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22.05.2011

iPad-Usability: Das erste Jahr

iPad-Apps haben sich sehr verbessert, aber es sind auch neue Usability-Probleme aufgetaucht, wie missverständliches Wischen oder überladene Navigationen.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 23.05.2011

 

Ein Jahr nach unserer ersten Usability-Studie zu iPad-Apps freut es uns zu sehen, dass die Nutzeroberflächen von iPads deutlich weniger eigenartig sind. Besser noch: Einige unserer Empfehlungen vom letzten Jahr wurden umgesetzt. Es gibt jetzt Apps mit

  • Zurück-Schaltflächen,
  • ausführlichen Suchfunktionen,
  • Startseiten und
  • direktem Zugriff auf Artikel durch Berühren der Schlagzeile auf der Titelseite.

Trotzdem haben wir während der diesjährigen Tests viele Fälle gehabt, in denen die Nutzer aus Versehen etwas berührt haben und den Weg zurück zum Ausgangspunkt nicht mehr finden konnten. Bei Magazin-Apps waren teilweise mehrere Schritte nötig, um auf das Inhaltsverzeichnis zu gelangen.

Einer der schlimmsten Fälle im letzten Jahr war die Navigation zu den einzelnen Rubriken von USA Today, bei der die Nutzer das Zeitungslogo berühren mussten, wobei nicht vorauszusehen war, dass das Logo zur Navigation führt. Während unserer Tests in diesem Monat hatten einige Nutzer die gleichen Probleme wie die Teilnehmer im letzten Jahr, obwohl wir diesmal Leute mit mehr iPad-Erfahrung eingesetzt haben.

Glücklicherweise hat USA Today wenige Tage nach unseren Testsitzungen eine neue Version ihrer App herausgebracht mit einer etwas verbesserten Navigation:

Rubrikennavigation von USA Today-iPad-App

Rubrikennavigation von USA Today
Links: Wie im letzten Jahr und noch Anfang Mai getestet.
Rechts: Das neue Design mit einer eindeutigen Rubriken-Schaltfläche.

Einer unserer Testteilnehmer benutzte diese App regelmässig. Er hat zwar selbst herausgefunden, wo die Navigation zu finden ist, beklagte sich aber während der Testsitzungen darüber, wie schwierig sie zu finden gewesen sei. Normalerweise erinnern sich die Nutzer selten an die Einzelheiten interaktiver Design-Elemente; dies ist einer der Hauptgründe dafür, die Nutzer zu beobachten, anstatt sie zur Usability zu befragen. Die Tatsache, dass der Nutzer sich noch Monate später an die Schwierigkeiten erinnerte, zeigt deutlich, wie lästig das alte Navigations-Design war. Es erstaunt auch, dass zwischen der Aufdeckung des Usability-Mangels und seiner Beseitigung ein ganzes Jahr vergangen ist.

Nutzer-Forschung

Normalerweise würde es sich nicht lohnen, so schnell eine neue Studie durchzuführen: Die Usability-Richtlinien verändern sich nur langsam, da sie aus menschlichem Verhalten entstehen und nicht durch die Technologie bestimmt werden. In diesem Fall ist es jedoch sinnvoll, ein Jahr nach der iPad-Einführung eine neue Studie durchzuführen.

Unsere ursprüngliche Forschung hat Nutzer ohne vorherige Erfahrung mit dem iPad getestet. Völlige Unerfahrenheit ist natürlich nicht repräsentativ für normale Tablet-Usability. Inzwischen haben die Nutzer schon viele Websites auf dem iPad besucht und viele andere Apps verwendet, bevor sie eine neue App zum ersten Mal benutzen.

Für die neue Studie haben wir Nutzer eingesetzt, die mindestens zwei Monate Erfahrung mit der Nutzung ihres iPads hatten. Normalerweise rekrutieren wir Menschen mit mindestens einem Jahr Erfahrung. Da das iPad aber vor etwas mehr als einem Jahr eingeführt wurde, wäre jemand mit einem ganzen Jahr an Erfahrung ein sehr früher Kunde und daher nicht repräsentativ für die Mehrzahl der Nutzer.

In jedem Fall sind zwei Monate iPad-Erfahrung genug, um sich mit den Konventionen von Nutzeroberflächen vertraut zu machen und Touchscreen-Apps zu verwenden.

Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Studien ist, dass wir ursprünglich die Apps getestet haben, die zeitgleich mit dem iPad eingeführt wurden; diese wurden von Teams entwickelt, die unter der von Apple verlangten Geheimhaltung standen und deshalb keine Rückmeldungen von Nutzern einholen konnten. In unserem ersten Bericht gab es deshalb einige schlechte Konzepte, an denen nicht schlechte Designer schuld waren, sondern ein Entwicklungsprozess, welcher nicht-nutzerzentriert abgelaufen war.

Im Gegensatz dazu wurden die Apps und Websites, die in der neuen Studie getestet wurden, von Teams entwickelt, die sowohl von unserem ursprünglichen Usability-Bericht profitieren konnten als auch von vielerlei Nutzer-Rückmeldungen, die sie über das vergangene Jahr hinweg gesammelt haben.

In der neuen Studie haben wir systematisch 26 iPad-Apps und 6 Websites getestet, aber auch viele andere Apps, die die Nutzer auf ihren iPads installiert hatten. Diese Test waren jedoch meist mit nur einer Testperson durchgeführt worden und daher weit weniger systematisch.

Insgesamt nahmen 16 Teilnehmer an unserer neuen Studie teil, jeweils zur Hälfte Männer und Frauen. Die Altersverteilung war relativ gleichmässig auf 14 Nutzer verteilt, die zwischen 21 und 50 Jahre alt waren; zwei Nutzer waren älter als 50. Die Berufe durchliefen auch das gesamte Spektrum: vom Koch über Immobilienmakler bis zum Vizepräsidenten einer Personalabteilung.

Wiederkehrende Ergebnisse

Viele Ergebnisse der letztjährigen Studie konnten wir auch in diesem Jahr wieder feststellen:

  • Asymmetrie von Lesen und Berühren bei Websites: Die Texte waren zwar gross genug, um sie lesen, aber zu klein, um sie antippen zu können. Allerdings konnten wir auch einige Beispiele bei mehreren Websites beobachten, die grössere berührbare Flächen hatten und daher gut auf Tablets funktionierten. Zum Beispiel kann man auf der Reservierungsseite von Virgin America die ganze Fläche in der Tabelle antippen, die eine gewünschte Abreisezeit enthält, und nicht bloss die kleine Fläche des Radio-Buttons (oder seiner Beschriftung).
  • Websites funktionierten relativ gut im Standard-Browser des iPad, so lange die Nutzer keine komplexen Aufgaben hatten; sich auf das Lesen oder Betrachten von Bildern und Videos zu konzentrieren, war ziemlich einfach. (Wird ein hohes Mass an Interaktion verlangt, ist eine App die bessere Wahl.)
  • Die berührbaren Flächen waren in vielen Apps zu klein und zu nah beieinander und bargen daher die Gefahr, sich zu vertippen.
  • Versehentliches Aktivieren durch ungewollte Berührungen ist ärgerlich, vor allem, wenn die App über keinen Zurück-Button verfügt.
  • Geringe Entdeckungsmöglichkeiten, da berührbare Flächen oft nicht so aussehen, als könne man sie berühren.
  • Die Nutzer schreiben ungern auf dem Touchscreen und vermeiden daher Registrierungsprozesse.

Das Hauptproblem des letzten Jahres war in diesem Jahr zurückgetreten: Die Nutzer mussten sich nicht mehr durch allzu eigenwillige Nutzeroberflächen quälen. Die Apps sind einheitlicher und standardisierter geworden und daher leichter zu verwenden.

Neue Ergebnisse

Ich dachte, ich hätte ihnen schon vor vielen Jahren den Garaus gemacht und sie aus dem Internet verbannt - aber anscheinend sind Introseiten unsterblich und hören nicht auf, die Nutzer zu quälen. Einige neue iPad-Apps "erfreuen" mit langen Einführungssequenzen, die beim ersten Mal noch unterhaltsam sein mögen, aber dann schnell langweilig werden. Das ist Mist bei Websites und Apps. Lasst es bleiben.

Das Wischen über die Oberfläche ist für die Nutzer oft missverständlich, vor allem, wenn mehrere Elemente auf dem Bildschirm durch Wischen angewählt werden können. Karusselle rufen das gleiche Problem bei Apps hervor, wenn sie ein Wischen erfordern, um von einer Seite zur nächsten zu springen. Viele Benutzer konnten nicht umblättern, weil sie an der falschen Stelle gewischt haben. Normalerweise schlussfolgern sie daraus: Die App ist kaputt.

Viele Apps quetschen zu viele Informationen in zu kleine Bereiche und machen es daher schwer, Details zu erkennen und zu bedienen. Ein verwandtes Problem sind Apps mit zu viel Navigation. Dieses Design-Problem kam so oft vor, dass es ein eigenes Akronym verdient: ZVM. In unserem Seminar zum Navigationsdesign stellen wir zwar 25 verschiedene Arten von Navigation vor; doch jede einzelne Nutzeroberfläche sollte nur wenige davon enthalten. Diese beiden Probleme interagieren, da der Platz umso knapper wird, je mehr Navigationsmöglichkeiten es gibt.

Ein Beispiel für übertriebene Navigationen sind die kleinen Boxen mit Inhalten, die viele Apps nutzen, um Vorschaubilder verfügbarer Artikel darzustellen. Manchmal erscheint die Box als Menüpunkt oder Karussell, manchmal funktionieren sie auch als Schieberegler. Wie auch immer die Umsetzung aussieht, diese langen Listen mit Vorschaubildern haben eine geringere Usability als Inhaltsverzeichnisse auf Startseiten, zu denen die Nutzer wieder zurückkehren können, wenn sie etwas anderes sehen wollen als nur den nächsten Artikel.

Tablets werden geteilt

Ausser bei Menschen, die alleine leben, gaben alle Testteilnehmer an, ihren iPad mit anderen Familienmitgliedern zu teilen. Als wir sie baten, mit uns die Apps auf ihrem Tablet durchzugehen, trafen sie häufig auf Apps, die andere Familienmitglieder installiert hatten.

Die gemeinsame Nutzung eines iPad steht im Gegensatz zu der viel persönlicheren Nutzung eines Mobiltelefons, das klassischerweise nur von einer Person besessen und verwendet wird.

Natürlich kann es sein, dass Tablets einmal zu echten Privatgegenständen werden, da die Konkurrenz die Preise drückt. Zurzeit sollte man aber davon ausgehen, dass man Dinge für ein Gerät mit mehreren Nutzern entwickelt. Zum Beispiel ist es möglich, dass die Nutzer nur ungern dauerhaft bei einer App angemeldet bleiben wollen und sie auch weiterhin ihre Passwörter vergessen. Es ist auch wichtig, Symbole mit Wiedererkennungswert zu gestalten, so dass sie aus der Menge der Apps mehrerer Nutzer hervorstechen.

Wofür werden iPads verwendet?

Unsere Testteilnehmer berichteten, dass sie hauptsächlich Spiele spielen, ihre E-Mails abrufen, in sozialen Netzwerken auf dem Laufenden bleiben, Videos und Filme ansehen und Nachrichten lesen. Die Menschen surfen auch im Internet und recherchieren anstehende Anschaffungen. Die meisten Nutzer fanden aber, dass es einfacher sei, am Arbeitsplatz-PC einzukaufen. Einige sorgten sich auch um die Sicherheit beim Onlinehandel und Einkauf auf dem iPad.

Ein gemeinsames Charakteristikum bei dieser Art der Verwendung des iPads ist die Vorherrschaft des Medienkonsums, mit Ausnahme des beantworten von E-Mails. Etwa die Hälfte der Nutzer trugen ihr iPad häufig mit sich herum; die andere Hälfte verwendet es hauptsächlich zu Hause oder auf längeren Reisen.

Wir sind in einem Jahr weit gekommen. Die iPad-Usability hat sich verbessert und die Menschen verwenden Apps regelmässig. Wie immer gibt es keinen Grund, in unserer Wachsamkeit nachzulassen; neue Usability-Probleme sind aufgetaucht, und nicht alle der alten sind schon besiegt. Doch im Grossen und Ganzen sieht die Zukunft für das Nutzererlebnis bei berührungsgesteuerten Tablets rosig aus.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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