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01.08.2011

Stellen Sie sekundäre Inhalte zurück, wenn Sie für mobile Nutzer schreiben

Mobile Geräte erfordern bei der Präsentation von Inhalten eine strenge Fokussierung, bei der sich der erste Bildschirm auf die allernotwendigsten Informationen beschränkt.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 01.08.2011

 

Wir haben kürzlich in vielen Nutzerstudien beobachtet, wie die Leute Informationen auf mobilen Geräten lesen. Unsere Forschung umfasste mobile Websites, Apps und E-Mail-Newsletter. Über alle Formate hinweg gibt es ein unerlässliches Element: das Fokussieren.

Natürlich müssen dabei auch viele andere Punkte bedacht werden, aber dieses eine Thema ist die wichtigste Usability-Richtlinie für mobile Inhalte:

  • Wenn Sie für mobile Nutzer schreiben, müssen Sie ihre Aufmerksamkeit auf die essenziellen Inhalte fokussieren.

Frühere Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass es um 108% schwieriger ist, Informationen zu verstehen, wenn man sie von einem mobilen Bildschirm liest. Das Verständnis der Inhalte leidet, wenn Sie sie durch ein Schlüsselloch betrachten, weil es dann nur wenig sichtbaren Kontext gibt. Je weniger Sie sehen können, desto mehr müssen Sie im Gedächtnis behalten, und das menschliche Kurzzeitgedächtnis ist notorisch schlecht.

Unsere eigenen Studien zur mobilen Usability haben ergeben, dass die Nutzer normalerweise in Eile sind, wenn sie ihre mobilen Geräte verwenden. Auf der anderen Seite gibt es die Fälle, in denen die Leute einfach nur Zeit totschlagen wollen, während sie auf etwas warten. Dennoch sind die meisten Aufgaben wenigstens teilweise zielgerichtet, und die Leute haben, wenn sie ein mobile Gerät nutzen, oft nur sehr wenig Zeit, die Aufgaben zu vollenden. Wenn Sie zum Beispiel Ihre E-Mails auf dem Handy checken, nehmen Sie sich tendenziell weniger Zeit für einen Newsletter als dann, wenn Sie die E-Mail zu Hause oder im Büro lesen würden.

Wir wissen schon seit 14 Jahren, dass es am besten ist, sich beim Schreiben fürs Web kurz zu fassen. Die mobile Nutzung verschärft einfach diesen Punkt und dehnt ihn bis zum Limit aus. Kurz ist zu lang fürs Smartphone. Ultrakurz ist das Wort des Tages.

Wie kann man sich superkurz fassen und dennoch den Leuten die Infos bieten, die sie brauchen? Indem man sekundäre Informationen auf sekundäre Bildschirme zurückstellt. Der erste Bildschirm, den die Nutzer sehen, sollte schonungslos auf jenes Minimum an Informationen fokussieren, die Sie brauchen, um Ihren Hauptpunkt zu kommunizieren. Mit anderen Worten: Richten Sie eine Mini-IA für Ihre Inhalte ein.

1. Beispiel: mobile Coupons

Rabattcoupons sind ein perfekter mobiler Dienst, weil sie stark zeit- und/oder ortsabhängig sind. Schlussverkäufe haben eine gewisse Dringlichkeit, weil die Leute von ihren Coupons wissen wollen, ehe sie ablaufen. Ausserdem sind die Leute wahrscheinlich an Coupons für Shops und Produkte interessiert, die ihnen begegnen, während sie draussen unterwegs sind (und also nicht an ihrem Desktop-Computer sitzen).

Hier ein Beispiel, wie ein Groupon-Angebot auf einem Android-Handy aussieht:

Android Groupon-Angebot Detailansicht Android Groupon-Angebot
Mobiles Groupon-Angebot: erste Ansicht (links). Man gelangt zur detaillierten Ansicht (rechts), wenn man auf den ersten Bildschirm "More about this deal" auswählt.

Die erste Ansicht ist deutlich auf mobile Nutzer ausgerichtet, die in Eile sind. Die Detailansicht auf der anderen Seite ist ein hübscher zweiter Schritt für Leute, die wirklich interessiert sind, aber es würde ausgesprochen abschreckend wirken, gleich auf dem ersten Bildschirm eine solche Texttapete zu zeigen.

Groupon hat bei unserer Studie zur mobilen Usability gut abgeschnitten. Ein Wettbewerber, LivingSocial, lief nicht so gut:

Angebot bei LivingSocial
Mobiles Produktproben-Angebot bei LivingSocial

LivingSocial verletzt hier mehrere Richtlinien für die mobile Usability. Niedliche Babys sind immer nett, aber auf einer mobilen Nutzeroberfläche verdrängen Stock-Fotos nur wichtige Informationen von den ins Auge springenden Plätzen auf dem kleinen Bildschirm. Bei so einem Layout und solchen Texten ist es schwer herauszufinden, was Sie hier eigentlich kaufen würden. Und eine Sache wissen wir über mobile Nutzer ganz bestimmt: Sie sind normalerweise zu beschäftigt, um auch noch für das Finden von Informationen arbeiten zu können.

(Fairerweise sollte zu Gunsten von LivingSocial gesagt werden, dass der "Buy Now"-["Jetzt-kaufen"]-Button die Richtlinien für leichte Berührbarkeit auf mobilen Bildschirmen befolgt: Er ist gross, eindeutig, und es ist nichts in der Nähe, das man versehentlich antippen könnte.)

Lesen Sie, was zwei unserer Studienteilnehmer darüber gesagt haben, wie die beiden Coupon-Angebote auf mobilen Geräten präsentiert werden:

  • Zur Präsentation von LivingSocial: "Sieht mehr wie eine Anzeige aus, wie sie in einer Website stehen würde, und nicht so, als hätte man sie ans Handy angepasst. Wenn ich das auf meinen Computer hätte, würde mir das gefallen." Der gleiche Nutzer zur Groupon-App: "Da steht vorne die schnelle Version. Hier sind Optionen, um mehr zu sehen, aber nicht tonnenweise Infos. Schliesslich ist das ein Handy, da ist es keine gute Idee, das Display mit allem Möglichen voll zu stopfen."
  • Ein anderer Nutzer zu Groupon: "Ich mag dieses wirklich schnelle Format mit den kurzen Punkten." Dann auf LivingSocial: "Man muss das ganze Ding durchlesen, um mitzukriegen, was alles dazugehört."

(Nachdem Usability-Tests nun herausgefunden haben, dass Groupon ein gutes mobiles Nutzererlebnis hat, bedeutet das, dass ich die Aktienbewertung mit 30 Milliarden $ unterschreiben würde? Nein, weil jede andere Firma mit einem 769-$-Workshop lernen kann, es genauso gut zu machen, oder indem sie eine Woche lang eine Schnellstudie mit ihren eigenen Kunden vornimmt. Ausserdem erleben wir gerade eindeutig eine Börsenblase bei sozialen Netzwerken - ich verweise auf meine Kolumne über die erste Dot-Com-Blase 1999 und unrealistische Bewertungen von Nutzerdaten.)

2. Beispiel: Gestaffeltes Anzeigen (Progressive Disclosure) bei der Wikipedia

Zwei Dinge haben immer für die Wikipedia gesprochen: die extensive Hypertext-Verlinkung und erschöpfende Inhalte, die uns über alles irgendetwas erzählen. Die Wikipedia war aber auch immer ein Beispiel für schlechte Texte von Autoren, die wenig davon verstehen, welche Aspekte eines Themas wirklich wichtig sind, und deshalb unfähig sind, bei den Informationen in ihren Artikeln Prioritäten zu setzen.

Bei dieser jahrzehntelangen Tradition war ich überrascht, dass die Wikipedia in unserer jüngsten Studie bei der Prioritätensetzung für Informationen gut abgeschnitten hat. Hier ein Beispiel, wie ein Artikel aussieht, wenn ihn die Nutzer zum ersten Mal auf ihrem Handy sehen:

mobile Wikipedia-Artikel
Die mobile Wikipedia: erste Ansicht eines Artikels

Dieses Design fokussiert die Nutzer sehr schön auf die Schlüsselpunkte des Artikels, während es sekundäre Informationen zurückstellt. Dies ist natürlich ein Fall von schrittweisem Anzeigen (Progressive Disclosure), einer sehr alten Idee in der Mensch-Computer-Interaktion. Dieses etablierte Designprinzip kommt beim Schreiben für mobile Anwendungen wieder zum Einsatz.

Besonders effektiv ist es, die sekundären Informationen in der Übersicht zu zeigen, anstatt sie auf einer linearen Scroll-Seite zu verstecken. Die Nutzer können zum Beispiel sofort sehen, dass es einen Abschnitt über Ehrungen gibt. Und wenn sie gerade die Ehrungen interessieren, können sie diesen Abschnitt expandieren, ohne sich erst einen Weg durch eine ausführliche Biografie bahnen zu müssen.

Hier die Kommentare von zwei Testnutzern beim Nutzen der mobilen Wikipedia:

  • "Das ist eine Art, mir eine Übersicht zu geben. Sie haben hier ein Inhaltsverzeichnis, ich bekomme die Überschriften und nicht gleich das ganze Ding. So sieht man, welche Überschriften es im Artikel gibt, und kann dort hingehen, wenn man will."
  • "Ich mag das so [mit verborgenen Inhalten] lieber, als wenn alles gleich zu sehen ist. Ich kann die Biografie öffnen und muss nicht die ganzen Referenzen sehen. So mag ich das."

Natürlich enthält dieser Artikel in seiner obsessiv-zwanghaften Wikipedia-Manier auch Material, das für den mobilen Einsatz definitiv nicht gut geschrieben ist. Angenommen, die Nutzer sind mit hoher Wahrscheinlichkeit daran interessiert, etwas über die wissenschaftlichen Leistungen von Dr. Huang zu erfahren, dann sind Erklärungen über die Transkription ihres Namens in Pinyin und Wades-Giles nicht nur sekundäre Informationen - sie sind bestenfalls tertiäre und sollten aus der mobilen Version ganz verschwinden.

Informationen Zurückstellen heisst: Erst-Information plus Option "Read More"

Es fällt Ihnen wahrscheinlich schwer, die meisten Ihrer Informationen auf sekundäre Bildschirme zurückzustellen, weil viele Nutzer sie dann niemals sehen werden, obwohl Sie sie ohne Zweifel für sehr wichtig halten.

Aber denken Sie daran: Wenn Sie den ersten Bildschirm zu dicht gestalten, wird niemand überhaupt etwas lesen. Besser, Sie fokussieren den ersten Bildschirm und überlassen es jenen Nutzern, die besonders adressiert sind, bis zum Rest vorzustossen. Auf diese Weise stellen Sie mehr Kunden zufrieden, bekommen mehr Traffic und ziehen mehr geschäftlichen Nutzen aus Ihren mobilen Inhalten.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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