Update zur mobilen Usability

Das Nutzererlebnis bei mobilen Websites und Apps hat sich seit unserer letzten Studie verbessert, aber es liegt noch ein weiter Weg vor uns. Eine eigene mobile Website ist ein Muss, aber Apps erzielen noch höhere Usability-Werte.

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) – 26.09.2011

Es gibt keinen Grund, dieses Jahr zum «Jahr der Mobilität» zu erklären. Wenn überhaupt, verdient das letzte Jahr diesen Titel, was das Wachstum mobiler Nutzung und der Verfügbarkeit von mobilen Websites und Apps angeht. Jetzt aber ist es an der Zeit, Ihre mobile Website umzugestalten, da die bestehende Version wahrscheinlich den wachsenden Erwartungen von Nutzern an die Qualität des Nutzererlebnisses nicht mehr gerecht wird.

Die gesamte Geschichte des Internet für die breite Masse wiederholt sich hier. In den Anfängen war das Internet experimentell – dementsprechend war es in Ordnung, wenn eine Website etwas wackelig und unfertig wirkte. Viele Websites wurden gerade in den ersten Jahren durch irreführende Design-Prinzipien verunstaltet, und viele Firmen wussten es auch nicht besser (da sie keine Usability-Studien durchgeführt haben). Jetzt erwarten die Menschen einfach, dass Websites funktionieren.

Genauso ist es mit mobilen Anwendungen. Im letzten Jahr war es schon cool, überhaupt eine App zu haben. Jetzt sollte die App auch wirklich gut sein. Die Anforderungen sind gestiegen. Zum Glück zeigt unsere neue Studie, dass sich die Usability mobiler Websites und Apps verbessert, auch wenn sie immer noch weit unter dem Stand der regulären Websites ist, die von einem Tischcomputer aus zugänglich sind.

Nutzerforschung

Wir haben acht Runden mit Nutzertests durchgeführt: fünf in den Vereinigten Staaten und jeweils eine Runde in Australien, Hongkong und Grossbritannien.

Die ersten beiden Testrunden wurden im Jahr 2009 durchgeführt und in einem früheren Artikel besprochen. In dieser ersten Studie haben wir alle drei Kategorien von Mobiltelefonen getestet:

Für unsere sechs neuen Studien haben wir das Feature Phone aussen vor gelassen, aus drei Gründen:

In den beiden ersten Testrunden war das iPhone das dominierende Touchphone mit nur wenigen, meist primitiven Konkurrenzgeräten. In der neuen Testreihe hatten wir zwar immer noch viele iPhones, aber auch viele Android-Nutzer sowie einige Windows-Phone-Nutzer.

Insgesamt haben wir 105 Nutzer getestet – 53 Männer und 52 Frauen. Von diesen Testteilnehmern waren 12% 50 Jahre oder älter, und die restlichen 88% gleichmässig über die Altersspanne von 20 bis 49 Jahren verteilt. Die Berufe deckten alle Sparten ab, von der Modeberaterin über den Patentanwalt bis zum Fernsehproduzenten.

Die Aufgaben bewegten sich auf einem Spektrum zwischen Anleitung und Ausprobieren:

Insgesamt haben wir die Teilnehmer bei 309 verschiedenen Aufgaben beobachtet: 194 Anwendungs-spezifischen Aufgaben, 154 Website-spezifischen Aufgaben und 42 internetweiten Aufgaben.

Zusätzlich zu den Nutzertests haben wir noch zwei Runden einer Tagebuch-Studie durchgeführt, um zu sehen, wie die Menschen die mobilen Geräte im Alltag verwenden. Eine dieser Studien fand in den USA stand, die andere hatte Teilnehmer aus Australien, den Niederlanden, Rumänien, Singapur, Grossbritannien und den USA. Alles in allem nahmen 27 Menschen an der Tagebuch-Studie teil und versorgten uns so mit Daten zu 172 Tagen mobiler Aktivität. Wieder deckten die Berufe ein weites Spektrum ab, vom Buchhalter bis zum Fussballtrainer.

Das mobile Nutzererlebnis verbessert sich langsam

In der ersten Ausgabe unseres Reports betrug die Erfolgsrate der mobilen Nutzer im Schnitt 59%.

In unserer neuen Studie lag der Wert bei 62%. Das ist besser, allerdings beträgt die Verbesserung nur 3 Prozentpunkte in zwei Jahren. Diese Verbesserungsrate mag langsam erscheinen, entspricht aber tatsächlich den Werten, die wir in 263 Studien über 12 Jahre hinweg für die Verwendung von Tischcomputern dokumentiert haben.

Die aktuelle Erfolgsrate für mobile Internetnutzung entspricht dem Wert für die Nutzung des Internet mit Tischcomputern im Jahr 1999. Bei Tischcomputern liegt die aktuelle Erfolgsrate bei 84%; sollte sich die mobile Usability nicht rapide verbessern, müssen wir noch bis 2026 warten, um dieses Niveau zu erreichen.

Die Erfolgsrate von 62% errechnet sich aus allen Aufgaben, bei denen wir einigermassen sinnvoll zwischen richtig und falsch entscheiden konnten.

Die gemessene Usability variierte deutlich, je nachdem, ob die Menschen eine mobile oder eine vollwertige Website verwendet haben. (Um die Begrifflichkeit zu klären: eine «mobile» Website ist eine Website, die speziell für die Verwendung auf mobilen Geräten entworfen wurde, wogegen eine «vollwertige» Website eine reguläre Website ist, die für Tischcomputer mit grossem Bildschirm entwickelt wurde.)

Diese Zahlen führen uns zur ersten und wohl wichtigsten Richtlinie, um das mobile Nutzererlebnis zu verbessern: Entwerfen Sie eine eigenständige mobile Website. Erwarten Sie nicht von den Nutzern, dass sie die gleiche Website vom Tischcomputer und vom mobilen Browser aus ansteuern. (Die Ausnahme bilden hier die Menschen, die einen grossformatigen Tablet-PC wie das iPad verwenden. Unsere gesonderte Studie zu iPad-Nutzern zeigt, dass sie mit dem Browsen vollwertiger Websites gut zurechtkommen.)

Eine zweite wichtige Richtlinie ist das Verwenden von klaren, deutlichen Links von der mobilen Website auf die vollwertige Website und umgekehrt. Leider lassen die Suchmaschinen die mobilen Nutzer oft im Stich und leiten sie zu vollwertigen Websites, auch dann, wenn einige Firmen mobile Websites mit besseren Nutzererlebnissen anbieten. Müssen die Nutzer nicht weiter navigieren, kommen sie mit einer Website, die auf ihrem Handy eher zu wünschen übrig lässt, einigermassen zurecht. Suchmaschinen bieten oft tiefe Links an, die genau zur Suchanfrage der Nutzer passen. Möchten die Nutzer aber mehr wissen, als die angezeigte Seite hergibt, müssen sie leiden, wenn sie in der vollwertigen Website gelandet sind. Dann wäre ein Verweis auf die mobile Version der Website hilfreich. (Und das ist der Grund, weshalb die Suchmaschinen von vorne herein auf die mobile Website hätte verlinken sollen.)

Apps schlagen mobile Websites

Eine mobile Website ist gut, eine mobile ist Anwendung noch besser. Wir haben eine Erfolgsrate von 76% verzeichnet, wenn die Menschen einen mobile Anwendung genutzt haben – sehr viel höher als die 64%, die bei der Verwendung von mobilen Websites erreicht wurden.

Natürlich ist es teurer, eine App zu entwickeln, als die mobile Version einer Website, da man für verschiedene Plattformen programmieren muss. Daher empfehlen wir nur dann wirklich, eine mobile Anwendung zu entwerfen, wenn Sie entweder reich sind oder eine Leistung anbieten, die speziell zum mobilen Gebrauch passt.

Die meisten Usability-Richtlinien wurden bestätigt

Die erste Ausgabe unseres Reports zu mobiler Usability enthielt 85 Design-Richtlinien. Hiervon wurden 83 in unserer neuen Studie bestätigt, eine wurde leicht überarbeitet und eine gestrichen. Wie ich schon mehrfach zuvor erwähnt habe, bleiben Richtlinien zur Usability über viele Jahre stabil, da sie hauptsächlich vom menschlichen Verhalten abhängen. (Die eine überarbeitete Richtlinie bezog sich auf die Verwendung von Flash und war daher mehr als die anderen Richtlinien abhängig von der Technologie.)

Was ist die wichtigste Neuigkeit? Die Anzahl der Design-Richtlinien ist von 85 auf 210 gestiegen. Das hat zum Teil den Grund, dass wir nun viel mehr über mobile Usability wissen, zum Teil liegt es daran, dass sich die Anforderungen erhöht haben. Die Websites und Anwendungen haben sich definitiv verbessert, die Messlatte für ein akzeptables Nutzererlebnis liegt deutlich höher und somit ist auch die Anzahl der Richtlinien grösser geworden, die die Designer im Blick behalten sollten.

Insbesondere sind die Android-Anwendungen besser geworden, wahrscheinlich weil der wachsende Marktanteil der Plattform die Unternehmen dazu gebracht hat, mehr in die Qualität ihrer Android-Anwendungen zu investieren.

Die Nutzer sind sich ausserdem viel mehr der Funktion des horizontalen «Wischens» bewusst, als sie es in der vorherigen Studie waren. Die horizontale Wisch-Geste wird häufig verwendet, um durch Kartenblatt- oder Karussell-Optionen zu blättern. Da das Wischen immer noch schlechter entdeckt wird als andere Steuerungsarten mobiler Inhalte, empfehlen wir, einen sichtbaren Hinweis einzubauen, wenn das Wischen möglich ist, da es sonst sein kann, dass die Nutzer es gar nicht ausprobieren und daher viele Ihrer Angebote verpassen. Auch sollten doppeldeutige Wisch-Funktionen vermieden werden: Verwenden Sie nicht die gleiche Geste, um in verschiedenen Bereichen des Bildschirms verschiedene Kommandos geben zu können. Die Empfehlung gilt für Mobiltelefone und Usability von iPads gleichermassen und macht noch einmal die Ähnlichkeit der beiden Gesten-basierten Plattformen deutlich.

Hier ist es interessant, sich die Unterschiede zwischen dem Design für einen mausgesteuerten Tischcomputer und einem Gesten-basierten Touchscreen klar zu machen. Auf Websites für Tischcomputer gilt unbedingt, das horizontale Scrollen zu vermeiden. Aber für Touchscreens ist das horizontale Wischen oft kein Problem. Tatsächlich erwarten die Nutzer mobiler Geräte, dass sie sich durch horizontales Wischen ihren Weg durch ein Karussell bahnen müssen. Dies ist natürlich nur ein Beispiel für die Meta-Richtlinie, dass Plattformen, die sich deutlich voneinander unterscheiden, auch unterschiedliche Designs der Nutzeroberflächen erfordern. Hier liegt der eigentliche Grund, warum mobile Websites auf mobilen Geräten besser funktionieren als vollwertige Websites.

Mobiles Design = klein und zielgerichtet

Um eine mobile Website oder Anwendung erfolgreich zu machen, ist es eine offensichtliche Richtlinie, für den kleinen Bildschirm zu gestalten. Leider machen das einige immer noch nicht und wir sehen, wie die Nutzer mit winzigen Bereichen kämpfen, die sie auf dem Bildschirm berühren sollen und die zu klein für ihre Finger sind. Das «Dicke-Finger»-Syndrom wird uns wohl noch eine Zeitlang begleiten.

Der zweite Punkt ist viel konzeptioneller – und für manche Menschen schwerer zu akzeptieren: Bei einem kleinen Bildschirm muss man die Anzahl der Funktionen einschränken, und zwar auf die, die für die mobile Verwendung wirklich wichtig sind.

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.