produktes gesenkt wird, mehr von diesem Produkt konsumiert wird. Im Falle der Usability bedeutet eine höhere Produktivität verminderte Kosten pro produzierte Arbeitseinheit, dies weil die gleiche Person mehr erledigen kann. Dies wiederum bedeutet, dass mehr Arbeit erforderlich ist und nicht weniger.

Die Idee, dass eine höhere Produktivität zwangsweise zu weniger Angestellten führt, wird durch die Hypothese begründet, dass es nur eine begrenzte Menge Arbeit gibt, die auf der gesamten Welt erledigt werden muss. Dies mag ja in einigen Fällen stimmen, zum Beispiel bei der Telefonauskunft: Je schneller jeder Operator einen Anruf erledigt, umso weniger Operators werden benötigt, weil die gesamte Arbeitslast durch die Anzahl Anrufer begrenzt ist. Wenn auf der anderen Seite die Arbeitskosten verringert werden könnten, dann könnte das Unternehmen die Preise für die Telefonauskunft senken und folglich könnten mehr Leute den Service nutzen. Also trifft die Hypothese nicht mal für den Fall der Telefonauskunft zu.

Wie auch immer, die meisten Bereiche der Wirtschaft sind nicht fix festgelegt. Wenn Dinge günstiger angeboten werden können, wird es auch eine erhöhte Nachfrage geben. Eine höhere Produktivität muss deshalb nicht zwangsweise zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit führen.

Im Gegenteil, die Arbeitslosigkeit ist viel eher ein Ergebnis einer schlechten Produktivität. Viele Expertenjobs sind momentan durch eine Verschiebung von den teueren Gebieten wie den USA, Europa, Japan und Australien zu Niedriglohnländern gefährdet. Das Internet löst die Problematik der Distanz und eröffnet die Möglichkeit Mitarbeiter zu finden, die gerade mal 10% von dem kosten, was in den Hochlohnländern bezahlt werden muss, ohne dabei weniger qualifiziert zu sein.

Produktivitätssteigerungen sind die einzige Möglichkeit in Hochlohnländern die Arbeitsplätze zu erhalten. Folglich sollten Usability-Experten nicht besorgt sein, dass sie Arbeitslosigkeit fördern, wenn sie ein Design verbessern und dadurch die Nutzerproduktivität erhöhen. Im Gegenteil, solche Bemühungen sind genau die, die uns im Geschäft bleiben lassen.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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