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08.11.2014

Sachbücher auf Tablets: es gibt noch viel zu tun

Buch-Apps müssen viele Hyperlinks, eine nichtsequentielle Navigation und hochqualitative, detaillierte Illustrationen unterstützen.

© Markus Bormann - Fotolia.com

 

by Raluca Budiu (deutsche Übersetzung) - 09.11.2014

 

Ich bin der Meinung, dass es praktisch und angenehm ist, Bücher auf einem mittelgrossen Tablet (~ 7 Zoll) zu lesen. Die Möglichkeit, das Buch ganz einfach in die Handtasche stecken zu können, kompensiert den Nachteil, dass man sich nicht mehr an den Namen des Autors und den Titel des Buchs erinnert (da das Buchcover und damit der Name des Autors und der Titel praktisch nie zu sehen sind, wenn ein elektronischer Reader verwendet wird). Trotz wiederholter Versuche gelang es mir aber nie, digitale Formate zu nutzen, um Sachbücher zu lesen.

Sie fragen sich vielleicht, was Romane von Sachbüchern unterscheidet. Die Antwort ist der sequentielle Zugriff: die meisten Romane werden Seite für Seite gelesen - und zwar vom Anfang bis zum Ende. Historisch betrachtet waren Romane der Nachfolger einer mündlichen Darbietung - wie die Ilias - und 2.800 Jahre später scheint es immer noch die beste Methode, Geschichten auf lineare Weise zu erzählen, die den Lesern ermöglicht, die Entwicklung durch den vom Autor gewählten Fluss der Geschichte zu verstehen.

Sie springen in einem Roman selten von einem Kapitel zum nächsten - und selbst wenn Sie versucht sind, das zu tun, werden Sie von eBooks davon abgehalten, da es sehr schwer ist, wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. In Sachbüchern und Lehrbüchern möchten Menschen aber vor und zurück springen, auf Grafiken und Illustrationen zurückgreifen, von einem Kapitel zum nächsten wechseln und sich im Allgemeinen leicht im Buch zurechtfinden. Leider unterstützen moderne Buch-Apps (wie Kindle oder iBooks auf iPad) diese Funktionen nur sehr schlecht.

Keine ausreichende Verlinkung

Man könnte annehmen, dass das elektronische Medium ideal für Bücher ist, die viele Fußnoten und Anmerkungen enthalten: der Leser könnte theoretisch auf alle Anmerkungen im richtigen Zusammenhang zugreifen, ohne zum Ende des Buches blättern oder winzig gedruckte Fussnoten lesen zu müssen, was bei normalen Büchern oft der Fall ist. Zu meiner Enttäuschung werden klassische Texte, wie Shakespeares Werke, elektronisch kaum unterstützt. Die meisten verfügbaren Versionen unterstützen keine Anmerkungen oder folgen, falls diese Anmerkungen vorhanden sind, dem Beispiel des Papiermediums, wie im unten stehenden Screenshot zu sehen ist.

Textdarstellung bei iBook

Die mit Anmerkungen versehen Version von Shakespeares "Die Komödie der Irrungen" von iBooks. Der kleine Bildschirm wurde in 2 Sektionen unterteilt: Text (links) und Anmerkungen (rechts). Eine bessere Platzeinteilung hätte es ermöglicht, am gesamten Bildschirm Text darzustellen und die Anmerkungen als Pop-Overs über den zugehörigen Wörtern zu inkludieren (die fehlende Trennung zwischen den Spalten sorgt dafür, dass dieses Layout noch schwerer zu lesen ist.)

Nutzerdefinierte Abschnitte, die optional von interessierten Lesern aufgerufen werden können, können ganz einfach durch Hyperlinks integriert werden, dennoch wird diese Funktion von eBooks bisher nicht genutzt. Ein "Spoiler-Alert" ist zum Beispiel unnötig: stattdessen könnte der Spoiler-Text auf einer separaten Seite stehen, die über einen Hyperlink aufgerufen werden kann. Indem Spoiler in den Text inkludiert werden, zwingen die Herausgeber die Leser, durch die Spoiler-Seiten zu blättern, bis sie die Stelle finden, an der sie weiterlesen können.

Spoiler Alert der Kindle App (iPad)

Kindle App am iPad: Ein "Spoiler-Alert" zwingt den Nutzer, den Spoiler zu überblättern und zu versuchen, nichts zu lesen oder zu sehen, bis der Hinweis "Ende des Spoiler-Alerts" gefunden wurde.

Eine andere Art der spezialisierten Buch-App verabschiedet sich vom mentalen Modell des physischen Buchs und schafft es besser, Anmerkungen und Notizen zu integrieren, als Kindle und iBooks. Ein Beispiel dafür ist "Picasso: The Making of Cubism 1912-1914" des Museum of Modern Art (MOMA), die "erste digitale Publikation des Museums" (laut MOMA-Webseite). Die MOMA-App verwendet Pop-Overs, um Notizen auf praktische Weise im richtigen Zusammenhang anzuzeigen. Meistens reicht der Notiztext aus und der Nutzer kann, nachdem er die Notiz gelesen hat, direkt weiterlesen. Gelegentlich verweist eine Notiz den Nutzer aber auf spezielle Abschnitte des Kapitels (z.B. Provenance), ohne einen Link zu diesem Abschnitt zu inkludieren. Das ist schade: die Designer hätten es dem Nutzer einfacher machen sollen, indem tatsächliche Hyperlinks zu den relevanten Stellen des Buches eingefügt werden.

Darstellung der Fussnoten als Pop-Over

Die iPad App "Picasso: The Making of Cubism 1912-1914" des MOMA zeigt Notizen praktischerweise als Pop-Overs an, wodurch die Nutzer während des Lesens nicht den Faden verlieren (links). Allerdings setzen einige der Notizen (rechts) voraus, dass Nutzer selbst die relevante Stelle im Buch finden.

Die MOMA-App achtet auch darauf, die Interaktionskosten (engl.) und die Belastung des Arbeitsspeichers (engl.) zu minimieren: alle Abbildungen, auf die auf einer Seite verwiesen wird, werden auf der linke Seite als Thumbnails angezeigt, damit Nutzer nicht ständig vor- und zurückblättern müssen, um die zugehörigen Illustrationen zu finden. Ausserdem müssen sie sich nicht an den Kontext erinnern, in dem die Abbildung diskutiert wird. Leider müssen sie aber dennoch selbst herausfinden, welche Abbildung auf der linken Seite mit der Referenz im Text übereinstimmt und auf die Abbildung tippen, um mehr Details zu sehen. (Im Text werden fettgedruckte Zahlen in eckigen Klammern angegeben, um auf die passende Abbildung auf der Seite zu verweisen. "[2]" bezieht sich daher auf die Abbildung mit der Bezeichnung "2". Allerdings sind die Zahlen in Klammern im Text keine Links: der Leser kann nicht darauf tippen, um automatisch eine vergrösserte Darstellung der Abbildung zu sehen. Stattdessen muss der Nutzer die Liste der Abbildungen durchsehen, das passende Bild finden und es antippen. Es ist mehr Arbeit für den Nutzer, zwei Zahlen abzugleichen, anstatt einfach auf eine Zahl zu tippen.)

Der Zurück-Button der iOS Buch-Apps

Sobald ein Hyperlink in den Text eingeflossen ist, muss auch ein Zurück-Button vorhanden sein: falls Sie von einem Kapitel des Buches zum nächsten springen können, sollten Sie auch wieder zurückfinden. Im Gegensatz zu Android-Tablets, enthalten iPads keinen eingebauten Zurück-Button, weshalb die Nutzeroberfläche diese Funktion enthalten muss.

Sowohl iBooks als auch Kindle behandeln den Zurück-Button wie ein schmutziges kleines Geheimnis: niemand will, dass Sie wissen, wo er sich befindet. Finden Sie den Zurück-Button im folgenden Screenshot von Kindle für iPad?

Kindle App (iPad) ohne Zurück-Button

Kindle App am iPad: Wo ist der Zurück-Button?

Falls Sie vermuten, dass es sich um den kleinen blauen Pfeil in der unteren linken Ecke handelt, dann haben Sie richtig geraten. Der Button ist winzig und befindet sich an einer ungewöhnlichen Stelle für ein iOS Gerät. (Android-Nutzer sind es gewohnt, dass sich der Zurück-Button im unteren Bereich des Bildschirms befindet - allerdings nicht unbedingt in der linken Ecke, da sich die Position je nach Gerät unterscheiden kann). Ausserdem ist der Pfeil meistens unsichtbar und Sie müssen auf den Bildschirm tippen, um ihn anzuzeigen: standardmässig ist der Chrome-Bereich verborgen, um den Inhaltsbereich zu maximieren - durch Antippen wird die gesamte Nutzeroberfläche der Seite angezeigt.

Obwohl es technisch möglich ist, im Buch zurückzublättern, wurde der Zurück-Button so auf der Nutzeroberfläche versteckt, dass die Wahrscheinlichkeit, ihn zu entdecken, minimal ist. Der winzige blaue Pfeil wurde ausserdem zu nahe am Slider platziert, einer Funktion, die Leser eines eBooks selten verwenden, da sie sehr unpräzise ist.

Was den Zurück-Button betrifft, scheitert das MOMA-Buch auf eindrucksvolle Weise: es verfügt über keinen. Da die Notizen und Abbildungen dafür sorgen, dass der Nutzer den Faden nicht verliert und nicht zu einem anderen Kapitel des Buchs springen muss, entschieden die Designer vermutlich, dass kein Zurück-Button benötigt wird. Falsch! Auch wenn Ihre App keine Hyperlinks enthält, ist eine Textreferenz zu einem anderen Kapitel des Buches (wie "See Provenance note 2") in Wirklichkeit ein Hyperlink, den Nutzer von Hand ausführen müssen. Falls Ihnen die Provenance-Notiz wirklich wichtig ist, werden Sie die Stelle aufrufen und lesen - und dann müssen Sie wieder zum Text zurückfinden, den Sie gerade gelesen hatten.

Schlechte Illustrationen

In Lehrbüchern und anderen Sachbüchern werden Texte häufig durch Abbildungen, Tabellen und Bilder ergänzt. Diese sind ausschlaggebende Lerninstrumente, ihre Darstellung in digitalen Büchern ist aber paradoxerweise suboptimal. Von Anfang an waren wunderschöne Bilder auf hochauflösenden Bildschirmen die Stärke der Tablets, dennoch weisen die Illustrationen in eBooks häufig eine geringe Auflösung auf und sehen nicht sehr ansprechend aus. Auch die Interaktion mit Abbildungen und Tabellen ist mühsam. Häufig werden Abbildungen zum Beispiel auf einer anderen Seite angezeigt, als ihr Bildtext, oder Tabellen werden über mehrere Seiten aufgeteilt. (Die Möglichkeit, die Schriftart zu ändern, kann in Konflikt mit einem fixen Layout, in dem der Bildtext nie vom Bild getrennt wird, stehen - dennoch sollten sich die Abbildung und ihr Bildtext zumindest in der Standard-Schriftart, die die meisten Leser verwenden, auf derselben Seite befinden.)

Darstellung einer Tabelle über mehrere Seiten

Kindle am Android-Tablet: Eine Tabelle wird auf mehrere Seiten aufgeteilt.

In unserer ursprünglichen iPad Studie, die wir vor 4 Jahren durchführten, beschwerten sich Nutzer darüber, dass sie Bilder in der iBooks App nicht heranzoomen konnten. Die Zeiten haben sich geändert: sowohl in der iPad- als auch in der Kindle-App können Leser jetzt auf das Bild tippen, um eine grössere Ansicht zu sehen - in dieser Ansicht können sie das Bild dann nach Belieben heranzoomen oder verkleinern. In der Bildansicht sehen die Leser allerdings den Bildtext nicht mehr und müssen sich diesen merken, um das Bild interpretieren zu können.

Bilderbeschriftung in der Kindle App

Kindle App am iPad. Der Bildtext des unteren Fotos des Schiefen Turms von Pisa (links) befindet sich auf der nächsten Seite. Indem er auf ein Bild tippt, erreicht der Nutzer die Bildansicht, in der die Illustration grösser dargestellt wird und herangezoomt werden kann. Die Bildtexte fehlen in der Bildansicht allerdings, obwohl in diesem Beispiel genügend Platz auf dem Bildschirm wäre.

MOMA nutzt die Bildschirmauflösung des Tablets und das digitale Medium auf optimale Weise. Texte werden durch Fotos ergänzt, die in einem gedruckten Buch keinen Platz gefunden hätten (zum Beispiel der Vorder- und Rückseite eines Gemäldes oder Röntgenaufnahmen einer Skulptur), und enthalten Videos und 3D-Darstellungen von Skulpturen. Die MOMA-App zeigt die Bildtexte der Abbildungen in der Bildansicht an, nutzt den vorhanden Platz aber nicht immer optimal, um das Bild darzustellen. Beim Lesen eines digitalen Buchs über Kunst ist es wichtig, die Gemälde so gross wie möglich zu sehen, um die geringere Grösse des Tablets (im Vergleich zu einem normalen Kunst-Bildband) zu kompensieren. Es sollte auch möglich sein, eine Zoomfunktion zu verwenden, um interessante Details stark vergrössern zu können: einer der Vorteile eines Tablets im Vergleich zu einem gedruckten Buch ist, dass nicht an Bildern gespart werden muss, um die Kosten für den Druck farbiger Seiten zu reduzieren. Die Grösse der Bilder im Picasso eBook ist allerdings überraschenderweise geringer als der verfügbare Platz - das gilt sowohl für die Gemälde, um die es im Buch geht, als auch für Referenzen im Text.

Bilderdarstellung der MOMA-App

In der MOMA-App wurden die Gemälde, die das Thema des Buches sind, auffällig durch verschiedene Arten von Fotografien dargestellt (linker Screenshot). Allerdings nutzen diese Fotos den verfügbaren Platz am Bildschirm nicht optimal aus. Dasselbe gilt für Bilder, auf die im Text Bezug genommen wird (rechter Screenshot).

Schlussfolgerung

Wie jeder Student bestätigen wird, macht es keinen Spass, einen Rucksack voller Bücher herumzutragen. Digitale Bücher sind leicht und praktisch, dennoch lässt ihre Usability noch zu wünschen übrig. Obwohl eine App keine Webseite ist, sollte sie dennoch die wichtigen Hypertext- und Navigationsfunktionen, die sich Nutzer heutzutage erwarten, unterstützen. Herausgeber und Designer von Buch-Apps sollten zusätzliche Anstrengungen unternehmen und über die (1) bessere Kapitalisierung des digitalen Mediums durch Hyperlinks im Text und einfache Navigation sowie (2) hochqualitative, eigenständige Illustrationen mit hohem Detailreichtum nachdenken.

 

© Deutsche Version. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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