Suchmaschinen sind die Blutsauger des Webs

Suchmaschinen saugen zu viel Substanz aus dem Web heraus und lassen den Websites, die wirklich Inhalte schaffen, zu wenig übrig. Sich von der Abhängigkeit von Suchmaschinen zu befreien ist sowohl für Websites als auch für Softwareanbieter eine strategische Notwendigkeit.

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) – 09.01.2006

Ich fürchte, dass Suchmaschinen zu viel Substanz aus dem Web heraussaugen, indem sie sich gegenüber genau denjenigen Firmen wie Blutsauger verhalten, die das eigentliche Quellmaterial erstellen, das von den Suchmaschinen verzeichnet wird.

Seit der Inbetriebnahme von AltaVista 1995 wissen wir, dass die Suche eine der wichtigsten Dienstleistungen im Netz ist. Nutzer vertrauen auf die Suche, um in den Massen von Webseiten die Information zu finden, die sie suchen. Erst vor kurzem haben die Leute aber angefangen, Suchmaschinen als Antwortmaschinen zu nutzen, um so direkt an die gewünschte Information zu gelangen – ohne sich dabei wirklich um die Websites zu kümmern, welche die Services zur Verfügung stellen und letztendlich auch dafür bezahlen.

Die beinahe anstössig hohe Wirtschaftlichkeit der Suchmaschinen-Anzeigen hat dazu geführt, dass viele Suchmaschinen-Sites – um die Besucherzahlen zu erhöhen – als Lockartikel ein breites Spektrum sonstiger Dienstleistungen anbieten. Da gibt es kostenlose Angebote wie Satelliten-Fotos und Online-Landkarten, E-Mail, Bildgalerien, Übersetzungen und Suchfunktionen für die lokale Festplatte.

Kostenlose Dienste sind für uns Nutzer natürlich angenehm, mindestens auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick leiden die Nutzer aber an der zu geringen Vielfalt. Denn das gesamte Angebot besteht aus Dienstleistungen, die nur angeboten werden, weil sie sich eignen, die Besucherzahlen auf den Suchseiten zu erhöhen. Und kostenfrei sind die Dienste natürlich auch nicht, denn kostenlose Suchmaschinen-Dienste kassieren ihren Anteil auf jeden Fall an einer anderen Stelle. Wie in einem anderen Artikel erklärt, können die Kosten für den Besitz von «kostenloser» Software im Umfeld eines Unternehmens leicht auf über 1 Mio. $ pro Jahr ansteigen.

Ohne Zweifel leisten Suchmaschinen für die Nutzer wertvolle Dienste. Hier aber geht es um die Frage, was die Suchmaschinen für diejenigen Unternehmen tun, von denen sie sich ernähren – diejenigen Firmen also, welche die Entstehung der Original- Informationen finanzieren. Suchmaschinen machen ihr Geschäft hauptsächlich auf der Grundlage von Inhalten anderer Websites. Bislang hat man angenommen, dass die Suchmaschinen das Geschenk zurückgeben, indem sie Verkehr auf diese Sites leiten. Da ist zwar immer noch was dran, aber das Szenario verändert sich.

Suchwort-Gebote verschlingen die Gewinne aus Site-Verbesserungen

Bezahlte Suchen behalten zu viel vom Wert einer Website ein. Da wir momentan gerade zahlreiche B2B-Studien durchgeführt haben, veranschaulichen wir dies am besten anhand eines B2B- Beispiels: Nehmen wir an, dass der durchschnittliche Auftragswert bei einer Konversionsrate von 1% 1’000.00 US$ beträgt. Das bedeutet, dass auf jeden 100sten Besucher ein Auftrag entfällt. Daraus ergibt sich ein Umsatz von 10 US$ pro Besucher. Wenn wir nun noch zusätzlich eine Gewinnmarge von 40% nach Abzug von Kosten und sonstigen Abgaben annehmen, dann bringt die Site pro Besucher 4$ ein.

Unter diesen Umständen kann die Site für ihre Suchmaschinen-Werbung bis 3.99 US$ für jeden zahlenden Klick ausgeben, solange die Werbung natürlich ausreichend zielgerichtet ist, um die Konversionsrate von 1% aufrechtzuerhalten.

Nun zeigt aber die Erfahrung, dass jede Website ihre Konversionsrate durch Nutzertests und Usability-Redesigns mindestens verdoppeln kann. Wenn nun unsere Beispiels-Site ein gutes Usability-Projekt durchführt, dann wird sie ihre Konversionsrate auf 2% erhöhen können. Dementsprechend wird die Site auf 100 Besucher zwei Abschlüsse erzielen, 2000 US$ Umsatz und 800 US$ Gewinn einbringen.

Solange die Konkurrenzsites auf dem alten Stand bleiben, können die Manager unserer Beispiels-Site glücklich sein: Sie zahlen immer noch nur 3.99 US$ pro Klick, also 399 US$ für die 100 Klicks, und ihr Gewinn steigt durch die Verbesserungen von 1 US$ auf 401 US$.

Nur! Auch konkurrierende Firmen lesen die Alertbox und führen ihre eigenen Usability-Projekte durch. Also werden die konkurrierenden Sites mit der Zeit ihre Konversionsraten verdoppeln und können es sich so leisten, auch die Gebote für ihre Suchwörter zu verdoppeln.

Wenn Ihre Gebote auf dem alten Stand bleiben, werden Ihre Anzeigen weiter nach unten rutschen, da immer mehr konkurrierende Sites ihr Design verbessern und sich höhere Gebote leisten können. Unsere Site hat also keine Wahl; sie muss ihr eigenes Gebot auf 7,99 US$ pro Klick erhöhen, wenn sie weiter im Geschäft bleiben will.

Auf lange Sicht händigen die Unternehmen so jedes Mal, wenn sie den Wert ihrer Online-Geschäfte steigern, den ganzen zusätzlichen Wert an die Suchmaschinen aus. Jeder Gewinn ist so nur temporär. Sobald die konkurrierenden Websites ihren Gewinn-pro-Besucher soweit gesteigert haben, dass sie ihre Suchwortgebote erhöhen können, treiben sie die Kosten für jedermann in die Höhe.

Für Suchmaschinen ist dies natürlich eine gute Nachricht: Sie können ihren Ertrag verdoppeln, ohne auch nur einen Finger zu rühren. Nur sitzen und abwarten, bis alle Websites besser werden – um dann die gestiegenen Einnahmen abzusahnen.

Wieso sollten sich dann alle anderen Sites verbessern, wenn die Suchmaschinen den gesamten Gewinn einstreichen? Aus zwei Gründen:

Websites von der Suchmaschinen-Abhängigkeit befreien

Trotz Suchmaschinen können Websites Geld verdienen. Der Schlüssel liegt in der Erkenntnis, dass Suchmaschinen zwar den ganzen Wert eines erstmaligen Besuchs abzwacken können, Sie aber den Wert aus jedem Geschäft ausserhalb der Suche behalten. Deshalb müssen Sie die Loyalität Ihrer Kunden pflegen, damit sie direkt auf Ihre Site gehen, anstatt sich über eine Suchmaschinenanzeige durchzuklicken.

Ich sage voraus, dass die Befreiung aus der Suchmaschinen-Abhängigkeit in den kommenden Jahren eines der grössten strategischen Anliegen sein wird. Die Frage ist: Wie können Websites mehr von ihrem Budget dem Halten von Stammkunden widmen, statt es für simple Annoncen für neue Besucher auszugeben? Hier finden Sie einige Vorschläge, am Anfang die bewährten (Newsletter), am Ende die eher spekulativen (mobile Dienste):

In den Tagen der Dot-com-Blase war es Mode, über die «Stickiness» einer Website zu diskutieren. Jetzt muss diese Klebefähigkeit eher nochmals neu für die Echtwelt als für die Dot.com-Blase konzipiert werden. Es ist nicht das Ziel, die Nutzer stundenlang auf Ihrer Site festzuhalten. Sie sollen dort ihrem Geschäft nachgehen.

Die wirklichen Ziele bestehen darin, die Nutzer zum Zurückkommen zu bewegen und, dass sie direkt auf Ihre Site kommen, ohne teure Anzeigen anzuklicken. Die genannten Vorschläge sind nur ein paar Wege, um zu Folgegeschäften zu ermuntern. Weitere detaillierte Studien des Nutzerverhaltens und der Kundenbedürfnisse dürften viele weitere Wege aufzeigen, um die Loyalität der Nutzer sicherzustellen.

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