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31.01.2011

Wissenstests verstärken Lerneffekte

Menschen erinnern sich viel besser an das Gelesene, wenn sie versuchen, Informationen aus dem Text aus dem Gedächtnis abzurufen. Quizfragen im Internet sind eine Möglichkeit, Nutzern zu helfen, sich besser zu erinnern.

 

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 31.01.2011

 

Ich hatte schon lange die Befürchtung, dass das Internet für wirkliches Lernen nicht geeignet ist. Das grundlegende Problem ist das oberflächliche Surfen nach Informationen. Wie unzählige Studien seit 1997 gezeigt haben, neigen Menschen dazu, Texte auf Webseiten nur zu überfliegen, anstatt sie sorgfältig zu lesen.

Deshalb müssen wir uns darauf einstellen, dass Nutzer in Eile sind und sich nicht besonders um unsere Webseiten scheren - sie wollen nur ihr unmittelbares Bedürfnis nach Information befriedigen und verlassen die Seiten so schnell wie möglich. Das führt zu den folgenden klassischen Richtlinien für das Schreiben im Web:

  • Richten Sie die ersten beiden Wörter von Überschriften und anderen Kurztexten auf das Überfliegen aus.
  • Verwenden Sie Ziffern anstelle von Zahlwörtern für Zahlen, die Daten oder Informationen vermitteln, nach denen Nutzer Ausschau halten.
  • Verwenden Sie Listen mit Aufzählungszeichen

Alles schön und gut, aber es gibt eben Fälle, bei denen die Nutzer tatsächlich etwas lernen müssen, anstatt nur ein paar Highlights mitzubekommen. Websites mit Lerninhalten fallen natürlich in diese Kategorie, unabhängig davon, ob sie sich an Schüler oder Studenten richten. Aber auch viele kommerzielle Websites.

Angenommen, Sie betreiben eine pharmazeutische Website mit einem Medikament gegen zu hohen Blutdruck. Eines der Ziele wird sein, den Patienten Ratschläge zu geben, was sie ausser der Einnahme der Tabletten beachten sollten; aber diese Ratschläge beziehen sich natürlich nicht einfach auf: "Essen Sie weniger Natrium". Man muss den Menschen erklären, beispielsweise mit Tipps, wie man ein natriumarmes Essen im Restaurant bestellt. Denn Menschen, die sich an konkreten Beispielen orientieren, können mit hoher Wahrscheinlichkeit langfristig ihren Blutdruck senken und auch auf lange Sicht niedrig halten.

Nach einer erfolgreichen Test-Teilnahme bleiben 145% mehr Informationen erhalten

Wie können wir Nutzern helfen, mehr von unseren Webinhalten zu lernen? Eine neue Forschungsstudie kommt uns hier zur Hilfe.

Jeffrey D. Karpicke und Janell R. Blunt von der Purdue Universität haben in diesem Monat einen Artikel im Science-Magazin veröffentlicht, der die Menge an Informationen untersucht, die Menschen eine Woche nach dem Lesen eines wissenschaftlichen Textes noch behalten haben.

Studenten, die nach dem Lesen einen gut gestalteten Test absolvierten, konnten sich an 145% mehr Inhalte erinnern als Studenten, die nur den Text gelesen hatten. Interessanterweise dachten die Testteilnehmer, dass sie 15% weniger gelernt hätten als die andere Gruppe, obwohl sie tatsächlich mehr behalten hatten. Diese Diskrepanz zwischen Glauben und Realität untermauert die vielen Studien, die herausgefunden haben, dass man das tatsächliche Verhalten der Nutzer beobachten und sich nicht an dem orientieren soll, was sie sagen.

In diesem Fall ist es zumindest im Nachhinein offensichtlich, warum die Testteilnehmer dachten, sie hätten weniger gelernt: Der Test legte Lücken im Wissen offen und schwächte so logischerweise ihr Selbstvertrauen. Im Gegensatz dazu waren Menschen, die den Text gelesen hatten, aber keinen Test gemacht hatten, selbstzufrieden und sagten voraus, dass sie besser abschneiden würden, als sie in bei der Prüfung in der folgenden Woche dann tatsächlich abschnitten.

Grundlage der Tests waren sogenannte Retrieval-Tests, die ein wenig ausgefeilter sind als herkömmliche Tests. Den Ablauf können Sie sich in etwa wie folgt vorstellen:

1. Lesen Sie den Text.
2. Erinnern Sie sich an so viele Informationen wie möglich.
3. Lesen Sie den gleichen Text nochmal.
4. Erinnern Sie sich an so viele Informationen wie möglich.

Es erstaunt nicht, dass sich Menschen nach diesem Test, der es erfordert, sich viermal mit dem Text auseinander zu setzen, besser an die einzelnen Textinhalte erinnern können. Forscher haben jedoch herausgefunden, dass Probanden, die den Text lediglich 4 mal lesen mussten sich auch an mehr Informationen erinnern konnten, als diejenigen, die den Text nur einmal gelesen hatten; allerdings nur 64% mehr.

Mit anderen Worten: Wenn wir zwei Leserunden durch zwei Tests ersetzen, verbessert das die Testergebnisse nach einer Woche deutlich.

Dafür gibt es hauptsächlich zwei Gründe:

  • Während des dritten Schritts, der ja nur darin besteht, den Text nochmals zu lesen, achten die Testteilnehmer verstärkt auf Informationen, die ihnen im zweiten Schritt nicht eingefallen sind. Im Gegensatz dazu entwickeln die anderen Testteilnehmer beim wiederholten Lesen ein falsches Gefühl der Überlegenheit, ohne sich ihrer Wissenslücken bewusst zu werden.
  • Der Erinnerungstest ermöglicht ein einfacheres Abrufen im Gedächtnis. Es ist seit langem in der Psychologie erwiesen, dass man sich besser erinnert, je öfter man sich an etwas erinnert.

Folgen für das Webdesign

Als Student weiss man nun, wie man besser lernt: Jedem Kapitel im Lehrbuch sollte ein freier Erinnerungstest folgen. Aber was bedeutet das für praktische Designprojekte?

Es ist unmöglich, Besuchern von Websites nach jedem Zugriff auf eine unserer Seiten einen Test aufzuzwingen und sie zwei Aufsätze über das Erinnerte schreiben zu lassen.

Meistens brauchen sich Nutzer nicht mit Erinnerungsstrategien abzugeben. Alle vier Schritte der Testprozedur zu absolvieren, braucht 300% mehr Zeit, als die Informationen nur einmal zu lesen. Und man gewinnt nur 145% an Informationen hinzu, die behalten werden.

Die Kosten-Nutzen-Analyse spricht also eindeutig für den oberflächlichen Ansatz: Man kann vier Artikel lesen und ein wenig von jedem behalten, oder man arbeitet in der gleichen Zeit einen Artikel gründlich durch. Die Theorie des Information Foragings und empirische Beobachtungen weisen in die gleiche Richtung: Die Nutzer bevorzugen einen breit aufgefächerten Ansatz und kein vertieftes Lernen.

Trotzdem gibt es Fälle, in denen Nutzer tiefer in die Materie eintauchen wollen. Es lohnt sich, diese motivierten Nutzer anzusprechen, genauso wie es sich lohnt, fundierte Artikel zu schreiben und nicht nur eilig geschriebene Blog-Einträge. Betrachtet man das Nutzererlebnis als Markenkennzeichen, ist es auf jeden Fall von Vorteil, wenn Kunden sich detaillierter an die eigene Website erinnern als an die oberflächlichen Websites der Konkurrenz.

Richtige Erinnerungstests sind im Internet nicht realistisch, man kann aber ein Spiel daraus machen und die Nutzer dazu anregen, sich Erinnertes zu notieren und dann in einer Checkliste anzuklicken, was sie richtig behalten haben. Für die meisten Websites sind interaktive Quizfragen sicher noch besser: Es ist zwar effektiver, die Dinge in einem Erinnerungstest frei zu notieren, aber das fühlt sich für die Nutzer nach Arbeit an; deshalb werden sie es vorziehen, einfach Buttons anzuklicken.

Wie auch immer Sie es hinkriegen: Es ist wichtig, die Nutzer dazu zu bringen, ihr Gedächtnis zu trainieren, nachdem sie die Website besucht haben und ihnen eine Chance zu geben, sich noch einmal mit der Materie zu beschäftigen, nachdem sie im Test erkannt haben, an wie wenig sie sich erinnern.

Und jetzt schreiben Sie auf, was Sie von diesem Artikel behalten haben, und lesen ihn dann noch einmal :)

 

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.

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