Agile-Entwicklungsprojekte und Usability

Agile-Methoden zielen darauf ab, Usability-Barrieren im traditionellen Entwicklungsprozess zu überwinden, aber sie führen zu neuen Bedrohungen der Qualität des Nutzererlebnisses. Durch Modifikationen der Agile-Ansätze haben viele Unternehmen den Nutzen realisiert und den Schaden vermieden.

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) – 17.11.2008

Je nachdem, wie sie gehandhabt werden, können Rapid-Application-Development-(RAD)-Prozesse wie Agile oder Scrum die Qualität des Nutzererlebnisses steigern oder bedrohen.

Die Vorteile von Agile-Methoden

Agile-Methoden sprechen drei Themen an, die Usability-Experten schon seit langem ärgern:

Agile-Methoden versprechen, an den vielen Stellen anzusetzen, an denen traditionelle Entwicklungsmethoden systematisch Barrieren gegen eine gute Usability-Praxis errichten.

Die Gefahren von Agile-Methoden

Die grösste Gefahr von Agile für die Systemqualität rührt aus der Tatsache, dass diese Methode von Programmierern vorgeschlagen wurde und hauptsächlich auf die Implementierungsseite der Systementwicklung abhebt. Das führt dazu, dass sie oft das Interaktions-Design vernachlässigt und als Nebeneffekt des Kodierens betrachtet. Dies widerspricht natürlich der gesamten Erfahrung der letzten 30 Jahre, in der die Bedeutung des Nutzererlebnisses in der Systementwicklung ständig gewachsen ist, während wir uns von Zentralrechnern über PCs bis hin zum Internet entwickelt haben. In dem Masse, in dem sich die Nutzerbasis und die Anwendungsfälle ausgedehnt haben, ist der Bedarf nach erstklassiger Usability gewachsen.

Um ein hochwertiges Nutzererlebnis zu konstruieren, brauchen die Entwicklungs-Teams Methoden für Interaktionsdesign und Usability. Kleinere Teams brauchen nicht unbedingt ausgewiesene Designer und Usability-Profis. Es reicht völlig aus, wenn die Entwickler sich mit Interaktions-Design und Usability beschäftigen. Aber das Team muss diese beiden Bereiche ausdrücklich als Komponenten der Entwicklungsmethodik anerkennen, gleichgültig ob die Leute Design oder Usability als Hauptjob machen oder nur als eine der zahlreichen Rollen, die sie besetzen.

Ein Projekt, das Interaktions-Design und Usability ernst nimmt, muss ihnen ähnlich viel «Spielgeld» zuweisen (das heisst Ressourcen) wie dem Kodieren.

Ein anderes Problem besteht darin, dass bei Agile die Entwicklung eines Produktes in kleinere Abschnitte zersplittert wird, von denen immer nur einer fertig gestellt wird. Ein solcher Ansatz birgt das Risiko, dass er das Konzept eines integrierten Nutzer-Gesamterlebnisses unterminiert, bei dem die verschiedenen Funktionen konsistent zusammenarbeiten und den Nutzern dabei helfen, ein zusammenhängendes konzeptuelles Modell des Systems zu entwickeln. Schlimmstenfalls sieht die Nutzeroberfläche am Ende wie ein Flickenteppich aus.

Um das zu vermeiden, können die Teams Storyboards und Prototypen entwickeln, die die Architektur der Nutzeroberfläche beinhalten, und diese Werkzeuge als Referenzpunkte für das Design einzelner Funktionen verwenden. Um grosse Zeitverluste zu vermeiden, können die Teams einfache Prototypen – wie zum Beispiel Papierprototypen – entwickeln, die keine Kodierung benötigen. So wie wir es immer gesagt haben.

Agile-Teams bauen ihre Funktionen normalerweise während ziemlich kurzer «Sprints» von rund drei Wochen. Bei so engen Deadlines kommen die Entwickler in Versuchung, die Usability auszulassen, weil sie annehmen, dass für Tests und Nutzerforschung zu wenig Zeit sei.

Die Lösung dafür ist eine dreifache:

Wie man dafür sorgt, dass Agile und Usability funktionieren

Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass Usability und Agile-Entwicklungsmethoden zusammenarbeiten und die Qualität des Nutzererlebnisses verbessern können:

Diese Einschätzung der Chancen, Gefahren und empirischen Fakten basiert auf zwei Forschungsrunden:

  1. einer Umfrage bei 105 Design- und Entwicklungs-Profis
  2. tief gehenden Fallstudien mit Agile-Projekten bei 12 Unternehmen

Die Daten haben zwar viele Chancen aufgezeigt, aber wir haben auch mehrere Fälle mit schlechten Ergebnissen gefunden. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass die Unternehmen sich ausdrücklich mit der Integration von Agile und Usability auseinandersetzen.

Für Nutzererlebnis-Praktiker, die Agile-Teams unterstützen, liegt der grösste Wechsel in der Denkweise. Mit guten, allgemeinen Kenntnissen zum Nutzererlebnis verstehen Sie, wie Sie traditionelle Design- und Evaluationsmethoden abwandeln müssen, um den verschobenen Fokus Ihres Agile-Teams zu treffen. Letztendlich aber müssen Sie, um Erfolg zu haben, an sich selbst glauben und zugleich Agile-Entwicklungskonzepte einbeziehen.

Wenn Sie bereit sind, Ihre Praktiken zu ändern und die Verantwortung zu übernehmen, gibt es grossartige Gelegenheiten, Ihre Effektivität und Ihre Wirkung auf die Teams, die Sie unterstützen, zu steigern.

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.