Lassen Sie die Nutzer die Schriftgrösse bestimmen

Kleiner Text tyrannisiert die Anwender, weil er die Nutzungseffizienz erheblich vermindert. IE4 hatte ein grossartiges Design, das es den Nutzern ermöglichte, die Schriftgrösse problemlos zu ändern. Lassen Sie uns dieses Design in der nächsten Browsergeneration wieder zurückerhalten.

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) – 19.08.2002

Manchmal erweist sich der technologische Fortschritt als Rückschritt, und die angeblich «bessere» Technologie bringt Verschlechterungen für die Nutzer. Das Web ist hier keine Ausnahme. Es gab viele Innovationen, die man besser hätte unterlassen sollen, wie zum Beispiel Frames, farbige Browser-Scrollbars und scrollbarer Text.

Ein weiteres Beispiel für schlechte Webtechnologie ist die zunehmende Verwendung von Stylesheets, mit denen Webdesigner pixelgenau die Grösse der Texte festlegen können. Bedauerlicherweise wird diese Möglichkeit von vielen Designern auch genutzt. Die Folge ist eine verminderte Lesbarkeit von immer mehr Webseiten.

Der Stand der Schriftkontrolle

Hiermit initiiere ich eine Kampagne, die Microsoft dazu bringen soll, dafür zu sorgen, dass alle fixen Schriftgrössen in Webdesigns von den Nutzereinstellungen ausser Kraft gesetzt werden.

Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass der Browser die Seite anfangs in der vom Designer festgelegten Schriftgrösse anzeigt. Nutzer sollten jedoch in der Lage sein, Text problemlos zu vergrössern, egal was im Stylesheet steht. Schliesslich ist es mein Bildschirm, mein Computer und meine Software, und die sollen gefälligst tun, was ich will.

Es stimmt, dass manche Webbrowser tolle Features haben, die dem Anwender das Definieren eigener Stylesheets ermöglichen. Das ist okay für Experten, aber 99% der Nutzer möchten den Text einfach vergrössern können, wenn er zum Lesen zu klein ist. Der nur für Mac erhältliche iCab Browser ermöglicht den Nutzern diese einfache Kontrolle – sorgen wir dafür, dass der Internet Explorer ebenso nutzerfreundlich wird.

Wie kommt es überhaupt, dass die Texte so vieler Webseiten so schwer zu lesen sind? Dazu zwei Theorien:

Da auf so vielen Webseiten ungünstige Schriftgrössen verwendet werden, muss der Nutzer sie für gewöhnlich ändern. Frühe IE-Versionen wurden diesem Bedürfnis durch zwei Standard-Schaltflächen auf der Symbolleiste gerecht: eine, die den Text vergrösserte, und eine, die ihn verkleinerte. So sollte es sein.

Lieber Mr. Gates, bitte geben Sie uns das gute Design zurück, das Sie im IE4 für den Mac auslieferten.

Vereinfachung der Schriftkontrolle mit dem Browser

Bedauerlicherweise wurde das gute Design vom IE4 in den neueren IE-Versionen abgeschafft und durch etwas ersetzt, das zwei schwerwiegende Usability-Probleme mit sich bringt:

Aber auch für die wenigen erfahrenen Nutzer, die fündig werden und es schaffen, die fehlende Schaltfläche in ihre personalisierte Symbolleiste einzufügen, erfordert die Änderung der Textgrösse im IE6 mehrere Schritte:

  1. Die Schaltfläche aktivieren, indem man mit dem Mauszeiger darüber fährt. Da Schaltflächen im IE einigermassen gross sind, ist dieser Schritt gemäss dem Fitts´schen Gesetz schnell durchzuführen.
  2. Die Maustaste drücken.
  3. Nun erscheint ein Pulldown-Menü mit fünf möglichen Schriftgrössen. Dieses Menü durchscannen und sich die derzeit gewählte Schriftgrösse merken.
  4. Sich überlegen, welche neue Schriftgrösse man will. Das ist normalerweise um eine Grösse grösser (oder kleiner) als die aktuelle Schrift.
  5. Bei gedrückter Maustaste den Zeiger so weit im Menü hinunter bewegen, bis er auf die gewünschte neue Schriftgrösse zeigt.
  6. Die Maustaste loslassen.

Nun vergleiche man dieses umständliche, aus sechs Schritten bestehende Verfahren mit der Interaktionstechnik eines Designs, das separate Schaltflächen für «Text vergrössern» und «Text verkleinern» vorsieht.

  1. Auf die gewünschte Schaltfläche klicken.

Natürlich schwindle ich ein wenig: auch hier müsste im ersten Schritt entschieden werden, ob der Text vergrössert oder verkleinert, also welche Schaltfläche angeklickt werden soll. Trotzdem: Da die Änderung der Schriftgrösse durch den Ärger ausgelöst wird, Text in einer unangenehmen Grösse lesen zu müssen, weiss man zu dem Zeitpunkt, an dem man sich für eine Änderung der Grösse entscheidet, bereits, ob man den Text grösser oder kleiner haben will. (Der Durchschnittsnutzer stellt sich nicht einen einzelnen «Grösse ändern»-Befehl vor, der die gewünschte Veränderung ausführt. Sein Modell kennt zwei Optionen: «grösser» oder «kleiner». Das, was der Nutzer zu sehen bekommt, sollte seinem mentalen Modell entsprechen – wie der Code implementiert wird, ist für den Anwender irrelevant.)

Der Zwei-Schaltflächen-Ansatz erlöst den Nutzer vom kognitiven Zusatzaufwand der Berechnung der Schriftgrösse. Einfach grösser machen. Der Nutzer will nicht angeben, wie gross genau. Er kann einfach solange auf die Schaltfläche «Grösser» klicken, bis der Text gross genug ist.

Die Usability wird durch den Einsatz von «single-action» Schaltflächen erhöht, solange das Ergebnis nach jedem Klick unmittelbar erkennbar wird. Deswegen ist die Zurück-Schaltfläche den Nutzern auch so lieb und teuer und wird viel häufiger verwendet als die Navigation mittels Verlaufsliste.

Zukünftige Browser verbessern

Die Rückkehr zum IE4-Design für den Mac wäre bezüglich Usability der Schriftgrösse ein grosser Schritt vorwärts. Trotzdem – wir können es nach besser machen.

Anstatt dass der Nutzer die Schriftgrösse jedes Mal selbst ändern muss, wenn er auf ein nutzerfeindliches Design stösst, sollte man das Internet nutzen und die Einstellungen der Schriftgrösse mitverfolgen: Jedes Mal, wenn der Browser eine Seite von einer neuen Webseite lädt, würde er zuerst in einer Datenbank nach Informationen über vorhandene Schriftgrösseneinstellungen suchen:

Um die Reaktionszeit zu beschleunigen, könnte sich der Browser die Einstellungen für alle Webseiten, die mit der aktuellen Seite verlinkt sind, holen, noch bevor man einen Link angeklickt hat.

Die zentrale Datenbank selbst wäre ein klarer Fall kollektiven Filterns, da es einfach wäre, andere Nutzer mit denselben Textgrösseneinstellungen zu finden. Eine bestimmte Webseite würde von den meisten Nutzern entweder unverändert belassen, oder der Text würde um eine oder zwei Grössen vergrössert oder verkleinert. Da die Wünsche der überwältigenden Mehrheit der Nutzer von insgesamt fünf Optionen abgedeckt würden, wäre die Schriftgrösseneinstellung weit leichter zu treffen als etwa der Geschmack der Leute bei Büchern oder Filmen.

Die automatische Anpassung der Schriftgrösse gemäss den Ergebnissen kollektiven Filterns ist ein einfaches Beispiel für die Vorteile, die netzwerkbewusstere Browser mit sich bringen würden. Es wäre auch möglich, viele kaputte Links automatisch zu reparieren, störende Anzeigen oder Pop-ups zu entfernen und auf der Grundlage des Feedbacks früherer Webseiten-Besucher für jeden Einzelnen diverse andere Verbesserungen vorzunehmen.

Wir müssen aufhören, Browser als triviale Gratissoftware zu betrachten, die nichts andres kann als Webseiten auf dem Bildschirm darzustellen. Wir brauchen nutzerfreundliche Umgebungen, die die Navigation erleichtern und die Nutzer vor den Auswüchsen schlechter Webseiten schützen.

Lesbarkeitsrichtlinien für Webseiten

Wir können nicht darauf warten, bis uns Microsoft einen guten Browser beschert, obwohl das die letztendliche Lösung des Schriftgrössenproblems sein muss. Im Moment kann die Lesbarkeit von Webseiten verbessert werden, indem die folgenden Richtlinien eingehalten werden:

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