• Facebook
  • Google+
  • Twitter
  • XING
20.04.2003

Low-End Medien für User Empowerment

Übertriebene Medieneinsätze fallen bei Anwendertests typischerweise durch. Einfacher Text und klare Fotos treten nicht nur besser mit dem Anwender in Verbindung, sie steigern auch das Gefühl der Steuerbarkeit und stützen folglich die Mission des Webs als ein Umfeld unmittelbarer Zufriedenstellung.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 21.04.2003

 

Praktisch jede Web-Usability Studie, die wir durchgeführt haben belegt, dass Low-End Medieneinsätze den High-End Medieneinsätzen überlegen sind. Sogar die wenigen Ausnahmen bestätigen das Phänomen der Überlegenheit von Low-End Medien: Die Anwender möchten die Kontrolle über das System haben.

Low-End Medien funktionieren in den meisten Situationen besser. Zum Beispiel:

  • Investor Relations. Als wir die Informationen über Investor Relations auf Unternehmenswebseiten prüften, haben wir herausgefunden, dass Investoren selten auf Webcasts, Multimediaarchive mit Präsentationen und jährliche Meetings zugegriffen haben. Statt dessen bevorzugen sie geschriebene Statements über die finanziellen Ergebnisse und die Visionen des Managements. Vor allem Laien-Investoren brauchen einfache, einseitige finanzielle Übersichten, so dass Sie nicht mit Details zugeschüttet werden.
  • E-Commerce. Beim Beobachten von Anwendern bei Online-Einkäufen haben wir herausgefunden, dass sich die Anwender häufig die Produkte näher ansehen wollten, dass aber die Zoom-Funktionalität und die sich drehenden Multimedia-Darstellungen nur selten funktionieren. Wenn Anwender detailliertere Informationen wünschen, sind einfache und klare Fotos viel besser, so zum Beispiel Hypertextlinks von kleinen zu grossen Bildern.
  • Werbung. Anwender klicken weit häufiger auf die kleinen Textkästchen als auf die animierten Werbebanner.

Über die High-End Webcasts hatten die Nutzer unserer Investor Relations Studie Folgendes zu sagen:

"Ich nehme nie an Telefonkonferenzen teil, weil sie zu lang dauern. Ich möchte die Zeit dafür nicht aufbringen. Ich bevorzuge es, die Veröffentlichungen der Presse zu überfliegen, um zu sehen was mich interessiert und was nicht."

"Ich würde keinem Webcast zuhören und auch nicht irgendwelchen anderen Audio-Online-Angeboten. Es ist frustrierend. Die Anwender verkrampfen sich und der Ton ist nicht gut. Ich würde es bevorzugen, die Informationen einem Artikel zu entnehmen... Webcasts sind enttäuschend und Downloads brauchen ewig lange."

"Webcasts zuhören, ich glaube nicht, dass ich das tun würde. Ich habe es getan, aber es ist nicht etwas, das ich regelmässig tun würde... nur, wenn es interessant wäre. Wenn es mit einem technischen Durchbruch zu tun hätte - nicht mit einem Quartalsabschluss. Wenn es etwas mit Innovativem zu tun hätte."

Warum Einfachheit gewinnt

Es sind nur einige wenige technische Hindernisse, die sich verschwören, um komplexe Medien für die Anwender weniger ansprechend zu machen.

  • Die Bandbreite und Download-Zeit bleiben entscheidende Punkte der Web-Usability, da viele Anwender noch immer unter Modem-Verbindungen leiden. Einfache Medien können normalerweise schneller geladen werden, besonders dann, wenn Websites die Bilder richtig nutzen (das heisst, wenn die Sites kleine Bilder auf den Ausgangsseiten darstellen und grosse nur bei Bedarf).
  • Interaktions-Standards für eindrucksvolle Medientypen fehlen. Wie soll man ein 3-D-Modell genau drehen? Unterschiedlich auf jeder Site. Unterschiedlich = schwierig. Im Gegensatz dazu wissen Anwender, wie man Text liest und Bilder anschaut.
  • Die Suchfunktion funktioniert nur für Text-Inhalt. Obwohl man Wörter innerhalb ausgefallener Medientypen indizieren kann, kann man Informationen, die als Bild, Audio oder Video dargestellt werden nicht indizieren, folglich werden sie bei einer Anwendersuche unsichtbar sein. Die Suchfunktion ist eine der Hauptzugänge zu Websites und die Sichtbarkeit der Suchmaschinen ist für den Erfolg einer Website entscheidend (oder auch für Intranetseiten; die Suchfunktion ist genauso wichtig für internen Inhalt). Denken Sie an Googlebot als Ihren wichtigsten Anwender - und an einen, der für High-End Medien nicht zugänglich ist.
  • Accessibility ist für Anwender mit Behinderungen möglich, aber für High-End Media erfordert es ein Mehr an Arbeit.

Diese technischen Probleme werden mit der Zeit verschwinden. Innerhalb von 10 Jahren werden die meisten Anwender hoffentlich über einen Breitband-Anschluss verfügen und die Schnittstellen-Standards für Website werden sich soweit stabilisiert haben, dass fortgeschrittene Features einfacher zu nutzen sind.

Low-End Medien bleiben aber wegen eines grundlegenden Faktors bevorzugt: Sie lassen die Anwender ihre Erfahrungen steuern. Das Web besteht, um eine sofortige Befriedigung zur Verfügung zu stellen. Die Anwender legen ihre Hand auf die Maus und entscheiden, wohin sie gehen. Je einfacher es für die Anwender ist, genau das zu bekommen, was sie möchten, umso zufriedener werden sie sein.

Low-End Medien geben den Anwendern über folgende 3 Schlüssel-Prozesse die Kontrolle: wie sie lesen, wie einfach sie relevante Informationen finden und wie einfach sie Informationen herstellen können.

  • Lesen. Mit einfachem Text und Bildern kann der Anwender die Seite überfliegen und somit kontrollieren, was er liest. Weil ihr Seiten-Zugang nicht linear ist, können sie sich so viel oder so wenig Zeit bei einem Element aufhalten, wie sie möchten. Sie können sich auf gewünschte Informationen fokussieren, und irrelevante Teile ignorieren. Demgegenüber neigt übertriebene Media dazu, oft linear zu sein und so die Anwender zu zwingen, langweilige aufgeplusterte Sequenzen zu durchlaufen, bevor sie zu den gewünschten Informationen kommen.
  • Den relevanten Inhalt finden. Im Durchschnitt hat Low-End Media einen höheren Anteil an informativem Inhalt, während High-End Medien sich meistens nur mit unbeeindruckendem Inhalt brüsten. Low-End Media ist sicher nicht von schnödem Inhalt befreit; schauen Sie sich die Bilder von den "lächelnden Damen" an, wo eigentlich Fotos von Produkten hingehören. High-End Medien schwelgen jedoch in absoluter Schönheit und Irrelevanz. Zum Punkt zu kommen scheint eine Nebensache zu sein, wenn Sie ein Vermögen für ausgefallene Medien investieren. Schliesslich müssen Sie für das Geld, dass Sie ausgegeben haben etwas Kompliziertes zeigen.
  • Schreiben. Mit einfacheren Medienformen können Autoren, die das Material auch wirklich kennen, wahrscheinlich auch die Inhalte selbst erstellen. Komplexe Medienformen erfordern für gewöhnlich ein Outsourcing an externe Teams, die nicht die gleiche tagtägliche Auseinandersetzung mit der Produktserie haben, die sie zu erklären versuchen. Je mehr Schichten zwischen das Know-how und den Inhalt gestellt werden, umso schwächer wird der Inhalt.

High-End Media führt häufig dazu, dass die Nutzer unter dem Material, welches die Designer zur Schau stellen möchten leiden, anstatt sie direkt zum Material zu führen, für das sie auf die Site gekommen sind. Das widerspricht der Bewegungsfreiheit, welche eine gute "User Experience" auf dem Web auszeichnet.

Anstatt die Nutzer mit übertriebener Media beherrschen zu wollen, sollte man sie mit einfachen Medienmitteln dazu ermächtigen, die Kontrolle zu haben und ihre Bedürfnisse unmittelbar erfüllen zu können.

Warum komplexe Medien auf Websites erscheinen

Low-End Medien sind in den meisten Fällen am besten und sind fast immer günstiger zu implementieren als High-End Medien. Warum verwenden denn so viele Websites unpassende aufwendige Medien?

  • Designagenturen empfehlen manchmal kompliziertere Lösungen als der Kunde wirklich braucht, um ihr Einkommen zu erhöhen.
  • Technologieverkäufer "pushen", was auch immer sie gerade als High-End Technologie verkaufen. Obwohl 3-D Drehungen und Zooming selten so gut funktionieren wie einfache "close-up"-Fotos, ist an jeder Verkaufsshow ein Verkäufer, der 3-D an Website-Managers verkauft.
  • Website-Manager beobachten ihre Anwender nie, wenn sie mit der Site arbeiten. Sie treffen also Entscheidungen, ohne klares, aus erster Hand bezogenes Verständnis der Usability. Weil fortgeschrittene Lösungen intuitiv besser zu sein scheinen, sind diese Manager einfache Opfer für die Befürworter der Kompliziertheit.

Kein Verkäufer wird Web-Manager damit belästigen, Geld zu sparen, indem sie nur wenig für gute Fotos und ein paar wenige Seiten mit gut ausformuliertem Inhalt ausgeben. Fotografen und Texter könnten die Einfachheit befürworten, doch sie sind normalerweise weniger gut organisiert und weniger einflussreich als die grossen Hersteller und Agenturen.

Ausnahmen: Newsletter und Internet-Anwendungen

Low-End Medien bieten nicht immer die höchste Usability an, auch wenn Ausnahmen die Regel bestätigen.

E-Mail-Newsletter sind die erste Ausnahme. Beim Testen einer breiten Palette von Newsletter haben wir herausgefunden, dass HTML-Newsletter besser sind, als reine textbasierte Newsletter. Obwohl ich immer noch empfehle, eine ASCII-Version für Anwender mit geringen Bandbreiten oder für Anwender, die Low-End Newsletter bevorzugen anzubieten, bevorzugen die meisten Anwender HTML. Der Grund? Ein erweitertes Layout macht es leichter, die Artikel zu überfliegen und einige wenige Bilder können den kommunikativen Wert des Newsletters erhöhen.

Internetanwendungen sind eine andere Ausnahme. Die Usability wird erhöht, wenn ein mit vielen Features ausgestattetes System grafische Nutzerschnittstellen besitzt, die im allgemeinen besser sind, als die plumpen, "page-by-page"-Präsentationen, welche die traditionellen HTML-Seiten anbieten.

Beide dieser gegenteiligen Beispiele bestätigen meine Hauptgrundregel: Es ist am besten, den Anwendern eine granulierte Kontrolle über Ihre Erfahrung zu geben.

  • HTML für Newsletter-Layouts zu nutzen erleichtert das Überfliegen und macht es für die Anwender einfacher, sich die Punkte heraus zu suchen, die sie lesen wollen.
  • Anwendungen mit graphischen Nutzeroberflächen erlauben eine synchrone Mensch-Maschine Interaktion mit einer direkten Manipulation der Steuerung und des Feedbacks auf den Stufen des Wortschatzes und des Alphabets.

Privat Musik und Videos herunter zu laden ist eine andere offensichtliche Ausnahme (wie auch die entsprechenden legalen Dienste), aber diese Internet-Services sind keine Websites. Das gleiche zählt übrigens auch für E-Mail und Internet-Anwendungen. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass das Web und das Internet unterschiedliche Konzepte sind.

Für aktuelle Websites haben wir während unserer Usability-Tests eine Ausnahme gefunden; sie bezieht sich auf den Gebrauch des Webs durch Kinder. Im Gegensatz zu Diensten für Erwachsene, profitiert eine spezielle "Kinderecke" auf einer Website von zusätzlichen Soundeffekten und Animationen.

Für Erwachsene ist die Lösung jedoch vollkommen klar: eine Website ermächtigt die Anwender, wenn sie Inhalt in Form von Low-End Media liefert, die einfach "überfliegbar" ist und die Fragen, welche die Anwender möglicherweise haben, einfach beantwortet. Heben Sie sich die High-End Media für die seltenen Fälle auf, in denen sie wirklich einen Mehrwert bringen indem sie etwas zeigen, was sonst nicht darzustellen wäre.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

Kommentare auf diesen Beitrag

    Keine Kommentare

Kommentar hinzufügen

Die mit * gekenzeichneten Felder sind zwingend auszufüllen