Transmediales Design für 3 Bildschirme (oder doch eher 5)

Die Verwendung mobiler Geräte wird zunehmen, aber auch Desktopcomputer werden wichtig bleiben. Dies zwingt die Unternehmen, Inhalte für mehrere Plattformen zu gestalten. Das erfordert Kontinuität im visuellen Design, bei Funktionen, Nutzerdaten und in der Tonalität.

by Jakob Nielsen (deutsche Übersetzung) – 29.08.2011

Viele Menschen sagen voraus, dass die mobilen Geräte die einzige Nutzerplattform sein werden, die in der «Post-PC»-Zukunft noch von Bedeutung sein werden. Einige empfehlen sogar, Websites zuerst für die mobile Verwendung zu gestalten und das Design erst im Nachhinein an den Desktopcomputer anzupassen.

Ich bin anderer Meinung.

Der Spruch «Das Neue löst das Alte ab» liefert zwar gute Schlagzeilen, trifft aber in der Realität eher selten zu. Peter Zollman sagte einst: «Wenn man vom Stadtausrufer absieht, hat es noch kein neues Medium geschafft, das alte vom Spielfeld zu vertreiben.» Trotz Fernsehen haben wir immer noch das Radio – und sogar Theater auf der Bühne. In der Computerbranche gibt es immer noch Grossrechner, und dementsprechend macht IBM jedes Jahr Milliarden Dollar Umsatz.

Computer sind mittlerweile so billig, dass die meisten Menschen in den reichen Ländern gleich mehrere Geräte besitzen: für jedes Bedürfnis eines. Natürlich verstehe ich unter «Computer» nicht nur klassische PCs, sondern auch Tablet-PCs, Telefone, Grossrechner und Server. Sicher hat nicht jedes Haus einen Grossrechner im Keller, aber viele Familien haben einen Server, um ihre Bilder und Video-Bibliotheken zu verwalten.

Unter «Desktopcomputer» fasse ich natürlich sowohl Windows, Macintosh und Linux – sollte es jemals nutzerfreundlich werden – als auch potenzielle neue Plattformen zusammen, wie zum Beispiel Desktopcomputer, die das System webOS verwenden. Ebenso gehören Laptops und Mini-Tower dazu, da die physikalische Grösse weniger wichtig ist als das Nutzererlebnis. Laptops sind zwar durchaus tragbar, aber sie sind keine mobilen Geräte, sondern zählen für mich zu einer Unterkategorie der PCs.

PCs werden auch weiterhin Bedeutung haben

Desktopcomputer haben gegenüber den mobilen Geräten zwei entscheidende Vorteile:

Grosse Bildschirme und grosse Eingabegeräte sind beides inhärente Vorteile der Desktopcomputer; mobile Geräte müssen klein sein, damit die Nutzer sie überall hin mitnehmen können. Desktopcomputer haben ausserdem vier zusätzliche Vorteile, die ihnen mindestens für die nächsten zehn Jahre gesichert sind:

Bandbreite und Leistung der Hardware sind nur temporäre Vorteile von Desktopcomputern. Da die mobilen Geräte sich schneller weiterentwickeln, werden sie bald ein Niveau erreichen, das ausreicht, um die meisten Bedürfnisse der Nutzer auf diesem Feld zu befriedigen.Trotzdem stellen der bessere In- und Output einen dauerhaften Vorteil für das Nutzererlebnis bei Desktopcomputern dar.

Ich bin ein Grossbildschirm-Fanatiker: Grössere Bildschirme sorgen für eine höhere Produktivität der Nutzer. Jeder, der schon einmal an einem 30-Zoll-Monitor gearbeitet hat, windet sich bei dem Gedanken, ein grosses Projekt an einem kleineren Bildschirm durchführen zu müssen. Es erstaunt mich, dass die PC-Hersteller nicht noch grössere Bildschirme anbieten. (Ich wäre der erste, der sich für einen 40-Zoll-Monitor mit einer Schärfe von 300 dpi in die Schlange stellt.)

Leider sind, von Apple abgesehen, die PC-Anbieter weltweit unfähig, was Marketing und Profilierung ihrer Produkte angeht. Niemand sagt: «Kaufen Sie dieses Gerät für 500$ mehr und steigern Sie Ihre Produktivität um 10%.» Dabei wäre dies eine grossartige Investition für ein Unternehmen, welches für jeden Mitarbeiter, der mehr als 50.000$ im Jahr verdient und mindestens eine Stunde am Tag am Computer arbeitet, ein solches Gerät kauft. (Letzte Woche riet ich einer meiner Angestellten, 500$ mehr für ein hochwertiges Laptop auszugeben, um so ihre Produktivität auf Dienstreisen steigern zu können – aber ich musste meine Argumente dafür selber formulieren, da auf der Website von Sony nichts dazu stand.)

Die Nutzung verlagert sich auf mobile Geräte; doch viele Werte verbleiben auf dem Desktopcomputer

IDC schätzt, dass sich die Verkaufszahlen für PCs in diesem Jahr nur etwa um 4% im Vergleich zum Vorjahr steigern werden – was eigentlich keine schlechte Wachstumsrate ist für ein alterndes Produkt in Zeiten der Rezession. Trotzdem bleibt es eine Tatsache, dass die Vorherrschaft der Desktopcomputer in Zukunft abnehmen wird, weil ein Grossteil der Nutzung auf Mobiltelefone und Tablet-PCs verlagert wird.

Fotografen sagen: «Die beste Kamera ist die, die man in der Tasche hat, wenn gerade etwas passiert, das man fotografieren muss.» Das ist oft eine Kompaktkamera oder die Kamera des Mobiltelefons; man trägt eine Profi-Kamera nur mit sich herum, wenn man sowieso vorhatte, Fotos zu machen.

Analog dazu ist der beste Computer der, den man bei sich trägt, wenn man gerade etwas zu erledigen hat. Das ist oft das Mobiltelefon oder der Tablet-PC. Ich habe mein iPad im Haus immer in der Nähe, falls ich etwas im Internet nachgucken möchte. Zum Beispiel reserviere ich oft einen Tisch im Restaurant über die OpenTable-App auf dem iPad. Diese ist zwar etwas sperriger als die Website von OpenTable, die ich auf meinem Desktopcomputerhabe, aber ich investiere lieber 20 Sekunden mehr in die Interaktion mit einer App als eine Minute, um nach oben zu gehen, wo der PC steht.

Zwar werden sich viele dieser Nutzungsfälle vom Desktopcomputerauf Mobiltelefone und Tablet-PCs verlagern, aber ein grosser Anteil der Nutzung wird beim Desktopcomputerverbleiben. Es ist schwierig, die genauen Prozentzahlen für jede Klasse von Geräten zu schätzen, aber es ist ziemlich sicher, dass die höherwertigen Anwendungen auf dem Desktopcomputer bleiben werden. Daher werden die Zahlen, die Werte ausdrücken, zugunsten des Desktopcomputers ausfallen, während die Zahlen für Zeit für die mobilen Geräte sprechen werden.

Es ist natürlich der ökonomische Wert (also das Geld in unserer Tasche) und nicht die Zeit, der den Ausschlag gibt, wie wir unsere Investitionen ins Nutzererlebnis auf die verschiedenen Plattformen und Projekte verteilen sollen.

Wir wissen bereits seit unserer frühesten Studie zur mobilen Verwendung im Jahr 2000, dass das Zeittotschlagen die schlagende App für mobile Geräte ist. Das zeigt wiederum, dass die Nutzung kleiner mobiler Geräte von eher geringem ökonomischen Wert ist: Man spielt Spielchen, checkt die Neuigkeiten seiner sozialen Netzwerke, liest Klatschspalten und andere allgemeine Nachrichten und verwendet Apps für Zwischendurch.

Ja, es gibt einige Anbieter von höchst erfolgreichen Zeitvertreiber-Apps, die eine Menge Geld verdienen: Angry Birds brachte mehr als 300 Millionen Dollar ein mit Downloads. Aber das entspricht nur etwa 3 Cent pro Stunde, die der Nutzer damit verbringt, die süchtig machenden Vögel durch die Gegend zu schleudern. Promi-Klatsch ist wahrscheinlich etwa 0,02 Cent pro Seitenansicht wert. (Ahnungslose Marketing-Manager bezahlen zurzeit wohl mehr für Banner, die sich niemand anschaut, aber mit der Zeit werden die Tausend-Kontakte-Preise für Standard-Inhalte und Standard-Traffic weit unter einen Dollar rutschen und damit dem echten Wert entsprechen. Werbebudgets werden nicht auf ewig für die falschen Dinge ausgegeben.)

Andere mobile Verwendungen sind da schon wertvoller: Die eine Minute, die ich mit der OpenTable-App verbringe, um einen Tisch fürs Abendessen zu reservieren, entspricht einer Einnahme von 115$ für das Restaurant und etwa einem Dollar für OpenTable selbst. Sagen wir, das macht 60$ pro Stunde; das ist das 2000fache einer Angry-Birds-Minute.

Umgekehrt gibt es auch Verwendungen eines Desktopcomputers, die wenig kommerziellen Wert haben, wenn die Leute zum Beispiel ihren Freunden und ihrer Familie E-Mails schicken. Viele andere PC-Nutzungen haben dagegen erheblichen geschäftlichen Wert:

Zusammengefasst heisst das: Die Verwendung mobiler Geräte wird sich dramatisch steigern, aber viele hochwertige Aufgaben werden auch weiterhin am Desktopcomputererledigt werden. Die meisten Firmen müssen beide Geräteklassen unterstützen, und unsere Usability-Forschung hat gezeigt, dass dies mit unterschiedlichen UI-Designs geschehen muss, die die verschiedenen Charakteristika der beiden Nutzererlebnisse ansteuern. Es gibt eben kein einheitliches Nutzererlebnis für alle Bildschirmgrössen.

Der dritte Bildschirm ist der Fernseher

Nach mobilen Geräten und Desktopcomputern ist der Fernseher die dritte Kategorie bildschirmbasierter Nutzererlebnisse. Und zwar eine ziemlich einträgliche, die pro Stunde Nutzungsdauer etwa 20 Cent bis 2$ einbringt. (In meinem Haushalt zahlen wir dem Kabelanbieter etwa 2$ pro Stunde, aber wir sehen deutlich weniger fern als andere Familien. Bei Amazon.com kostet es 1,99$, eine Star Trek-Folge per Streaming anzusehen, was auch im höheren Bereich zu liegen scheint. )

Ich konzentriere mich auf die Usability von mobilen und Tischgeräten, da nur wenige Firmen auf dem Markt sind, die fernsehbasierte Interaktionsmodelle anbieten. Die Usability ist in der Regel schrecklich, wie schon in meinem Artikel über Fernbedienungen erläutert. Es besteht jedoch eine gewisse Hoffnung für die Zukunft, wie die gestengesteuerte Oberfläche von Kinect zeigt.

Im Moment ist das Design für Fernseher nur für Firmen der Unterhaltungs- oder Konsumentenelektronik interessant. Sollte sich die interaktive Usability beim Fernsehen verbessern, sollten die Unternehmen dem auch mehr Aufmerksamkeit widmen. Zu diesem Zeitpunkt ist eins sicher: Der Fernseher braucht eine dritte Nutzeroberfläche, die sich sowohl vom Design für Mobilgeräte als auch von dem für Desktopcomputerunterscheidet.

Die Bildschirme Nr. 4 und 5 sind winzig bzw. riesengross

Als wäre es nicht schon genug, zwei oder drei verschiedene Nutzeroberflächen für mobile und Tischgeräte und Fernseher zu entwerfen, gibt es noch zwei Extreme, die in Betracht gezogen werden müssen: sehr, sehr kleine und sehr, sehr grosse Bildschirme. Auch hier braucht jede Klasse ihre eigene UI.

Winzige Bildschirme: Dazu gehören die briefmarkengrossen Displays, die auf vielen Produkten der Konsumentenelektronik zu finden sind – selbst meine Zahnbürste hat mittlerweile eine eigene Anzeige. Wenn wir die Definition ein wenig ausdehnen, können wir sogar die Nutzererlebnisse einbeziehen, die von Produkten mit eingebauten RFID-Chips oder QR-Codes ausgelöst werden.

Riesenbildschirme reichen vom Bildschirm im Besprechungsraum über smarte Gebäude bis hin zu smarten Gebäudekomplexen wie zum Beispiel einem Krankenhaus, das Besucher und Patienten zu den richtigen Gebäuden und Räumen leitet.

Bis jetzt ist an der Usability dieser beiden Extremformen noch nicht viel getan worden, aber beide stellen definitiv eine Herausforderung dar. Und sicher ist, dass jede taugliche Nutzeroberfläche sich deutlich von denen für die anderen Geräteklassen unterscheiden wird.

Das transmediale Nutzererlebnis

Die meisten Unternehmen werden wahrscheinlich nur zwei verschiedene Nutzeroberflächen einführen: für mobile Geräte und für Desktopcomputer. Andere brauchen unter Umständen drei, vier oder sogar alle fünf, je nachdem, in welchen Bereichen sie tätig sind. Wie viele es auch immer sind, es gibt zwei Kernpunkte, die man im Blick behalten sollte:

Unsere Erfahrungen mit transmedialer Usability sind noch nicht ausreichend genug, um eine umfassende Liste mit Richtlinien zur Verfügung zu stellen, die dabei helfen, ein einheitliches Nutzererlebnis über Plattformen hinweg zu entwickeln. Aber wir kennen vier essentielle Punkte, die Sie unbedingt beachten sollten:

Um das zusammenzufassen: Nutzeroberflächen für mehrere Plattformen sollten anders sein und doch gleich.

© Deutsche Version von Jakob Nielsens Alertbox. Institut für Software-Ergonomie und Usability AG. Alle Rechte vorbehalten.