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06.06.2011

International Usability: im Grossen und Ganzen das gleiche, im Detail gibt es Unterschiede

Nutzertests auf drei Kontinenten haben bestätigt, dass die wichtigsten Usability-Richtlinien weltweit gelten, doch es gibt auch viele Möglichkeiten, internationale Nutzer besser zu unterstützen.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 06.06.2011

 

Dieses Jahr haben wir eine Reihe von Usability-Studien mit Websites, Intranets, mobilen Websites und Apps in Australien, China und den Vereinigten Arabischen Emiraten durchgeführt. Wir haben natürlich schon immer internationale Tests gemacht (insgesamt in 13 Ländern), aber diese letzte Runde, bei der wir drei verschiedene Teile der Welt abgedeckt haben, war eine gute Gelegenheit, einen Schritt zurückzutreten und über das Gesamtbild des internationalen Nutzererlebnisses nachzudenken.

(Hier eine Definition von International Usability: die Effektivität von Nutzeroberflächen, wenn sie in einem anderem Land als dem benutzt werden, in dem sie gestaltet wurden.)

Welchen Schluss kann man auf allgemeinster Ebene ziehen? Die Leute sind überall auf der Welt gleich, und die wichtigsten Usability-Richtlinien bleiben überall die gleichen. Das liegt daran, dass Usability-Richtlinien von den Prinzipien der Mensch-Computer-Interaktion (MCI, englisch HCI) abgeleitet werden, und diese wiederum gründen auf den Charakteristiken von Computern und des menschlichen Gehirns sowie der zahlreichen Unterschiede zwischen beiden.

Wenn Sie zum Beispiel einen Online-Shop für eine fünfteilige Produktlinie gestalten, sollten Sie die Nutzer nicht mit Such- oder Filter-Optionen verwirren. Konzentrieren Sie sich auf kurze Beschreibungen, die klar die Unterschiede zwischen den Produkten benennen und so das Vergleichen und Auswählen erleichtern. Haben Sie dagegen 100.000 Produkte im Angebot, brauchen Sie Suchfunktionen und Filter. Ausserdem müssen Sie eine neue Ebene in die Informationsarchitektur einfügen: die Kategorieseite, die weiterhin den Nutzern beim Vergleichen und Auswählen hilft.

Solche Unterschiede zwischen kleinen und grossen Websites bleiben gleich, egal ob Sie die Nutzeroberfläche auf Arabisch, Chinesisch oder Englisch präsentieren. Ebenso universell ist das Bedürfnis der Nutzer zu suchen, auch wenn es ihnen in alphabetischen Sprachen wie Arabisch und Englisch leichter fällt, Suchanfragen einzugeben. Unsere chinesischen Nutzer mussten sich durch eine zusätzliche Ebene der Zeichenauswahl hindurchkämpfen, die ihre eigenen Usability-Probleme mit sich bringt. Aber auch sie haben fleissig gesucht.

Ein weiteres Beispiel für die Universalität von Usability-Richtlinien sind die mobilen Websites, die wir mit chinesischen Nutzern getestet haben. Das Thema der Website - Klatsch über koreanische Popstars - war in Asien von besonderem Interesse. Aber die Ergebnisse, welche Design-Elemente gut funktionieren (und welche schlecht), wären die gleichen gewesen, wenn wir eine EuroPop-Website mit deutschen Nutzern getestet hätten.

Wenn von rechts nach links gelesen wird

Die meisten Sprachen werden von links nach rechts gelesen, und diese Leserichtung findet sich auch in vielen Usability-Ergebnissen wieder, die ich in früheren Alertbox-Kolumnen besprochen habe.

Vom Konzept her haben wir bei arabischen Nutzern genau das gleiche Verhalten beobachtet. Aber natürlich konzentriert sich ihre Aufmerksamkeit auf die rechte Seite der Webseite, da sie von rechts nach links lesen. Dementsprechend weisen Sie beim Lesen ein spiegelverkehrtes F-Muster auf, da sie die mittlere Inhaltsspalte an der rechten Seite von oben nach unten überfliegen und nicht an der linken.

Wenn wir Pedanten wären, könnten wir sagen, dass die Araber sich genau entgegengesetzt verhalten wie Amerikaner und Europäer. Aber in Kriterien des Interaktions-Designs betrachtet sind die Verhaltensweisen identisch: Die Web-Nutzer widmen jeweils dem Anfang des Inhalts mehr Aufmerksamkeit, und ihr Engagement lässt rasch nach. (Das ist der Grund, weshalb die ersten Worte von Headlines und Links so wichtig sind.)

Wenn Sie einer Website für eine von rechts nach links gelesene Sprache gestalten, lautet die Richtlinie, die Designmuster gegenüber den von links nach rechts gelesenen Seiten zu spiegeln: will heissen, Sie vertauschen rechts und links. Aber die Grundprinzipien bleiben gleich.

Die Nutzer hatten keine Probleme, zwischen Websites mit arabischer Sprache und solchen mit englischer Sprache hin- und her zu springen, auch wenn die Layouts spiegelverkehrt sind. Deshalb empfehle ich, wenn Sie eine globale Website entwerfen (eine einzige Website für alle Länder), das traditionelle, von links nach rechts orientierte Layout beizubehalten. Wichtig ist es, innerhalb der Website im Layout konsistent zu bleiben und nicht einzelne Seiten mit spiegelverkehrtem Design einzufügen.

Unterschiede im internationalen Gebrauch

Obwohl die Richtlinien vom Konzept her dieselben sind, gab es in den Details allerlei Mehrungen und Unterschiede.

Beispielsweise neigt das Arabische stärker zu blumigen und ausführlichen Texten. Wie einer unserer Testteilnehmer sagte: "Auf Englisch sind da ein oder zwei Worte. Auf Arabisch erzählt man mehr, mit mehr Worten." Zum gleichen Thema gehört, dass das Deutsche berüchtigt ist für sein langes und verwickeltes Vokabular. Deshalb lautet die übliche Richtlinie für die Gestaltung von Anwendungskomponenten wie Dialogboxen, Platz dafür zu lassen, dass Bezeichnungen und Hinweise um mindestens 50 Prozent länger werden können, wenn sie aus dem Englischen in andere Sprachen übersetzt werden.

Dennoch bevorzugen die Nutzer in allen Ländern kurz gefasste Websites. Das bedeutet schlicht, dass die Texter und Redakteure noch härter arbeiten müssen, wenn sie Inhalte in wortreicheren Sprachen produzieren.

Die Suche für internationale Nutzer sollte idealerweise mehrsprachig sein, damit man sowohl auf Englisch als auch in seiner Muttersprache suchen kann, und zwar auch auf einsprachigen Websites. Das ist gewiss schwer zu implementieren, aber wir haben tatsächlich beobachtet, dass die Nutzer in beiden Sprachen gesucht haben, je nachdem, welche Begriffe ihnen bei einem bestimmten Thema als erstes eingefallen sind. Bei spezielleren B-to-B-Inhalten wie zum Beispiel fortgeschrittenen Computerprodukten und IT-Dienstleistungen sind viele Kunden oft mit dem internationalen (englischen) Vokabular besser vertraut als mit der Terminologie ihrer eigenen Muttersprache.

Auf jeden Fall sollte Ihre Suche sowohl amerikanisches als auch britisches Englisch umfassen. Die australischen Nutzer haben eindeutig die britischen Schreibweisen verwendet, aber wir haben auch anderswo beobachtet, dass die Nutzer die Worte auf britische Weise buchstabiert haben, selbst wenn sie auf amerikanischen Websites gesucht haben.

Es ist immer gut, wenn Tippfehler in der Suche akzeptiert werden, aber wenn es um internationale Besucher geht, ist das unabdingbar; denn sie machen sehr häufig Fehler, wenn sie Suchanfragen in einer Fremdsprache eingeben. Bei unserer Studie in den Emiraten zum Beispiel hat jeder einzelne Teilnehmer englische Worte falsch geschrieben.

Lokale Website - ja oder nein?

Die Grundsatzfrage bei der Unterstützung internationaler Nutzer liegt in der Wahl der Strategie: Internationalisierung, bei der eine einzige globale Website alle Nutzer unterstützt; oder Lokalisierung, bei der lokale Websites jede wichtige Kundengruppe ansprechen.

Gibt es eine einfache Antwort darauf? Eine internationalisierte Website brauchen Sie immer; noch nicht einmal die grössten Unternehmen können es sich leisten, für jedes Land der Welt (das sind insgesamt etwa 200, je nachdem wie man zählt) zu lokalisieren. Also auch wenn Sie für wichtige Länder wie Australien und China lokalisieren, bleiben eine Menge kleinerer Länder übrig.

Aber sollten Sie den Weg der Lokalisierung wirklich so weit gehen, wie Sie es sich leisten können? Darauf haben unsere Tests teilweise widersprüchliche Antworten geliefert.

Die arabischen Nutzer hatten oft das Gefühl, dass die internationalen Websites glaubwürdiger seien als die arabischen. Ein mangelhaftes Vertrauen in lokale Websites war offensichtlich, und sie befürchteten, dass ihre Kreditkarten dort gestohlen würden. Darin dürfte sich die vergleichsweise mangelnde Reife des arabischen Internets widerspiegeln: Die Haltung der Nutzer könnte sich in Zukunft ändern, sobald eine grössere Anzahl glaubwürdiger Websites entstanden ist. Derzeit aber könnte für den arabischen Markt eine internationale Website sinnvoller sein als eine lokalisierte - sofern Sie ein B-to-B-Publikum ansprechen, das einigermassen gut Englisch spricht.

(Interessanterweise hielten sich die arabischen Nutzer bei der Einschätzung der Glaubwürdigkeit, wenn man von dem ersten Kriterium Arabisch versus International absieht, an die gleichen Design-Elemente, die wir in unserem Seminar über Glaubwürdigkeit und überzeugendes Webdesign empfehlen. Zum Beispiel hielten sie Websites dann für glaubwürdiger, wenn Kontakt-Informationen schnell zugänglich waren.)

Wenn Ihre Website auf ein breiteres Kundenpublikum zielt, sollten Sie sie für Länder, deren lokale Sprache nicht Englisch ist, natürlich lokalisieren. Doch selbst im englischsprachigen Australien haben die Nutzer lokale Websites deutlich gegenüber ausländischen Websites vorgezogen. Obwohl sie sowohl amerikanische als auch englischsprachige europäische Websites genauso gut lesen konnten, hatten die Aussie-Nutzer auf ausländischen Websites das Gefühl, dass sie für ihre Bedürfnisse nicht so relevant seien. Zum Beispiel verwendeten manche Websites fremdartige Massangaben (Inches usw.) oder beschrieben andere Produktlinien als die in Australien angeboten. Beim Überfliegen von Suchergebnisseiten zeigten die australischen Nutzer eine deutliche Vorliebe für Internet-Adressen mit der Änderung .au.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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