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20.07.2009

Mobile Usability

Bei Nutzertests hat die Nutzung von Websites auf mobilen Endgeräten sehr schlecht abgeschnitten, besonders wenn die Nutzer auf "ausgewachsene" Websites zugriffen, die nicht speziell für eine mobile Nutzung konzipiert waren. Mobile Endgeräte sind eine der grössten Herausforderungen, der sich viele Websites heute stellen müssen. Auch für einige Intranets ist dies besonders wichtig, vor allem in Firmen mit vielen Mitarbeitern, die oft geschäftlich unterwegs sind.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 20.07.2009

 

Usability-Forschung

Um herauszufinden, was dazu führt, dass manche Websites besonders leicht oder schwer auf mobilen Endgeräten zu nutzen sind, haben wir drei Usability-Methoden miteinander verknüpft:

  • eine Tagebuchstudie (Diary Study). 14 Teilnehmer aus 6 Ländern (Australien, den Niederlanden, Rumänien, Singapur, Grossbritannien und den USA) haben alles, was sie mit ihrem Mobiltelefon gemacht haben - abgesehen von Telefonanrufen - für eine Woche protokolliert. Für jede Aktivität haben sie uns sofort eine Twitternachricht geschickt, und wir haben ihnen jeden Abend einen Fragebogen geschickt, um detaillierte Informationen einzuholen.
  • Nutzertestreihen. 48 Leute nahmen mit ihren eigenen Mobiltelefonen an unseren Usability-Studien teil. Alle Sitzungen wurden mit einer Kamera aufgenommen. Die Hälfte der Teilnehmer waren Männer, die andere Hälfte Frauen. Die Altersverteilung war in der Spanne der 20-49jährigen recht ausgewogen, nur wenige Nutzer waren 50 Jahre oder älter. Von den 48 Teilnehmern befanden sich 33 in den USA (an zwei unterschiedlichen Orten) und 15 in London.
  • Plattformübergreifende Bewertung. Wir haben das Design von 20 verschiedenen Websites mithilfe von 6 Mobiltelefonen getestet: einem Feature Phone, drei unterschiedlichen Smart Phones und zwei verschiedenen Touch Screen Phones.

In den Nutzertestreihen baten wir die Teilnehmer, typische Aufgaben mit ihren Mobiltelefonen auszuführen. Um zum Beispiel mobile.winespectator.com testen zu können, haben wir ihnen eine Flasche Wein gezeigt und sie gebeten, auf der Website darüber Informationen zu finden. Für m.lufthansa.com lautete eine der Aufgaben: "Planmässig soll Ihre Freundin heute um 12.00 Uhr von München kommend in London landen. Finden Sie heraus, ob ihr Flugzeug pünktlich ist."

Insgesamt haben wir 36 Websites getestet und die Nutzer gebeten, auf jeder Seite bestimmte Aufgaben zu versuchen. Diese Website-spezifischen Aufgaben haben es uns ermöglicht, systematisch mehrere Nutzer mit unterschiedlichen Telefonen dabei zu beobachten, wie sie alle das gleiche versucht haben. Wir haben auch 34 Aufgaben getestet, die sich auf das gesamte Web bezogen, wo die Teilnehmer also Websites ihrer Wahl nutzen konnten. Eine solche Aufgabe lautete: "Sie und Ihr vegetarischer Freund möchten ein gutes, indisches Restaurant in Ihrer Nähe finden. Nutzen Sie das Web, um ein Restaurant zu finden, das Sie besuchen könnten und das vegetarisches Essen anbietet." Durch diese Aufgaben haben wir Usability-Einblicke in Hunderte weiterer Websites sowie ein Verständnis dafür gewonnen, wie die Leute entscheiden, welche Websites sie auf ihren Mobiltelefonen besuchen.

Die Testaufgaben wurden angeregt durch die Nutzeraktivitäten, die in den Tagebuchstudien aufgezeichnet wurden. Diese Aufzeichnungen haben es uns auch ermöglicht, das Nutzerverhalten über einen längeren Zeitraum und in Situationen zu verfolgen, die lebensnäher sind als das, was man in Laborstudien machen kann.

Das mobile Nutzererlebnis ist grauenvoll

Der Ausdruck "Mobile Usability" ist so ziemlich ein Widerspruch in sich. Es ist weder leicht noch angenehm, das Web auf Mobilgeräten zu nutzen. Das Leiden der Nutzer während unserer Sitzungen erinnerte uns an die allerersten Studien, die wir 1994 mit traditionellen Websites durchgeführt haben. So schlimm war es.

In unseren Mobilstudien lag die durchschnittliche Erfolgsrate bei 59%, was zugegebenermassen höher ist als die Erfolgsraten in den 1990er Jahren, aber wesentlich niedriger als die, grob gemessen, 80%ige Erfolgsrate, die man bekommt, wenn man heute Websites auf einem gewöhnlichen PC testet.

Vor der Studie sind wir davon ausgegangen, dass wir in London vielleicht bessere Ergebnisse erzielen würden, da die Tradition des Mobilfunks in Grossbritannien stärker ist als in den USA. Die Sitzungen haben dies dann jedoch nicht bestätigt: Die britischen Websites waren genauso schlecht wie die amerikanischen, und die Nutzer hatten hier genauso mit der Durchführung ihrer Aufgaben zu kämpfen.

Die Hauptprobleme bei Mobiltelefonen

Die Nutzer der Mobiltelefone werden hauptsächlich mit vier Usabilityhürden konfrontiert:

  • Kleine Bildschirme. Damit etwas mobil ist, muss es leicht zu tragen und somit relativ klein sein. Kleine Bildschirme bedeuten stets weniger sichtbare Optionen, und somit müssen die Nutzer sich auf ihr Kurzzeitgedächtnis verlassen können, um ein Verständnis der visuellen Darstellung des Informationsbereichs aufbauen zu können. Das macht fast alle Interaktionen schwieriger. Es ist auch schwer, Platz zu finden für mehrere Fenster oder andere Interface-Lösungen, die fortgeschrittene Vorgehensweisen wie zum Beispiel vergleichende Produktrecherchen unterstützen.
  • Schwierige Eingabe, vor allem beim Tippen. Es ist schwer, Widgets einer grafischen Nutzeroberfläche ohne eine Maus zu bedienen: Menüs, Schaltflächen, Hypertext-Links und Scrollen, alles dauert länger und ist fehleranfälliger, egal ob sie per Touch-Screen oder mit einer winzigen Steuerkugel bedient werden. Die Texteingabe ist besonders langwierig und gespickt mit Tippfehlern, selbst auf Geräten mit eigens hierfür vorgesehenen Mini-Tastaturen.
  • Warten auf Downloads. Die nächste Bildschirmseite zu kriegen dauert ewig - oft länger als bei einer Wählverbindung, selbst mit vermeintlich schnellerem 3G Service.
  • Falsch konzipierte Websites. Weil Websites meist für die Desktop-Usability optimiert sind, halten sie sich nicht an die Richtlinien, die für einen nutzerfreundlichen Mobilzugriff gelten.

Die ersten beiden Probleme scheinen grundlegend zu sein. Ja, solche Probleme betreffen neuere Telefone weniger als ältere (wie weiter unten ausgeführt wird), aber dennoch: Mobiltelefone werden niemals so grosse Bildschirme oder so gute Eingabemöglichkeiten anbieten wie ein voll entwickelter PC.

Verbindungsprobleme werden in Zukunft hoffentlich abnehmen, aber es wird viele Jahre dauern, bis mobile Verbindungen so schnell sind wie selbst ein einfaches Kabelmodem - geschweige denn so schnell wie die Breitbandanschlüsse, die die verbesserten Leitungsnetze versprechen.

Mobil wird es nie so sein wie am Schreibtisch. Also bleibt uns nur die Hoffnung, dass Websites für bessere Mobil-Usability umgestaltet werden.

Mobil-Websites sind besser als ausgewachsene Websites

Als unsere Testteilnehmer Websites nutzten, die speziell für mobile Endgeräte konzipiert sind, lag ihre Erfolgsrate bei durchschnittlich 64%, was wesentlich höher ist als die ermittelten 53% für "ausgewachsene" Websites - also solche, wie sie auch die Nutzer am Schreibtisch sehen.

Die Effizienz der Nutzer um 1/5 zu verbessern ist Grund genug, Websites zu entwerfen, die für Mobiltelefone optimiert sind. Solche Websites waren auch wesentlich angenehmer zu nutzen und erzielten somit höhere subjektive Zufriedenheitswerte. Dieser Umstand beinhaltet noch eine weitere Begründung: Wenn die Nutzer erfolgreich und zufrieden sind, dann kommen sie höchstwahrscheinlich wieder. Wenn also mobile Nutzung für Ihre Internetstrategie wichtig ist, wäre es klug, eine spezielle Website für diese Nutzung zu entwerfen.

Allerdings hatten die Nutzer oft Probleme, die Mobil-Websites zu finden, selbst wenn die Firmen solche anboten. Die beste Vorgehensweise ist also, die Geräte der Nutzer automatisch erkennen zu lassen und die Nutzer von Mobiltelefonen dann an Mobil-Websites weiterzuleiten (selbst wenn sie ein sehr hochwertiges Telefon verwenden). Sie sollten auch offensichtliche Links von der Desktop-Website zur Mobil-Website anbieten, ebenso einen Link zurück zur vollständigen Website. Für Linkbezeichnungen empfehlen wir zum Beispiel "Mobile Site" ("Mobil-Website") und "Full Site" ("vollständige Website").

Ein Link zur vollständigen Website unterstützt die Nutzer, die weitergehende Funktionen wollen, für die sich die Mobil-Website nicht eignet. Da diese Alternativmöglichkeit besteht, sollten Sie die Funktionsvielfalt der Mobil-Website ruhig zurückschrauben und sich auf Funktionen konzentrieren, bei denen es wahrscheinlich ist, dass die Leute sie unterwegs nutzen wollen. Die Nutzer haben uns wiederholt gesagt, dass sie auf ihren Mobiltelefonen keine Aufgaben ausführen wollen, die viele Interaktionen oder das Durchsehen tiefgehender Informationen erfordern.

Bessere Telefone schneiden auch besser ab

Es gibt 3 eindeutige Klassen des mobilen Nutzererlebnisses, und die werden hauptsächlich durch die Bildschirmgrösse bestimmt:

  1. Feature Phones ("normale" Mobiltelefone) mit einem winzigen Bildschirm und einer nummerischen Tastatur. Diese Geräte machen den Grossteil des Marktes aus (mindestens 85% nach einigen Statistiken).
  2. Smartphones in einem Spektrum unterschiedlicher Formen, für gewöhnlich mit einem mittelgrossen Bildschirm und einer kompletten A-Z-Tastatur.
  3. Touchscreen-Telefone (wie zum Beispiel das iPhone) mit einem Bildschirm, der fast genau mit der Gerätegrösse identisch ist, und einer wirklich grafischen Nutzeroberfläche, die durch direkte Bedienung und Berührung gesteuert wird.

Erwartungsgemäss gilt: je grösser der Bildschirm, desto besser das Nutzererlebnis beim Zugriff auf Websites. Durchschnittliche Erfolgsraten sahen wie folgt aus:

  • Feature Phones: 38%
  • Smartphones: 55%
  • Touch Phones: 75%

Anhand dieser Zahlen ist die Verbraucherempfehlung einfach: Kaufen Sie sich ein Touch Phone, wenn Ihnen die Nutzung von Websites wichtig ist.

Die Empfehlung für Internetmanager ist schwieriger. Wenn man die furchtbare Usability von Feature Phones bedenkt, sollte man sie überhaupt unterstützen? Sollten Sie sich alternativ auf Smartphone- und Touch-Phone-Nutzer konzentireren, die Ihre Website wahrscheinlich gründlicher nutzen werden? Darauf gibt es nicht die eine Antwort.

Für Dienste, die sich besonders für die mobile Nutzung anbieten - wie zum Beispiel Nachrichten oder soziale Netzwerke - sollten Sie wahrscheinlich eine spezielle Website für Features Phones erstellen und zusätzlich eine Website, die für höherwertige Telefone optimiert wurde. Die meisten anderen Websites fahren vielleicht besser damit, ihre Investition auf eine einzige mobile, für Smartphones und Touch Phones optimierte Website zu konzentrieren. Wenn bei Ihnen komplexe Vorgänge oder umfassende Inhalte im Mittelpunkt stehen, werden Sie letztendlich zu wenige mobile Nutzer haben, als dass dies eine gesonderte Website rechtfertigen würde.

Keine Fortschritte seit 2000?

In unseren Londoner Sitzungen haben wir zwei Aufgaben aus unserer Studie zur WAP-Usability im Jahr 2000 wiederholt. Wir gingen davon aus, deutliche Verbesserungen beim Lösen dieser Aufgaben zu finden, aber die Ergebnisse widersprachen dieser Erwartung (das ist der Grund, weshalb wir uns immer wieder der Mühe der Forschung unterziehen). Die durchschnittlichen Aufgabenzeiten der beiden Studien waren wie folgt:

AufgabeWAP-Telefone (2000)Heutige Telefone
Finden Sie das örtliche Wetter für heute Abend heraus164s247s
Finden Sie heraus, was heute Abend um 20.00 Uhr auf BBC TV 1 läuft159s199s


Verblüffenderweise benötigten die Nutzer diesmal 38% mehr Zeit für diese beiden Aufgaben als im Jahr 2000. Sind die heutigen Mobiltelefone wirklich so viel schlechter als die furchtbaren WAP-Telefone aus vergangenen Zeiten? Hat sich Website-Usability wirklich so verschlechtert? Die Antwort lautet in beiderlei Hinsicht Nein; Telefone und Websites sind heute definitiv besser.

Was sich verändert hat, ist die Nutzungsumgebung. Im Jahr 2000 waren die Nutzer noch auf den "umzäunten Garten" beschränkt, den ihr jeweiliger Mobilfunkbetreiber anbot. WAP-Telefone waren mit einer eingebauten "Terrasse" ausgestattet, die direkten Zugriff auf einige wenige Dienste ermöglichte. Dieser Ansatz schränkte zwar die Freiheit der Nutzer ein und eröffnete ihnen nur die einfachsten Aufgaben, aber dafür kamen sie an diese Informationen mit wenigen Tastendrücken heran.

Die heutigen Handynutzer sind sehr auf Suchmaschinen fokussiert. Wenn wir nicht vorgeben, welche Website sie nutzen sollen (und oft sogar wenn wir es tun), versuchen sie es zuerst bei ihrer Lieblingssuchmaschine. Dies bedeutet wiederum viel Tippen, was auf Mobiltelefonen langwierig, unbequem und fehleranfällig ist.

Heute können die Mobiltelefonnutzer alles machen. Die Tatsache, dass die meisten Dinge jedoch so lange dauern, hebt noch einmal hervor, wie notwendig designreduzierte Mobil-Websites sind.

In unserer aktuellen Studie schnitt ein Nutzer wirklich gut ab - ein iPhone-Nutzer, der auf seinem Telefon einen Wetterdienst installiert hatte und diesen nutze, um die Wettervorhersage in gerade mal 18 Sekunden (1/3 der schnellsten Zeit aus 2000) abrufen zu können. Wenn noch weitere Beweise für die Vorteile eines handyspezifischen Designs benötigt wurden, so sollte dieses Beispiel ausreichen.

Mobile Usability ist kein einfaches Unterfangen

Alle unsere neuen Forschungsergebnisse führen zur gleichen Schlussfolgerung: Die Gestaltung für eine mobile Nutzung ist schwer. Die technische Erreichbarkeit ist noch weit entfernt davon, ein passables Nutzererlebnis zu ermöglichen. Es genügt nicht, dass sich Ihre Website auf einem Telefon anzeigen lässt. Selbst Touch Phones, die Browser mit voller Funktionalität anbieten, ermöglichen keine PC-artige Usability in dem Sinne, dass die Nutzer es schaffen würden, hier alles so gut wie auf einer gewöhnlichen Website zu erledigen.

Bei der Entwicklung des Designs für die mobile Nutzung gibt es eine Spannung zwischen (a) dem Hervorheben von Inhalten und Navigationselementen, damit die Nutzer es leichter haben, dort hin zu gelangen, und (b) der Gestaltung für kleine Bildschirme und langsame Downloads. Deshalb muss fast jede Designentscheidung im jeweiligen Kontext der zu entwickelnden Website getroffen werden, und was für die eine Website funktioniert, klappt bei der anderen vielleicht nicht.

Wenn Websites nicht für die besonderen Umstände der mobilen Nutzung umkonzipiert werden, wird das mobile Web weiterhin eine Illusion bleiben. Die Nutzer werden die Vorteile, die ihnen von den Mobilfunkanbietern versprochen wurden, nicht erkennen, und die Website-Eigentümer werden nicht die Gewinne einfahren, die Horden von potenziellen loyalen Mobilkunden eigentlich abwerfen müssten.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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