Aufgemotzte Grafik und Wörter = Sieht nach Werbung aus = Wird ignoriert

Eine Website hatte die meisten Dinge richtig gemacht, hatte aber immer noch eine miserable Erfolgsrate von 14% für ihre wichtigste Aufgabe. Der Grund dafür? Die Nutzer beachteten den Schlüsselbereich nicht, da dieser einer Werbeanzeige ähnelte.

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) – 04.09.2007

Wenn Sie die Antwort auf eine typische Nutzer-Frage in grossen roten Buchstaben an den Anfang Ihrer Startseite setzen, dann ist das doch mit Sicherheit nutzerfreundlich, oder? Falsch! Jedenfalls gilt dies für die Startseite des Amerikanischen Amtes für Volkszählung, bei der 86% der Nutzer nicht die aktuelle Einwohnerzahl des Landes finden konnten, obwohl diese in riesigen roten Ziffern angezeigt wurde.

Startseite von www.census.gov
Startseite von http://www.census.gov/, als sie getestet wurde

Auf einem verkleinerten Screenshot ist die Einwohnerzahl die einzige Information, die klar lesbar ist. Das macht die Sache einfacher, als sie in Wirklichkeit ist. Auf der tatsächlichen Website haben die Nutzer die grossen roten Zeichen häufig nicht beachtet.

Das folgende Wärmebild aus einer unserer Eyetracking-Studien stellt dar, wie die Nutzer auf diese Startseite geschaut haben. Ihre Aufgabe bestand darin, die aktuelle Einwohnerzahl der Vereinigten Staaten ausfindig zu machen.

Bereiche, auf die die Nutzer am meisten schauten
Die Bereiche, auf die die Nutzer am meisten schauten, sind rot gefärbt; die gelben Bereiche stellen seltenere Blicke dar, darauf folgen die blauen Felder, die am wenigsten beachtet werden. Graue Bereiche lösten gar keine Fixierung aus.

Zunächst erscheint das Wärmebild richtig:

Bei näherer Betrachtung wird jedoch klar, dass die Nutzer nur das erste Drittel der aktuellen Bevölkerungszahl wahrgenommen haben. Mit anderen Worten: Die Leute haben diesen Bereich überflogen, aber die Zahl nicht wirklich gelesen. Nur ein kleiner Prozentteil, der mit der blauen Färbung dargestellt wird, hat auch auf die restlichen zwei Drittel der Zahl geschaut.

Wohin die Leute geschaut haben

Wie das folgende Tortendiagramm zeigt, haben lediglich 14% der Teilnehmer die Bevölkerungs-Uhr genutzt, um die Frage zu beantworten. Keiner der restlichen Nutzer fand die richtige Antwort heraus, obwohl die meisten irgendwo im Innern der Website die Bevölkerungszahl eines früheren Jahres gefunden haben.

Reaktion auf Bevölkerungs-Uhr
Wie die Nutzer auf die Bevölkerungs-Uhr reagierten, die sich in der oberen rechten Hälfte der Volkszählungs-Startseite befindet. Nur 14% der Testteilnehmer nutzten diese Funktion, um die aktuelle Bevölkerungszahl ausfindig zu machen. Die meisten Leute sahen die Funktion, nutzten sie aber nicht dazu, die Aufgabe zu erledigen.

Obwohl es nicht einer der Hauptgründe für das Versagen dieses Startseiten-Designs ist, spielt die Banner-Blindheit hierbei doch eine Rolle. Die Nutzer tendieren dazu, stark herausgehobene Bereiche zu ignorieren, weil sie wie Werbeanzeigen aussehen. Deshalb hat über ein Drittel der Nutzer die Bevölkerungs-Uhr nicht einmal gesehen. Allerdings haben die meisten Leute diesen Bereich doch fixiert, weil er nicht so übermässig auffällig ist wie die meisten Werbefunktionen. Die meisten Nutzer haben die Populations-Uhr also gesehen, haben sie aber nicht genutzt, auch wenn sie exakt die Information lieferte, nach der sie gesucht haben.

Der Hauptgrund neben der Banner-Blindheit, warum diese Startseite durchfiel, ist, dass sie erfundene Wörter oder Markenbezeichnungen verwendet anstatt klarer, gewöhnlicher Worte. Bezeichnungen wie «Bevölkerungs-Uhr», «Bevölkerungssucher» und «Schnelle Fakten» sind nicht halb so deskriptiv wie eine einfache Textzeile, in der steht:

Bevölkerung der Vereinigten Staaten: 302.740.627 (Stand: 31. August 2007)

Suchen-Nutzer und andere Verhaltensweisen

Das obige Wärmebild liefert den Durchschnitt aus allen Nutzern. Es ist also nicht der beste Weg, um die Nutzerfreundlichkeit der Volkszählungs-Startseite zu analysieren. In diesem Fall waren vier verschiedene Nutzerverhalten auszumachen, und wir müssen jede einzelne separat untersuchen.

Die folgenden Blick-Pläne sind Beispiele für die vier Hauptklassen von Nutzerverhalten:

Blickverläufe auf der Startseite von www.census.gov
Jeder Blick-Plan zeigt die Augenbewegungen eines Nutzers an: Jeder blaue Punkt ist eine Fixierung, grössere Punkte bedeuten längere Betrachtungs-Perioden.

In diesem Fall führte weder die Suchfunktion noch die Navigation noch der Bevölkerungs-Sucher den Grossteil der Nutzer zu der richtigen Antwort. In Wahrheit war die Suchfunktion auf dieser Website sehr schlecht. Eine Nutzerin sagte: «Ich weiss, wo ich es wahrscheinlich schneller finden kann: Bei Google», verliess prompt die Suchfunktion der offiziellen Volkszählungs-Website. (Und sie fand auch tatsächlich eine annehmbare, wenn auch weniger präzise Antwort auf einer anderen Website, indem sie eine externe Suche nutze.)

Auch wenn die meisten Nutzer irgendeine Zahl fanden, ob es nun die aus dem Jahr 2000, 2005 oder 2006 war, so war es doch nicht die aktuelle Zahl. Wie man es vom Amt für Volkszählung erwarten konnte, war die Website voll von Bevölkerungs-Statistiken. Das Problem bestand darin, dass die veralteten Statistiken nicht mit ergänzenden Links versehen wurden, die zu den aktuellen Zahlen führten; dies verletzt die Richtlinie, Fortsetzungen im Kontext zu platzieren.

Widersprüchliche Usability-Regeln?

Der für dieses fehlerhafte Webdesign verantwortliche Internet-Manager könnte seine Arbeit verteidigen, in dem er betont, dass sie Nummer 4 meiner zehn wichtigsten Richtlinien für das Design von Startseiten erfüllt: Bieten Sie einen klaren Startpunkt für die wichtigsten Aufgaben, die die Nutzer beim Besuch Ihrer Website unternehmen werden. Natürlich, man hat auch etwas richtig gemacht: eine Aufgaben-Analyse, die ergibt, dass eines der wichtigsten Ziele von Nutzern dieser Website ist, die aktuellen Bevölkerungszahlen der Vereinigten Staaten herauszufinden und auf schnellem Wege an die Einwohnerzahlen von einzelnen Staaten und Städten heranzukommen.

Es kommt noch besser: Die Website befolgt auch noch mehrere andere Empfehlungen aus dem Gesamtkatalog der veröffentlichten Usability-Richtlinien [englisch]:

(Diese Website macht auch noch viele andere Dinge richtig; ich habe hier nur diejenigen Richtlinien aufgelistet, die damit zu tun hatten, die Bevölkerungszahl herauszufinden.)

Obwohl sie sich an so viele Usability-Richtlinien hält, hat die Website trotzdem die miserabel niedrige Erfolgsrate von 14% für eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Die Website führt Nutzer in die Irre, weil sie einige andere Richtlinien für die Nutzerfreundlichkeit von Startseiten missachtet:

Was bringen also Usability-Richtlinien, wenn sie – wie dieser Fall deutlich zu machen scheint – einander widersprechen?

Erstens: Die Richtlinien widersprechen sich bei der Startseite der Volkszählung nicht. (Manchmal haben wir tatsächlich widersprüchliche Richtlinien, z. B. im Zusammenhang mit dem Namensverzeichnis der Mitarbeiter in Intranets. Deshalb nennen wir sie Richtlinien: Denn sie sind nicht immer in Stein gemeisselt und brauchen manchmal ein wenig Interpretationsspielraum, in seltenen Fällen muss man auch mal von ihnen abweichen.)In diesem Fall aber ist es möglich, die wichtigsten Aufgaben anzubieten, die wichtigste Zahl direkt auf der Startseite anzuzeigen und ein Tool für die restlichen bereitzustellen, ohne Marketing-Ausdrücke zu verwenden, extravagante Formatierungen zu nutzen oder auf andere Weise den Bereich wie eine Anzeige aussehen zu lassen. Der Webdesigner kann also alle sechs Richtlinien zugleich befolgen.

In vielen Studien über Firmen- und E-Commerce-Websites haben wir beobachtet, wie Nutzer gerade die Teile einer Website ignorierten, die den höchsten Unternehmenswert darstellen, denn die Website versuchte ihrer Meinung nach zu sehr zu verkaufen. Lernen Sie aus dem Fehler des Amtes für Volkszählung: Versuchen Sie es mit einem weicheren Ansatz, mit mehr aufrichtigen, auf den Nutzter bezogenen Informationen. Lassen Sie die aufgemotzten Formatierungen und Kunstwörter weg.

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