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24.01.2015

Tablet UX-Forschung aus der Zeit der Pioniere

Das PenPoint Tablet war damals seiner Zeit weit voraus, zu teuer und zu schwer, verfügte aber über eine gestische Syntax und Vorteile für die persönliche Produktivität, von denen wir heute noch lernen können.

PenPoint Tablet Computer im Jahr 1992

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 25.01.2015

 

Vor kurzem sah ich mir einige alte Fotos an und entdeckte ein Bild aus meiner Zeit als Wissenschaftler bei Bell Communications Research (Bellcore, der Zweig von Bell Labs, der im Besitz der regionalen Bell Unternehmenseinheiten ist). Im Jahr 1992 erforschten wir die Usability von Tablet-Computern und das Foto oben zeigt mich mit einem Tablet mit dem PenPoint System der GO Corp.

GO war ein Gerät, das mit einem Eingabestift bedient werden konnte und über eine Handschriftenerkennung verfügte. Wie Sie dem Foto entnehmen können, war es eindeutig unhandlicher als moderne Tablets und wog ca. 2 Kilogramm (5-mal so viel wie das aktuelle iPad). Meine Forschungsarbeiten mit dem GO deckten die meisten unserer heutigen Richtlinien für das Tablet-Design (engl.) nicht auf - vor allem, da dieses frühe Gerät über fast keine Anwendungen verfügte. Stattdessen studierten wir die Auswirkungen der handschriftlichen Dateneingabe und der durch Eingabestifte kontrollierten grafischen Nutzeroberflächen (GUI).

In einer unserer Studien mit PenPoint Tablets fanden Susan T. Dumais (jetzt ein Microsoft Distinguished Scientist) und ich heraus, dass wir die Ungenauigkeiten der Handschriftenerkennung kompensieren konnten, indem wir eine bedeutungsbasierte Form der Suche (LSI) verwendeten. Das ermöglichte es uns, handschriftliche Notizen ebenso zu erfassen, wie getippte Dokumente - trotz des häufigeren Auftretens von Rechtschreibfehlern im ersten Fall.

(Als Randbemerkung: es ist traurig, Fortschritts-Dezifite im Bereich der persönlichen Informationsabfrage und des persönlichen Informationsmanagements zur Kenntnis nehmen zu müssen. Praktisch alle Anstrengungen und alle drauf basierenden Prozesse zielen jetzt darauf ab, riesige Informationsmengen, wie das gesamte Internet, zu durchsuchen. Unsere eigenen, persönlichen Informationen werden vernachlässigt, worunter die Produktivität von Wissenschaftlern entsprechend leidet.)

Indem statt des Fingers ein Eingabestift verwendet wurde, um das Tablet zu steuern, war eine grössere Auswahl von Interaktionen möglich - vor allem in Form von präziseren Gesten. Mit einem Eingabestift kann der Nutzer kleine Punkte am Bildschirm präzise berühren und vermeidet damit die Read–Tap-Asymmetrie, welche eines der grössten Usability-Probleme moderner Nutzeroberflächen mit Touchscreen darstellt. (RTA = Sie können kleine Dinge sehen, aber nur grosse Dinge berühren.)

Die Präzision des Stifts ermöglichte eine grosse Auswahl von Bearbeitungsgesten: zum Beispiel konnte ein Wort fettgedruckt werden, indem eine kleine "B" Geste über das Wort gezeichnet wurde. Andere Gesten hatte andere Auswirkungen: ein "X" über einem Zeichen löschte das Zeichen, während eine "Kringel"-Korrekturgeste, das gesamte Wort löschte. Wie das Löschbeispiel zeigt, war das Konzept der generischen Befehle noch nicht zur Gänze ausgereift - vor allem aufgrund der Schwierigkeiten, den Gültigkeitsbereich eines Befehls zu definieren, wenn dieser über Inhalte gezeichnet wurde. Dadurch erhöhte sich auf jeden Fall die Lernzeit, die für die Nutzung des System erforderlich war.

Eine interessante Innovation des Interaktionsdesigns entstand dadurch, dass Operationen (Befehle) direkt auf die Operanden (die Objekte, auf die der Befehl angewandt wird) gezeichnet wurden. PenPoint war eines der wenigen Computersysteme, die die Befehlsyntax vereinten, indem eine Unterscheidung zwischen Operator und Operand vermieden wurde. Normalerweise weisen Interaktionen eines von zwei möglichen Syntax-Formaten auf:

  • Verb-Substantiv Syntax: zuerst gibt der Nutzer an, was getan werden soll (das Verb), und gibt dann das Objekt bekannt, das bearbeitet werden soll (das Substantiv). Klassische kommandozeilenbasierte Betriebssysteme würden zum Beispiel ein Befehlsformat wie DEL foo verwenden, um eine Datei mit dem Namen "foo" zu löschen.
  • Substantiv-Verb Syntax: zuerst gibt der Nutzer an, welches Objekt bearbeitet werden soll (das Substantiv), wonach er dem Computer mitteilt, was dieser damit machen soll (das Verb). Die meisten grafischen Nutzeroberfläche verwenden zum Beispiel die folgende Handlungssequenz, um eine Datei zu löschen: zuerst wählen Sie das Symbol, das die Datei repräsentiert. Danach ziehen Sie dieses Symbol in den Papierkorb (oder tippen auf ein Papierkorb-Symbol).

Beide Formate weisen ihre spezifischen Probleme auf, inklusive dem grundlegenden Prinzip, dass ein Nutzer zwei Dinge angeben muss, um eine Handlung durchzuführen. Im Gegensatz dazu, bedeutet ein Kringel, der über das zu löschende Objekt gezeichnet wird, dass Operation und Operand nicht geordnet werden müssen: beide werden mit einer einzigen Geste angegeben. (Bedenken Sie, dass der Operand von der Geste abhing: falls die Geste zum Beispiel ein "X" war, wurde ein Zeichen gelöscht, ein "Kringel" löschte das gesamte Wort.)

Im Nachhinein bleibt anzumerken: Obwohl die GO Corp. ein Vorreiter im Bereich vieler innovativer Interaktionstechniken war und es uns ermöglichte, interessante, frühe Forschung im Bereich der Tablet-Nutzererlebnisse durchzuführen, gab es keine kommerzielle Zukunft. Die Maschine kostete im Jahr 1992 $3'920, was im Jahr 2014 $6'660 (oder 11-mal dem Preis eines iPad Air 2) entsprechen würde. (Das iPad verfügt über 64 GB Speicherplatz, während das beliebteste PenPoint Modell - das NCR 3125 - über 20 MB verfügte.) Obwohl dieser Preis für das grosszügig finanzierte Elite-Forschungslabor, in dem ich arbeitete, kein Faktor war, war es für eine durchschnittliche Firma im Jahr 1992 unmöglich, Tablet-Computer zu kaufen.

Wenn ich an meine Erlebnisse bei GO im Jahr 1992 zurückdenke, tauchen einige Bereiche auf, in denen die aktuelle Tablet-UX verbessert werden könnte:

  • Ein Stift oder Eingabestift (wie er in einige Android-Geräte inkludiert wurde) ermöglicht reichhaltigere Interaktionen, als sie von aktuellen Touchscreens unterstützt werden. Grund dafür ist das Wurstfingerproblem.
  • Ein Fokus auf persönliche Produktivität anstatt auf den Konsum von Unterhaltung und Social Media würde nützlichere UX-Designs zur Folge haben.

Tony Hoeber, Robert Carr, Jerry Kaplan und das restliche Team, das für die Pionierarbeit der GO Corp verantwortlich war, sollten nicht vergessen werden. Dasselbe gilt für die zahlreichen anderen frühen Tablet-Computer, die das Pech hatten, ihrer Zeit weit voraus zu sein. Die Tablets, die wir heute verwenden, tauchten nicht aus dem Nichts auf.

 

© Deutsche Version. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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