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17.08.2009

Individuelle Anpassung von Nutzeroberflächen

Websites, auf denen die Nutzer die Nutzeroberfläche individuell anpassen können, haben die gleichen Usability-Werte wie normale Websites. Websites, auf denen man Produkte anpassen kann, schneiden dagegen wegen des komplizierten Arbeitsablaufs substanziell schlechter ab.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 17.08.2009

 

Individuelle Anpassung im Internet ist nichts Neues. Schon seit Mitte der 1990er Jahre preisen viele die individuelle Anpassung als eigentliche Bestimmung des Internets und als Allheilmittel gegen fast alle Geschäftskrankheiten an. Wenn man den Hype beiseite lässt, bleibt es eine Tatsache, dass die Internet-gestützte Anpassung sowohl für die Geschäfte als auch für die Nutzer von Vorteil sein kann… wenn sie richtig implementiert wird.

Die Nützlichkeit der Anpassung steht bei vielen Anwendungen ausser Frage. Dennoch gibt es zahllose Fälle, in denen Unternehmen jede Menge Geld in die Anpassung investiert haben, nur um herauszufinden, dass ihre Nutzer selten oder nie etwas anpassen. Auch gibt es zahlreiche Studien, die das Verlangen der Nutzer nach Anpassung betonen, aber was die Nutzer sagen, ist (wie wir wissen) oft etwas ganz anderes als das, was sie wirklich tun.

Um mit Anpassung Erfolg zu haben, müssen Sie letztlich einen geschäftlichen Bedarf danach haben und realistische Vorteile identifizieren, die den Aufwand rechtfertigen, sie in korrekter Weise zu implementieren.

Individuelle Anpassung oder Personalisierung

Er ist zwar im Englischen nicht gebräuchlich, aber wir können den Begriff Individualisierung für alle Fälle verwenden, in denen das Nutzererlebnis an individuelle Nutzerbedürfnisse angepasst wird. In den frühen Jahren des Computers bekam jeder dasselbe zu sehen. Ähnlich war es in den frühen Jahren des Internets: Alle Seiten sahen immer gleich aus, egal wer sie besuchte.

Heutzutage werden die Designs oft an individuelle Nutzer angepasst, so dass unterschiedliche Leute unterschiedliche Bildschirme zu sehen bekommen - sowohl bei Anwendungen als auch bei Websites. Dabei gibt es im Wesentlichen zwei Wege, das Nutzerergebnis zu individualisieren, je nachdem, wer die Anpassung initiiert:

  • Individuelle Anpassung (customization) passiert, wenn der Nutzer oder die Nutzerin dem Computer sagt, was er oder sie am liebsten sehen will. Zwei Beispiele:

    • Änderung einer Nachrichten-Website in der Weise, dass bei zukünftigen Besuchen die Wettervorhersage für die Heimatstadt des Nutzers angezeigt wird.
    • Änderung der Website eines Autohändlers in der Weise, dass ein bestimmtes Automodell mit bestimmten Farben und Funktionen und mit dem zugehörigen Listenpreis angezeigt wird. Die meisten Auto-Websites bieten inzwischen solche Konfiguratoren an.

  • Personalisierung passiert, wenn der Computer sein Verhalten je nach den von ihm vorausgesagten Interessen des aktuellen Nutzers modifiziert. Zwei Beispiele:

    • Ein Intranet-Portal verwendet eine rollenbasierte Personalisierung, um die fürs Management relevanten Funktionen nur solchen Personen zu zeigen, die in der Personal- Datenbank als Manager eingetragen sind.
    • Ein Online-Shop zeigt eine Liste der letzten fünf Bestellungen des Nutzers an, um es ihm zu erleichtern, die gleichen Produkte nachzubestellen.

Unsere aktuelle Forschung bezieht sich nicht auf Personalisierungen. Stattdessen geht es um zwei Typen der individuellen Anpassung (customization):

  1. Individuelle Nutzeroberflächen: Funktionalitäten, mit denen die Nutzer ihrer online-Erlebnis an ihre individuellen Vorlieben anpassen können.
  2. Individuelle Produkte: Funktionalitäten sie zum Beispiel Konfiguratoren, die die individuelle Anpassung von Produkten der Echtwelt ermöglichen bis hin zum vom Kunden erzeugten Einzelprodukt.

Individuelle Anpassung ist nicht auf Websites beschränkt. Man denke etwa an die vielen "app stores" und Klingelton-Downloads, die anzeigen, wie attraktiv individuell angepasste Handys sind, seien es fortgeschrittene oder einfache. Dennoch haben wir uns jetzt darauf beschränkt, die individuelle Anpassung im Internet zu untersuchen.

Die Nutzerforschung

Um die Usability von Anpassungsfunktionen im Internet einzuschätzen, haben wir eine Usability-Studie mit 24 Nutzern durchgeführt, die mit sieben individuell anpassbaren Websites interagieren: drei Websites, bei denen die Nutzer ihr Online-Erlebnis anpassen können (individuelle Nutzeroberflächen) und vier Websites, bei denen die Nutzer ein Produkt der Echtwelt individualisieren können (individuelle Produkte).

Websites mit individuellen Nutzeroberflächen

  • iGoogle
  • My Yahoo!
  • Pageflakes

Websites mit individuellen Produkten

  • Custom Ink (individuelle T-Shirts und andere Kleidungsstücke)
  • Action Envelope (individuelle Briefumschläge)
  • [me] & goji (individuelle Frühstückskost [Cerealien])
  • Tiny Prints (individuelle Einladungskarten und Ankündigungen)

Auf jeder Website haben wir die Nutzer gebeten, typische Individualisierungs-Aufgaben durchzuführen wie:

  • Fügen Sie eine To-do-Liste zu Ihrer Seite hinzu.
  • Löschen Sie ein Gadget von Ihrer Seite.
  • Fügen Sie eine Funktion hinzu, die täglich ein Katzenbild anzeigt.
  • Stellen Sie sich vor, Ihre Firma ist umgezogen, und Sie brauchen 500 gedruckte Mitteilungen zu einem Budget von $ 600.

Geschäftliche Vorteile der individuellen Anpassung

Wenn Sie erwägen, ob Sie Anpassungsfunktionen einbauen wollen, ist es wichtig, dass Sie zuerst Ihre Geschäftszwecke definieren und dann festlegen, auf welche Weise die Anpassung Ihnen dabei helfen könnte, sie zu erreichen. Es folgen einige geschäftliche Vorteile von internetgestützter individueller Anpassung.

Mehr Zugriffe und höhere Loyalität

In den Fällen iGoogle und My Yahoo! stellt die Anpassung einen Mehrwert zum Geschäftsmodell dar. Idealerweise steigert die Anpassungsoption die Anzahl der Nutzer, die die Website besuchen und als ihre Startseite auswählen, wodurch die Seitenabrufe und die werbebasierten Gewinne zunehmen.

Im Jahr 2008 zum Beispiel belief sich iGoogle angeblich auf 20% aller Besuche der Google-Startseite. Dazu kommt: Nutzer, die sich die Zeit nehmen, ihre eigene individuelle Google- oder Yahoo!-Startseite zu kreieren, verwickeln sich mit grösserer Wahrscheinlichkeit in die Angebote der Website wie Webmail und Suche.

Abwicklungskosten reduzieren

Für Geschäftsfelder wie das von Action Envelope gibt es einen prozessualen Anreiz, nicht nur Kataloge online zu zeigen, sondern auch eine Funktionalität für die individuelle Anpassung anzubieten, damit die Nutzer ihre Aufträge genauso gut auch online konfigurieren und abgeben können. Ohne das Internet müssten solche Unternehmen ihre Kataloge drucken lassen, verschicken und viele Verkäufer einstellen, um das gleiche Niveau zu erreichen wie mit der Internet-gestützten individuellen Anpassung.

Ein grösseres Netz auswerfen

Traditionell hat die Geographie die Grenzen für Geschäfte bestimmt, die eine Interaktion der Kunden beim Festlegen der Produkte erfordern. Heutzutage ist das nicht mehr der Fall. Bei Tiny Prints zum Beispiel können die Kunden online ihre Ankündigungen und Einladungen kreieren. Bevor es das Internet gab, haben die Kunden dies normalerweise nur dadurch erreichen können, dass sie in die Druckerei gegangen sind und dort das Papier, die Schriftart und die Farben ausgesucht haben, dann die Probeabzüge geprüft, Korrekturen angebracht haben und so weiter. Das gleiche galt für individuelle Frühstückskost: Man konnte sich so etwas vielleicht in einem Bioladen zusammenstellen, aber nicht jeder wohnte (und wohnt) in der Nähe eines solchen Geschäfts. Die Möglichkeit, individuelle Produkte online zu gestalten, macht sie den Massen zugänglich.

Usability-Herausforderungen an Websites mit individueller Anpassung

Bei unserer Studie haben wir uns Websites mit und ohne individuelle Anpassung angeschaut, um herauszufinden, ob es wesentliche Usability-Unterschiede zwischen beiden gibt. Ausserdem haben wir Websites mit individuell anpassbaren Nutzeroberflächen getrennt betrachtet von solchen mit individuell anpassbaren Produkten. Bei den individuellen Nutzeroberflächen erreichte die aufgabenbezogene Erfolgsrate mit 83% den Stand von Websites ohne Anpassung. Websites mit individuellen Produkten erreichten jedoch nur eine Aufgaben-Abschlussrate von 66% - also signifikant weniger.

Bei unserem nachgeschalteten Umfragen berichteten die Nutzer generell davon, dass sie sich auf den anpassbaren Websites stärker verloren gefühlt und häufiger das Gefühl gehabt hätten, die Sache nicht unter Kontrolle zu haben, wie es die folgenden gemittelten Einschätzungen anzeigen:

nicht anpassbare Websitesanpassbare Websites
fühlen sich orientiert60%53%
fühlen sich so, dass sie die Sache unter Kontrolle haben66%60%


Wenn sich die Nutzer auf anpassbaren Websites so fühlen, dass sie die Sache weniger gut unter Kontrolle haben, ist das besonders unglücklich, denn schliesslich dient die Anpassung eigentlich dazu, die Bedürfnisse jedes einzelnen Nutzers präziser zu bedienen. Zurzeit haben die Nutzererlebnisse mit individueller Anpassung eine Tendenz dazu, mehr im Weg zu stehen, als den Nutzern Kraft und das Gefühl zu geben, ernst genommen zu werden.

Die Komplexität der individuellen Anpassung beeinflusst sowohl den aufgabenbezogenen Erfolg als auch die Wahrnehmung der Website.

Bei anpassbaren Nutzeroberflächen hat das Hauptproblem damit zu tun, ob sie entdeckt wird und ob man die verfügbaren Optionen findet und begreift. Um erst Nutzer mit einem frühen Erfolgserlebnis zu belohnen, sollten die Websites die Funktionen besser erklären und rasch einprägsame Arbeitsabläufe anbieten. In unserer Studie zum Beispiel hatte das Versprechen von iGoogle, man könne "in weniger als 30 Sekunden" eine einfache persönliche Startseite kreieren, Erfolg und ermutigte die Nutzer dazu, mit diesem Dienst herumzuexperimentieren.

Bei den individuellen Produkten hat schlechte Auffindbarkeit sogar noch mehr Probleme verursacht: Sie war für 45% der vielen gescheiterten Aufgaben auf diesen Websites verantwortlich. Zu komplizierte Arbeitsabläufe haben ebenfalls viele Probleme verursacht. Häufig haben die Nutzer einzelnen Schritte vermisst oder missverstanden, die erforderlich waren, um erfolgreich ihr eigenes Produkt zu gestalten. Eine Website zum Beispiel verlangte von den Nutzern, die Schriftgrösse in Einheiten anzugeben, die für Durchschnittsnutzer sinnlos sind, was zu frustrierenden Versuch-und-Irrtum-Ketten mit verschiedenen Zahlen führte. Dieses besondere Problem oder noch verschärft durch die unglückliche Auswahl einer vorgegebenen Grösse, die für fast alle Nutzer zu klein war.

Wie wichtig gute Voreinstellungen sind

Trotz ihrer Vorteile machen viele Nutzer keinen Gebrauch von individuellen Anpassungsfunktionen. Die Nutzer haben eine starke Tendenz dazu, ihre Sache auf der Website schnell und einfach zu erledigen und keine Zeit mit dem Einstellen persönlicher Präferenzen zu verbringen.

Es ist zu einfach, einer Design-Debatte einfach dadurch aus dem Wege zu gehen, dass man alle denkbaren Optionen als Präferenz-Einstellungen anbietet und den Nutzern die Entscheidung über die Nutzeroberfläche überlässt. Oft ist es besser für die Nutzer, wenn sich das Design-Team für eine einzelnes gutes und kohärentes Nutzererlebnis entscheidet. Anpassungsoptionen sollten solchen Funktionen vorbehalten bleiben, die substanzielle Vorteile für die Nutzer bieten und auf diese Weise einen Ausgleich schaffen für die Zeit, die die Nutzer mit dem Anpassen der Nutzeroberfläche verbringen, statt sich ihren Aufgaben zu widmen.

In jedem Fall wird es Nutzer geben, die nichts anpassen, egal wie einfach und lohnenswert Sie die Anpassung-Oberfläche gestalten. Deshalb ist es zwingend, für Nutzer, die nichts anpassen, ein gutes Design als Voreinstellung vorzugeben.

Individuelle Anpassung ist effektiv, wenn sie korrekt implementiert wird

Keine der Websites, die wir studiert haben, hat die Anpassung umsonst angeboten; jede Website hat Nutzen aus der Anpassung gezogen und den Nutzern, die sich ihrer bedient haben, grosse Vorteile gewährt. Als wir die Nutzer bei der Interaktion mit diesen Websites beobachtet haben, wurden wir Zeugen sowohl bester als auch schlechter Praktiken, die wir zu 46 Richtlinien fürs Anpassungs-Design destilliert haben. Diese Richtlinien umreissen die Design-Prinzipien, die Sie befolgen sollten, um sicher zu gehen, dass Ihre Anstrengungen in Sachen Anpassung Ihren Nutzern ein effektives, effizientes und befriedigendes Erlebnis verschaffen.

Anpassung ist eine komplizierte Sache, sowohl technologisch als auch vom Design her. Um einen Nutzer von der leeren Tafel bis zur vollständig angepassten Oberfläche oder zum individuellen Produkt zu begleiten, braucht man aussergewöhnliche Design-Fähigkeiten. Ausserdem erfordert es die Zusammenarbeit zwischen mehreren Gruppen, die einen nutzerfreundlichen Anpassungsweg zusammenstellen, organisieren und planen. Individuelle Anpassung können Sie nicht in ein paar Wochen zusammenschustern, und Unternehmen, die so etwas versuchen, riskieren ihre Reputation und ihren Gewinn.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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