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17.12.2006

Usability im Film: Die 10 grössten Patzer

Nutzeroberflächen werden im Film vor allem aufregend und nicht gerade realistisch dargestellt: Den Helden fällt es viel zu leicht, fremdartige Systeme zu nutzen.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 18.12.2006

 

Die Art, wie Hollywood Usability darstellt, könnte zahlreiche Pannenshows füllen. Hier die zehn schreiendsten Fehler der Filmemacher:

1. Der Held kann jede Oberfläche sofort nutzen

Brechen Sie in ein Unternehmen ein - am besten in einem fremden Land oder gar auf einem fremden Planeten - und gehen Sie zum Computer. Wie lange wird es dauern, bis Sie herausgekriegt haben, wie man die neue Anwendung nutzt? Weniger als eine Minute - zumindest wenn Sie ein Filmstar sind.

In der Tat: Dass alle Nutzeroberflächen nach dem Prinzip Anschalten und Loslegen funktionieren, ist wahrscheinlich der bei weitem unrealistischste Aspekt in der Darstellung von Computern im Film. In der Realität wissen wir nur zu gut, dass selbst die klügsten Nutzer viele Probleme haben, selbst die besten Designs zu nutzen, ganz zu schweigen von der minderwertigen Usability firmeninterner Management-Systeme oder in Kontrollräumen der Industrie.

2. Zeitreisende können aktuelle Oberflächen nutzen

Noch dümmer ist die Annahme, Zeitreisende aus der Vergangenheit könnten aktuelle Computersysteme nutzen. In Wirklichkeit hätten sie nicht die geringste Ahnung von den Grundkonzepten moderner Techniken, wären also noch viel ratloser als jene Anfänger, die wir bei Nutzertests beobachten. Selbst jemand, der noch nie Excel genutzt hat, versteht zumindest grob etwas von Computern und Bildschirmen.

Sie glauben vielleicht, Leute, die aus der Zukunft kommen, hätten es wegen ihres überlegenen Wissens leichter, heutige Systeme zu nutzen. Das stimmt nicht. Genau wie unseren Reisenden aus der Vergangenheit würden ihnen die konzeptionellen Modelle fehlen, die man braucht, um den Sinn von Bildschirmoptionen zu begreifen. Jemand, der zum Beispiel noch nie eine Befehlszeile gesehen und noch nie einen Befehl eingetippt hat, hätte es viel schwerer, DOS zu nutzen, als jemand, der in der DOS-Ära aufgewachsen ist.

Wenn Sie in die Zeit der Napoleonischen Kriege zurückversetzt würden und wären dort Kapitän einer britischen Fregatte, hätten Sie keine Ahnung, wie man das Schiff lenkt: Sie könnten den Sextanten nicht nutzen und wüssten nicht, wie die verschiedenen Taue heissen, könnten also die Matrosen nicht kommandieren, damit sie die richtigen Segel setzen. Doch selbst dieser Fall Segelschiff wäre leichter zu lösen als der Fall, wenn jemand aus dem Jahr 2207 einen heutigen Computer bedienen müsste: Segelschiffe gibt es immer noch, und wahrscheinlich hätten Sie ein paar Grundprinzipien aus Piratenfilmen im Kopf. Im Gegensatz dazu ist es höchst unwahrscheinlich, dass jemand aus dem Jahr 2207 jemals eine Windows-Vista-Bildschirmseite gesehen hat.

3. 3D-Oberflächen

In Minority Report steuern die Akteure einen komplexen Informationsraum, in dem sie vor Ihren Bildschirmen wild im Raum herumgestikulieren. Wie Tog beim Filmen von Starfire herausgefunden hat, ist es sehr anstrengend, seine Arme hoch zu halten, während man einen Computer bedient. Gesten haben ihren Platz, aber nicht als primäre Nutzeroberfläche für Bürosysteme.

Viele Nutzeroberflächen, die in Filmen vorkommen, arbeiten mit gestischem Input und 3D-Datenvisualisierungen. Beeindruckende Welten und eine Düsen-Navigation sehen besser aus und gestatten mehr Dramatik in der Interaktion als eine Liste mit 10 Punkten zum Anklicken. Doch 3D hat es, auch wenn es jahrzehntelang im Zentrum von Computer-Konferenzdemos stand, noch so gut wie nie bis in die ausgelieferten Produkte geschafft. Und warum? Weil 2D besser funktioniert als 3D, in der grossen Mehrzahl der praktischen Dinge jedenfalls, die die Leute erledigen wollen.

3D ist etwas für Demos, 2D ist etwas, womit man arbeiten kann.

4. Integration ist kein Problem, die Daten sind überall handhabbar

Im Land der Filme haben die Nutzer niemals Probleme beim Verbinden verschiedener Computersysteme. Macintosh-Nutzer leben in einer PC-Welt, ohne etwas davon mitzukriegen (und vor zehn Jahren gab es unverhältnismässig viele Macs in den Filmen, weil Apple den grösseren Etat für Produktplatzierungen hatte).

In der Show 24 ruft Jack Bauer sein Büro an, um Pläne und Zeichnungen für verschiedene Gebäude zu bekommen. Sobald diese Dateien aus auswärtigen Quellen in den Zentralrechner seiner Agentur gelangt sind, bittet Jack, sie auf seinen PDA herunterzuladen. Und - oh Wunder - die Dateien sind sofort lesbar, ohne irgendeine Bearbeitung. (Und das Herunterladen geht viel schneller als bei den miserablen US-amerikanischen Mobilnetzen.)

5. Zugang verweigert - Zugang erteilt

In zahllosen Szenen kommt vor, wie jemand unautorisiert in ein System eindringt. Unausweichlich werden etliche Passwörter ausprobiert, die alle eine riesige Meldung "Zugang verweigert" auslösen. Schliesslich, wenige Sekunden, bevor das Desaster zuschlagen würde, gibt der Held das korrekte Passwort ein und wird von einer ebenso riesigen Meldung "Zugang erteilt" begrüsst.

Eine richtige Nutzeroberfläche würde ihn direkt zur Startseite der Anwendung führen, sobald er sich korrekt eingeloggt hat. Schliesslich gestaltet man so etwas für die autorisierten Nutzer. Es gäbe keinen Grund, sie damit aufzuhalten, dass man ihnen erst grossartig versichert: Jawohl, Sie haben Ihr Passwort richtig eingegeben.

6. Grosse Schrift

Nicht nur die "Zugang-verweigert"-Meldungen, sondern die meisten Bildschirmseiten in Filmen haben grosse, leicht lesbare Texte. Im wirklichen Leben leiden die Nutzer oft unter winzigen Schriften und unter Websites, die die Verletzung durch eine Beleidigung ergänzen, indem sie es den Nutzern nicht gestatten, den Text zu vergrössern.

Grosser Text ist natürlich ein Zugeständnis an das Zuschauer-Erlebnis: Die Kinobesucher sollen sehen können, was auf dem Bildschirm passiert. Doch die Informationen so stark zu vergrössern, erzeugt eine unrealistische Nutzeroberfläche.

7. Der sprechende Computer bei Star Trek

Der sprachgesteuerte Computer bei Star Trek ist ein noch schreienderes Beispiel dafür, wie man eine Publikums-Oberfläche gestaltet und keine Nutzeroberfläche. Gesprochene Befehle und gesprochene Antworten machen es für das Publikum einfacher, der Handlung zu folgen, aber das wäre eine sehr ineffiziente Methode, ein komplexes System zu steuern.

In Vorhersagen über die Zukunft des Computers gehört die Sprach-Interaktion zu den alljährlich wiederkehrenden Favoriten - sie schlägt dabei wahrscheinlich sogar 3D, den anderen grossen Mitbewerber um die am meisten überschätzte Interaktionstechnik. Auch die Stimme mag ihren Platz haben, aber für die meisten Alltags-Interaktionen sie ist eher noch unpassender als 3D, weil dieser Kanal weniger Daten übermittelt und weil es schwerer ist, etwas in Worten auszudrücken, als es auf einer grafischen Anzeige auszuwählen.

8. Fernsteuerung (Waldo-Steuerung)

In Tomorrow Never Dies fährt James Bond einen BMW vom Rücksitz aus mithilfe eines Ericsson-Handys, das er als Fernsteuerung für das Auto nutzt. Und 007 fährt schnell, so schnell, wie es nötig ist, um einigen fiesen Typen zu entkommen.

In der Praxis gibt es gute Gründe dafür, dass wir ein Steuerrad nutzen, um Auto zu fahren, und keinen Joystick, kein Touchpad und keine Knöpfe. Das Steuerrad ist ein exzellentes Eingabegerät für das schnelle und genaue Einstellen einer Richtung.

In vielen anderen Filmen kommen andere Arten von Fernsteuerungen vor, die immer mit hoher Geschwindigkeit und Genauigkeit funktionieren, obwohl sie als Geräte für diese Aufgabe oft suboptimal sind. Gute Eingabegeräte zu gestalten ist ein schwieriges Faktor-Mensch-Problem, und man kann solche Geräte nicht einfach durch irgendetwas anderes ersetzen und die gleiche Leistung erzielen. Ein Pedal zum Beispiel ist weniger gut für die Textverarbeitung geeignet als eine Maus, weil man seine Beine nicht so genau bewegen kann wie seine Hände und Finger.

9. Sie haben Post ist immer eine gute Nachricht

Wer im Film seine E-Mails überprüft, findet dort stets nur die eine oder die beiden Nachrichten, die für den Ablauf wichtig sind. Es gibt keine Informationsverschmutzung, keinen Spam-Sumpf, keine 87 Kundenanfragen kurz vor der alles entscheidenden Deadline. Und niemals übersieht man eine wichtige Information, weil die Betreffzeile die Richtlinien zur E-Mail-Usability verletzt hat.

10. "Das ist Unix, das kenn' ich"

Im Film Jurassic Park muss ein 12 Jahre altes Mädchen das Sicherheitssystem des Parks aktivieren, um zu verhindern, dass alle Leute von Dinosauriern gefressen werden. Sie spaziert zum Kontrollterminal und spricht die unsterblichen Worte: "Das ist ein Unix-System, das kenn' ich." Und schafft es, den Tag (fürs erste) zu retten.

Wir lassen die Frage beiseite, wie plausibel es ist, dass ein 12-jähriges Mädchen Unix kennt; wenn jemand Unix kennt, reicht das noch lange nicht aus, um irgendeine auf Unix laufende Anwendung sofort nutzen zu können. Ja, sie könnte wahrscheinlich [den Unix-Editor] vi auf dem Sicherheits-Terminal nutzen. Aber das spezielle Sicherheitssystem hätte wohl eine gewisse Anlernzeit nötig gemacht - eine signifikante Anlernzeit, wenn es auf Unix läuft, das eine notorisch inkonsistente Nutzeroberfläche hat und es einem dementsprechend schwer macht, Handgriffe von der einen Anwendung auf die andere zu übertragen.

Sind die Usability-Patzer schlimm?

Ist es schlimm, dass die meisten Filme Usability unrealistisch darstellen? Im Prinzip nicht. Der Zweck eines Filmes ist Unterhaltung, nicht Arbeitsleistung. Also machen Sie ruhig weiter und bauen Sie Nutzeroberflächen und Interaktionstechniken ein, die unterhaltsam sind und in der wirklichen Welt nie funktionieren würden.

Filme sind mit so vielen unrealistischen Details im Ablauf vollgestopft: Stellen Sie sich zum Beispiel vor, die Fähigkeit, zielgenau zu schiessen, wäre die wichtigste Berufsanforderung für Imperiale Sturmtruppensoldaten.

Im Kontext des Films kann man also nur unrealistische Usability erwarten. Dennoch sehe ich zwei reale Probleme dabei:

  • Forschungsetats und die Erwartungen des Managements werden von der ständigen Betonung unrealistischer Interaktionstechniken wie Stimme, 3D, Avatare oder KI untergründig verzerrt. Wenn man sieht, wie so etwas als Bestandteil einer kohärenten und aufregenden Geschichte funktioniert, fängt man an, das haben zu wollen. Man fängt sogar an, daran zu glauben. Wir haben am Ende 3D und Stimmensteuerung so oft gesehen, dass wir einen impliziten Glauben an ihre Nützlichkeit entwickelt haben.
  • Die Nutzer sind selber schuld, wenn sie Techniken nicht nutzen können. Dieses Phänomen ist so schon schlimm genug; es wird noch schlimmer durch die häufigen Szenen, in denen jemand zu irgendeinem Computer geht und ihn sofort nutzen kann. Wir brauchen Leute, die sich trauen, ein einfacheres Design zu verlangen und der Technik die Schuld zu geben, wenn sie zu schwer zu bedienen ist. Filme machen diesen Wechsel in der Haltung schwieriger.

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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