Die Nutzer verschachteln Sites und Kanäle

Wenn sie Geschäftsprobleme bearbeiten, springen die Nutzer im Zickzack zwischen den Sites hin und her und besuchen abwechselnd verschiedene Servicekanäle. Das Nutzererlebnis wird nicht durch eine einzelne Website geprägt.

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) – 06.02.2006

Um ein Bild vom grossen Ganzen zu bekommen, muss man oft in die Details eintauchen. In diversen Studien der letzten Zeit habe ich einen wichtigen Wandel im Nutzerverhalten beobachtet; doch wenn ich die Schlussfolgerungen hier einfach vorab formulieren würde, würde das die wirklichen Auswirkungen aufs Geschäft eher verdunkeln. Um wirklich zu begreifen, was dieser Wandel für einzelne Sites bedeutet, müssen wir uns genauer ansehen, wie Nutzer mit spezifischen geschäftlichen Aufgaben interagieren.

Lassen Sie uns als Fallstudie im Detail das Verhalten einer Nutzerin aus unserer jüngsten B-to-B-Usability-Studie betrachten! Die Nutzerin hat für den Einkauf eines tragbaren Beamers recherchiert, den ihr Chef in Präsentationen einsetzen will. Im B-to-B-Bereich ist das eher ein Produkt am unteren Ende mit etwa 1500 $ Umfang. Doch die eher geringen Kosten und die relative Einfachheit des Beispiels lassen diese Nutzersitzung auch für allerlei Nutzerverhalten am höheren Ende des B-to-C-Bereichs repräsentativ werden. (In den meisten B-to-B-Sitzungen haben wir beobachtet, wie hoch spezialisierte Fachleute umfangreiche Produkte und Dienstleistungen für zehn- oder hunderttausende von Dollars recherchiert haben. Deshalb sind sie weniger instruktiv für Leser ausserhalb des B-to-B-Bereichs.)

Die Anlage hierzu zeigt ein Schritt-für-Schritt-Transskript des Weges, den die Nutzerin während ihrer Beamer-Recherche durch die verschiedenen Sites zurückgelegt hat. Diese Detail-Informationen sind lesenswert; sie geben ein lebhaftes Bild davon, durch wie viel Ballast sich die Nutzerin hindurchquälen musste, um eine kleine Summe handlungsrelevanter Informationen herauszubekommen.

Die verbrachte Zeit und die besuchten Sites

In der verstrichenen Gesamtzeit von 44 Minuten und 25 Sekunden hatte die Nutzerin 93 Seitenabrufe auf 15 verschiedenen Sites. Im Durchschnitt brauchte sie 29 Sekunden pro Seitenabruf. Das liegt nahe am Mittelwert in unserer Studie zum Nutzerverhalten auf 25 bekannten Sites.

Am Ende der Sitzung konnte die Nutzerin ihrem Chef eine Liste von drei Beamern vorlegen mit der Empfehlung, den Mitsubishi XD480U zu kaufen. Er war zwar teurer als die beiden anderen, aber ihrer Meinung nach die höhere Lebensdauer der Mitsubishi-Lampe angesichts der hohen Kosten für Ersatzlampen diesen Preis wert.

Insgesamt nahm die Nutzerin dreizehn Suchen vor – zehn auf Suchmaschinen und drei über die Suchfunktion spezieller Websites. Sechs der fünfzehn besuchten Sites erreichte die Nutzerin, indem sie deren Web-Adressen erriet (zwei davon riet sie zunächst falsch und fand sie später durch Suchmaschinen; die anderen vier erreichte sie direkt, indem sie die Webadressen eintippte). Eine Site besuchte sie über einen Link auf einer anderen Site; die verbleibenden acht, indem sie Links in den Suchmaschinenergebnissen anklickte (sechs reguläre Links und zwei Sponsorenlinks).

Der starke Gebrauch von Suchen ist typisch für das, was wir in vielen Studien beobachten. In diesem Fall hatte die Testnutzerin sehr gute Vorkenntnisse, was bei B-to-B verbreitet ist. Sie hatte schon oft Beamer gekauft, allerdings stationäre Modelle. Wegen ihrer Erfahrung konnte sie mehr Webadressen direkt eintippen, als es in den meisten unserer Studien üblich ist.

Die Klicks der Nutzerin auf Sponsorenlinks waren aus Sicht der Anzeigenbetreiber enttäuschend: Sie hat dort nichts zu kaufen gesucht, sondern nur nach Informationen, die dort angeboten wurden. Zum Beispiel wollte sie, nachdem sie mehrere mögliche Beamer beisammen hatte, die Gesamtkosten des Besitzes einschätzen, indem sie die Kosten für Ersatzlampen hinzufügte. Keine der Anbieter-Sites lieferte solche Informationen, deshalb suchte sie nach Lampenpreisen und klickte auf die Anzeige einer E-Commerce-Site, die auf Lampen spezialisiert ist. Die Site half ihr auf einfache Weise, ihre Gesamtkostenschätzung zu vervollständigen, aber es war unwahrscheinlich, dass sie dort eine Lampe kaufen würde, denn zunächst sollte der Projektor ja einige Jahre laufen. Höchst unwahrscheinlich, dass sie sich Jahre später noch an die Lampen-Site erinnern würde, also führte der bezahlte Klick zu keinerlei Geschäft.

Quer durch die Kanäle

Das folgende Kuchendiagramm zeigt, wie sich die von der Nutzerin verbrachte Zeit auf die fünfzehn besuchten Sites aufteilte:

Jeder Sektor zeigt die Zeit an, die die Nutzerin auf einer Site verbrachte; die Farben fassen die verschiedenen Site-Typen (Kanäle) zusammen.

Selbst diese einzelne Sitzung lieferte eine Menge spezifischer Usability-Ergebnisse über die einzelnen Sites, die die Nutzerin besucht hat. Wir sind dabei, diese Einblicke mit unseren Beobachtungen bei anderen Nutzern zu kombinieren, um daraus schlüssige Design-Richtlinien für B-to-B-Anbieter, E-Commerce-Sites für B-to-B und inhaltliche Sites für B-to-B abzuleiten. Wir analysieren noch die Daten von vielen Nutzern und werden auf unserer Konferenz später im Jahr die Richtlinien präsentieren.

Hier möchte ich mich auf zwei breitere Punkte konzentrieren. Diese Punkte sind sowohl für B-to-C als auch für B-to-C entscheidend und sie werden von vielen anderen Studien bestätigt:

In unserem Fallbeispiel hat die Nutzerin ausserdem lokale Informationsquellen herangezogen. Zum Beispiel hat keine der Sites ihr geholfen herauszufinden, wie viele Lumen man braucht, um einem Publikum der gewünschten Zielgrösse Präsentationen zu zeigen. Zum Glück war sie eine erfahrene Beamer-Käuferin und besass ein Handbuch mit diesen Informationen. Zudem griff sie stark auf geschriebene Notizen zurück, um Informationen aufzuzeichnen und von einer Site zur nächsten im Gedächtnis zu behalten.

Die Annahme, man könne das gesamte Nutzererlebnis bewusst gestalten, ist verlorene Liebesmüh›, wenn Sie auf Nutzer abzielen, die mit nicht alltäglichen Aufgaben zu tun haben. So gut wie alle B-to-B- und auch viele B-to-C-Nutzererlebnisse beziehen vielerlei Sites ein. Zwei Schlussfolgerungen für Site-Betreiber:

Wenn man die Leute beobachtet, wie sie das Internet als Ganzes nutzen (im Gegensatz zu Tests an einer einzelnen Site), springt ins Auge, durch wie viel Mist sie hindurchwaten müssen. Unsere Nutzerin mokierte sich offen über Sites, die ihr interne Werbung oder Banner in den Weg stellten, die irgendwelche Produkte als «neu & revolutionär» herausposaunten. Um das geschäftliche Nutzererlebnis zu verbessern, sollten Sie die folgenden drei einfachen Designrichtlinien beachten:

Webweite Verbesserungen nötig

Das Internet hat bei unserer Nutzerin in zweierlei Hinsicht versagt:

Es ist eine Tatsache, dass die meisten Nutzer das Internet wie eine einheitliche Ressource verwenden und für viele Aufgaben Sites miteinander kombinieren. Weder die Browser noch die Sites haben mit diesem neuen Nutzerverhalten Schritt gehalten. Beide werden sich in den kommenden Jahren ändern müssen.

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