Zeit-Management bei Usability-Tests
Bei Usability-Tests werden bis zu 40% der kostbaren Zeit vergeudet, indem Nutzer sich mit zweitrangigen Aktivitäten beschäftigen müssen. Man sollte die Nutzer viel lieber dabei beobachten, wie sie mit dem jeweiligen Oberflächendesign Aufgaben lösen.
by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) - 12.09.2005
Die meisten Designer-Teams verbringen erschreckend wenig Zeit damit, das tatsächliche Verhalten von Nutzern zu beobachten. Bekanntlich führen die meisten Unternehmen sogar überhaupt keine Nutzertests durch. Und selbst diejenigen, die es machen, widmen der Beobachtung des Nutzerverhaltens nur wenige Stunden.
Ideal wäre es, einen bestimmten Wochentag - sagen wir den Mittwoch - zum "Nutzertag" zu erklären und jedes Mal vier Nutzer einzuladen. Neue Nutzer natürlich. Eine Richtlinie für das Rekrutieren von Testnutzern lautet, für jeden Test frische Leute zu verwenden (eigentlich handelt es sich dabei um sieben Richtlinien, weil die generelle Regel ein paar Ausnahmen kennt, in denen es zulässig ist, dieselben Teilnehmer mehrmals aufzubieten).
In diesem konstanten Strom neuer Nutzer können Sie beobachten, wie die Leute mit sämtlichen Ihrer Design-Funktionen umgehen, können in Form von Papierprototypen die wildesten Ideen ausprobieren oder auch überprüfen, wie die Nutzer mit den Designs Ihrer Wettbewerber arbeiten. Wenn Sie wöchentlich testen und das sorgfältig beobachten, treffen Sie nur ganz wenige Entscheidungen über das Design, die sich nicht auf reale Nutzerbedürfnisse und reales Nutzerverhalten abstellen.
Wöchentliche Tests sind zwar das Beste - aber das macht ja fast niemand. Ich kenne nur eine Handvoll Projekte, die diesen Pfad beschreiten - und einige davon sind meine eigenen :-(
In den meisten Unternehmen ist es eine seltene und wunderbare Erfahrung, wenn wirkliche Kunden mit dem Design arbeiten kommen. Es ist klar, dass Sie aus einer solchen Gelegenheit das Beste machen sollten. Leider verschwenden die Unternehmen dabei oft zu viel kostbare Zeit.
Sünden im Umgang mit der Zeit
Ein normaler Nutzertest dauert 60-90 Minuten. Danach ermüden die Nutzer, und es ist schwierig, einzelne Usability-Sitzungen länger als zwei Stunden laufen zu lassen. (Mehrtägige Studien sind zwar möglich, aber sie erfordern andere Techniken und sind nach meiner Erfahrung selten.)
Was also sollten Sie mit diesen 60-90 Minuten Nutzerzeit anfangen? Konzentrieren Sie sich darauf, dass sich die Nutzer natürlich verhalten, während sie mit Ihrer Oberfläche interagieren. Denn das ist der einzigartige Beitrag von Nutzertests: Wir können sehen, was die Leute wirklich tun, anstelle uns darauf zu verlassen, was sie einem erzählen.
Leider verschwenden viele Unternehmen Minute um Minute der Testzeit mit dem Versuch, Nutzermeinungen aufzuzeichnen - anstatt dass sie den Leuten Aufgaben stellen. Neben Nutzertests gibt es viele grossartige Methoden zum Sammeln von Kommentaren und Meinungen - Fokusgruppen und Umfragen sind zwei der bekanntesten. Mit grosser Wahrscheinlichkeit sammelt Ihr Unternehmen bereits Meinungsdaten von einer viel grösseren Anzahl Kunden, als Sie in Nutzertestsituationen, wo sie unter vier Augen sind, jemals zur Verfügung haben werden. Verwenden Sie also jede Methode, wofür sie sich am besten eignet.
Für gewöhnlich geht Zeit verloren, indem man
- die Sitzung mit einer umfassenden demographischen Umfrage beginnt. Sammeln Sie solche Daten lieber über eine Online-Umfrage. Begnügen Sie sich bei Testteilnehmern mit den Daten, die Sie vorab beim Musterungsprozess gesammelt haben, und verzichten Sie auf weitere Fragen während des Tests.
- die Nutzer nach jeder Aufgabe bittet, ihre subjektive Zufriedenheit einzuschätzen. Subjektive Einschätzungen sind in erster Linie schwache Daten. Ausser bei Forschungsvorhaben sind übermässig detaillierte Einschätzungen selten die Zeit wert, die man fürs Einholen der Daten aufwenden muss.
- einen Zufriedenheits-Fragebogen mit Dutzenden von Fragen verwendet, anstatt einfach die Gesamtzufriedenheit einschätzen zu lassen. Es ist zum Beispiel schwachsinnig, die Nutzer zu fragen, wie sie die Grafiken finden. Wenn die Leute eine klare Meinung dazu haben, wie etwas aussieht - sei es angenehm, hässlich oder unpassend - dann werden sie diese während der Aufgabe kund tun. Der Fragebogen sollte einzig die Gesamtzufriedenheit abfragen. Detailaussagen während dem Lösen der Aufgaben sind viel zuverlässiger als nachträglich vorgenommene Einschätzungen.
- die Sitzung mit einer langen Diskussion darüber abschliesst, was die Nutzer von dieser oder jener potenziellen Produktentwicklung wohl halten würden. Wiederum: Dafür sind Fokusgruppen besser geeignet. Ausserdem sind Nutzerreaktionen auf Design-Prototypen, mit denen gerade Aufgaben gelöst werden, viel zuverlässiger als hypothetische Spekulationen über die Frage, was sie vielleicht mögen würden. Verbringen Sie Ihre Zeit damit, verlässliche Daten zu sammeln und keine spekulativen - auch wenn Sie damit Ihren Bericht um noch ein paar Seiten aufblasen könnten.
Jeder dieser überflüssigen Schritte nimmt für sich nur ein paar Minuten in Anspruch. Doch gesamthaft betrachtet kommen dann schon bis zu 30 Minuten zusammen, in denen die Nutzer - anstatt Aufgaben zu lösen - Fragebogen ausfüllen.
Weitere Einsichten
Ein paar Formalitäten sind in jeder Testsituation zu erledigen: Sie müssen die Nutzer willkommen heissen, sie ein Einverständnisformular lesen und unterschreiben lassen (am besten ein kurzes), eine Einweisung geben sowie eine Aufwandsentschädigung aushändigen, wenn der Test zu Ende ist. Versuchen Sie, diese Formalitäten auf fünf Minuten zu begrenzen. Und dann planen Sie in etwa weitere fünf Minuten ein, um die allernötigsten Zufriedenheitsbewertungen abzufragen. Auf diese Weise verschwenden Sie nicht mehr als 11% einer 90-Minuten-Sitzung.
Wenn Sie dagegen 30 Minuten für fokusgruppen-ähnliche Daten und 10 Minuten für die allgemeinen Formalitäten benötigen (und dabei zu grossen bürokratischen Aufwand betreiben), verschwenden Sie 44% einer 90-Minuten-Sitzung.
Legen Sie einen Zeitplan für Ihre Nutzertests fest, und stellen Sie sicher, dass Sie die allermeiste Zeit damit verbringen, die Nutzer beim Lösen interaktiver Aufgaben mit dem Design zu beobachten. So nutzen Sie die Testressourcen für Ihr Projekt optimal, denn die zuverlässigsten und am besten umsetzbaren Usability-Einsichten basieren auf der Beobachtung von Nutzern. Zudem ist das auch gut für Ihre Karriere: Um Ihr Fachwissen im Bereich Usability zu erweitern, müssen Sie das grösstmögliche Spektrum an Nutzerverhalten beobachten.
Wie viele Stunden im Jahr verbringen Sie damit, Nutzer beim Lösen von Aufgaben mit Ihrem Design zu beobachten? Wenn es weniger als 20 Stunden sind, müssen Sie mehr Nutzertests durchführen. Sie sollten wahrscheinlich zugleich auch das Zeitbudget für jene Testsitzungen neu gewichten, die Sie bereits durchführen - um mehr Daten über das Nutzerverhalten zu generieren.
© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.
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