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23.11.2009

Faktor Geschwindigkeit beim Medienkonsum: Vergleich zwischen Fernsehen und Internet

Die Granularität der Nutzerentscheidungen ist im Internet viel feiner, in dem das Prinzip vorherrscht, jedes Nutzerbedürfnis zu jedem beliebigen Zeitpunkt zu befriedigen. Die Inhalte müssen sich dieser rapiden Gangart fügen.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 24.11.2009

 

Ich habe gerade Die Geschichte vom Prinzen Genji gelesen - jenes Meisterwerk der japanischen Literatur, das vor 1000 Jahren geschrieben wurde und weithin als erster Roman der Weltgeschichte gilt. Ich hoffe, dass ich bei meinen japanischen Freunden keinen Anstoss errege, wenn ich sage, dass sich, meiner Meinung nach, die Handlung dort ziemlich langsam entwickelt. Es ist ein wundervolles Buch, aber Frau Murasaki braucht viele Seiten, um den Plot auch nur ein winziges Stück voranzutreiben.

Aus historischer Perspektive ist klar, warum Die Geschichte vom Prinzen Genji die Zahl der Seiten in die Höhe getrieben hat. Die Damen am japanischen Hof hatten nichts anderes zu lesen. Schliesslich war das damals der einzige Roman, den es auf der ganzen Welt gab. Frau Murasaki hatte keinen Anlass, mit Stephen King oder Tom Clancy zu konkurrieren.

Heutzutage befinden wir uns natürlich in einer genau entgegengesetzten Situation: Alles, was wir schreiben, konkurriert mit Milliarden von Webseiten, die alle nur wenige Klicks entfernt sind. Das führt dazu, dass die meisten Leute in Wirklichkeit im Internet nur wenige Worte lesen.

Die Geschwindigkeit beim Medienkonsum ist dramatisch gewachsen. Die Leser verweilen nicht mehr in liebevollen Beschreibungen sämtlicher. Sie klicken hierhin, sie klicken dahin, sie klicken überall hin. Nur bleiben tun sie nirgends.

Wenn die Leute gedruckte Medien konsumieren, unterscheidet sich das von ihrem Gebrauch von Websites, was dazu führt, dass gedruckte Inhalte ganz anders gestaltet werden als Web-Inhalte.

Die Dimensionen der medialen Unterschiede

Alle Medien bewegen sich heutzutage schneller. Vergleichen Sie eine alte Fernsehshow mit einer zeitgenössischen, und Sie sehen, dass die Schnitte schneller kommen.

Und zwischen Fernsehen und Internet gibt es viele Unterschiede, die zu einer substanziell höheren Mediengeschwindigkeit im Online-Bereich führen:

FernsehenInternet
PublikumMassen: Jeder sieht im Grunde die gleichen Kanäle, so dass die Programme fade werden müssenNischen: Jeder sucht, wann immer er etwas will, nach seinen eigenen besonderen Interessen
Usabilityanschaltenfinden
TechnikSchwach: Sie kann nichts anderes als Bilder zeigen; keine weiteren FunktionenMächtig: Sie kann fast alles und bietet zahlreiche Funktionen
Die wichtigste Zugangs-NutzeroberflächeNächste Woche zur gleichen Zeit das gleiche ProgrammSuche und Navigation
NutzererlebnisPassiv: sich zurücklehnen und kommen lassen, was der Programmdirektor zusammengestellt hatAktiv: sich vorbeugen und jederzeit entscheiden, wo man als nächstes hingehen will
FlusslinearHypertext
Ablenkungenkeine (ausser der Versuchung, in den Werbepausen etwas anderes zu machen), so dass man auf die Show konzentriert bleibt, die man gerade siehtViele: Andere Fenster und Tabs locken (und es wäre vielleicht besser, in diesem Moment die Mails zu checken, falls da etwas wchtiges hereingekommen ist).
BesitzverhältnisseMedienkonzerne = grosse Unternehmen, weill es teuer ist, ein Fernsehnetz zu betreibenDie Produktionsmittel befinden sich in den Händen von Jedermann, was die aus derindustriellen Revolution stammende Zentralisierung rückgängig macht
Produktionskostenhochniedrig
Sozialer Kontextoft mit anderen zusammen im Wohnzimmergewöhnlich alleine, im Büro oder Arbeitszimmer
Aufbau der Markendurch Image und Slogansdurch Erfahrung
Gut für Anzeigenwerbung?JaNein (ausser in der Suche und in Form von Kontext-Anzeigen)
Unterstützung des VerkaufszyklusWünsche weckenRecherchieren, Einkaufen, Anwenden (elektronischer Geräte), Kundendienst, Kundenbindung


Ich vereinfache die Dinge natürlich, wenn ich sage, dass das Fernsehen eine einfache Usability und keine Zusatzfunktionen hat. Ein Blick auf eine Fernsteuerung erweckt einen anderen Eindruck - und die Usability von Fernsteuerungen hat sich nicht verbessert, seit ich sie vor fünf Jahren analysiert habe. In der Tat verwenden die Leute im Grunde keine einzige der fortgeschrittenen Funktionen des Fernsehers, weil sie so schwer zu handhaben sind. Im Ergebnis ist das empfundene Nutzererlebnis sehr simpel: anschalten, sich zurücklehnen und die Show geniessen.

Das Internet hat mächtige Funktionen, ist nicht-linear und nutzergesteuert - fähig, die aktuellen Nutzerbedürfnisse auf Basis der Eingaben in die Suchmaschine sofort zu befriedigen. Das Internet auf mobilen Geräten lebt noch stärker im gegenwärtigen Moment.

Verglichen mit dem Fernsehen hat das Internet auch eine viel feinere Granularität in der Nutzersteuerung:

  • Wenn Sie fernsehen, treffen Sie alle 30-120 Minuten eine Entscheidung: Sie suchen sich eine Show oder einen Film aus, den Sie sehen möchten, dann ist es Zeit, sich zurückzulehnen. Ah, wie einfach.
  • Wenn Sie im Internet surfen, treffen Sie alle 10-120 Sekunden eine Entscheidung: auf der Seite bleiben oder weiter gehen; auf der Website bleiben oder weitergehen. Was soll ich jetzt anklicken? Und was dann? Das ist schon ein bisschen stressig.

Wenn man alle diese Unterschiede addiert, erklärt das die schnelle Gangart des Internetgebrauchs: die Geschwindigkeit ist viel höher als die beim Fernsehgebrauch.

Internet-Videos: ein Fall, der dazwischen liegt

Videos im Internet sind ein Fall, der zwischen Fernsehfilmen und der seitenbasierten Internet-Navigation liegt. Unsere vorläufigen Daten zeigen an, dass Internetvideos in der Regel kurz sein sollten - normalerweise 2-10 Minuten lang. Das ist ein Hinweis auf eine Gebrauchsgeschwindigkeit, die zwischen Internet und Fernsehen liegt. Die Gebrauchsgeschwindigkeit liegt jedoch näher an der Internetgeschwindigkeit (eine Entscheidung alle 10-120 Sekunden).

Wenn Sie Inhalte, Dienste und Designs für das Internet entwickeln, denken Sie daran, dass dieses Medium eine viel höhere Geschwindigkeit als ältere Medien hat, seien es gedruckte Medien oder das Fernsehen.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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