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29.03.2004

Produktivität im Dienstleistungssektor

Ja, es ist möglich, dass Büroangestellte klüger arbeiten und produktiver werden. Intranet-Usability liefert bereits erste substanzielle Gewinne, Workflow-Usability kann aber noch viel weiter gehen und Millionen von Arbeitsplätzen erhalten.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 29.03.2004

 

Kein Tag vergeht ohne hitzige Debatten und Klagen über Arbeitsplätze, die ins Ausland verlagert werden. Ich habe zwar hier die Vereinigten Staaten im Blick, aber dieses Thema ist für andere reiche Wirtschaftsräume wie Westeuropa, Japan und Australien genau so relevant.

Die meisten Kommentatoren stimmen darin überein, dass Arbeitsmarktprobleme vorzugsweise durch Produktivitätssteigerungen gelöst werden sollten, so dass der Wert, der pro Arbeitsstunde geschaffen wird, gross genug ist, um die höheren Kosten der Arbeitsstunde zu rechtfertigen.

Leider meinen viele Kommentatoren auch, dass Produktivitätssteigerungen zwar früher in der Industriegesellschaft geholfen hätten, das Problem zu lösen, dass dies in der neuen Dienstleistungsgesellschaft aber nicht funktioniere.

Zum Beispiel: Produktivitätsgewinn bei der Datenanalyse

Ein persönliches Beispiel für Produktivitätsprobleme im Dienstleistungssektor: Es wird mich immer einen vollen Arbeitstag kosten, ein Tagesseminar zu leiten. Das kriege ich nicht schneller hin.

Das heisst: Der überwiegend grösste Teil des Aufwandes beim Produzieren eines Seminars liegt in der Vorbereitung, nicht bei der Lieferung. Kürzlich habe ich die Produktivität meiner laufenden Serie von Usability-Seminaren um schätzungsweise 17% verbessert, nicht indem ich schneller gesprochen hätte, sondern durch voraus­schauendes Anpassen an Änderungen des Anmeldeverhaltens der Teilnehmer.

Dazu habe ich ein nichtlineares multiples Regressionsmodell der endgültigen Anmeldezahlen gebildet, das auf einer statistischen Analyse der Anmeldedaten von 7591 Leuten beruht, die in den letzten Jahren meine Konferenzen besucht haben. Diese Analyse erlaubte die Schätzung, dass unser Publikum am Ende doppelt so gross sein würde wie die Raumkapazität in Melbourne, unsere einzige vorgesehene Station in Australien. Um der erhöhten Nachfrage Rechnung zu tragen, habe ich eine weitere Seminarserie in Sydney hinzugefügt.

Vor zwanzig Jahren hätte ich furchtbar komplizierte Grossrechnerprogramme nutzen müssen, um diesen mittelgrossen Datenbestand zu modellieren, und ich hätte die Einsichten nicht rechtzeitig erlangt, um noch neue Räume buchen zu können. Jetzt nutze ich die Forschungsdaten-Visualisierung von Excel, kombiniert mit massgefertigten Formularen in der primitiven Excel-Tabellenkalkulationssprache. Sobald ich die Daten auf einer visuellen PC-Oberfläche parat habe, kann ich sie foltern, bis sie gestehen.

Informationstechnik und Produktivität

Viele Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor könnten durch besseres Anwenden von Informationstechnik in den Genuss eines substanziellen Produktivitätswachstums kommen. Zum Beispiel wartet man jedes Mal, wenn man am Flughafen eincheckt, etliche Minuten, bis der Zuständige hektisch allerlei in einen versteckten Computer eingetippt hat. Der grösste Teil dieser Zeit wird wegen der schrecklichen Usability der Airline-Software verschwendet. Mit Hilfe einer besseren Nutzeroberfläche könnten die Mitarbeiter die Passagiere viel schneller abwickeln, was ihre Produktivität schlagartig steigern und den Kunden Zeit ersparen würde.

Bei Intranets wissen wir, dass ein gutes Design die Produktivität der Angestellten verdoppeln kann. Diese Schätzung beruht auf unseren Intranet-Usability-Tests, bei denen die Leute, welche die schlechtesten 25% der Intranets benutzt haben, 99 Stunden im Jahr brauchten, um typische Aufgaben von Angestellten zu erledigen, während die Leute, welche die besten 25% der Intranets benutzt haben, dieselben Aufgaben in 51 Stunden pro Jahr erledigt haben.

Natürlich, auch wenn alle Firmen ihre Intranet-Usability verbessern, würden die resultierenden Produktivitätsgewinne nur für die Zeit gelten, die auf den Gebrauch des Intranets entfällt. Andererseits ist diese geschätzte Verdopplung der Produktivität bei weitem nicht das äusserste Potenzial der Intranet-Usability. Bei den allerbesten Designs, die wir getestet haben, konnten die Angestellten ihre Aufgaben in 27 Stunden pro Jahr erfüllen, und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die besten Designs von heute das letzte Wort in der Intranet-Usability sein werden. In Zukunft werden wir höchstwahrscheinlich noch viel bessere Designs sehen, die zu noch grösseren Produktivitätssteigerungen führen.

Es ist grossartig, Usability-Methoden einzusetzen, um die Nutzer­oberflächen von Intranets zu vereinfachen und die Leistung innerhalb existierender Aufgaben zu beschleunigen. Tun Sie es. Millionen von Dollars warten darauf, im Durchschnitt von einem Unternehmen eingespart zu werden.

Aber wie die Redensart sagt, sollten wir ausserdem klüger arbeiten. Unternehmenssoftware hat bis heute im grossen Massstab versagt, weil sie schwerfällig ist und unhandliche, ineffiziente Vorgänge automatisiert. Das Reorganisieren von Geschäftsabläufen muss mehr werden als ein Slogan. Insbesondere müssen wir die Definition überarbeiten; statt bloss "existierende Abläufe zu automatisieren", sollten wir "Workflow so gestalten, dass er mit Computerunterstützung optimiert wird."

Durch Methoden wie Feldstudien, Aufgabenanalyse und Nutzertests können Organisationen neue Wege der Arbeit entdecken und bessere Wege finden, ihre Arbeit durch Informationstechnik zu unterstützen. Insbeson­dere sind immense Steigerungen möglich durch bessere Kooperationsschnittstellen, besseres Wissensmanagement und bessere Entscheidungshilfen. Die meisten existierenden Systeme sind ihre Namen nicht wert: Sie helfen den Leuten nicht, besser zu kooperieren, sie steigern nicht die Nutzung des Wissens und sie helfen nicht, sich besser oder schneller zu entscheiden. Aber sie könnten das. Dort liegt der nächste Horizont der Unternehmens-Usability.

Wachstum bei den Usability-Jobs

In den USA haben wir zurzeit 2,3 Millionen Programmierer. Die aktuellen Best Practices fordern, 10% des Entwicklungspersonals auf die Usability anzusetzen; demnach müssten wir 230.000 Usability-Profis beschäftigen. Ich bezweifle, dass es in den USA überhaupt 30.000 Leute gibt, die entfernt qualifiziert genug sind, um sich Usability-Profis nennen zu können. Wir brauchen also 200.000 neue Usability-Arbeitsplätze, um die minimalen Standards für gutes Design zu erfüllen.

Ein positiver Aspekt des Outsourcing von Programmierer-Arbeitsplätzen ist, dass die Software-Entwicklung billiger wird. Richtig angewendet, könnten die Einsparungen die Usability und so die Produktivität der Endverbraucher verbessern. Einer der Hauptgründe für schlechtes Design ist, dass den Design-Teams die Ressourcen fehlen, um alle Usability-Empfehlungen befolgen zu können. (Hauptsächlich deshalb, weil viele Unternehmen null Usability betreiben, aber auch Usability-orientierte Unternehmen kommen nie dazu, jede Richtlinie zu beachten.)

Abschliessend sei gesagt, dass grossartige Informationstechnik viel mehr als 10% Usability erfordert. Um diese Grenze zu überschreiten, brauchen wir wahrscheinlich genau so viele Leute in der Nutzerforschung wie es Leute gibt, die Usability-Erkenntnisse implementieren. Also könnten wir auf lange Sicht allein in den USA zwei Millionen Usability-Arbeiter gebrauchen. Sie würden nicht alle die gleichen Methoden anwenden wie die heutigen Usability-Profis, und viele von ihnen würden andere Berufsbezeichnungen tragen. Aber um Unternehmenslösungen zu entwickeln, die gut genug sind, der amerikanischen Produktivität wirklichen Auftrieb zu geben, müssen wir sicherlich viel mehr Usability-Arbeitsplätze schaffen, als wir durch das Outsourcing von Programmierer-Arbeitsplätzen verlieren.

Usability ist der Schlüssel zur Steigerung der Produktivität des Dienstleistungs­sektors, weil man nur dadurch den Leuten helfen kann, klüger zu arbeiten, indem man berücksichtigt, wie Menschen arbeiten. Wenn wir unser Sichtfeld entsprechend ausrichten, werden wir nicht nur einfach Milliarden von Dollars durch Produktivitätssteigerungen einsparen - wir werden auch Millionen von Arbeitsplätzen erhalten und Millionen neue schaffen.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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