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11.10.2004

Newsletter-Usability: Ob das ein professioneller Verlag besser kann?

Der E-Mail-Newsletter der Washington Post ist in puncto Usability sehr gut. Seine besondere Stärke liegt darin, beim Nutzer noch vor dem Einschreiben eine angemessene Erwartungshaltung zu erzeugen. Allerdings gibt es ein paar Probleme beim Abbestelldialog.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 11.10.2004

 

Mein kürzlich vorgenommener Vergleich der E-Mail-Newsletter der Bush- und der Kerry-Kampagnen ergab, dass beide Kampagnen Newsletter mit zwar guten Inhalten aber ernsten Mängeln in der Nutzeroberfläche veröffentlichen.

Die Washington Post bietet einen Newsletter namens Weekly Campaign Report (Wochenbericht zu den Wahlkampagnen) an, der erklärtermassen vielfach die gleichen Themen abdeckt wie die Newsletter der beiden Kandidaten. Deshalb habe ich mich daran gemacht, die Frage zu beantworten: Ist der E-Mail-Newsletter eines professionellen Verlags eigentlich besser als diejenigen der Wahlkampf-Sites?

Das Ergebnis: ein Grand-Slam-Sieger

Die Abonnier- und Abbestelloberflächen von washingtonpost.com evaluierte ich am 21. September, den entsprechenden Newsletter selbst in einem vierwöchigen Zeitraum vom 6. September bis 3. Oktober 2004. Ich habe Website und E-Mails danach bewertet, wie weit sie meine Design-Richtlinien für Newsletter-Usability einhalten, welche auf unserer neuesten Forschung mit Nutzern beruhen, die bereits eine grosse Zahl von E-Mail-Newslettern gelesen und abonniert haben.

Die Washington Post schlägt sowohl George W. Bush als auch John Kerry mit links. Nicht nur ihr Gesamtergebnis ist deutlich besser, die Post heimste auch auf jedem der vier Haupt-Usability-Gebiete mehr Punkte ein als beide Kandidaten.

Washington PostBushKerry
Abonnier-Oberfläche79%47%44%
Newsletter-Inhalte und -Präsentation74%71%67%
Abonnementpflege und Abbestellen56%43%54%
Abgrenzung der Newsletters von Spam67%33%33%
alle 127 Richtlinien72%58%57%


Zugegebenermassen stellen diese 72% noch kein perfektes Ergebnis dar. Ich sehe es lieber, wenn die Websites mit 80-90% der Usability-Richtlinien übereinstimmen. (Eine 100%ige Rate ist nicht erforderlich, weil jede Site oft bestimmte Umstände berücksichtigen muss, die es nahe legen, von ein paar Richtlinien abzuweichen.) In Anbetracht des heutigen Internets sind 72% ein respektables Niveau, und es ist dramatisch höher als die 57-58% von Bush und Kerry.

Die Abonnier-Oberfläche

Wenn es darum geht, den Nutzern zu zeigen, was sie bei einem Abonnement erwartet, schneidet Washingtonpost.com um Meilen besser ab als die Sites der Präsidentschaftskampagnen. Im Grunde heisst es bei Bush und Kerry bloss: "Gib uns deine E-Mail-Adresse, und wir senden dir irgendwelches [unbestimmtes] Zeug." Das wirkt heutzutage nicht mehr so toll. Die Post befolgt die meisten Richtlinien betreffend vorgängiger Aufklärung der Nutzer - und stellt auf diese Weise auch gleich sicher, dass sich mehr Nutzer einschreiben.

Dass die Abonnier-Oberfläche der Post dennoch mit weniger als 100% abschneidet, liegt hauptsächlich daran, dass sie von den Nutzern eine Registration verlangt und dabei auch noch eine Reihe von persönlichen Daten fordert. Die Ursache dafür mag der verbreitete Mythos sein, dass demographische Nutzerdaten für zielgerichtete Internetwerbung erforderlich seien; aber Registrierungen behindern die Usability und vertreiben Abonnenten. Unter dem Strich hat man dann niedrigere Werbeerlöse. (Ohnehin sollte man persönliche Werbung aufgrund des tatsächlichen Verhaltens jedes einzelnen Nutzers erstellen, also gewissermassen für ein einköpfiges Volk; dies ist viel ergiebiger, als die Leute als stereotype Mitglieder grosser Gruppen zu behandeln.)

Erstaunlicherweise missachtet washingtonpost.com stellenweise die grundlegende Richtlinie, Newsletter im entsprechenden Kontext anzubieten. Sie versäumt es nämlich, von passenden Onlineartikeln aus direkt auf die Newsletter zu verlinken. Allerdings ist zumindest die Kapitelseite "2004 Election" auf den Newsletter verlinkt, so dass ich für diese Richtlinie dennoch die halbe Punktzahl geben konnte. Doch in Dan Froomkins Kolumne "Aus dem Weissen Haus" vom 21. September wurde der Newsletter nicht erwähnt, obwohl das die zweitprominenteste Geschichte auf der Startseite war, mit der Schlagzeile "Let the Debate Spin Begin" ("Ring frei zur Diskussionsrunde"). Die Überschrift alleine zog wahrscheinlich viele Leser an, die potenzielle Abonnenten gewesen wären.

Washingtonpost.com schneidet ebenfalls schlecht ab, wenn es darum geht, über die Navigation zum Newsletter zu gelangen. Doch habe ich ihr ein paar Punkte gegeben wegen guter Implementierung von Usability-Richtlinien bei der Suche: Wenn die Leute "subscribe" (Abonnieren) oder "newsletters" suchen, finden sie ganz oben auf der Ergebnisliste einen eindeutigen Link zu den Newslettern im "Das-ist-es"-Stil. Eine Suche nach "unsubscribe" (Abbestellen) brachte allerdings kein Ergebnis und keinerlei Hinweis darauf, was man tun muss - noch nicht einmal einen Link zur Hilfe oder zur Sitemap. Wenn die Nutzer die Sitemap finden, ist Ihnen geholfen, denn sie befolgt viele der Richtlinien für Sitemap-Usability, mit Ausnahme, dass sie sich nicht wie empfohlen "site map", sondern "site index" nennt. Die Sitemap versäumt es auch, einen Link zum Newsletter-Bereich anzubieten.

Abonnementpflege und Abbestellen

Wenn es ans Abbestellen geht, stellt die Post dem Nutzer ein weiteres Bein in Sachen Usability: Der Newsletter folgt nämlich nicht der Empfehlung, einen Ein-Klick-Prozess zum Abbestellen anzubieten. Stattdessen muss sich der Nutzer einloggen, und dafür muss er sich an seine Passwörter erinnern. - Dies ist als schwerer Mangel einzustufen.

Zumindest bietet die Seite eine anständige Funktion an, vergessene Passwörter wieder zu beschaffen, was das Usability-Problem ein Stück weit behebt, dass die Nutzer sich erst einloggen müssen, um aus der Mailingliste herauszukommen.

Wenn die Nutzer sich einmal eingeloggt haben, ist es leicht, sowohl einzelne Newsletter als auch alle gemeinsam abzubestellen. - Eine gute Lösung.

In einigen Fällen ist es möglich, die Newsletter-Frequenz zu ändern und von einem täglichen in einen wöchentlichen Turnus umzuschalten, falls Nutzer sich mit E-Mails überhäuft vorkommen. Das ist grundsätzlich begrüssenswert, allerdings fehlt eine Auffangoberfläche, die einem einen entsprechenden wöchentlichen Newsletter als Ersatz anbieten würde, falls man den täglichen Newsletter abbestellt. Die Site verlässt sich darauf, dass die Nutzer solche Alternativen in einer langen Liste möglicher Newsletter selber wahrnehmen - doch das halte ich für eher unwahrscheinlich, wenn ein Nutzer unter Zeitdruck steht und einfach nur abbestellen möchte.

Die Inhalte der Newsletter

Bei den Newsletter-Inhalten schneidet die Post sehr gut ab, aber das schafften die Präsidentschaftskandidaten ebenfalls. Vom Personal einer führenden Zeitung erwartet man schliesslich, dass es schreiben und redigieren kann, und so ist es hier auch; die Post sammelt auf diesem Feld ein paar Punkte mehr als die Newsletter der beiden Präsidentschaftskampagnen.

Ihre Schlagzeilen sind kurz und bündig (gut so), aber nicht immer spezifisch genug für ein Online-Medium (schlecht). Zum Beispiel trug der Newsletter vom 8. September die Überschrift "Over the Top" ("Übers Ziel hinaus"), was die Hauptaussage des Newsletters nicht völlig klärt. Eine Betreffzeile wie "Campaign Rhetoric Takes a Nasty Turn" ("Die Kampagnenrhetorik nimmt eine üble Wende") hätte eine höhere Öffnungsrate erzeugt.

Die Zwischenüberschriften sind oft genau auf den Punkt gebracht (gut so), z.B. "Poll Analysis" ("Analyse der Umfragenzahlen") oder "Kerry Blasts Bush on Guns" ("Kerry haut Bush die Waffen um die Ohren"). Für die einfache Aufgabe zum Ausdruck des Newsletters gibt es nur die halbe Punktzahl, weil die rechte Seite des Ausdrucks abgeschnitten wird, wenn der Nutzer in seinem E-Mail-Programm einfach den "Drucken"-Knopf betätigt. Das verhexte starre Layout schlägt mal wieder zu.

Die Werbung wird angemessen gehandhabt und trübt das Nutzererlebnis nicht - ausser, dass redaktionelle Inhalte manchmal allzu sehr nach Anzeigen aussehen, so dass die Nutzer sie deshalb übersehen könnten. Die äussere Ähnlichkeit zu Anzeigen stellte lange Zeit einen der häufigsten Webdesignfehler dar und sollte vermieden werden.

Die Usability der Newsletter verbessern

Ist es unfair, die Newsletter der Präsidentschaftskampagnen mit demjenigen einer grossen Zeitung zu vergleichen? - Ich denke nicht. Es wäre natürlich unfair, wenn man einen Vergleich zwischen einem professionellen Medienunternehmen und jemandem anstellen würde, der Bürgermeister von Pusemuckel werden will. Aber Präsidentschaftskampagnen sind ja etwas anderes: Sie verfügen beide über ein Budget von mehr als 300 Mio. $. Und nebenbei bemerkt spielt das Geld keine so grosse Rolle; viele der besten Designs in unserem Test mit 111 E-Mail-Newslettern wurden von ziemlich kleinen Firmen veröffentlicht. Die meisten Fehler der Kandidaten könnten schon mit minimalen Ressourcen behoben werden - oft sogar ohne Programmieren. Eines der grössten Probleme war auch nicht der Mangel an Schreibkunst, sondern der an redaktionellem Fingerspitzengefühl.

Die Newsletter von Bush und Kerry haben ihre Usability-Werte etwas verbessert, seit ich sie evaluiert habe. Das Gute daran ist: die Kampagnenmanager sind in der Lage, aus ihren Erfahrungen zu lernen. Dennoch gibt es keine Entschuldigung dafür, dass sie noch im August Fehler machten, die die Nutzerforschung bereits zuvor klar dokumentiert hatte. Was Ihnen wegen dieser Fehler an Abonnenten durch die Lappen gegangen ist, haben sie wahrscheinlich für immer verloren. Nutzer, die sich bereits einmal gegen ein Onlineangebot entschieden haben, sind schwer zu reakquirieren.

Die Washington Post weist eindeutig ein gutes Potenzial für E-Mail-Newsletter auf. Das Team der Webdesigner und die Newsletter-Redakteure der Post haben ganze Arbeit geleistet und sowohl George W. Bush als auch John Kerry meilenweit geschlagen. Der Newsletter der Post ist auch besser als das Gros jener Firmen-Websites und Internethändler, die wir evaluiert hatten. Ja, die Usability könnte noch besser sein (ich bin nie zufrieden), aber ich schliesse mit einem: "Gute Arbeit, Jungs!"

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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