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16.02.2009

Mobiles Internet 2009 ist wie das Arbeitsplatz-Internet von 1998

Die Handynutzer müssen schwer kämpfen, wenn sie Websites nutzen wollen, selbst mit hochwertigen Geräten. Um die Probleme zu lösen, sollten die Websites spezielle Mobil-Versionen anbieten.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 17.09.2009

 

Neulich habe ich an vielen Sitzungen teilgenommen, in denen Usability-Testteilnehmer versucht haben, Websites mit ihren Handys zu nutzen. Was für ein schauerliches Erlebnis - für die Nutzer genauso wie für die Forscher! Was die Qualität des von uns beobachteten Nutzererlebnisses betrifft, war es, wie wenn wir mit einer Zeitmaschine zurück ins Jahr 1998 gefahren wären. Die Ähnlichkeiten waren zahlreich:

  • Grottenschlechte Erfolgsraten. Ich möchte noch keine spezifischen Zahlen veröffentlichen, bevor wir die nächste Textrunde in London vollendet haben. Aber in den amerikanischen Sitzungen haben es die Nutzer häufiger nicht geschafft, mit ihrem Handy Aufgaben auf den Websites zu lösen, als sie es geschafft haben.
  • Ladezeiten dominieren das Nutzererlebnis. Die meisten Seiten brauchen viel zu lange, bis sie geladen sind, besonders auf Nicht-3G-Handys. Aber selbst auf den hochwertigsten Handys ist das Surfen viel langsamer als auf einem Arbeitsplatzrechner. Die Folge ist: Die Nutzer zögern, zusätzliche Seiten aufzurufen, und geben oft auf.
  • Das Scrollen erzeugt schwere Usability-Probleme. Anders als in den 1990er Jahren ist das Problem nicht, dass die Nutzer nicht scrollen - sondern dass sie zu viel scrollen. Auf dem Handy müssen sie ihr winziges Schlüsselloch so oft auf und ab bewegen, dass sie aus dem Auge verlieren, wo sie sich befinden und was alles auf der Seite ist. Oft scrollen sie genau über etwas hinweg, ohne es zu bemerken. Das eingeschränkte Blickfeld der Nutzer ähnelt stark den Usability-Problemen, auf die wir in Tests mit sehbehinderten Nutzern gestossen sind. Wenn Sie ein Handy nutzen, werden Sie zum Behinderten, und wir wissen alle, wie wenig Websites auf Barrierefreiheit achten.
  • Überladene Seiten schaden den Nutzern. Die meisten Websites, die wir untersucht haben, würden auf den grossformatigen Bildschirmen heutiger PCs nicht überladen wirken, aber wenn sie von einem Handy wiedergegeben werden, ersticken sie fast unter ihrer Überlast. Oft werden die Nutzer von grossen Bildern aus dem Konzept gebracht oder von langen Seiten, auf denen sie nicht finden, was sie suchen.
  • Die Nutzer sind mit der Nutzeroberfläche ihres Browsers nicht vertraut, was ihre Optionen einschränkt. Die Leute nutzen ihre Geräte suboptimal, weil sie die Oberfläche nicht begreifen. Arbeitsplatz-Browser sind sehr konstant und ändern sich nur wenig bei einer neuen Version (die Tabs [Reiter] sind wahrscheinlich die einzige grosse Änderung der letzten zehn Jahre). Dagegen bekommen viele Leute alle zwei Jahre ein neues Handy, und die verschiedenen Modelle haben extrem unterschiedliche Browsing-Praktiken. Dadurch wird es auch schwieriger, durch das Beobachten von Freunden oder Kollegen zu lernen, weil diese vielleicht andere Handys haben.
  • JavaScript-Pannen und Probleme mit fortgeschrittenen Medientypen wie Videos. Haltet es einfach, Leute - besonders wenn ihr wollt, dass etwas auf möglichst vielen Handys läuft.
  • Zurückhaltung beim Verwenden von Websites für viele Zwecke auf dem Handy, besonders beim Shopping. Wenn es nach unseren Teilnehmern geht, hat Mobil-Commerce düstere Zukunftsaussichten, wenn die Websites nicht besser werden und sich mehr Nutzervertrauen verdienen.
  • Dominanz der Suche. Okay, die sticht heutzutage stärker hervor als 1998, aber es gab sie auch damals schon, und sie ist sicher auch in der mobilen Nutzung stark.
  • Gestaltung nach alten Medien. In den 1990er Jahren haben viele Webdesigns ausgesehen wie schicke Print-Publikationen und kaum interaktive Elemente enthalten. Heutzutage werden Websites, nun, wie Websites gestaltet. Genauer gesagt, sie werden wie Arbeitsplatz-Websites gestaltet, und das ist für die mobile Nutzung die falsche Medienform; selbst auf den besten Handys ist es qualvoll, die Interaktion zu betreiben, und einfache Designs sind ein Muss.

Die Usability ist verschieden je nach Kategorie der mobilen Geräte

Beim Testen haben wir drei klar unterscheidbare Klassen des mobilen Nutzererlebnisses ermittelt, die hauptsächlich von der Grösse des Bildschirms abhängen:

  1. Normale Handys mit winzigem Bildschirm. Oft bezeichnet als Feature Phones, decken diese Geräte den allergrössten Teil des Marktes ab (mindestens 85% nach einigen Statistiken). Ihre Usability ist grauenhaft und erlaubt nur minimale Interaktionen mit der Website.
  2. Smartphones in einer grossen Bandbreite von Formen, normalerweise mit einem mittelgrossen Bildschirm und einer kompletten A-Z-Tastatur. Diese Geräte bieten manchmal 3G-Internet-Verbindungen und vielleicht sogar WiFi. Die Usability von Smartphones ist schlecht und zwingt die Nutzer, mit den Websites zu kämpfen, um dort Aufgaben zu lösen.
  3. Vollbildschirm-Handys (hauptsächlich das iPhone) mit einem Touch-Screen, der fast so gross ist wie das Gerät, und einer richtigen Nutzeroberfläche, die durch direkte Manipulation und Berührungsbewegungen betrieben wird. Diese Handys bieten 3G-Internet-Verbindungen oder sogar noch höhere Geschwindigkeit, wenn sie sich per WiFi verbinden. Ihre Usability ist armselig; nur einfache Aufgaben sind wirklich leicht zu lösen - und auch das nur auf gut gestalteten Websites, die für mobile Nutzung optimiert sind.

Im Prinzip sollte die dritte Kategorie auch andere Modelle als das iPhone umfassen, und wir haben tatsächlich ein paar Nutzer beobachtet, die auf anderen Vollbildschirm-Handys anständig arbeiten konnten. In der Praxis aber hatten die meisten anderen Vollbildschirmgeräte, die wir getestet haben, so eine schwache Usability, dass die Leute damit kaum besser im Internet surfen konnten als mit gewöhnlichen Smartphones. Es reicht nicht, wenn andere Anbieter die Hardware-Eigenschaften des iPhone kopieren (den grossen Touchscreen). Sie müssen auch eine Software mit einer nutzerfreundlichen grafischen Nutzeroberfläche ausliefern.

Eine eigene Mobil-Website ist am besten

Um die beste Nutzerleistung zu erzielen, sollten Sie verschiedene Websites für jede der drei Mobilgeräteklassen gestalten - je kleiner der Bildschirm, desto weniger Funktionen und desto stärker im Design zurückgefahren. Die allerbeste Option ist, den Bereich des Surfens ganz zu verlassen und eine spezielle Mobil-Anwendung für Ihre überzeugtesten Besucher zum Herunterladen bereitzustellen. In der Praxis allerdings können sich nur die grössten und reichsten Unternehmen diese ganze Zusatzarbeit zu ihrer Arbeitsplatz-optimierten Website leisten.

Etwas weniger reiche Unternehmen sollten zwei Mobil-Designs bauen: eins für einfache Handys und ein anderes für Smartphones und Vollbildschirm-Handys. Diese Strategie eignet sich besonders gut, wenn Sie auf ein breites Publikum mit vielen normalen Handynutzern abzielen. Der Umgang mit kleinen Handys ist so anders, dass er ein eigenes, stark zurückgefahrenes Design benötigt, während die grösseren Handys von einem Design profitieren, das mobilfreundlich ist, aber über ein blosses Gerüst hinausgeht. Surfen mit dem Feature Phone ist vor allem eine lineare Erfahrung, während das Surfen mit dem Smartphones und dem Vollbildschirm eher dem Arbeiten mit einer grafischen Nutzeroberfläche entspricht - wenn auch mit eingeschränkter Sicht.

Für die meisten Websites allerdings besteht die einzige realistische Option darin, neben die Haupt-Website nur eine Mobil-Website zu setzen und in Kauf zu nehmen, dass sie einfache Handys nur schlecht unterstützen wird. Diese Strategie ist oft sinnvoll. Schliesslich ist es für die meisten Nutzer einfacher Handys so qualvoll, Websites zu besuchen, dass sie das nur bei den dringendsten Aufgaben tun, und folglich Ihre Website vielleicht gar nicht besuchen. Wenn Sie also nur eine Mobil-Website haben, zielen Sie damit auf die mittleren und hochwertigen Geräte ab, anstatt eine WAP-artige Website zu machen, die jeder hassen wird.

Ausserdem brauchen nicht alle Websites Mobil-Versionen. Einer Tagebuch-Studie zufolge, die wir mit Nutzern in sechs Ländern durchgeführt haben, nutzen die Leute ihrer Handys nur für eine recht begrenzte Anzahl von Aktivitäten. Da also die meisten durchschnittlichen Websites nicht so viele mobilen Nutzer begrüssen dürfen, sollten sie einfach nur ihr grundlegendes Design anpassen, um die schlimmsten Stolperfalle für die wenigen mobilen Nutzer zu vermeiden.

Wenn Ihr Angebot für mobile Nutzer sinnvoll ist, bieten Sie wenigstens ein für Mobile optimiertes Design an. Verlassen Sie sich nicht auf Browser mit sämtlichen Funktionen, um Ihre Haupt-Website anzuzeigen, denn so erzeugen Sie eine endlose Reihe von Usability-Problemen. Wenn Ihre Website sowohl ein Mobil-Design als auch ein Arbeitsplatz-Design hat, versorgen Sie alle mobilen Nutzer mit der Mobil-Version - auch die mit Handys, die das Ganzseiten-Surfen unterstützen. (Für Nutzer, die seltene Funktionen benötigen, die im Mobil-Design nicht enthalten sind, sollten Sie einen einfachen Weg anbieten, um zur vollen Website zu wechseln.)

Mit halber Kraft und ganzer Hoffnung voraus

Unsere letzte Studie zur Mobil-Usability haben wir im Jahr 2000 durchgeführt, und meine Schlussfolgerung war damals: mobiles Internet 2000 = Arbeitsplatz-Internet 1994. Wenn wir jetzt Nutzer beobachten, die mit ihren Handys Websites besuchen, erinnert mich das an Tests mit verkabelten Nutzern im Jahr 1998. Mit anderen Worten, in einem Zeitraum von neun Jahren hat das Mobil-Nutzer-Erlebnis einen Fortschritt von vier Jahren gemacht. Grob gesagt haben sich die Verbesserungen bei der Mobil-Usability halb so schnell bewegt wie bei der verkabelten Usability.

Warum bin ich also immer noch optimistisch, was mobile Websites und Online-Dienste betrifft?

Erstens ist es nicht unbedingt tragisch, in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre mit halber Geschwindigkeit des durchschnittlichen Internets vorangeschritten zu sein. Es handelte sich um eine Epoche mit explosivem Fortschritt.

Zweitens, Mobil ist der Trend des Jahres beim Anwendungs-Design. Trends können zwar falsch sein, aber dabei passieren eine Menge interessante Dinge.

Drittens nehmen wir gerade eine Wendemarke in der Mobil-Internet-Usability. Genau wie der Macintosh von Apple vor 25 Jahren einen Durchbruch in der Usability der Arbeitsplatzrechner ausgerufen hat, bringt das iPhone von Apple heute eine ähnliche Pionierleistung und einen ähnlichen Durchbruch in der Mobil-Usability.

Das iPhone ist sicher nicht perfekt, und Wettbewerber könnten leicht bessere mobile Geräte herstellen. Mit "leicht" meine ich nicht an einem Wochenende. Ich meine nur, dass es möglich ist, wenn man sich stark auf das Nutzererlebnis und das nutzerzentrierten Design konzentriert; das iPhone bietet eine Menge Raum für Verbesserungen. Bislang allerdings haben die Wettbewerber des iPhone enttäuschend abgeschnitten, weil sie sich nicht am nutzerzentrierten Design orientiert haben.

Alan Kay hat das Wort geprägt: der Mac war der erste Computer, den es zu kritisieren lohnte. In ähnlicher Weise ist das iPhone das erste mobile Internet-Gerät, das es zu kritisieren lohnt. Es ist der Anfangspunkt für die Entwicklung mobiler Online-Dienste und nicht ein Schlusspunkt.

Die Geräte werden zwar besser werden, aber die grossen Fortschritte müssen bei den Websites erfolgen. Websites und Intranets müssen spezielle Designs entwickeln, die das mobile Nutzererlebnis optimieren. Heutzutage haben erst wenige Websites Mobil-Versionen, und die wenigen, die es gibt, sind sehr schlecht gestaltet, ohne Kenntnis spezieller Richtlinien für Mobil-Usability.

Es gibt ein immenses Potenzial für Fortschritte in der Mobil-Usability, je mehr Website-, Intranet- und Software-Designer Mobil-Versionen bauen und die Usability ihrer gegenwärtigen Designs aufmöbeln. Der Stand des normalen Internets 1998 hält eine weitere hoffnungsvolle Präzedenz bereit: Genau ein Jahr später, 1999, begann das Interesse an Web-Usability zu explodieren, weil die Internet-Manager erkannten, wie schlecht "coole" und nutzerunfreundliche Websites bei den Geschäftsergebnissen abschnitten.

Wir wollen hoffen, dass sich die Geschichte beim mobilen Web wiederholt.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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