Papier-Prototyping: Nutzerdaten erhalten, bevor mit der Codierung begonnen wird
Mit einem Papier-Prototypen können Sie frühe Designideen zu extrem geringen Kosten testen. Wenn Sie dies tun, können Sie Usability-Probleme beheben, bevor sie Geld damit vergeuden, etwas zu implementieren, das nicht läuft.
by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) -14.04.2003
Carolyn Snyder hat ein wundervolles neues Buch mit dem Namen "Paper Prototyping" geschrieben: Schnelle und einfache Techniken für das Entwerfen und Verfeinern einer Nutzerschnittstelle. Wie der Titel verspricht, beinhaltet das Buch alle praktischen Informationen, die Sie brauchen, um Papier-Prototypen zu entwerfen und kosteneffektive Usability-Daten für Ihre Nutzungsschnittstellen-Designs zu sammeln. Indem sie den Rat des Buches befolgen, werden Designer eines Projektes mittlerer Grösse wahrscheinlich einen "Return on Investment" von mehreren tausend Prozent sehen.
Zu einfach, um wahr zu sein?
Dieses Buch ist einfach fantastisch und bietet korrekten und wertvollen Rat an. Noch gibt es allerdings eine bedeutende Gefahr: nämlich die, dass nachdem die Leute das Buch gelesen haben, es für den Rest seiner Existenz in einem Buchregal verschwindet. Nach meiner Erfahrung haben Designer in realen Designprojekten trotz des möglicherweise unermesslichen Beitrages für eine hochwertige Nutzererfahrung fast nie Gebrauch von Papier-Prototyping gemacht. Warum nutzen Designteams "Paper Prototyping" nicht? Ist es, weil es zu kostspielig und zeitraubend ist, so dass sich Projektleiter bedauerlicherweise dazu entscheiden, die Ressourcen anders zu verteilen, um so zeitgerecht zu liefern? Nein. Denn Papier-Prototyping ist eine der schnellsten und preiswertesten Techniken, die Sie in einen Designprozess mit einbinden können.
Papier-Prototyping wird nicht genutzt, weil die Leute sich nicht vorstellen können, dass sie genug Informationen mit einer Methode erhalten, die so einfach und günstig ist. Es erscheint so, als würde man schummeln, wenn man versucht, sein Projekt zu verbessern, ohne mehr Schweiss zu investieren. "Das ist zu einfach; das kann so nicht laufen" ist die Argumentation und "wir sollten warten, bis wir eine bessere Nutzerschnittstelle haben, bevor wir sie unseren Kunden zeigen". Falsch. Wenn sie warten, ist es zu spät, Ihre Usability Findings in erforderliche Anpassungen ihrer Design- Richtung zu übersetzen.
Ich bin hier, um Ihnen zu erklären, dass Papier-Prototyping funktioniert. Es gibt viele unterschiedliche Grade von "Paper Prototyping" und alle offerieren - im Verhältnis zurzeit, die es braucht, um sie zu entwerfen und zu testen - einen immensen Wert. Ich habe Studien mit nicht mehr als drei verschiedenen Mockups einer Website durchgeführt und trotzdem viel darüber gelernt, wie Leute den Service verwenden würden und wie unsere Designkonzepte mit den Anwendern in Verbindung standen.
Warum Papier-Prototypen Geld einsparen
Zwanzig Jahre Erfahrung in der Usability-Technik zeigt übereinstimmend, dass die grössten Verbesserungen bei der User Experience von der möglichst frühen Erfassung von Usability-Daten im Design Projekt kommen. Gemessene Usability kann um eine erhebliche Grösse gesteigert werden, wenn man die grundlegende Annäherung des Projektes an das Problem, die Anzahl Eigenschaften und die Interface-Architektur ändert. Einblicke in die Usability helfen auch im späteren Projektverlauf und die Feinabstimmung von User-Interface Details bringt einen zusätzlichen Wert, aber Änderungen kurz vor Ende des Projektes wirken sich weniger auf die Nutzererfahrung aus, als grundlegende Veränderungen am Anfang eines Design-Projektes. Es ist eine grobe Schätzung, aber ich würde sagen, dass man von frühen Usability-Daten mindestens zehnmal mehr profitiert als von späten. Späte Usability-Studien fügen der schlussendlich gewünschten Metrik des Designs häufig ungefähr 100% hinzu, aber frühe Usability-Studien können 1000% oder mehr hinzufügen.
Vierzig Jahre Erfahrung in der Software-Technik zeigt übereinstimmend, dass es viel günstiger ist, ein Produkt am Anfang eines Entwicklungsprozesses zu ändern als gegen Ende. Die am meisten verbreitete Schätzung ist, dass es 100 mal preiswerter ist, eine Veränderung vorzunehmen bevor irgendwelcher Code geschrieben worden ist, als bis nach der Vervollständigung der Implementierung zu warten.
Also: eine zehnmal höhere Auswirkung, wenn man früh eine erforderliche Designanpassung feststellt und hundertmal günstiger, diese Anpassung vorzunehmen. Die Quintessenz auf beiden Seiten ist klar: Früh ist viel besser als spät.
Die Vorteile von frühen Usability-Studien sind so unermesslich hoch, dass Sie auf jeden Fall "Paper Prototyping" verwenden sollten, auch wenn Sie der Meinung sind, dass ein Prototyp nicht so gut wie das Testen eines vollständig entwickelten Designs sein kann.
Wenn Sie es einfach ausprobieren, werden Sie erstaunt über die Anzahl der Einblicke sein, die Ihnen durch einen "primitiven" Prototypen gewährt werden. Auch wenn Sie mir nicht glauben, glauben Sie der Kollektiverfahrung von Software- und Usability-Engineers: Früher schlägt später in so vielen Punkten, dass es die Unterschiede bezüglich der Prototypqualität bei Weitem übersteigt.
Eine Usability-Methode, die hier ist, um zu bleiben
"Paper Prototyping" hat, ausser seiner Auswirkung auf die Qualität ihres gegenwärtigen Design-Projektes einen weiteren Vorteil. Es fördert auch Ihre Karriere. Denken Sie nur an all die Bücher, die sie über Computer, Webdesign und über ähnliche Themen gelesen haben. Wie viel von dem was Sie gelernt haben wird in zehn Jahren noch brauchbar sein? In zwanzig Jahren? In den unsterblichen Worten meines alten Chefs, Scott McNealy, Technologie hat die Lagerbeständigkeit einer Banane.
Demgegenüber hat die "Paper Prototyping" Technik eine Lagerbeständigkeit ähnlich dem von Papier. Sobald Sie das "Paper Prototyping" erlernt haben, können Sie es in jedem Projekt anwenden, das Sie bis zum Ende ihrer Karriere machen werden. Ich weiss nicht, welche Technologien für Nutzerschnittstellen in zwanzig Jahren populär sein werden, aber ich weiss, dass sich diese Designs einer Usability-Evaluation unterwerfen müssen, und dass Papier-Prototyping eine wertvolle Technik für frühe Studien sein wird.
Das Buch
Carolyn Snyder: Paper Prototyping: Fast and Simple Techniques for Designing and Refining the User Interface. Morgan Kaufmann Verlag, 2003. ISBN 1558608702.
© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.
Kommentare auf diesen Beitrag