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27.02.2011

Inhalte auf mobilen Geräten sind doppelt so schwer zu verstehen

Wenn man auf einem Bildschirm in iPhone-Grösse komplexe Internet-Inhalte liest, sinkt die Verständnisquote auf 48%.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 28.02.2011

 

Es ist aus vielen Gründen anstrengender, das Internet auf Mobiltelefonen zu nutzen als auf PCs:

  • langsamere Downloads
  • keine richtige Tastatur zum Eingeben von Daten
  • keine Maus zur Auswahl; keine Maustasten, um Befehle zu erteilen und Kontextmenüs anzuwählen
  • kleiner Bildschirm (oft mit winzigem Text)
  • Internetseiten, die für den Gebrauch mit PCs erstellt wurden und nicht den Usability-Richtlinien für mobile Geräte entsprechen
  • verrückte Apps, denen es an Einheitlichkeit mangelt

Eine neue Studie von R.I. Singh und Kollegen der Universität von Alberta kam zu einem weiteren Schluss: Es ist viel schwieriger, komplexe Informationen zu verstehen, wenn man sie durch ein Schlüsselloch lesen muss.

Singh und Kollegen haben einen Lückentest (Cloze test) in Bezug auf die Datenschutzrichtlinien folgender Websites durchgeführt: eBay, Facebook, Google, Microsoft, Myspace, Orkut, Wikipedia, WindowsLive, Yahoo! und YouTube

Ich habe schnell die Datenschutzrichtlinien von Facebook analysiert und bin auf Folgendes gestossen:

  • 5789 Wörter, oder 35 Mal so viele Wörter, wie Nutzer während eines durchschnittlichen Seitenbesuchs lesen
  • Textniveau der Jahrgangsstufe 13, so dass nur Menschen mit höherem Bildungsstand die Texte als einfach lesbar empfinden
  • gut formatiert für das Lesen im Internet, wobei auf beispielhafte Weise auch Untertitel, Bulletpoint-Listen und hervorgehobene Stichwörter genutzt wurden, alles im Einklang mit den Richtlinien für das Schreiben im Internet.

(Letzte Woche hat Facebook eine Vorabversion einer neu formulierten Datenschutzerklärung veröffentlicht. Der Inhalt ist nun auf dem Niveau der elften Klasse geschrieben, was ich als gute Verbesserung ansehe. Noch besser: Das Endlosdokument, in dem man lange hoch- und herunterscrollen musste, wurde in verschiedene Seiten aufgeteilt, die man mit Hilfe einer internen Navigation und klaren Zusammenfassungen ansteuert, und die dem Nutzer einen Überblick über die Informationen geben. Einem viel zu langen und linearen Dokument Struktur und Navigationsmöglichkeiten zu verleihen und es damit in einen eng gesteckten Informationsraum zu verwandeln, ist für mich ein sehr gutes Beispiel für eine "Mini-Informationsarchitektur". Gut gemacht.) Trotzdem, es zweifelt niemand daran, dass Datenschutzrichtlinien zu den komplizierteren Internet-Inhalten gehören.

In Singhs Studie haben 50 Teilnehmer Lückentests vervollständigt, nachdem sie die Datenschutzerklärungen auf einem PC-Bildschirm oder einem Bildschirm in iPhone-Grösse gelesen hatten. (Sie haben kein echtes iPhone benutzt, aber da die Nutzer das Gerät nur zum Lesen und Scrollen gebraucht haben, sollte das eigentliche Gerät die Ergebnisse nicht verändern.)

Ergebnisse:

  • PC-Bildschirm: Verständnisrate 39.18%
  • Mobiltelefon-Bildschirm: Verständnisrate 18.93%

Die Testergebnisse müssten bei 60% oder höher liegen, damit ein Text als leicht verständlich eingestuft werden kann. Sogar beim Lesen auf dem PC-Bildschirm erreichten die Nutzer nur zwei Drittel des erwünschten Verständnisses.

Die erste offensichtliche Schlussfolgerung der Studie ist, dass einige wichtige Websites zu komplizierte Datenschutzerklärungen haben. Es ist natürlich nichts Neues, dass Datenschutzregelungen unverständlich sind. Die Nutzer wissen das und lesen sie daher meist nicht.

In einer früheren Studie haben wir herausgefunden, dass die Nutzer "Nutzungsvereinbarungen", "Geschäftsbedingungen" und ähnliche Seiten mit Verachtung strafen. Nutzer gehen solche Texte meist wie folgt an:

  • 10% lesen sie,
  • 17% überfliegen sie,
  • 73% überspringen sie.

Und das sind Zahlen, die bei Studien ermittelt wurden, bei denen die Teilnehmer wussten, dass sie per Video aufgenommen wurden. Ich nehme an, dass sie zu Hause eher noch weniger lesen. Tatsächlich klicken die Nutzer meistens auf "Ich stimme zu", ohne gelesen zu haben, was sie zustimmen.

Warum das Lesen auf mobilen Geräten schwieriger ist

Die Ergebnisse des Lückentests zum Textverständnis bei mobilen Geräten betrug nur 48% des Niveaus von PCs. Das bedeutet, grob gesagt, dass es doppelt so schwierig ist, komplexe Texte zu verstehen, wenn man sie auf einem kleinen Bildschirm liest.

Woran liegt das? In diesem Fall mussten die Nutzer nur eine einzige Seite von Informationen lesen, und ihnen wurde die Seite als Teil der Studie gezeigt, sie mussten sie also nicht selbst finden. Daher können Navigationsprobleme oder andere Aspekte der Nutzerschnittstelle diesen Anstieg des Schwierigkeitsgrades nicht erklären. Ausserdem wurden die Nutzer im Labor getestet, es gab also keine Probleme, die durch das Hin- und Herlaufen mit dem Mobiltelefon oder durch Lärm oder andere Störungen entstehen könnten. (Im echten Leben verringern solche Störungen und Ablenkungen weiter die Fähigkeit, Inhalte auf dem mobilen Gerät zu verstehen, noch weiter.)

Der einzige Grund, weshalb die mobilen Geräte schlechter abschnitten als PCs, ist die Bildschirmgrösse, da das der einzige Unterschied in den Bedingungen war, unter denen die Studie durchgeführt wurde.

Ein kleinerer Bildschirm beeinträchtigt das Textverständnis aus zwei Gründen:

  • Die Nutzer können weniger sehen. Deshalb müssen die Nutzer sich auf ihr höchst unzuverlässiges Gedächtnis verlassen, wenn sie versuchen, etwas zu verstehen, das teilweise aus dem sichtbaren Bereich des Bildschirms herausgerückt ist.
  • weniger Kontext = weniger Verständnis
  • Die Nutzer müssen sich auf der Seite mehr hin- und herbewegen, sie müssen scrollen, um andere Teile des Textes zu sehen, anstatt einfach nur hinzuschauen. Das Scrollen verursacht drei Probleme:
  • Es dauert länger und verringert daher das Erinnerungsvermögen.
  • Es lenkt die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Textproblem ab auf das zweitrangige Problem, die richtige Textstelle zu finden.
  • Es wirft das Problem auf, die vorige Textstelle auf der Seite wiederzufinden.

Diese neue Studie ist ein weiterer Beleg für unsere Hauptschlussfolgerung in unseren Usability-Studien zu mobilen Internetseiten: Websites (und Intranets) müssen eine gesonderte Version für mobile Geräte herausbringen, um optimale Usability zu erreichen. Insbesondere sollten komplexe Inhalte verkürzt werden und zweitrangige Informationen auf Folgeseiten untergebracht werden.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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