Wenn Suchmaschinen zu Antwortmaschinen werden

Die Website als Ganzes wird zunehmend zu einem unwichtigen Schauplatz, je mehr die Leute Suchmaschinen verwenden, um direkt Antworten auf ihre aktuellen Fragen zu bekommen. Wie sollen die Sites mit den Massen von Inhaltsschmarotzern umgehen?

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) – 16.08.2004

In steigendem Masse verwandelt sich die Praxis der Internetnutzung dahingehend, dass man nur seine Zehenspitze in eine Website taucht statt sie wirklich zu «besuchen». Wenn die Leute Suchmaschinen als Webschnittstelle nutzen, picken sie einfach gezielt Rosinen aus den Sites heraus und befassen sich nicht weiter mit den Sites an sich.

Die Suchmaschine war schon immer ein wichtiges Werkzeug für die Nutzer. Als ich vor zehn Jahren begreifen wollte, warum die Leute das Web trotz seiner lausigen Usability nutzten, habe ich jedem, der in unser Labor kam, zwei Fragen gestellt: «Was treiben Sie, wenn Sie online sind?» und «Was sind Ihre Lieblings-Websites?» – Die Antworten klafften weit auseinander: Ich konnte kein gemeinsames Interesse an Websites ausmachen. Was die Leute umtrieb, konnte Golf sein, Stricken, Linux oder Militärgeschichte, und ihre Lieblings-Sites variierten dementsprechend. In der Tat gab es nur eine Gemeinsamkeit bei den Antworten: Jeder Nutzer hat eine Suchmaschine unter seine zwei oder drei Spitzen-Sites nominiert.

Die Folgerung daraus war: Die Stärke des Webs liegt in den haargenau zugeschnittenen Sites, die die Nutzer mit genau den hoch spezialisierten Informationen über Themen beliefern, die sie brauchen oder für die sie sich leidenschaftlich interessieren. Es war ebenso klar, dass die Suche ein enorm bedeutender Dienst von allgemeinem Interesse war, denn selbst als das Web aus eben mal 30’000 Sites bestand, war es ohne Hilfe beinahe unmöglich, etwas Spezielles zu finden.

Folgestudien bestätigten diese frühen Schlussfolgerungen: Die Nutzer verfolgen weiterhin sehr spezifische Ziele und verlassen sich auf einen übergreifenden Service – die Suche – als Wegweiser. In unserem Projekt «Web 2004» fanden wir heraus, dass die Nutzer in 88% der Fälle mit einer Suchmaschine begannen, wenn wir ihnen eine Aufgabe gestellt hatten, die sie über das Web lösen sollten. (Auf der Konferenz «User Experience 2004» werde ich in meiner Rede noch mehr Ergebnisse von «Web 2004» vorstellen.)

Antworten stehen im Mittelpunkt der Suche

Eine wichtige Änderung über die Jahre liegt in der sinkenden Bedeutung der Suche für das reine Identifizieren guter Websites. Statt nach Sites Ausschau zu halten und diese dann in der Tiefe zu erforschen, fischen die Nutzer jetzt nach speziellen Antworten. Das Web als Ganzes ist also zu einer Ressourcenansammlung geworden, und die Leute nutzen Suchmaschinen, um ihren speziellen Bedürfnissen entsprechende, ganz spezielle Seiten auszugraben, ohne darauf zu achten, aus welchen Sites die Seiten stammen.

Aus den Suchmaschinen sind eigentliche Antwortmaschinen geworden. Sie haben nicht mehr die Aufgabe, Ressourcen ausfindig zu machen, sondern sollen stattdessen die Fragen der Nutzer beantworten. Ask Jeeves war mit seiner ursprünglichen Frage&Antwort-Oberfläche schon nahe dran und hat jetzt einen interessanten Ansatz, direkt in der Suchergebnisliste bereits Antworten zu zeigen.

Diese Verhaltensänderung wird durch die Theorie von der Informationsfuttersuche erklärt: Je leichter es ist, neue Ressourcen aufzuspüren, desto weniger Zeit verbringen die Nutzer mit jeder einzelnen Ressource. Auf diese Weise erzeugt die steigende Qualität der Suchergebnisse mit der Zeit den Trend von der Suchmaschine hin zur Antwortmaschine. Standleitungen ins Internet haben einen ähnlichen Effekt, weil sie dazu verleiten, Informationen in kurzen Sitzungen nur häppchenweise aufzunehmen. Schließlich hat die grauenhaft schlechte Lesezeichen/Favoriten-Funktionalität der Web-Browser das ihrige zum nachlassenden Interesse der Nutzer beigetragen, eine Liste von Lieblings-Sites zusammenzustellen.

Es spricht für den Umfang des Webs, wenn die Nutzer es nun als integrales Ganzes betrachten können und sich nicht mehr mit Websites herumschlagen müssen; sie nehmen heute an, dass alles, was sie wissen wollen, irgendwo zu finden ist. Sie brauchen nur danach zu fragen.

Bis 1993 waren «Websites» überhaupt noch keine greifbare Größe. Das Web der «Vor-Mosaic»-Zeit 1991 und 1992 war genau das: Ein Web (Netz) von Informationen, dessen Grundeinheit der Artikel war – und nicht der Server, der eine bestimmte Website bereithielt. Das neue Nutzerverhalten stellt also gewissermaßen eine Rückkehr zur ursprünglichen Vision des Webs dar, allerdings nicht ganz, denn die Nutzer haben immer noch ein paar Lieblings-Sites, die sie als Ressourcen im eigentlichen Sinne behandeln.

Auswirkungen auf Websites

Für Suchmaschinen, die aus der ganzen Verwirrtheit des Informationsreichtums zur eigentlichen Nutzeroberfläche mutiert sind, ist dieser Trend eine gute Nachricht. Auch für Internetnutzer ist diese Entwicklung erfreulich, wenn sie nun durch Anklicken von ein paar Suchergebnissen ihre Antwort finden, anstatt sich mit dem obskuren Design und der schlechten Navigation so mancher Site abplagen zu müssen.

Aber ist das auch gut für die Websites? – Nein.

Es lohnt sich kaum, Nutzern Antworten zu liefern, die nicht einmal wissen und sich auch nicht darum kümmern, wer ihnen den Dienst überhaupt erweist.

E-Commerce-Sites sind eine kleine Ausnahme, weil sie oft Umsatz mit Besuchern erzielen, die nur eine Zehenspitze in ihren Katalog tauchen. E-Commerce unterscheidet sich von anderen Websites insofern, als dass auf den Einstieg des Nutzers noch Bestellungs- und Abwicklungsdialoge folgen, und diese Schritte können die Erinnerung an die Site wachsen lassen. Deshalb ist der Abschluss des ersten Verkaufs ein zentraler Schritt für Folgeverkäufe. E-Commerce-Sites schneiden sich ins eigene Fleisch, wenn sie Shopbots blockieren, tiefergehende direkte Links verbieten oder sonstige Tricks anwenden, um die Besucher zu zwingen, über die Startseite hereinzukommen und Zeit mit der Navigation zu verlieren. Jede Barriere zwischen Kunde und Produkt reduziert die Verkäufe.

Doch auch Sites, die nichts verkaufen, müssen den Trend zum Antwortsuchverhalten der Nutzer akzeptieren. Sich selbst von der netzartigen Natur des Webs abzukapseln löst das Problem nicht.

Was sollten Sie also tun?

Wie man Inhaltsschmarotzer los wird

Leute, die Ihre Website nur antippen, erzeugen für Sie keinen Nutzen, allerdings schaden sie auch nicht. Bei den gegenwärtigen Preisen für Webhosting kostet es 0,003 Cents, einen Seitenabruf bereitzustellen. Ein einfaches Rechenbeispiel:

Falls Sie Ihren Inhalt bereits erstellt haben, haben Sie keinen ökonomischen Nutzen, wenn Sie Schmarotzer abwimmeln, weil die Grenzkosten des Bereitstellens weiterer Seitenabrufe so gering sind.

Doch auch in diesem Fall sollte Ihre Strategie zwei Elemente enthalten, um Schmarotzer zu entmutigen:

Es ist bedauerlich, dass sich die Nutzer jetzt weniger um die Websites kümmern und sie hauptsächlich als undifferenzierten Pool für Antworten behandeln. Aber so ist das neue Internet. Wie immer ist das Wissen über das wirkliche Nutzerverhalten der Schlüssel zum Erfolg.

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