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10.04.2011

Unzureichende Recherche-Fähigkeiten beeinträchtigen die Nutzer beim Lösen von Problemen

Die Nutzer verlassen sich immer stärker auf einzelne Websites, die von Suchmaschinen angezeigt werden, als nach besseren Lösungswegen zu suchen.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 11.04.2011

 

Manche Analysten stellen das Phänomen der Suchdominanz immer noch in Frage, obwohl es ein Nutzerverhalten beschreibt, welches von Jahr zu Jahr stärker hervortritt. Heutzutage verlassen sich die Nutzer so sehr auf die Suche im Internet, dass es ihre Fähigkeit zur Problemlösung deutlich beeinträchtigt. Ironischerweise wird es umso gefährlicher, je besser die Suche funktioniert, da die Nutzer dann noch stärker glauben: Egal was die Suchmaschine findet, es muss die richtige Antwort sein.

Ein Teilnehmer einer kürzlich durchgeführten Studie nannte Google "meinen guten Freund", der bei Aufgaben aller Art hilft - ein deutlicher Hinweis darauf, wie eng die Beziehung zwischen Menschen und Suchmaschinen sein können.

Im letzten Monat konnte ich, während unseres Nutzertests im asiatisch-pazifischen Raum, beobachten, wie die Nutzer mehr als 100 Internetsuchen für eine Vielzahl von Aufgaben durchführten. Nur ein einziges Mal habe ich beobachtet, wie ein Nutzer seine Strategie geändert hat.

Da solche Strategiewechsel so selten vorkommen, benötigen wir viel mehr Daten, um genau einschätzen zu können, wie oft sie passieren. In dieser Runde der Nutzerforschung war unser Ziel, das Seminar zum Web-Usability-Einmaleins zu aktualisieren; daher lag der Fokus auf dem Design von Websites und nicht auf Statistiken von Suchmaschinen.

Trotzdem liegt die grobe Einschätzung auf Basis der verfügbaren Daten auf der Hand: die Nutzer wechseln ihre Suchstrategie nur in etwa 1% der Zeit; 99% ihrer Zeit verbringen sie unbeirrbar auf einem einzigen Suchpfad. Ob die tatsächliche Zahl bei 2% oder 0,5% liegt, macht für das Gesamtbild keinen Unterschied: die Nutzer zeigen ausserordentlich schlechte Recherche-Fähigkeiten, wenn es darum geht, ein Problem im Internet zu lösen.

Beispielsweise hat während unserer Studie eine Innenarchitektin wahllos Suchanfragen in die Eingabefeld eingegeben. Sie verstand nicht, welches Suchsystem sie verwendete und ob das gesamte Internet oder nur die Website, auf der sie sich gerade befand, durchsucht wurde.

Diese Episode bietet sich als schlagenden Beispiel für ein kompliziertes psychologisches Modell an. Sie macht auch ein fundamentales Problem der heutigen Internet-Suche deutlich: Diese unterstützt nicht die Bildung von konzeptuellem Wissen, da sie nur auf dem flüchtigen Betreten und Verlassen von Websites beruht.

Ein Beispiel für den Wechsel der Suchstrategie

Unsere kürzlich durchgeführte Studie ergab nur ein positives Fallbeispiel. Hier versuchte der Proband, anhand verschiedener Symptome (z.B. Halsschmerzen) herauszufinden, ob sein Freund an einer Erkältung oder einer Grippe litt.

Zuerst suchte der Nutzer nach Symptomen, die er auf verschiedene Arten beschrieb. Diese einfachen Umformulierungen der Suchbegriffe stellen noch keinen Strategiewechsel dar, da sie nur Varianten einer Suchanfrage sind. (Ohne stundenlang Videos anzuschauen, kann ich nicht genau sagen, wieviele Nutzer während der Studie die Formulierung ihrer Suchanfragen änderten, aber es kam etwa in 10-20% der Zeit vor.)

Nur nach Symptomen zu suchen, erwies sich als unfruchtbarer Ansatz. Unser Nutzer wurde überschwemmt mit einer Fülle von Quacksalber-Websites, welche die verschiedensten Aberglaubensrichtungen vertraten und Hausmittelchen beschrieben. Meistens waren es wohlmeinende Diskussionsforen und Patienten-Selbsthilfe-Websites, doch der Inhalt war sicherlich nicht auf dem neuesten Stand medizinischer Forschung und gab auch nicht gerade vertrauenswürdige Ratschläge.

Es macht mich traurig, wenn ich an die grosse Anzahl von Patienten denke, die durch das Internet in ihren medizinischen Fragen fehlgeleitet werden, nur weil die wichtigsten Suchmaschinen im Moment eher die beliebten als die nützlichen Websites auflisten.

Nach einer Weile erkannte unser Nutzer der Studie, dass er mit der Suche nach Symptomen nicht weiterkam. Daraufhin kehrte er seine Suchstrategie um und begann, nach den entsprechenden Erkrankungen zu suchen, in der Hoffnung, so die entscheidenden Unterschiede zwischen einer Erkältung und einer Grippe herauszufinden. Dieser Weg war bei weitem erfolgreicher; er fand mehrere renommierte medizinische Websites, die gute Beschreibungen der Symptome anboten.

Die Erweiterte Suche benutzt keiner

Ein anderer Testkandidat war ein Rechtsanwalt, der eine Präsentation über die Auswirkungen eines umstrittenen Gerichtsurteils vorbereitete, das einige Monate vor unserer Studie erlassen wurde. Sein Ziel war herauszufinden, was andere Experten zu dieser Entscheidung zu sagen hatten.

Indem er nach verschiedenen Stichwörtern suchte, die den Fall beschrieben, fand der Anwalt schnell viele Websites mit sachdienlichen Informationen, einschliesslich Medienberichten, Blog-Diskussionen und White Papers von anderen Anwaltskanzleien. Allerdings waren die meisten dieser Beiträge schon kurz nach der Urteilsverkündung entstanden und enthielten keine Analysen über die langfristigen Auswirkungen der Entscheidung. Sie gaben einfach nur das Urteil wieder und tauschten Pro- und Contra-Argumente aus.

Anders als andere Nutzer, die meist nur die erste Seite der Suchergebnisse betrachten, kämpfte sich unser Testteilnehmer tapfer durch viele Ergebnisseiten und zeigte damit sein hohes Engagement, neuere Beiträge zu finden.

Da das Hauptkriterium Aktualität war, hätte unser Nutzer eine viel einfachere Strategie wählen können, nämlich über die Erweiterte Suche die Suchergebnisse nach dem Datum zu filtern. Das hat er jedoch nicht getan. (Wir erinnern uns, es geht um einen Rechtsanwalt - also einen hoch gebildeten Menschen, der es gewohnt ist, mit grossen Mengen an Informationen umzugehen. Durchschnittliche Nutzer hätten sich in einer noch grösseren Misere befunden.)

Im Allgemeinen beobachten wir, dass Menschen so gut wie nie die Erweiterte Suche verwenden. Und wenn sie es doch tun, verwenden sie sie normalerweise falsch - teilweise natürlich, weil sie sie so selten verwenden, dass sie nie richtig gelernt haben, wie sie funktioniert.

Die Lektionen sind eindeutig:

  • Gehen Sie nicht davon aus, dass die Erweiterte Suche Ihrer Website helfen wird; Sie können bestimmte Funktionen anbieten, aber die Menschen werden sie nur in Ausnahmefällen verwenden.
  • Verwenden Sie den Grossteil Ihrer Ressourcen darauf, die normale Suche besser zu machen (einfache Suche).

Eingleisige Recherchestrategie: ein Beispiel

Dieses Beispiel zeigt, wie eine Nutzerin mit beträchtlichem Aufwand nur wenige Ergebnisse erzielt, schlicht und einfach, weil sie ihre Recherchestrategie nicht geändert hat. Die Nutzerin brachte es auf 22 Seitenbetrachtungen über 8 verschiedene Websites (die Suchmaschine eingeschlossen), um die bevölkerungsreichste Stadt der Welt zu finden. Sie fand zwar eine Antwort, aber entschied sich aus den falschen Gründen und ohne das eigentliche Problem zu erkennen für diese Antwort - nämlich dass es zwei Arten gibt, die Einwohner zu zählen: mit und ohne Vororte.

Das Ergebnis ist umso erstaunlicher, wenn man beachtet, dass es sich bei der Probandin um eine Lehrerin handelte, die ihren Schülern gegenüber stets betont, wie wichtig es sei, Informationen aus dem Internet kritisch zu hinterfragen.

Manche Nutzer nehmen einfach die erste Antwort, die sie finden, und belassen es dabei. Aber aufmerksamere Nutzer, wie die Lehrerin in diesem Beispiel, wenden lediglich mehr Zeit auf, ohne ein wirklich besseres Ergebnis zu bekommen, weil sie durch die Resultate der Suchmaschinen zu sehr eingeschränkt werden.

Nachdem sie mehrere Schätzungen zur "grössten Stadt" gefunden hatte, die sich deutlich voneinander unterschieden (sie schwankten von 12 bis 34 Millionen Menschen), wäre es vernünftig gewesen, die Suchstrategie zu wechseln und eine zuverlässige Website zu suchen, die sich mit Einwohnerzahlen von Grossstädten beschäftigt. Solch ein Wechsel hätte sicherlich mehr Resultate geliefert als sich nur auf vereinfachte Listen zu verlassen, welche viele Websites anbieten, die sich eigentlich auf anderen Themen spezialisiert haben und deshalb nicht darlegen, wie sie an die Daten gekommen sind.

Die Suche ist zu gut

Das Problem in den oben genannten Beispielen - und auch für viele Nutzer unserer kürzlich durchführten Tests - liegt darin, dass Suchmaschinen sich in "Antwortmaschinen" verwandeln. Die Nutzer werden darauf trainiert, sich auf die Websites zu beschränken, die in den Suchergebnisseiten stehen. Tatsächlich liegt die Lösung für viele Probleme auch genau dort. Aber das Prinzip, dass es manchmal erforderlich ist, über diese Suchergebnisse hinauszugehen, geht verloren.

Für manche Probleme gibt es bessere Ansätze, als sich einfach bis zum Ende der Ergebnisseiten durchzuscrollen. Man könnte zum Beispiel versuchen, eine Website zu finden, die sich auf das Problem spezialisiert hat. Oder man könnte - wie in unserem Erkältung/Grippe-Beispiel - die Art ändern, an das Problem heranzugehen.

Leider entwickeln die Nutzer nicht die Recherche-Fähigkeiten, die sie bräuchten, um andere Ansätze auszuprobieren oder auch nur in Betracht zu ziehen - eben weil der eine Ansatz so einfach ist (und meistens auch funktioniert).

Was können wir dagegen tun?

  • Bei aktuellen Webdesign-Projekten müssen wir das Design an die Welt anpassen, wie sie ist und nicht, wie wir sie gerne hätten. Das bedeutet, wir müssen die Suchdominanz akzeptieren und den Nutzern mit mangelnden Recherche-Fähigkeiten helfen. Zum Beispiel könnten Websites, die Einwohnerzahlen von Städten auflisten, angeben, dass es zwei Ansätze zur Schätzung der Zahlen gibt, anstatt nur einfach die Schätzung ohne weitere Erläuterung aufzulisten. Und seriöse medizinische Websites könnten ihre Internetauftritte danach entwickeln, wie Patienten nach Informationen suchen, und nicht danach, wie Ärzte darüber denken.
  • Auf lange Sicht sollten wir versuchen, die Welt zu verbessern, statt ewig das Design an die Unzulänglichkeiten anzupassen. Eine Möglichkeit dazu wäre, an den Schulen bessere Internet-Recherche-Fähigkeiten zu lehren.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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